Geschlossene Gesellschaften – ohne Fragezeichen? Das Thema des nächsten Soziologiekongresses

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Geschlossene Gesellschaften – ohne Fragezeichen?

Was kommuniziert die Soziologie mit diesem Thema des nächsten Soziologiekongresses?

O weh! Wir sehen uns in einer „geschlossenen Gesellschaft“ leben, schlimmer noch, überall in „geschlossenen Gesellschaften“. Ohne Frage: Das suggeriert die Überschrift des Themenpapiers der Deutschen Gesellschaft für Soziologie. Wurde die Gesellschaft noch um die Jahrtausendwende als „grenzenlose Gesellschaft“ (1998), „gute Gesellschaft?“ (2000), später dann als „unsichere…in Transformation“ (2008), als „transnationale“ (2010) und „vielfältige“ (2010) diagnostiziert, scheinen wir jetzt zu sagen oder gar vorauszusagen (?): Schluss mit Vielfalt, schlimme Gesellschaft, überall „closed shops“ und Wach- und Schließgesellschaften, Grenzzäune und gläserne Decken für „Angehörige minorisierter Gruppen“… Sicherlich war das so schlicht einseitig nicht gemeint, und im ausführlichen Themenpapier gibt es genügend fein differenzierende und die Notwendigkeit und die Ambivalenz von Öffnungs- und Schließungsprozessen abwägende Ausführungen. Aber welche Signale sendet die Soziologie mit diesem Titel in die Gesellschaft? Welche Wirkung haben die Wörter, Satzzeichen und ersten Sätze in den Medien und der interessierten Öffentlichkeit? „Geschlossene Gesellschaften – ohne Fragezeichen? Das Thema des nächsten Soziologiekongresses“ weiterlesen

„Weber 2000“

„Weber 2000“ — prägnanter kann man den Unterschied zwischen Soziologen und Historikern wohl nicht auf den Punkt bringen. Das klingt wie der Name einer Supermarktkette in Schweden, ist aber ein bibliographischer Nachweis. Historiker bringen es kaum fertig, ihn in die Tastatur zu tippen. Max Weber lebte von 1864 bis 1920, seine Texte entstammen einer vergangenen Epoche. Ohne ein „(urspr. 1904)“ in der Fußnote oder einer Annotation im Text kommen Historiker deshalb nicht aus. Soziologen dagegen verleihen ihren Theoretikern oft eine Art überzeitlicher Gültigkeit, als habe Weber mit seinen Thesen zum Protestantismus oder zur Bürokratie ein theoretisches Modell geliefert, mit dessen Hilfe man immer gültige Formen gesellschaftlicher Ordnung beschreiben kann. Dabei entstammt jede soziologische Beschreibung oder Theorie erst einmal den Erfahrungen einer spezifischen Zeit. Alle Geschichtsschreibung übrigens auch, von daher gibt es vielleicht tatsächlich nur Gegenwart, zu der sich jedes System seine Vergangenheit und Zukunft hinzurechnet. „„Weber 2000““ weiterlesen

Europa und die Ukraine: Huntington reloaded?

Achtung: der nachfolgende Blog enthält nicht die politische Meinung der Deutschen Gesellschaft für Soziologie. Er enthält nicht einmal die Meinung des Autors. Er möchte nur zwei Deutungsvarianten eines aktuellen Konflikts einander gegenüberstellen und fragen, ob die Soziologie Mittel entwickelt hat, diesen Deutungsstreit zu entscheiden.

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Globalisierung, Modernisierung und die Widerständigkeit des Lokalen

Volker H. Schmidt (2012a) kritisiert in seinen Beiträgen auf diesem Blog den beschränkten „Beobachtungshorizont“, „Eurozentrismus“ und „methodologischen Nationalismus“ der deutschen Soziologie und plädiert für eine „globale Soziologie“. Er verweist damit auf die Globalisierungsdebatte, in deren Zuge seit langem diskutiert wird, ob wir eher von einer „Modernisierung“ oder von „multiplen Modernen“ sprechen – sprich: Sind asiatische, afrikanische und südamerikanische Länder als Nachzügler der Entwicklung des „Westens“ zu betrachten, oder werden sie einen eher eigenständigen Weg gehen?

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Was ist eigentlich ein Markt?

