Ereignisse, die einer feministisch-soziologischen Kommentierung bedürften, gab es in den vergangenen Tagen ja zuhauf. So etwa die vielleicht auch von der feministischen Beobachtung eher kaum bemerkte Anregung der International Boxing Association (AIBA), dass die bei den im kommenden Jahr erstmals stattfindenden olympischen Frauen-Boxwettkämpfen zugelassenen Boxerinnen doch Miniröcke im Ring tragen sollten, um die Kämpfe attraktiver zu machen. Eine Anregung, auf die es international Kritik hagelte, vor allem von Boxerinnen selbst, weshalb die »Rock-Regel« umgehend wieder zurückgenommen und als »Vorschlag« ausgegeben wurde.
Nun mögen Kleidungsvorschriften im Sport durchaus ihre Berechtigung haben – so lange es um Funktionalität geht. Im (Leistungs-)Sport von Frauen scheint indes vor allem das Prinzip »sex sells« zu gelten. Dass etwa im Beachvolleyball die offizielle Regel gilt, »dass die Bikini-Höschen an der Seite nur sieben cm breit sein dürfen«, kann jedenfalls kaum funktionalen, sportlichen Erwägungen folgen.
Die feministische Zeitgenoss_in könnte nun solche Vorschläge auch als Volten ewiggestriger Chauvinisten abtun, deren Haltbarkeitsdatum lange überschritten ist. Dagegen spricht, dass der sexistische Wahn durchaus Methode hat, die geschlechtersoziologisch entschlüsselbar ist. Denn die »Rock-Regel« bedient nicht nur das sexistische Prinzip »sex sells«. Sie operationalisiert vielmehr auch die kulturelle Basisanforderung, dass Männer und Frauen in jedem Fall unterschieden und keinesfalls als gleich wahrgenommen werden dürfen. Die feministische Kulturanthropologin Gayle Rubin hat dies mit der Formel vom »sameness taboo« auf den Begriff gebracht.
Zur Ressource für die Konstruktion des geschlechtlichen Unterschieds taugt dabei fast alles, eben nicht nur der Rock. Gleich ob es um die Debatten um die Einführung einer Frauenquote für die Vorstände und Aufsichtsräte börsennotierter Unternehmen oder um mehr Studentinnen in den MINT-Fächern geht, wirkmächtige Spuren geschlechtlich-stereotypisierender Versämtlichung finden sich allerorten. Von der mangelnden Führungskraft der Frauen ist hier oft genug ebenso selbstverständlich die Rede, wie davon, dass Frauen ein schlechteres räumliches Vorstellungsvermögen hätten, weshalb ihnen der Maschinenbau ein Mysterium bleiben müsse. Kenntlich wird hier daher noch eine weitere kulturelle Basisregel, die die feministische Historikerin Joan Scott destilliert hat: »to allow women to be like men would be to risk men becoming like women«. Es muss also nicht nur unterschieden, sondern auch segregiert werden.
Und schließlich verweist die »Rock-Regel« noch auf ein Phänomen, das Angela McRobbie als »postfeministische Maskerade« beschrieben hat. Das nachgerade obsessive Beharren heute junger Frauen nämlich, in den kommerzialisierten, sexualisierten Versionen von Weiblichkeit nicht Zwang zu sehen, sondern sich im Gegenteil in und mit diesen wohlzufühlen. So bekundete es jedenfalls eine Mitarbeiterin des Gleichstellungsbüro der Universität Wuppertal im Sommer 2010 im Berliner Tagesspiegel: Sie fühle sich »in ihrer Weiblichkeit« wohl, in »knappen Outfits, Make-up und Kleidern« sehe sie »keinen Widerspruch zu ihren Forderungen« und beabsichtige folglich Politik zwar »im Geist von Alice – aber mit Make-up und Minirock« betreiben zu wollen.
Die AIBA will ihre endgültige Entscheidung über Röcke im Ring im Januar kommenden Jahres treffen. Die Boxerinnen haben sich längst entschieden.
Lieber BdM,
wie angekündigt habe ich hierher die Diskussion zum Thema „Geschlecht“ verlagert.
