What does the Ethnic Framing of the Gaza War Serve?

Yagil Levy is a full professor of political sociology and public policy at the Department of Sociology, Political Science & Communication at the Open University of Israel in Ra’anana. He is also a specialist in the field of military sociology and among numerous other tasks was Vice President of the Israeli Sociological Society from 2018 to 2019.

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In eigener Sache

Anlässlich des ersten Jahrestages des Überfalls der Hamas auf Israel veröffentlichen wir auf diesem Blog in den kommenden Wochen in loser Folge Texte, die sich aus soziologischen Perspektiven mit den Ereignissen des 7. Oktober sowie der folgenden Monate beschäftigen. Es handelt sich dabei zunächst um eine Serie kürzerer Beiträge, die im April 2024 im Rahmen einer Jahrestagung der Israelischen Soziologischen Gesellschaft in Jerusalem präsentiert wurden. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Israelischen Soziologischen Gesellschaft sowie der jeweiligen Autor:innen.

Wir hoffen damit dazu beitragen zu können, die Stimmen der Kolleginnen und Kollegen vor Ort vernehmbarer zu machen und den Leser:innen des SozBlogs einen Einblick in die Vielschichtigkeit des soziologischen Diskurses in Israel zu geben. Wir stehen im engen Austausch mit zahlreichen Kolleg:innen in der Region und werden diese Serie gegebenenfalls nach und nach um weitere Beiträge und Perspektiven ergänzen.

Für den Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Soziologie

Daniel Witte, Beauftragter für Internationale Beziehungen

Autoritarismus durch die Hintertür. Wie die Antisemitismusforschung sich in ihr Gegenteil zu verkehren droht

Progressive Soziolog*innen haben längst „festgehalten, dass eine postkoloniale Rahmung der deutschsprachigen Soziologie […] zur (Selbst-)Reflexion über die materiell-strukturelle wie symbolisch-kulturelle und metaphorische Ver-Ortung der eigenen soziologischen Praxis zwingt.“[1] Für die Antisemitismusforschung lässt sich nur allzu oft das Gegenteil feststellen: An die Stelle einer eigenen Verortung tritt die Identifikation des Antisemitismus als Problem der anderen. Als besonders wirksam erweist sich dabei der Topos israelbezogener Antisemitismus, der jüngst ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt ist.[2] Hier sind die Zahlen am eindrücklichsten: Aussagen zu israelbezogenen Antisemitismus (z. B.: „Bei der Politik, die Israel macht, kann ich gut verstehen, dass man etwas gegen Juden hat.“) stimmten 2020 über 40 Prozent der befragten Muslim*innen zu, während unter evangelischen, katholischen und konfessionslosen Befragten nur fünf bis zehn Prozent der Befragten zustimmten.[3]

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Institutioneller Antisemitismus als Analyseperspektive

In Deutschland als einer postnationalsozialistischen Gesellschaft ist Antisemitismus ein medial, pädagogisch, politisch und wissenschaftlich viel diskutiertes gesellschaftliches Verhältnis. In Deutschland als einer postmigrantischen Gesellschaft verfügt die Mehrzahl der hier lebenden Juden:Jüdinnen über einen Migrationshintergrund.[1] Umso erstaunlicher ist es, dass die konkreten Alltagserfahrungen, die Juden:Jüdinnen mit gegenwärtigem Antisemitismus machen, bisher nur selten Gegenstand wissenschaftlicher Auseinandersetzung sind – und zwar weder in der Migrations- noch in der Rassismus- oder Antisemitismusmusforschung. Die sozialwissenschaftliche Forschung hat sich bisher vor allem mit Antisemitismus als einer Weltanschauung befasst, mit der negative Erscheinungsformen der Moderne auf die Figur „des Juden“ projiziert werden und die damit bestimmte psychologische Funktionen für ihre Träger*innen erfüllt (Kirchhoff 2020). In der welterklärenden Ideologie des Antisemitismus werden Juden:Jüdinnen als übermächtige Feinde imaginiert, die tradierte Ordnungsprinzipien sowie (nationale) Selbstbilder in Frage stellen.[2] Der Fokus dieser Forschung liegt auf dem (richtigen) Verständnis, dass Antisemitismus auf Projektion basiert, nicht auf dem realen Verhalten von Juden:Jüdinnen – er ist, um eine Bezeichnung von Theodor W. Adorno aufzugreifen – »das Gerücht über die Juden«[3]. Dieser Fokus zeigt sich indirekt auch in quantitativen Untersuchungen, die die Verbreitung antisemitischer Einstellungen messen.[4]