Ich habe in den letzten zwei Wochen über verschiedene Märkte (den Arbeitsmarkt, den Medienmarkt, den Lebensmittelmarkt) geschrieben. Andere Autoren haben hier die Entwicklungen auf dem Finanzmarkt kommentiert (Prisching 2012, Nassehi 2012, Reichertz 2013) oder über den europäischen Binnenmarkt geschrieben (Münch 2012). Dabei wird deutlich, dass nicht immer ganz klar ist, was mit dem Begriff „Markt“ eigentlich gemeint ist. Was also ist eigentlich ein Markt?

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»Keine Revolution ist auch keine Lösung«. Zur Dialektik feministischer Aufklärung II

Es ist Weihnachten und Chanukkah, die Zeit der Wünsche. Also will ich mir in meinem letzten Blog-Eintrag auch etwas wünschen. Oder besser: Ich möchte eine Einladung aussprechen, weiter nachzudenken über die Frage, mit der mein vorheriger Beitrag endete: Wo – über den Kapitalismus hinaus  – wäre im heute Wirklichen das Mögliche einer anderen Gesellschaft auszumachen und diskursiv zu stärken? Und ich möchte selbst mit dem Nachdenken beginnen.

Bedanken möchte ich mich bei allen, die kommentiert haben, Antworten darauf folgen noch. Den nachfolgenden Blogger_innen wünsche ich Spaß und intellektuelles Vergnügen bei der Aufgabe. Beides hatte ich. „»Keine Revolution ist auch keine Lösung«. Zur Dialektik feministischer Aufklärung II“ weiterlesen

»Keine Revolution ist auch keine Lösung«. Zur Dialektik feministischer Aufklärung I

[Der heutige Eintrag basiert in Teilen auf Überlegun­gen, die ich gemeinsam mit Irene Dölling auf dem Workshop »Re-Visionen der Kritik: Aspekte einer Dia­lektik feministischer Aufklärung« am Wiener Institut für die Wissenschaften vom Menschen im März 2010 vorgestellt habe. Die zitierte Losung fand sich im Herbst 2009 am Haus der Demokratie und Menschrenrechte in Berlin.]

In der vergangenen Woche endete ich mit der Frage, welches Wissen und welche Praxen, wel­che Erfahrungen und welche Horizonte sich (zukünftig) unter den Namen ›Feminismus‹ wie­derfinden (können). Als eine Antwort auf diese Frage, aber auch vor dem Hintergrund des weit­gehenden Schweigens der akademischen Sozial­wissenschaften zu den medial nach wie vor als »bewältigbaren Krisen« verbrämten Verwer­fungen kapitalistischer Reproduktion will ich in meinen beiden letzten Einträgen als Bloggerin für die DGS eine Bilanz sozialwissen-schaftlicher Geschlechterforschung versuchen. „»Keine Revolution ist auch keine Lösung«. Zur Dialektik feministischer Aufklärung I“ weiterlesen

Public Sociology, Zeitdiagnose und eine drohende Blindstelle des Fachs

Anmerkungen zur möglichen Rolle neuer Medien in Bezug auf die Debatte über Public Sociology hatte ich schon angekündigt. Da war es sehr erfreulich, soeben auf dem spannenden Drei Länder Kongress in Innsbruck einem einschlägigen Panel folgen zu können. Vorsichtig gesagt war der Eindruck jedoch reichlich ernüchternd.

Vielleicht hatte der eine oder andere Kollege ja auch nur ein anderes Verständnis davon als der Autor, was mit dem wichtigen Anstoß von Michael Buroway zur Public Sociology (s.a. die Beiträge in der Sozialen Welt) intendiert war. Jedenfalls war in so gut wie keinem Beitrag auch nur annäherungsweise davon die Rede, dass es nicht nur um die öffentliche Sichtbarkeit und/oder um eine mögliche zusätzliche akademische Funktion des Fachs („Zeitdiagnose“) geht, sondern um eine genuine Grundaufgabe und letztlich auch soziale Verantwortung der Soziologie. Eine Verantwortung, die darin besteht, der jeweils aktuellen Gesellschaft nicht nur partiales empirisches Wissen, sondern vor allem auch Deutungsangebote anzubieten, die in den Prozess der gesellschaftlichen Selbstvergewisserung und Selbstaufklärung eingehen und dazu beitragen können, Problemlagen besser zu verstehen und Lösungspotenziale aufzuspüren. „Public Sociology, Zeitdiagnose und eine drohende Blindstelle des Fachs“ weiterlesen