Globalisierung, Modernisierung und die Widerständigkeit des Lokalen

Volker H. Schmidt (2012a) kritisiert in seinen Beiträgen auf diesem Blog den beschränkten „Beobachtungshorizont“, „Eurozentrismus“ und „methodologischen Nationalismus“ der deutschen Soziologie und plädiert für eine „globale Soziologie“. Er verweist damit auf die Globalisierungsdebatte, in deren Zuge seit langem diskutiert wird, ob wir eher von einer „Modernisierung“ oder von „multiplen Modernen“ sprechen – sprich: Sind asiatische, afrikanische und südamerikanische Länder als Nachzügler der Entwicklung des „Westens“ zu betrachten, oder werden sie einen eher eigenständigen Weg gehen?

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Deutsche Wirtschaftsregionen. Über die Regionale Variation der Lebenschancen in Deutschland

Nachdem ich nun Einiges über die soziale Konstruktion des Raumes geschrieben habe, möchte ich zurückkehren zum Wechselverhältnis von Wirtschaft und Raum. Wie ich bereits angedeutet habe, sind diese auf vielerlei Weise miteinander verbunden, etwa über die Verlängerung der Produktionsketten, die sich u.a. in Standortverlagerung und Globalisierung auswirkt. Gleichzeitig sind regionale Disparitäten eine altbekannte Dimension sozialer Ungleichheit. Die Sozialstrukturanalyse geht dabei klassischerweise von absoluten Raumvorstellungen des Behälterraums aus, d.h. sie nimmt Räume als gegebenen Handlungsrahmen. Dabei fallen u.a. gravierende Unterschiede der Lebens- und Arbeitsmarktchancen, d.h. es macht einen großen Unterschied, an welchem Ort man geboren wurde bzw. lebt.

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Mönche und Alltagsmenschen. Grenzziehungspraktiken zwischen Heiligen und Profanen im Buddhismus

Im Buddhismus wird noch deutlicher als auf der Kumbh Mela, dass Grenzen in der Interaktion sozial konstruiert werden. Das Heilige ist hier nicht ein physisches Objekt (Kirche, Wasser), sondern der Mönch selbst – und anders als die hinduistischen Naga Babas bewegen sich buddhistische Mönche ganz normal durch südostasiatische Städte. Selbst personal ist das Mönchsein nicht abgegrenzt (wohl aber geschlechtlich): Auch wenn es im Buddhismus ebenso wie im Christentum Mönche auf Lebenszeit gibt, können buddhistische Männer mehrmals im Lauf ihres Lebens zwischen dem Status des Mönchseins und dem Status des Alltagsmenschen hin- und herwechseln. Dieses transitorische Mönchsein nimmt oft die Form einer rituellen Reinigung vor einer wichtigen Statuspassage an (Erwachsenwerden, Hochzeit). Obgleich das oberste Ziel des Mönches ist, sich von den irdischen Begierden loszulösen, so ist sein Da-Sein doch zutiefst in den Alltag eingebettet. Die Grenze zwischen Heiligem und Profanen verläuft folglich hier genau zwischen der Raum-Zeit-Koordinate, auf der sich der Mönch findet, und der Umwelt. Wie wird hier die Grenze zwischen Heiligem und Profanen konstruiert?

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Soziale Konstruktion der Grenze. Über die Trennung von Heiligem und Profanen auf der Kumbh Mela

Wenn wir Orte konstruieren, müssen wir hierzu eine Grenze zwischen Innen und Außen ziehen, wobei uns hierzu verschiedene Mittel zur Verfügung stehen, wie etwa der gebaute Raum oder Karten. Am Beispiel der Kumbh Mela lässt sich aber zeigen, dass soziale Grenzen v.a. interaktiv gezogen werden. Bei diesem größten religiösen Fest der Hindus, das 2010 in Haridwar (Indien) stattfand, waschen sich die Gläubigen rituell im Ganges, um an Erkenntnis zu gelangen und sich von ihren Sünden zu befreien.

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Die Karte als Interaktionsmedium

Die Karte ist ein Interaktionsmedium, das (neben sozialen Praktiken) das Wissen über den Raum transportiert. Sie hilft dem Menschen bei der Syntheseleistung, die Ansammlung von Menschen und Gütern auf bestimmten Raum-Zeit-Koordinaten anzuordnen und zu einem Ort zu verdichten. Sie hat den Vorteil, dass sie die physische Anwesenheit eines Interaktionspartners nicht voraussetzt – dachten wir.

