Trojanische Soziologie – ‚sich der Öffentlichkeit unterjubeln‘

Eigentlich hätten wir der Welt so viel zu sagen, doch die Soziologie ‚fremdelt‘ in der Öffentlichkeit. Als Ursache für das Problem wurde die Lücke zwischen professioneller Forschung und öffentlicher Kommunikation ausgemacht – unter dem Schlagwort ‚Public Sociology‘ wird an der Rückeroberung des Publikums gearbeitet. Dabei scheint man sich heutzutage vom Begriff der Intellektuellen eher abzugrenzen – das klingt wohl zu bevormundend, größenwahnsinnig oder einfach nur altbacken. Nichtsdestotrotz: Intellektuelle des letzten Jahrhunderts stehen für eine Hochphase der öffentlichen Soziologie. Sie erfüllten den Anspruch, sozialwissenschaftliche Analyse und Kritik zu artikulieren und damit selbst Einfluss auf gesellschaftliche Entwicklungen zu nehmen. Im Unterschied zu damals, so unsere These, muss man die Soziologie heute der Öffentlichkeit ‚unterjubeln‘ – als trojanisches Pferd.

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‚Make sociology great again‘? Vom Fremdeln mit dem SozBlog

Der Ruf nach einer öffentlichen Soziologie ist sicherlich nichts Neues, gewinnt aber angesichts der Debatten um die ‚Krise Europas‘ und den ‚Populismus‘ wieder an Relevanz. Die meisten SoziologInnen stehen dem ‚Projekt‘ öffentliche Soziologie wohlwollend gegenüber, zielt es doch auf eine Aufwertung der Disziplin in Sachen Sichtbarkeit und ‚social impact‘. Womöglich versprechen wir uns davon sogar den vergangenen Status einer Leitwissenschaft wiederzuerringen, frei nach dem Motto: Public Sociology – ‚make sociology great again‘. Geht es jedoch um eine konkrete Beteiligung am öffentlichen Soziologisieren, wird es meistens recht still. Wieso das? Prinzipielle Zustimmung aber praktische Vernachlässigung? Eine schöne Gelegenheit, mit diesem scheinbaren Widerspruch eine soziologische Argumentation zu motivieren. Wir ergreifen sie anhand des SozBlog, den die Frage nach öffentlicher Soziologie schon vor einigen Jahren umgetrieben hat:

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Geschlossene Gesellschaften – ohne Fragezeichen? Das Thema des nächsten Soziologiekongresses

Sozblog 2

Geschlossene Gesellschaften – ohne Fragezeichen?

Was kommuniziert die Soziologie mit diesem Thema des nächsten Soziologiekongresses?

O weh! Wir sehen uns in einer „geschlossenen Gesellschaft“ leben, schlimmer noch, überall in „geschlossenen Gesellschaften“. Ohne Frage: Das suggeriert die Überschrift des Themenpapiers der Deutschen Gesellschaft für Soziologie. Wurde die Gesellschaft noch um die Jahrtausendwende als „grenzenlose Gesellschaft“ (1998), „gute Gesellschaft?“ (2000), später dann als „unsichere…in Transformation“ (2008), als „transnationale“ (2010) und „vielfältige“ (2010) diagnostiziert, scheinen wir jetzt zu sagen oder gar vorauszusagen (?): Schluss mit Vielfalt, schlimme Gesellschaft, überall „closed shops“ und Wach- und Schließgesellschaften, Grenzzäune und gläserne Decken für „Angehörige minorisierter Gruppen“… Sicherlich war das so schlicht einseitig nicht gemeint, und im ausführlichen Themenpapier gibt es genügend fein differenzierende und die Notwendigkeit und die Ambivalenz von Öffnungs- und Schließungsprozessen abwägende Ausführungen. Aber welche Signale sendet die Soziologie mit diesem Titel in die Gesellschaft? Welche Wirkung haben die Wörter, Satzzeichen und ersten Sätze in den Medien und der interessierten Öffentlichkeit? „Geschlossene Gesellschaften – ohne Fragezeichen? Das Thema des nächsten Soziologiekongresses“ weiterlesen

Konsumgütermärkte als komplexe Interaktionsketten. Ein Zwischenfazit

Anfang März hatte ich mir das Ziel gesteckt, meine Zeit auf diesem Blog einerseits zu nutzen, um verschiedene Textformate auszuprobieren, andererseits in dieser Zeit (im Sinne der „Public Sociology“, die Soziologie als Krisenwissenschaft deutet, die Deutungsangebote bereitstellt) ein aktuelles Thema herauszugreifen und zu diskutieren. Da ich selbst mich sehr stark für Märkte interessiere, habe ich angesichts der Lebensmittelskandale der vergangenen Monate den Lebensmittelmarkt als konkretes Beispiel einen Konsumgütermarkt ausgewählt, mit der Absicht, einen Beitrag zu dem Versuch leisten, moderne (Lebensmittel-)Märkte und die Risikoproduktion auf diesen Märkten besser verstehen. Da ich jetzt ungefähr bei der Hälfte meiner Schreibzeit angekommen bin und am Montag (zumindest hier in Berlin) die Vorlesungszeit anfängt, ist dies ein guter Zeitpunkt, um ein Zwischenfazit zu ziehen: Was habe ich bisher gemacht? Wie ordnen sich die bisherigen Beiträge in das Gesamtgefüge ein? Und was plane ich noch, in den nächsten Wochen zu schreiben?

