Nerds, Nerdettes #1 Eine begriffliche Invasion?

Ist der Nerd eine Sozialfigur, die interessant genug ist, um mit ihr eine Reihe von Blogbeiträgen im SozBlog zu eröffnen? Ich denke schon. In dem schönen Buch „Sozialfiguren der Gegenwart“ von Stephan Moebius und Markus Schroer (2010) tummeln sich unter anderen der Berater, der Hacker, der Amokläufer, der Dillettant und der Bürger/Weltbürger. Wutbürger und Nerd fehlen noch. Den Begriff nerd gibt es schon seit den 1950er Jahren. Er stammt ursprünglich aus einem Kinderbuch. Ab den 1980er Jahren wird er auch benutzt, um Hacker und andere computeraffine Männer zu labeln. In den 1990er Jahren taucht der Nerd vermehrt in amerikanischen Comedy-Serien auf – ich denke bspw. an Steve Urkel aus Familiy Matters.

Immer ist der sozial inkompetente und unattraktive Nerd der Inbegriff des Opfers in der Highschool-Hierarchie. Im Sinne einer „marginalisierten Männlichkeit“ (Raewyn Connell)  – also einer Darstellung, die die gesellschaftlichen Erwartungen an einen ‚echten Kerl‘ nicht einlösen kann und dafür Verachtung erntet – lebt der Nerd hier sein Leben am Ende der Futterkette, wird von den Jungs geprügelt, von den Mädchen gemobbt oder im besten Falle bemitleidet. So die dominante Erzählung. Manche Nerds werden Jahrzehnte später so prominent und (erfolg)reich, dass ihre Marginalisierung sich aufhebt. Kai van Eikels reflektierte daher am letzten Sonntag in einem Beitrag zum Symposium Doing Nerd inwiefern der Ehrgeiz des Nerd von der möglichen Rache für seine frühen Kränkungen getrieben wird (van Eikels 2013).

Es spricht jedenfalls einiges dafür, dass die Figur des Nerd einen Siegeszug angetreten hat. Neben der schon beschriebenen Ächtung des Nerd als einem Anormalen spielen dabei nun auch positivere Erzählungen, das Lob des Nerd und die Umdeutung des negativ besetzten Begriffs, eine Rolle. Nicole C. Karafyllis schreibt im Glossar inflationärer Begriffe: „Wenn jemand also nerdig ist, ist er irgendwie schwierig und schräg – aber auf eine bestimmte Weise. Die US-amerikanische Sitcom The Big Bang Theory bringt dieses nerdig-Sein seit 2007 performativ zur Anschauung.“ (Karaffylis 2013, S. 99) Während Steve Urkel in Family Matters auf eine Zaubermaschine angewiesen ist, die das hässliche Entlein zum schönen Schwan (bzw. zum ‚coolen Typen‘) macht, um das Herz der vorher abweisenden Laura zu öffnen, kommen die Nerds in der Big Bang Theory schon besser zurecht.

Vermittels der Piratenpartei als sog. ‚Partei der Nerds‘ – spielt die Figur auch in der massenmedialen Öffentlichkeit von Print, TV und Radio eine immer größere Rolle. Wenngleich sich freilich nicht alle Piratinnen und Piraten als Nerds beschreiben und auch nicht alle Nerds und Nerdettes der Piratenpartei nahe stehen: Nerdiness spielt in den Selbst- und Fremdbeschreibungen der jungen Partei eine tragende Rolle. In biografischen Beschreibungen der Mitglieder erfährt der Begriff eine wehrhafte Aneignung, wird positiv gewendet und zur Quelle für Solidarität mit anderen Nerds. Auch ist ‚der Nerd‘ nun nicht mehr ausschließlich männlich. Auch Frauen beschreiben sich als Nerd, Nerdette oder Nerdine.

In kritischen Beschreibungen der Piraten reaktualisiert sich hingegen noch oft das abwertende Bild eines sexuell gehemmten, männlichen Underperformers, der mit seinem Piratenhütchen die ernste Politik gefährde und dessen Angst vor ‚echten Frauen‘ die Ablehnung von Quoten begründe (vgl. Siri/Villa 2012, vgl. auch Beitrag #3: Provokation und Ächtung des Nerd).

Nerdige Menschen sind irgendwie schwierig und schräg und das auf eine bestimmte Weise – schreibt Karafyllis. Die Nähe zum Begriff der queerness liegt auf der Hand. Es könnte sich daher lohen, den Nerd/die Nerdette als Sozialfigur, als polarisierende soziale Adresse, die positive und negative Kommentare anzieht, genauer zu betrachten.