Nur, dass ich nicht missverstanden werde: Ich stimme Ihnen vollkommen zu, dass Mann und Frau eben keine Kompaktrollen sind, die jeweils bestimmte Lebensstile nach sich ziehen – ich meinte nur, dass man, wenn man Lebensstile rein handlungstheoretisch betrachtet (also über die Alltagsgestaltung), dass man dann natürlich in der Empirie feststellt, dass es geschlechtsspezifische, typische Unterschiede in der Alltagsgestaltung gibt. Ich persönlich würde die Erforschung dieser Unterschiede aber eben nicht unter die Lebensstilforschung, sondern die Geschlechtersoziologie „packen“.
Was ich aber dagegen schon glaube, ist, dass Lebensstile und Geschlecht miteinander verwoben sind, und zwar insofern, dass in verschiedenen sozialen Milieus Geschlecht unterschiedlich sozial konstruiert wird. Das kann dazu führen, dass über Körperpraktiken und Alltagshandeln die Geschlechtsunterschiede betont werden, es kann aber auch sein, dass man versucht, diese zu nivellieren. Und welche Praktiken das genau sind, variiert dann auch noch historisch und kulturspezifisch.
Wie sehr Geschlecht sozial, und wie wenig es biologisch konstruiert wird, sieht man gerade in Kulturvergleich. Um nur drei Beispiele zu nennen:
In (Südost)Asien findet man in vielen Berufe, die bei uns eindeutige Männerberufe sind, sehr viele Frauen. Zu nennen sind etwa Metzgerinnen, Bauarbeiterinnen und Fährfrauen. Und in Berufen, die mit Handeln und Verkaufen zu tun haben, findet man sehr viele Frauen (weil Männer ja erwiesenermaßen nicht so gut mit Geld umgehen können). Im arabischen Raum ist es umgekehrt – hier handeln und verkaufen vorwiegend die Männer (weil Frauen ja erwiesenermaßen nicht so gut mit Geld umgehen können).
Was ich in Thailand sehr auffällig fand, war, dass viele Thailänder für unsere Verhältnisse ausgesprochen androgyn wirken – erst Kleidung und Verhalten machten sie eindeutig zu Männern oder Frauen (es gibt entsprechend auch wesentlich mehr Transvestiten, die wesentlich besser in die heterosexuelle Gesellschaft integriert sind als bei uns (weil man eben eine Frau oder ein Mann ist, durch das, was man tut und wie man es tut), und auch sie waren oft erst auf den zweiten Blick als Personen, deren soziales Geschlecht weiblich war, als biologische Männer zu erkennen (und umgekehrt).
Wie stark das biologische Geschlecht sozial überformt wird, sieht man, wie ich finde, am besten bei den albanischen virgjineshtë (eingeschworenen Jungfrauen). Es handelt sich um Frauen, die (i.d.R. mangels männlichem Erben in der Familie) die soziale Rolle eines Mannes übernehmen. Was ich am faszinierendsten finde, ist, dass diese Frauen im Lauf der Zeit nicht nur hinsichtlich ihrer sozialen Verhaltensweisen, sondern auch hinsichtlich ihrer Körperpraktiken so stark vermännlichen, dass sie (zumindest für unsere Augen) praktisch nicht mehr als Frauen erkennbar sind, wie die Fotoserie von Pepa Hristova zeigt.
Wenn man auf die deutsche Gesellschaft betrachtet, finde ich zwei Aspekte der Zweigeschlechtlichkeit spannend:
Auf das von Ihnen angeführte Beispiel der Emotionen bezogen, finde ich Yvonne Schützes Arbeiten sehr spannend, die zeigt, dass noch vor etwa 200 Jahren in Deutschland Kindererziehung als Aufgabe von Männern gesehen wurde, weil (gemäß damaliger Zeitauffassung) Frauen so gefühlskalt und emotional unreif seien, dass sie gar nicht der Lage seien, so etwas wichtiges und aufwändiges wie eine emotionale Bindung zu einem Kind aufzubauen (so weit zum Klischee, dass uns Frauen Mutterliebe im Blut liege und Männer Schwierigkeiten mit einer emotionalen Bindung zum Kind hätten).
Wenn man sich mit Ernährung (wie Sie ja mittlerweile wissen, eines meiner Lieblingsthemen) befasst, sieht man außerdem, dass in Mitteleuropa die biologischen Unterschiede durch Körperpraktiken überformt werden: In der Pubertät ist eine wichtige Geschlechterpraktik, dass Jungen i.d.R. sehr viel mehr (Fleisch) essen und muskelbildenden Sport treiben. In der Wachstumsphase führt das dazu, dass man größer wird und stärker Muskeln ausbildet. Imselben Alter treiben viele Mädchen gar keinen Sport und fangen mit Diäten an. Diäten in der Wachstumsphase wirken aber wachstumshemmend, weshalb die entsprechenden Frauen kleiner und zierlicher bleiben, als sie es werden würden, wenn sie sich verhalten würden, wie die Männer. Man könnte also sagen, dass sich soziale Verhaltensweisen durch Körperpraktiken biologisch verfestigen – die Bodybuilderin ist dafür nur ein zu gutes Beisiel.