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Globalisierung, Modernisierung und die Widerständigkeit des Lokalen

Volker H. Schmidt (2012a) kritisiert in seinen Beiträgen auf diesem Blog den beschränkten „Beobachtungshorizont“, „Eurozentrismus“ und „methodologischen Nationalismus“ der deutschen Soziologie und plädiert für eine „globale Soziologie“. Er verweist damit auf die Globalisierungsdebatte, in deren Zuge seit langem diskutiert wird, ob wir eher von einer „Modernisierung“ oder von „multiplen Modernen“ sprechen – sprich: Sind asiatische, afrikanische und südamerikanische Länder als Nachzügler der Entwicklung des „Westens“ zu betrachten, oder werden sie einen eher eigenständigen Weg gehen?

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Die Insolvenz der Frankfurter Rundschau. Die gesellschaftlichen Folgen der Konzentration auf dem Medienmarkt

Weil das Online-Geschäft lukrativer ist, trennt sich Time Warner vom TIME Magazine, Rupert Murdoch vom Wall Street Journal. In Deutschland ist die Frankfurter Rundschau (FR) das jüngste Opfer der Konzentrationsprozesse auf dem Medienmarkt infolge des Preiswettbewerbs – wie der Presse zu entnehmen ist, wird sie demnächst von der Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) übernommen. Na und – könnte man sagen. Das ist eben das Resultat normaler Konkurrenz in Marktwirtschaften. Das Problem ist aber, dass Medien eben nicht nur eigene Märkte sind, sondern auch wesentliche gesellschaftliche Funktionen übernehmen.

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Spiegel Online als Aldi des Zeitungswesens. Marktmechanismen und Preiswettbewerb auf dem Medienmarkt

Auch wenn wir sie im Alltag Medien hauptsächlich zur Unterhaltung und Informationsgewinnung nutzen, sind auch die Medien ein Markt. Seit Anfang der 1990er können wir hier eine zunehmende Konzentration und in Deutschland insbesondere ein massives Zeitungssterben beobachten. Jüngstes Opfer ist die FR, die nach ihrer Insolvenz zwar von der FAZ übernommen wurde – allerdings nicht ohne massive Personalkürzungen von 420 auf 28 Mitarbeiter (Bigalke/Riehl 2013). Eine der Hauptursachen für diese Entwicklung ist ein Preiswettbewerb, der ähnlich hart ist wie auf dem Lebensmittelmarkt – vorangetrieben wird er nicht von Aldi, sondern von Spiegel Online.

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Public Sociology. Über die Soziologie als Krisenwissenschaft

Auf diesem Blog wurde mehrmals die Frage gestellt, worin der Sinn des Bloggens oder – allgemeiner – der Sinn der Soziologie liege. Dies ist keine neue Frage – in der Tat stellt sich die Soziologie diese immer wieder selbst und muss sie sich vielleicht als „ewig jugendliche Wissenschaft“ (Weber 1904: 206 [1]) immer wieder stellen.

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»Keine Revolution ist auch keine Lösung«. Zur Dialektik feministischer Aufklärung II

Es ist Weihnachten und Chanukkah, die Zeit der Wünsche. Also will ich mir in meinem letzten Blog-Eintrag auch etwas wünschen. Oder besser: Ich möchte eine Einladung aussprechen, weiter nachzudenken über die Frage, mit der mein vorheriger Beitrag endete: Wo – über den Kapitalismus hinaus  – wäre im heute Wirklichen das Mögliche einer anderen Gesellschaft auszumachen und diskursiv zu stärken? Und ich möchte selbst mit dem Nachdenken beginnen.

Bedanken möchte ich mich bei allen, die kommentiert haben, Antworten darauf folgen noch. Den nachfolgenden Blogger_innen wünsche ich Spaß und intellektuelles Vergnügen bei der Aufgabe. Beides hatte ich. „»Keine Revolution ist auch keine Lösung«. Zur Dialektik feministischer Aufklärung II“ weiterlesen

Rock wie Hose. Feminismus Reloaded

Ich gestehe, dass mich die – überaus willkomme­nen – Kommentare zu meinem letzten Eintrag überrascht haben. Dass Minirock und femini­stisches Engagement einander widersprechen, dies zu behaupten lag und liegt mir fern. Wer Alice Schwarzers Biografie gelesen hat, wird hier reichlich Belege dafür finden, dass ›im Geiste von Alice‹ feministische Politik machen bereits bei dieser selbst hieß, Politik (auch) im Minirock zu betreiben. Dies als Widerspruch zu begreifen, liegt mir im Übrigen ebenso fern, wie etwa anzuneh­men, dass sich unter Kopftüchern keine femini­stischen Haltungen finden lassen. Worum es mir vielmehr ging, war, jene diskursive Bewegung kenntlich zu machen, wie diese doppelte Bewe­gung der simultanen Aneignung und Abstoßung von Feminismus zu verstehen ist. Schauen wir uns diese daher noch einmal genauer an. „Rock wie Hose. Feminismus Reloaded“ weiterlesen