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Dekolonialistische Theorie und Israel/Palästina

 

Post- und dekolonialistische Ansätze in den Sozialwissenschaften sind ohne politischen Antikolonialismus nicht zu denken. Das ist nicht nur eine beschreibende Feststellung, sondern kann auch als positive Wertung gelesen werden: Die Motivation, koloniale Gewaltverhältnisse zu bekämpfen, hat auch die wissenschaftlichen Perspektiven bereichert.[1] Derzeit führt die Verknüpfung von Analyse und Aktivismus aber auch in Sackgassen, die sowohl zulasten analytischer Stringenz und Plausibilität gehen, als auch aktivistischen Allianzen gegen den „reaktivierten Nationalismus“[2], auf die Astrid Messerschmid in ihrem Beitrag zu diesem Blog hofft, nicht eben zuträglich sind.

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Intersektionalität, Antisemitismus und der 7. Oktober

In feministischen Reaktionen auf die antisemitischen Massaker des 7. Oktober und den darauffolgenden Krieg in Gaza wird häufig ein intersektionales Grundverständnis bemüht, nach dem Feministinnen nicht die Augen vor anderen Unterdrückungsformen verschließen dürften. Auffällig ist dabei, dass der Antisemitismus weitgehend ausgeblendet wird, insbesondere jener der Hamas. Daraus und aus weitreichender Unkenntnis der Geschichte resultiert, dass im Rahmen zahlreicher Kontextualisierungen des 7. Oktober Israel als vorgeblicher Siedlerkolonialstaat delegitimiert und die antisemitisch-misogynen Taten der Hamas als Widerstandshandlung zumindest implizit legitimiert werden.[1] Meine Frage ist nun, was ein intersektional-feministischer Zugang braucht, um die Ereignisse des 7. Oktober angemessen in ihrer antisemitischen und misogynen Dimension zu analysieren und kritisieren.

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Kriege, Kriegsgesellschaft, Zeitenwende

Beitrag 8: Der Erste Weltkrieg als paradigmatischer Fall kriegsgesellschaftlicher Transformation (II)

 Wie kann man die aktuelle Lage, die durch Kriege und Kriegsbedrohungen gekennzeichnet ist, soziologietheoretisch erfassen? Gängige soziologische Großtheorien konzipieren moderne Gesellschaft als zivile, also friedensbasierte Gesellschaft und blenden Kriege weitgehend aus.

Die hier vertretene Kriegsgesellschaftstheorie fokussiert hingegen, welche gesellschaftsstrukturellen Dynamiken moderne Kriege entfalten (können). Es geht also nicht um die Ursache, sondern um die Wirkung von Kriegen. Die Kriegsgesellschaftstheorie ist unterkomplex angelegt und versteht sich als heuristischer Rahmen für eine historisch-soziologische, gleichermaßen theoretische wie historische Analyse.

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Corona und die Soziologendämmerung: ein Blick aus dem Niemandsland der Wissensintegration

  1. Einführung – Wissenschaft, Politik und öffentliche Meinung

Das Leitmedium „Die Welt“, das zum Corona-Management auch kritische Berichte brachte und auch weiterhin bringt, hat kürzlich von der Grazer Initiative von Klaus Kraemer zur Aufarbeitung der Rolle der deutschsprachigen Soziologie mit Heinz Bude und Alexander Bogner berichtet[1],[2]. Das ist ein bemerkenswertes Mediensignal, dem eine breite Wirkung zu wünschen ist. Das kommentiere ich nun aus der Sicht eines ausgebildeten Soziologen und Managementpraktikers und ehemals praktischen und nun systemtheoretisierenden Mediziners. Es ist ein Blick aus dem institutionellen Niemandsland.