Kurz: Ich stimme Ihnen zu, dass das „Geschlecht“ keine Kompaktrolle ist – und wir schreiben als Soziologen ja ohnehin immer nur vom Typischen, das naturgemäß Ausnahmen zulässt.
Herzlich,
Nina Baur
P.S.:
Ich habe die Links vergessen.
Pepa Hristova:
http://www.pepahristova.com/sworn-virgins/1/
Eingeschworene Jungfrauen:
http://de.wikipedia.org/wiki/Eingeschworene_Jungfrau
Unsere frühere Diskussion zum Thema:
http://soziologie.de/blog/?p=997#comments und
http://soziologie.de/blog/?p=1145#comments
Liebe Frau Baur,
hinter der Bemerkung mit den Kompaktrollen stand bloß das Ziel, wie in einem meiner letzten Kommentare beschrieben, zunächst von allen real gegebenen Unterschieden abzusehen, um davon ausgehend eben die realen Unterschiede zu problematisieren. Dann bin ich natürlich voll bei Ihnen, dass es empirisch solche beobachtbaren Zusammenhänge zwischen Geschlecht und Lebensstilen gibt. Sie haben einige sehr interessante Beispiele genannt (speziell das mit den albanischen Jungfrauen).
Womit ich allerdings einige Probleme habe, sind feministische Interpretationen der sozial konstruierten Geschlechterunterschiede wie der eines angeblichen Gleichheitstabus, wie es im Text von Frau Hark beschrieben wird. Gerade auf das Beispiel Beachvolleyball angewendet, zeigt sich die Naivität der dahinterstehenden Gleichheitserwartung. Was würde es denn bedeuten, wenn man die geforderte Gleichheit im Beachvolleyball zulässt? Entweder müssten Männer künftig auch Bikinis tragen oder Frauen müssten oben ohne spielen. Ersteres wäre einfach nur albern, letzteres noch sexistischer als die aktuellen Kleidungsvorschriften. Da man bei diesem Sport außerdem hart an der Grenze zu Nacktheit entlang gleitet, werden so oder so die sichtbaren biologischen Unterschiede umso mehr hervorgehoben. Gerade an solchen Absurditäten des Feminismus alter Schule zeigt sich die Naivität der dahinterstehenden Gleichheitserwartung, deren Ursache vermutlich darin zu finden ist, dass die Vertreter solcher Ansichten ein Problem mit jeglicher Art der Geschlechterkonstruktion haben, weil es um die Beobachtbarkeit von Unterschieden zwischen Männern und Frauen, an sich geht.
Empfehlenswert wäre, diesen Unterschied zunächst in seiner Faktizität anzuerkennen, was ja selbst Personen tun, die sich selbst als Transgender beschreiben. Ohne diesen Unterschied, wäre ihnen gar nicht möglich, sich selbst sozial zu bestimmen – und sei es nur als keins von beiden. Ich hab mal eine interessante Dokumentation gesehen, in der es u. a. um einen Workshop für Transgender-Mädels (also junge, biologische Frauen, die glauben, sie sind Männer) ging. Beeindruckend war mit welcher Akribie und Genauigkeit sie männliche Gesten und Verhaltensweisen beobachtet und nachgeahmt haben, um selbst männlicher zu wirken. Das funktioniert nur, wenn man die Unterschiede zwischen Männern und Frauen anerkennt, um davon ausgehend die eigene soziale Identität zu bestimmen. Dies scheint mir auch der Ausgangspunkt des neuen Feminismus zu sein, der dann auch mit Miniröcken kein Problem mehr hat.
Viele Grüße
BdM
Kurzer Einwurf zur Gleichheit:
Mich würde es wundern, wenn bei olympischen Beachvolleyballwettkämpfen die Herren oberkörperfrei spielen dürfen. Das ist ihnen (glaube ich) nicht erlaubt. Den Damen ist aber seit 2012 erlaubt, ebenfalls knielange Shorts zu tragen.