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Die Interaktion von Mensch und Raum durch Raumproduktion, Raumwahrnehmung und Raumaneignung

Im Zeitverlauf wirken Menschen und (physischer) Raum wechselseitig aufeinander ein. So sehr der (physische) Raum für den Mensch einen Handlungsrahmen darstellt, das in der konkreten Interaktionssituation hinderlich oder förderlich wirken kann, so sehr ist der Raum selbst auch sozial konstruiert: Menschen haben unterschiedliche Vorstellungen von Raum, nutzen und (re-)produzieren ihn auf unterschiedliche Weise.

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Raum als Syntheseleistung, oder: Die vielen Gesichter Chinas

Zur sozialen Konstruktion von Raum bedarf es u.a. einer Syntheseleistung: Menschen fassen bestimmte Menschen- und Güteransammlungen zu Räumen – also zu einer Sinneinheit – zusammen, nehmen sie als solche wahr, stellen sie sich als solche vor und erinnern sich an sie auf diese Art und Weise (Löw 2001: 159, 263; Elias 1969). Dabei fassen wir durchaus auch recht Unterschiedliches und Heterogenes zusammen. So lesen wir etwa in der Presse immer wieder von „Deutschland“, „Frankreich“, „Großbritannien“ oder „China“, und wir gehen implizit dabei vom nationalstaatlichen institutionellen Rahmen sowie einer „kulturelle Einheit“ oder „Ähnlichkeit“ innerhalb des Raumes aus. Wie brüchig diese Konstruktion von Einheitlichkeit ist, wird am Beispiel von China deutlich.

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Die soziale Konstruiertheit des Raumes und die derzeitigen Grenzen der Leistungsfähigkeit von Geoinformationssystemen

Dass ich gestern geschrieben habe, der physische Raum würde von der Soziologie unterschätzt, soll nicht heißen, dass ich die soziale Konstruktion des Räumlichen (Lefèbre 1974) leugne – im Gegenteil: Wie wichtig die menschliche Syntheseleistung (Löw 2001) ist, erkennt man, wenn man sich mit Geodäten über Geoinformationssysteme (GIS) und die darauf basierenden Kartendarstellungen (wie Google Maps, Google Earth oder 3D-Stadtmodelle) unterhält.

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Raum ist nicht (nur) sozial konstruiert. Globalisierung und die räumliche Differenzierung der Produktionskette (Differenzierung 4)

Bei der Lektüre vieler sozial- und kulturwissenschaftlicher Texte gewinnt man manchmal den Eindruck, dass im Zuge der Globalisierung und der zunehmenden Bedeutung des Internets der (physische) Raum keinerlei Bedeutung mehr habe und der Raum eine reine sozialen Konstruktion sei. Auch wenn auch ich glaube, dass Raum sozial überformt wird und Grenzen sozial konstruiert werden (Baur 2005: 80-82; 165-172), so bin ich doch der Ansicht, dass viele raumsoziologische Arbeiten die soziale Wirksamkeit des physischen Raumes unterschätzen.

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Über die Standardisierung von Lebensmitteln, oder: Wie Schafe und Kühe zu 250g-Schnitzeln im Supermarktregal werden

Im Supermarkt kaufen wir typischerweise ganz bestimmte Mengen – 250 g Butter, 1kg Mehl, 6 Eier, Joghurt im 500g-Glas oder im 250g-Plastikbecker, 150 bis 250g Fleisch pro Person und Mahlzeit usw. Die meisten Konsumenten wollen auch gar keine größeren Mengen, weil sie entweder alleine, mit Partner oder in einer Kleinfamilie leben und gar nicht mehr verbrauchen können. Nun ist es bei einem Pack Butter oder einem Glas Joghurt noch einsichtig, dass es – da diese Lebensmittel ja ohnehin in Fabriken produziert werden – relativ egal ist, in welchen Mengen es abgepackt wird. Aber wenn man sich Hühner, Puten, Schafe, Ziegen, Schweine oder Rinder anschaut, haben sie doch sehr unterschiedliche Größen, und es gibt ja auch kleine und große Schafe, was so überhaupt nicht zu den Anforderungen der modernen Massenproduktion passt – die Koordination der zahlreichen Produktionsstufen kann nur funktionieren, wenn die Produkte hochgradig standardisiert sind. Damit stellt sich die Frage, wie aus einem Schaf, Schwein oder Rind ein 250g-Schnitzel im Supermarkt wird.