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Kriege, Kriegsgesellschaft, Zeitenwende

Beitrag 7: Der Erste Weltkrieg als paradigmatischer Fall kriegsgesellschaftlicher Transformation (I) – Mobilisierungswettlauf

 Im Beitrag 6 wurden sieben kriegsgesellschaftstheoretische Basistheoreme vorgestellt, welche die Dynamik der kriegsgesellschaftlichen Transformation beschreiben: Krieg als Mobilisierungswettlauf, Mobilisierungswettlauf als Triebkraft der kriegsgesellschaftlichen Transformation, Zentrale Steuerung, Tendenziell diktatorische Spitze, Patriotische Vergemeinschaftung, Kriegsgesellschaftliches Dilemma, Zivilgesellschaftliche Transformation.

Wir müssen zur Analyse der aktuellen Situation unterscheiden erstens zwischen Kriegsgesellschaft und Zivilgesellschaft und zweitens zwischen „reiner“ Zivilgesellschaft ohne Kriegsbeteiligung und äußere Bedrohung und einer Zivilgesellschaft im Krieg mit (indirekter) Kriegsbeteiligung und äußerer Bedrohung. Meine Grundthese ist, dass sich die deutsche Gesellschaft und Politik nach wie vor weitgehend im Modus einer „reinen“ Zivilgesellschaft bewegen. Damit gefährden sie, wie andere westliche Staaten auch, das Überleben der Ukraine im russischen Angriffskrieg. Nach einer Niederlage der Ukraine könnte Russland NATO-Staaten, z. B. die baltischen Länder angreifen, und dann wäre Deutschland wie andere NATO-Staaten zu militärischem Beistand verpflichtet, wäre also Kriegspartei mit eigenen Streitkräften.

Um dem vorzubeugen, müsste die Bundesrepublik Deutschland von einer „reinen“ Zivilgesellschaft zu einer Zivilgesellschaft im Krieg werden. Eine Zivilgesellschaft im Krieg unterstützt eine Kriegsgesellschaft. Anders gesagt: Die Zivilgesellschaft im Krieg steht in einer symbiotischen Beziehung mit der unterstützten Kriegsgesellschaft. Um die Beziehung zwischen beiden zu verstehen, befassen wir uns zunächst historisch mit den Kriegsgesellschaften des Ersten Weltkriegs.

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Rassismus- und Antisemitismuskritik in den aktuellen Gewaltverhältnissen

Eine Erinnerung an gesellschaftskritische Grundüberzeugungen kann derzeit helfen, sich den Bekenntniszwängen zu widersetzen, die eine „Positionierung“ im Verhältnis zu Israel angesichts der Gewalteskalation im Gaza-Krieg fordern und den diesem zugrunde liegenden Konflikt mit einem binären Schema vereinfachen. Wie könnte es möglich werden, komplexer zu denken und den eigenen historisch-gesellschaftlichen Kontext zu berücksichtigen?

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Krieg, Kriegsgesellschaft, Zeitenwende

Beitrag 6: Basistheoreme der Kriegsgesellschaftstheorie

Kriegsgesellschaftstheorie im hier verstandenen Sinn befasst sich mit durch Kriege ausgelöste Transformationen gesellschaftlicher Strukturen. Es geht also nicht um Ursachen, sondern um gesellschaftliche Wirkungen von Kriegen. Doch längst nicht jeder Krieg führt zu einer gesellschaftlichen Transformation. Ich habe im Beitrag 5 folgende Typen der gesellschaftstransformativen Kraft von Kriegen unterschieden: Kriegsgesellschaft (als Ergebnis kriegsbedingter gesellschaftlicher Transformation),  antizipative Kriegsgesellschaft (ohne manifesten Krieg in Erwartung eines großen, tendenziell totalen Krieges), Kriegführende Zivilgesellschaft (ohne gesellschaftliche Transformation), Zivilgesellschaft im Krieg (Kriegsbeteiligung ohne eigene Streitkräfte, gleichbleibende Basisstrukturen wie Markt und Demokratie bei verändertem institutionellem Arrangement), reine Zivilgesellschaft (ohne Kriegsbeteiligung und Kriegsbedrohung). Ich möchte in diesem Beitrag sieben Basistheoreme der Kriegsgesellschaftstheorie kurz skizzieren.

