Globalisierung, Modernisierung und die Widerständigkeit des Lokalen

Volker H. Schmidt (2012a) kritisiert in seinen Beiträgen auf diesem Blog den beschränkten „Beobachtungshorizont“, „Eurozentrismus“ und „methodologischen Nationalismus“ der deutschen Soziologie und plädiert für eine „globale Soziologie“. Er verweist damit auf die Globalisierungsdebatte, in deren Zuge seit langem diskutiert wird, ob wir eher von einer „Modernisierung“ oder von „multiplen Modernen“ sprechen – sprich: Sind asiatische, afrikanische und südamerikanische Länder als Nachzügler der Entwicklung des „Westens“ zu betrachten, oder werden sie einen eher eigenständigen Weg gehen?

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Verschiebung der Kräftezentren

Die globale Wirtschaftsleistung ist in den letzten drei Jahrzehnten stärker gestiegen als je zuvor. Das Wachstum verteilt sich jedoch sehr unterschiedlich auf die Weltregionen. Zwar partizipieren alle Regionen an der Entwicklung, aber von einigen Ausnahmen (wie Teilen Afrikas südlich der Sahara und Südasiens) abgesehen, gilt grundsätzlich, dass die Wachstumsraten in weniger entwickelten Regionen (teils deutlich) über denen der entwickelten Welt liegen. Das entspricht den Erwartungen der ökonomischen Wachstumstheorie. Es spiegelt sich auch in den Pro-Kopf-Einkommen wider. In den USA wuchsen diese nach Berechnungen Alfred Eckes (The Contemporary Global Economy, Wiley-Blackwell 2011, S. 7) zwischen 1980 und 2009 im Durchschnitt um 62 %, in Großbritannien sogar um 74 %. Aber was für sich genommen durchaus beachtlich scheint, verblasst im Vergleich mit Indien (+ 230 %), Südkorea (+ 360 %), der Asien-Pazifik Region (+ 594 %) und vor allem China (+ 1.083 %).

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Durchbruch der globalen Moderne

Die Größenordnung und Tragweite des sozialen und technologischen Wandels, der sich in den letzten ca. zwei bis drei Jahrzehnten zugetragen hat, übersteigt in mehreren Dimensionen diejenige aller vergleichbaren Phasen früheren Wandels; in manchen den kumulativen Effekt bzw. Entwicklungsertrag der voranliegenden 150 Jahre. So ist beispielsweise der Wert des globalen Sozialprodukts zwischen 1820 und 1985 um 22 Billionen US$ gestiegen, in den darauf folgenden 25 Jahren aber um sage und schreibe 30 Billionen. Auch die durchschnittlichen Pro-Kopf-Einkommen sind in dieser Phase rapider gewachsen als je zuvor. Berechnet in konstanten US Dollars, lagen diese 1870 (also etwa 50 Jahre nach Beginn des Zeitalters des modernen Wirtschaftswachstums) bei 870 US$. In den nächsten 110 Jahren sind sie um gut 5.000 Dollar gestiegen (auf 5.949 US$ in 1980), haben dann aber in nur 30 weiteren Jahren um nochmals 3.500 Dollar zugelegt (auf 9.514 US$ in 2009). Die globale Mittelschicht wird bei konservativer Schätzung heute auf knapp das Doppelte der Weltbevölkerung von 1820 taxiert – auf ca. 1.8 Milliarden Menschen, von denen knapp die Hälfte (800 Millionen) erst nach 1990 in die „consumer class“, wie sie auch genannt wird (weil sie im Unterschied zu den „global poor“ über diskretionäre Einkommen verfügt), aufgestiegen ist, und wenn die Trends der zurückliegenden Jahrzehnte sich fortsetzen, dann könnte sie 2020 bereits 3 Milliarden Menschen umfassen. Zum Vergleich: 1820 war, legt man einen Standard von kaufkraftbereinigt weniger als 2 Dollar pro Tag an disponiblem Einkommen zugrunde, 90 Prozent der Weltbevölkerung absolut arm. Ähnlich spektakulär verlief die Entwicklung in anderen Bereichen, insbesondere in der Wissenschaft und im Bildungssektor. Konnte bis Anfang der 1970er Jahre noch jede zweite Person weder lesen noch schreiben, so liegt der betreffende Wert heute bei unter 20 % der Erwachsenen. Ursache der Entwicklung ist der massive Ausbau der Elementarbildung, deren Teilnehmerzahlen gerade im letzten Jahrzehnt gemäß Unesco regelrecht „explodiert“ sind. Aber auch das sekundäre und das tertiäre Bildungswesen haben enorm zugelegt. Um nur ein Beispiel aus dem tertiären Bereich zu nennen: Die Population der Hochschulstudenten, die 1970 bei knapp 30 Millionen lag, hat sich bis 2000 mehr als verdreifacht (auf ca. 100 Millionen). Das ist eine beträchtliche Steigerung. Aber dann schwoll sie binnen lediglich 7 Jahren um nochmals 50 Millionen an (auf 152.5 Millionen in 2007), und eine Abflachung der Aufwärtsbewegung ist nicht in Sicht. Gemessen an der Zahl publizierter Artikel, die zwischen 1980 und 2009 von 450.000 auf 1.500.000 pro Jahr gestiegen ist, verzeichnete auch das Wissenschaftssystem eine Expansion, die, absolut gesehen, eine Beschleunigung des Wissenszuwachses markiert, für die es historisch keine Parallele gibt.

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