Wird durch die Invasion der Nerds, durch die Aneignung der Nerdiness durch den angepassten und durchkapitalisierten Hipster (Greif 2012), der Figur des Nerds ihre identitätspolitische Kraft genommen? Geht die normalisierte ‚Nerdiness für alle‘ im Hipstertum auf? Müssen sich Hacker deswegen von den Nerds abgrenzen? Oder wohnt der Nerdiness doch ein subversives Potential inne, dass sich zum Beispiel in der Dekonstruktion von Geschlechtsnormativen (i.S. Judith Butlers) beweisen könnte? Und könnte es vielleicht so sein, dass die Abwehr gegen die Piratenpartei mehr mit deren Nerdiness als mit Sachpolitik und Programmatik zu tun hat? Ist es die von van Eikels diagnostizierte Angst vor der „Rache der Nerds“, die allergische Reaktionen mancher etablierter Politiker, Politikerinnen und Medienschaffenden gegen die Piraten, und auch allgemeiner gegen emphatische Netzpolitik, antreibt? Darüber werde ich im nächsten Blogbeitrag schreiben.

 

Blogempfehlung: Hier bloggt Kai van Eikels über Kunst, Theater, Kollektivität und vieles mehr. Und hier findet sich nun der Beitrag zur Rache der Nerds, auf den ich mich beziehe! (ergänzt am 6.5.13, 17:36)

Literatur

Judith Butler (2009). Die Macht der Geschlechternormen und die Grenzen des Menschlichen. Übers. v. Karin Wördemann & Martin Stempfhuber. Berlin: Suhrkamp.

Raewyn Connell (2006). Der gemachte Mann. Konstruktion und Krise von Männlichkeiten. Wiesbaden: VS Verlag.

Kai van Eikels (2013). Die Rache der Nerds? Vortrag auf dem Symposium „Doing Nerd“ der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst und der Heinrich-Böll-Stiftung. Berlin am 28.4.2013.

Mark Greif (2012) (Hg.). Hipster. Eine transatlantische Diskussion. Berlin: Suhrkamp.

Nicole C. Karafyllis (2013). nerdig. In: Glossar inflationärer Begriffe. Begleitbuch zur Ausstellung DIE IRREGULÄREN – ÖKONOMIEN DES ABWEICHENS. Hg. von Anna Bromley et al. Berlin: NGBK.

Stephan Moebius und Markus Schroer (2010) (Hg.). Diven, Hacker, Spekulanten. Sozialfiguren der Gegenwart. Berlin: Suhrkamp.

Jasmin Siri & Paula-Irene Villa (2012). Piraten. Fehlanzeige Gender? In: Christoph Bieber & Claus Leggewie (Hg.) Unter Piraten. Erkundungen in einer politischen Arena. Bielefeld: transcript.

Anmerkung: Es wird eine Soundcloud geben, auf der nicht nur der Beitrag van Eikels‘ zur „Rache der Nerds“ nachgehört werden kann, sondern die gesamte Tagung, u.a. mit Vorträgen von Nicole Karafyllis, Michael Makropoulus, Shintaro Miyazaki und Jörg Ossenkopp. Der Link folgt bald.

24 Gedanken zu „Nerds, Nerdettes #1 Eine begriffliche Invasion?“

  1. Die Aneignung von Nerdiness ist wirklich interessant, und wie dann zwischen echten und unechten Nerds unterschieden wird. Insbesondere wenn die Unterscheidung hinterrücks als Instrument für Sexismus verwendet wird. Eine Szene aus der Serie Portlandia passt hier gut, finde ich: http://youtu.be/nR6CY3pFjYM. Verschiedene Merkmale kommen vor: schön/hässlich, selbstbewusst/schüchtern, Nerdiness als Schmuck/Makel, aber auch männlich/weiblich.

  2. Liebe Frau Siri,

    wir – die Ultras Niklas Luhmann – gratulieren Ihnen zu ihrem zweimonatigen Aufenthalt auf dieser Plattform. Wir bleiben dran – in allen Funktionssystemen!

    Viele liebe Grüße und auf interessante Artikel.

    1. Danke, liebe Ultras, ich freue mich sehr, dass Ihr mitlest! Herzliche Grüße aus München JS

  3. Ich frage mich ja, ob Deine Ausführungen besonders für Deutschland gelten, wo es kaum „Geeks“ gibt (soll heißen: Nerds weit verbreitet ist und verstanden wird, Geeks hingegen kaum).

