Annette Treibel, 15. Februar 2012, für SozBlog, den Blog der Deutschen Gesellschaft für Soziologie
Das gestrige Urteil des Bundesverfassungsgerichts (1), wonach die Grundbesoldung von W-ProfessorInnen in Hessen nicht verfassungsgemäß sei, wird für die Betroffenen eine Genugtuung sein. Tatsächlich ist es nicht fair, dass man seit 2005 so erheblich schlechter gestellt wird als zu Zeiten der C-Besoldung und es von Leistungszulagen abhängt, ob man mit einer Kollegin oder einem Kollegen aus der entsprechenden C-Gruppe gleichziehen kann. Die politisch und ökonomisch gewünschte Flexibilisierung setzt die jüngere ProfessorInnen-Generation einer permanenten Selbst- und Fremdbeobachtung aus: Hat man Drittmittel eingeworben, genügend publiziert, Leitungsfunktionen übernommen, den Nachwuchs gefördert und gute Lehrevaluationen erhalten? Und selbst wenn dies alles vorliegt, kann es einem passieren, dass ‚zu viele‘ andere ebenfalls so gut sind und man trotzdem leer ausgeht, da der Zulagen-Topf leer ist.
Insofern ist das Urteil zu begrüßen – es macht auf Schieflagen in der ProfessorInnen-Besoldung aufmerksam und setzt die Länder unter Druck, die jetzt auch nochmals deutlich gewordenen Unterschiede zwischen den Bundesländern auszugleichen. Und hier geht es schon los: die Angleichung wird sicherlich nicht so erfolgen, dass die Gehälter in Hessen und Berlin mit denen in Baden-Württemberg und Bayern gleichgestellt werden. Außerdem ist zu erwarten, dass in den Wissenschafts- und Finanzministerien ab sofort nun Professoren-Stellen insgesamt auf den Prüfstand kommen werden – nach dem Motto: Wenn Ihr nun (wieder) besser bezahlt werden wollt, dann wird es einfach (noch) weniger von Euch geben. Insofern war das Urteil überfällig, wie sich auch der Deutsche Hochschulverband freut (2), allerdings kommt es zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Denn es gefährdet möglicherweise ausgerechnet in einer Phase, in der noch mehr Studierende an die Hochschulen wollen und sollen, die Wieder- und Neubesetzung von Professuren.
„Unteralimentierung von Professoren“ – so lautet ein Stichwort aus der Urteils-Begründung (vgl. 1). Dem Staat muss die verantwortungsvolle und anspruchsvolle Leistung seiner Diener in den Hochschulen mehr wert sein, so das Bundesverfassungsgericht. Soziologisch betrachtet, ist hier zweierlei interessant:
a) Welchen gesellschaftlichen Nutzen schreibt man der ProfessorInnen-Tätigkeit zu? Das BVG zog für seine Begründung die Besoldung anderer Beamtengruppen heran: Lehrer und Richter insbesondere. Offensichtlich ist der Dienst der Richter in den höheren Besoldungsgruppen gesellschaftlich besonders wichtig. Und hiermit begibt man sich auf vermintes Gelände. Denn von außen gesehen könnte man auch die These vertreten, dass manche RichterInnen ‚überalimentiert‘ (vgl. auch 3) und nicht nur HochschullehrerInnen, sondern auch LehrerInnen ‚unteralimentiert‘ sind.
b) Wen interessiert dieses Urteil außer den betroffenen AkteurInnen an den Hochschulen, in der Berufsverbänden und den Bundesländern? Heute morgen war ich gespannt, wie die BILD-Zeitung das Urteil kommentieren würde. Ich rechnete schon mit einer neuen Sozialneid-Debatte oder zumindest einer akademikerfeindlichen Stellungnahme (‚guckt Euch die Professoren an, was die für Probleme haben‘) – aber nichts davon: stattdessen macht die BILD-Zeitung mit der Story „Wie gerecht sind Deutschlands Löhne?“ (4) auf. Das ‚Professoren-Urteil‘ ist keiner Erwähnung wert.
(1) http://www.bverfg.de/pressemitteilungen/bvg12-008.html
(2) http://www.hochschulverband.de/cms1/pressemitteilung+M5cc4ca7b64c.html
(3) http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/professorenbesoldung-zulage-aus-karlsruhe-11649316.html