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Produzenten-Zulieferer-Netzwerke auf Lebensmittelmärkten (Differenzierung 3)

Die Bio-Eier wurden von niedersächsischen Landwirten falsch deklariert. Das Aflatoxin kam über verseuchtes Futtermittel aus Serbien in die Milch. Das Pferdefleisch aus Großbritannien, Rumänien, Polen, Italien und den USA fand – als Rindfleisch deklariert – seinen Weg ins Dosengulasch, Fleischklopse, Burger, Lasagne und Pasta. In den Halal-Produkten der Firma Kuraas AS landete Schweinefleisch. Das antibiotikabelastete Putenfleisch aus Rumänien wurde in Münster zu einem Tandoori-Fertiggericht weiterverarbeitet und an Kantinen verschiedener Länder weiterverkauft … man bekommt das Gefühl, dass keiner mehr den Überblick hat. Und wahrscheinlich ist das auch so – und das wäre, ehrlich gesagt, kein Wunder: Durch den Wettbewerb von Unternehmen haben sich nicht nur die Zahl der Arbeitsschritte pro Produktionsstufe vergrößert, so dass etwa Joghurt heute in Fabriken hergestellt wird, sondern auch die Produktionskette hat sich zunehmend differenziert, so dass heute in komplexen Produzenten-Zulieferer-Netzwerken (Windeler 2001) produziert wird.

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Fabrikproduktion von Lebensmitteln (Differenzierung 2)

Wie sprechen in der Soziologie immer wieder von „Differenzierung“, aber was heißt das ganz genau? Wie ich gestern geschrieben habe, bedeutet dies im Bereich der Wirtschaft u.a., dass sich die Zahl der Arbeitsschritte pro Produktionsstufe immer mehr zunimmt, so dass der Produktionsprozess selbst heute extrem komplex geworden ist. Der Wandel der Produktionstechnik auf dem Joghurtmarkt zwischen den 1950ern und den 2000ern illustriert exemplarisch, wie wenig die moderne Lebensmittelproduktion mit werbevermittelten Botschaften von „natürlichen Produkten” gemein hat.

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Konkurrenzvermeidung. Wettbewerbsstrategien von Unternehmen als Treiber der Marktentwicklung (Differenzierung 1)

Einmal etablierte kapitalistische Märkte haben eine immanente Tendenz zur Selbstzerstörung, bedingt durch eines ihrer Wesensmerkmale – den Wettbewerb (Baur 2001: 98-127). In Abgrenzung zum neoklassischen Modell betonen soziologische Markttheorien, dass Märkte dynamisch sind und diese Dynamiken räumlich variieren können. Gleichzeitig haben Märkte eine Tendenz zur Ausdehnung im Raum (Globalisierung bzw. Internationalisierung) und zur Differenzierung. Der Treiber dieser Prozesse ist das Wettbewerbsverhalten von Unternehmen.

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Was ist eigentlich ein Markt?

Ich habe in den letzten zwei Wochen über verschiedene Märkte (den Arbeitsmarkt, den Medienmarkt, den Lebensmittelmarkt) geschrieben. Andere Autoren haben hier die Entwicklungen auf dem Finanzmarkt kommentiert (Prisching 2012, Nassehi 2012, Reichertz 2013) oder über den europäischen Binnenmarkt geschrieben (Münch 2012). Dabei wird deutlich, dass nicht immer ganz klar ist, was mit dem Begriff „Markt“ eigentlich gemeint ist. Was also ist eigentlich ein Markt?

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Glückliche Kühe auf blühenden Weiden und Aflatoxin in der Milch. Der Beitrag der Medien zur Risikoproduktion auf anderen Märkten

Medien haben nicht nur eine wichtige Funktion für die Bildung der öffentlichen Meinung, sondern sie sind – wie der Arbeitsmarkt – immer auch ein besonderer Markt, weil sie ein wichtiger Marktakteur auf anderen Märkten sind, insbesondere auf Konsumgütermärkten. Dabei spielen sie eine ambivalente Doppelrolle, wodurch sie ganz wesentlich zur Risikoproduktion auf diesen Märkten beitragen.

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