    Im englischen Sprachraum habe ich zumindest den Eindruck, dass Geeks als positiv konnotierte Bezeichnung für Nerds weit verbreitet ist (z.B. intelligente Nerds mit Freund/in). Jetzt finde ich die Frage interessant, ob die Existenz eines positiv besetzten Alternativbegriffs einer Aneignung bzw. positiven Wendung des Nerd-Begriffs behindert. Ich würde das zumindest mal vermuten.

    1. Ich glaube, Du hast recht. Die Abgrenzung zwischen Geek, Nerd (und Freak – auf der negativen Seite) im angelsächsischen Sprachraum ist interessant und es stellt sich die Frage, ob ich in meiner Empirie Äquivalente für diese Diskussion finden könnte. Wer von den Menschen aus der Big Bang Theory ist dann ein Geek, wer ein Nerd, gibt es auch einen Freak? Die Frage nach der Verhinderung einer positiven Umdeutung ist spannend, ich denke mal über Parallelen nach… Vielleicht ist es hier eher die Unterscheidung Hacker/Nerd. Beim im Text erwähnten Symposium hat Frank Rieger vom CCC darüber gesprochen, dass er mit dem Popbegriff Nerd nicht viel anfangen könne und sich selbst als Hacker bezeichne. Aber das ist eher die Abgrenzung der Avantgarde von der „demokratisierten“ Nerd-Gemeinde… Passt also nicht ganz zu Deinem Beispiel…

      1. Ich habe in der Tat nur ein positives Beispiel für die Aneignung des Geek-Begriffs gefunden… Es scheint wirklich so, dass der Nerd die stärkere Figur ist. http://femgeeks.de

  4. danke für die anregenden Gedanken zur Sozialfigur „Nerd“. Die Webwelt und damit ganz aktuelle soziale Entwicklungen zum Thema zu machen halte ich für wichtig – gerade für diesen soziologischen Blog (der ja faktisch für das ganze Fach steht und einen fast schon offiziellen Charakter hat), da damit gezeigt werden kann, dass die Soziologie mit ihren Themen auf der ‚Höhe der Zeit‘ ist. Wie auch immer, ich freue mich auf die weiteren Beiträge. Viele Grüße von mir als Alt- und Erstblogger, Günter Voß

  5. Auch ich frage mich, wie sich Nerd und Hipster überhaupt voneinander abgrenzen lassen und wofür sie die Projektionsfläche bilden. Vielleicht sind „Sozialkompetenz“ und „Authentizität“ die relevanten Gesellschaftsdimensionen, zwischen deren Extremen diese sozialen Figuren balancieren (Nerd = nicht „sozial kompetent“ / sehr authentisch; Hipster = genau anders herum). Die Praktiken (Nerdbrille, Jutebeutel, usw.) ähnlich sich ja sehr und Computeraffinität spielt m.E. kaum noch eine Rolle, da dies – im Gegensatz zu den 80ern – keine Nischenkompetenz mehr ist.
    Aber das ist nur eine erste Überlegung. Auf die kommenden Beiträge bin ich sehr gespannt!

    1. Nerd und Hipster voneinander abzugrenzen ist für mich nicht schwierig. Ich halte Hipster für eine temporäre Modeerscheinung (Trend, vielleicht sogar eine Verkleidung), während Nerds einige Dinge exzessiv ausleben, lieben und zelebrieren. Ein Nerd zu sein sucht man sich nicht aus, man wird von Dritten klassifiziert (es ist lange Zeit eine Beleidigung gewesen).
      Jetzt ist es auf einmal „in“ dazu zu stehen, ein Nerd zu sein.
      Die Coumpteraffinität ist immer noch eine Nischenkompetenz, ein iPhone zu bedienen oder Windows zu benutzen bedeutet ja nicht, dass man z.B. Apps selber programmieren kann.
      Dazu auch Wil Wheaton – why it’s awesome to be a nerd

      1. Das Video ist eine echt tolle Selbstbeschreibung des Nerd, die von der Beschreibung als Computernerd erstmal absieht: „For me when I was growing up being a nerd meant that I liked things that were a little weird, that took a lot of effort to appreciate and understand.“ Dann die Außenseiter-Erzählung und dann „now i am an adult professional nerd“ – die Wendung, der Erfolg durch das virtuose Beherrschen dessen, was er richtig (!) liebt. Hier böte sich ein Blick in das gerade erschienene „Glossar inflationärer Begriffe“ der NGBK an, da gibt es eine tolle Auseinandersetzung mit dem Begriff des Virtuosen – nur leider ist es im Büro und ich bin dort nicht… (Bromley et al. 2013) Für Will Wheaton geht es um die Liebe zum Gegenstand – eine grundlose Liebe, quasi Kunst, da „nutzlos“. Eine nutzlose, verschwendete Liebe zum Gegenstand. Das könnte man nun wieder schön vom Hipster abgrenzen…