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Für eine ernsthafte Verwissenschaftlichung der Debatte

Es ist mit allem Nachdruck zu begrüßen, dass die DGS auszuloten beginnt, welche Perspektiven die Soziologie zur aktuellen Debatte um den Gaza-Krieg und den darauf bezogenen Protesten, zu dem terroristischen Angriff der Hamas auf Israel und zu den damit zusammenhängenden Deutungsfragen um Antisemitismus, Rassismus usw. beitragen kann. Angesichts antagonistisch strukturierter Debatten ist jede wissenschaftliche Differenzierung und jedes Gegen-den-Strich-Lesen der Debatten durch verschiedene (sub-)disziplinäre Perspektiven ein Gewinn. Der Eröffnungstext von Jürgen Daub ist nicht im engeren Sinne ein Beitrag zur angestrebten Soziologisierung, gleichwohl verdeutlicht er (analytisch wie performativ) einige der Probleme der aktuellen Thematisierungsstrategien im diskursiven Feld Nahostkonflikt/Israel/Palästina/Judentum/Antisemitismus/Rassismus usw.

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Ideologische Verirrungen. Zu den „propalästinensischen Protesten“ an deutschen Universitäten

„Der terroristische Überfall der Hamas auf israelische Zivilisten am 7. Oktober 2023, die andauernde Entführung vieler Israelis und der sich daran anschließende Krieg im Gazastreifen mit unzähligen zivilen Opfern ist auch in der deutschen Wissenschaft ein viel diskutiertes und umkämpftes Thema. Die Kontroverse um die jüngsten Protestcamps und Besetzungen von Universitätsräumen, bei denen leider auch immer wieder antisemitische Schmähungen skandiert werden, hat auch die Deutsche Gesellschaft für Soziologie zu einer Stellungnahme, vor allem zur Berichterstattung über die Proteste, veranlasst. Diese hat unter den Verbandsmitgliedern viel Zustimmung, aber auch Kritik hervorgerufen. Wir wollen diesen Stimmen auf dem SozBlog Raum geben.“

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Krieg, Kriegsgesellschaft, Zeitenwende

Beitrag 5: Wann führen Kriege zu einer gesellschaftlichen Transformation, und wann nicht?

Im Beitrag 4 wurde Herbert Spencers Theorie des „Militant Type of Society“ vorgestellt. Demnach führen Kriege zu einer gesellschaftlichen Transformation. Triebkraft derselben ist der Mobilisierungswettlauf. Denkt man sich zwei gleiche Gesellschaften im Krieg, dann gewinnt die Gesellschaft, die mehr Soldaten und Arbeitskräfte, aber auch Motivation und Loyalität gegenüber dem Staat motiviert. Eine Mobilisierung kann effektiv nur zentral gesteuert werden. Zur Durchsetzung zentraler Steuerung bedarf es eines starken Staates mit einer tendenziell diktatorischen Spitze. Es gewinnt die Partei, die am längsten den Mobilisierungswettlauf durchhält. Das ist der Kern eine Kriegsgesellschaftstheorie nach Herbert Spencer.

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Soziologie und aktuelle Kriege

Die Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland in der „Zeitenwende“

Beitrag 4: Über Kriegsgesellschaftstheorie (I)

Im vorangegangenen Beitrag wurde vorgeschlagen, die „Zeitenwende“ als eine kleine Transformation von einer „reinen“ Zivilgesellschaft, ohne äußere Bedrohung oder nationale Kriegsbeteiligung, zu einer „Zivilgesellschaft im Krieg“ zu verstehen. Letztere unterstützt eine Kriegsgesellschaft z. B.  mit Waffenlieferungen, ohne sich mit eigenen Streitkräften am Krieg zu beteiligen. Zentral ist der Begriff der „Kriegsgesellschaft“, aus dem sich der Begriff der „Zivilgesellschaft im Krieg“ ergibt. Fundamental dafür ist die Theorie von Herbert Spencer.

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