»Im Geist von Alice – aber mit Make-up und Minirock«. Postfeministische Pirouetten

Kann Feminismus nicht auch sexy sein? Stehen ›knappe Outfits, Make-up und Kleider‹ tatsächlich im Widerspruch zu feministischer Politik? Auf diese Frage, die keine ist, wurde in den vergangenen Jahren die Auseinandersetzung um die Zeitgemäßheit von Feminismus oft zugespitzt. Auch mein Beitrag in der letzten Woche könnte als eindeutige Antwort auf diese Nicht-Frage gelesen werden: Minirock ist Zwang und damit nicht-feministisch. Beleuchten wir die »postfeministische Maskerade« (Angela McRobbie) daher noch einmal etwas genauer.

Die Äußerung der Mitarbeiterin des Wuppertaler Gleichstellungsbüros steht für eine durchaus exemplarisch zu nennende, unserer Zeit und Dynamik angemessene – for better or worse – feministische Haltung. Diese äußert sich gerade nicht in ausschließlich dezidierter, gar apodiktischer Ablehnung feministischer Inhalte. Doch um Feminismus, seinen Beitrag für die Freiheitsgewinne von Frauen (und Männern) honorieren, und auch, um sich in einer vermeintlich entideologisierten Weise das viel geschmähte F-Wort aneignen zu können, scheint es unumgänglich, sich zunächst von einem vorgeblich einstmals existiert habenden verbiesterten Spaßbremsen-Feminismus zu distanzieren. „»Im Geist von Alice – aber mit Make-up und Minirock«. Postfeministische Pirouetten“ weiterlesen

Galileo im Himmel – Krise der Navigation auf der Erde?

Galileo Galilei ist schon vor einer Weile in höhere Gefilde entrückt (am 8.1.1642). Um ihn soll es hier also eher nicht gehen. Thema ist vielmehr das eben (gestern 12.30 http://is.gd/dlMEsw), befördert von einer russischen Sojusrakete, gesteuert vom oberbayerischen Oberpfaffenhofen aus und gestartet in Französisch-Guyana (das ist Globalisierung), mit ersten Satelitten im Orbit platzierte europäische Navigationssystem gleichen Namens (siehe auch dieses video).
Nach dem bisher dominierenden GPS (USA) und dem russischen Glonass ist dies offiziell ein rein nichtmilitärisches europäisches System mit vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten (Verkehr, Telekommunikation, Landwirtschaft, Fischerei usw., lauter nützliche Dinge, so heisst es). Die nicht wenigen technischen und technologiepolitischen Kritiken an dem erst mit großer Verzögerung nun gestarteten Galileo brauchen hier nicht Thema sein, dazu wird man in den nächsten Tagen manches lesen bzw. hören und sehen (falls man noch ein TV benutzt) können. „Galileo im Himmel – Krise der Navigation auf der Erde?“ weiterlesen

Public Sociology, Zeitdiagnose und eine drohende Blindstelle des Fachs

Anmerkungen zur möglichen Rolle neuer Medien in Bezug auf die Debatte über Public Sociology hatte ich schon angekündigt. Da war es sehr erfreulich, soeben auf dem spannenden Drei Länder Kongress in Innsbruck einem einschlägigen Panel folgen zu können. Vorsichtig gesagt war der Eindruck jedoch reichlich ernüchternd.

Vielleicht hatte der eine oder andere Kollege ja auch nur ein anderes Verständnis davon als der Autor, was mit dem wichtigen Anstoß von Michael Buroway zur Public Sociology (s.a. die Beiträge in der Sozialen Welt) intendiert war. Jedenfalls war in so gut wie keinem Beitrag auch nur annäherungsweise davon die Rede, dass es nicht nur um die öffentliche Sichtbarkeit und/oder um eine mögliche zusätzliche akademische Funktion des Fachs („Zeitdiagnose“) geht, sondern um eine genuine Grundaufgabe und letztlich auch soziale Verantwortung der Soziologie. Eine Verantwortung, die darin besteht, der jeweils aktuellen Gesellschaft nicht nur partiales empirisches Wissen, sondern vor allem auch Deutungsangebote anzubieten, die in den Prozess der gesellschaftlichen Selbstvergewisserung und Selbstaufklärung eingehen und dazu beitragen können, Problemlagen besser zu verstehen und Lösungspotenziale aufzuspüren. „Public Sociology, Zeitdiagnose und eine drohende Blindstelle des Fachs“ weiterlesen