»Keine Revolution ist auch keine Lösung«. Zur Dialektik feministischer Aufklärung I

[Der heutige Eintrag basiert in Teilen auf Überlegun­gen, die ich gemeinsam mit Irene Dölling auf dem Workshop »Re-Visionen der Kritik: Aspekte einer Dia­lektik feministischer Aufklärung« am Wiener Institut für die Wissenschaften vom Menschen im März 2010 vorgestellt habe. Die zitierte Losung fand sich im Herbst 2009 am Haus der Demokratie und Menschrenrechte in Berlin.]

In der vergangenen Woche endete ich mit der Frage, welches Wissen und welche Praxen, wel­che Erfahrungen und welche Horizonte sich (zukünftig) unter den Namen ›Feminismus‹ wie­derfinden (können). Als eine Antwort auf diese Frage, aber auch vor dem Hintergrund des weit­gehenden Schweigens der akademischen Sozial­wissenschaften zu den medial nach wie vor als »bewältigbaren Krisen« verbrämten Verwer­fungen kapitalistischer Reproduktion will ich in meinen beiden letzten Einträgen als Bloggerin für die DGS eine Bilanz sozialwissen-schaftlicher Geschlechterforschung versuchen.

Geschlechtersoziolog_innen leisteten in den ver­gangenen 20 Jahren Beachtliches. Präzise unter­suchten sie Auswirkungen aktueller postindu­striegesellschaftlicher Transformationen auf Geschlechterverhältnisse sowie vergeschlecht­lichende und vergeschlechtlichte Anrufungen und Subjektivierungsweisen. Insbesondere unter dem Einfluss von konstruktivistischen und poststrukturalistischen Ansätzen sowie queerer und postkolonialer Kritiken reflektierten und schärften sie ihre Erkenntnismittel. Sie beglei­teten und analysierten das ambivalente Sicht­barwerden von Frauen in allen gesellschaft­lichen Bereichen und nahmen die medial for­cierte Zurück-drängung von Feminismus kritisch in den Blick.

Die Geschichte der Geschlechterforschung birgt allerdings auch eine ›dunkle Seite‹. Etliche Vorstellungen und Ziele der neuen Frauenbewe­gung wurden in neoliberale Gesellschaftsentwürfe und ihre politische Umsetzung integriert und dienen so »der Legitimation eines strukturellen Umbaus der kapitalistischen Gesellschaft, wel­cher feministischen Visionen einer gerechten Gesellschaft diametral zuwiderläuft« (Nancy Fraser 2009). »Selektive Emanzipation« nennen Diana Auth und andere diese Entwicklung (Auth/Bucholz/Janczyk 2010).

Unübersehbar ist in diesem Zusammenhang, dass der Kritikimpuls im akademischen Feminis­mus schwächer geworden ist; und dies gilt un­geachtet der Tatsache, dass – oder vielleicht gerade weil – Geschlechterforschung mehr oder minder erfolgreich im universitären Feld plat­ziert werden konnte, und diese oft genug mit ihren Ergebnissen politisch einen hegemonial gewordenen, marktliberalen Alpha-Feminismus stützt, der auf individuelle Chancengerechtigkeit abzielt.

Was die Jenaer Soziolog_innen Dörre, Lessenich und Rosa für die Soziologie insgesamt konsta­tierten, dass diese nämlich in ihrem Mainstream zu einer »Begleitwissenschaft eines Zeitalters (mutierte), in welchem eine offensiv zur Schau getragene Marktfreundlichkeit in praktisch allen Lebens-bereichen hegemonial wurde und eine politische Programmatik der Befähigung bzw. Erziehung der Menschen zur ›Marktlich-keit‹ zunehmend fraglos und überzeugt als Ausweis von ›Modernität‹« gilt, ist daher auch für die Geschlechter-forschung nicht gänzlich von der Hand zu weisen. In der Tat hat diese sich seit dem Ende der Systemkonkurrenz vornehmlich auf die Analyse von Veränderungen in den institutionalisierten und lebensweltlichen Geschlechter-arrangements in der gegebenen Gesellschaft konzentriert, eine auf dessen Transformation abzielende Kritik des Kapitalismus dagegen mehr oder weniger vernachlässigt.

Die Gründe für diese »Mainstreamisierung« sind bisher weitgehend unreflektiert; dies zu ändern ist allerdings nicht nur Voraussetzung dafür, um eine Stimme zu gewinnen in den Auseinander­setzungen um die Deutung aktueller Trans­formationsprozesse, um über den Fordismus hinausweisende Gesellschaftsentwürfe und Ge­staltungsmacht. Es ist auch Voraussetzung dafür, auch zukünftig ein Projekt der Kritik zu sein, dem es darum geht, »uns … in eine Lage zu versetzen, von der aus wir die Welt, wie sie für uns gegeben ist, transzendieren können, um ganz konkret Zukunftsentwürfe zu erfinden, die anders sind als diejenigen, die in die Ordnung der Dinge eingeschrieben sind« (Loïc Wacquant 2006).

Die Ursachen für den Bedeutungsverlust kapitalismuskriti­scher Positionen im feministischen Diskurs seit den frühen 1990er Jahren sind nicht zuletzt in jenen Umbrüchen zu finden, in denen das Ende des ›Realsozialismus‹ und das beschleunigte ›Veralten‹ fordistischer Regulierungen und (Klassen-) Kompromisse ein Amalgam bilden. Unzureichend reflektiert scheint in diesem Zu­sammenhang etwa  der Umstand, dass die neue Frauenbewegung im Westen bereits in ihrer Entstehung, ihren Zielen wie ihren gesellschafts­theoretischen Vorstellungen nicht hinreichend verstanden werden kann ohne den historischen Kontext der Systemkonkurrenz der beiden Varianten der organisierten Moderne.

Mit deren Ende 1989/90 fiel auch für die west­deutsche Frauenbewegung und die Geschlechterforschung in vielerlei Hinsicht der wie auch immer imaginäre Horizont einer anderen Gesell­schaft weg, vor dem kritische Fragen an die eige­ne Gesellschaft gestellt werden konnten. West- wie ostdeutsche Geschlechterforschung vollzog implizit, im Wesentlichen intuitiv, die Annahme mit, dass sich mit dem Übrigbleiben der kapita­listischen Variante der Moderne auch die Zukunftsfähigkeit des Kapitalismus erwiesen habe. Befördert wurde dies durch die wenig­stens implizite Anerkennung der Über­legenheit der bürgerlich-demokratischen Ver­fasstheit der Gesellschaft mit all den Teilhabe­rechten und -chancen, die bürgerliche Demo­kratien (noch) garantieren. Bewirkte dies einer­seits die um­fassende Analyse der – ambivalenten – Verände­rungen in den postfordistischen Geschlechter­arrangements, wurde andererseits kaum noch die Frage gestellt, ob und in welcher Weise kapitalistische Herrschafts- und Gewaltverhält­nisse das feministische Emanzipationsprojekt strukturell wie normativ begrenzen bzw. wo, über den Kapitalismus hinaus, im heute Wirk­lichen das Mögliche einer anderen Gesellschaft auszumachen und diskursiv zu stärken wäre.