  6. Mir fallen 2 Dinge auf: Erstens wie man sich dem Phänomen über mediale Stereotype nähern muss, um es gedanklich handhabbar zu machen – das geht doch eigentlich nicht, oder? Das ist doch derartig zirkulär, dass man dringend fragen müsste: Wo ist hier die real beobachtete Realtität? Gibt es den „Nerd“ überhaupt oder ist das nur eine Unterstellung, dass es Menschen mit „nerdigen“ Eigenschaften gäbe? In dieser Hinsicht, als eine Menschengruppe, die es in ihrer Verallgemeinerung gar nicht gibt, wären die Nerds eventuell gar nicht einzigen, sondern in und außerhalb der Soziologie werden eine Fülle solcher Gruppen-Ressentiments genutzt. Das wäre dann weniger die Frage, was denn der Nerd sei, als wie die Gesellschaft mit solchen wertenden Gruppen-Fiktionen aller Art Anpassungswünsche hin zur „Normaliät“ stimuliert („Nein, ich bin kein Nerd“ etc.) Der „Nerd“ wäre sozusagen ein schönes Beispiel für die „Laiensoziologie“, die ständig in der Gesellschaft tobt – und dann hat es auch eine Berechtigung, sich mit den Abbildern dieser Laien-Soziologie in TV-Serien zu beschäftigen.
    Der zweite Punkt: Nerds werden oft als sozial isoliert vorgestellt, daher nicht an das normale soziale Verhalten so glatt angepasst wie wir Nicht-Nerds, sie seien sozusagen „sozial untauglich“. Das würde, wenn man es ernst nimmt, zu einer Soziologie der sozial Isolierten führen, eine Soziologie der Un-Sozialen, der Eigenbrötler. Dazu gehören vielleicht mehr Menschen, als man meint? Künstler, Erfinder, Schriftsteller (!) etc. Der Witz ist, dass diese von der Gesellschaft Abgekapselten eine wichtige Funktion für die Gesellschaft haben können – hier wäre vielleicht ein „Lob des skurrilen Verhaltens“ fällig???

    1. Ich würde hier gern mit Luhmann argumentieren, der sagt, dass moderne Menschen das, was sie über die Welt wissen, zu großen Teilen aus den Massenmedien wissen. In diesem Sinne gibt es vielleicht kaum was „Realeres“ als mediale Stereotype, die sich stets aktualisieren und Normen ausstrahlen, die sich Menschen dann zu Herzen nehmen.

      „Der “Nerd” wäre sozusagen ein schönes Beispiel für die “Laiensoziologie”, die ständig in der Gesellschaft tobt – und dann hat es auch eine Berechtigung, sich mit den Abbildern dieser Laien-Soziologie in TV-Serien zu beschäftigen.“

      Gerade an semantisch starken Sozialfiguren wie „Ausländer“ oder „Nerd“ sieht man das sehr deutlich. Ich muss keinen Ausländer und keinen Nerd kennen, um ein Bild von ihnen im Kopf zu haben. Freilich auch massenmedial vermittelt und voller Unterstellungen. Ob das Bild durch Kommunikationen der „Ausländerpolitik“, die Lektüre von „Deutschland schafft sich ab“ oder durch die Darstellung „des Ausländers“ in Massenmedien zustande kommt, lässt sich nicht mehr auseinanderhalten. Ein weiteres gutes Beispiel ist die Wirkmächtigkeit von medialen Bildern für die Selbstbeschreibung von Männern* und Frauen*. Ich habe gerade das Buch von Peter Praschl zu „Sex in the City“ (http://www.diaphanes.net/buch/detail/1892) hier liegen, der diesen Zusammenhang sehr schön darstellt. Zu Ihrem zweiten Punkt: Ich ärgere mich, dass ich das „Glossar inflationärer Begriffe“ nicht hier habe, sie argumentieren ganz ähnlich wie die NGBK-KünstlerInnen, die nämlich einen Linie vom Virtuosen aus Goethes Zeiten zum Nerd ziehen… Auch das Gedicht im dritten Kommentar zu meinem zweiten Blogpost passt sehr gut zur Idee des „Lob des skurrilen Verhaltens“.

  7. Ich finde zum Verständnis von Nerds die Persönlichkeitstypologien von Myer-Briggs bzw. Keirsey sehr hilfreich. Hier sind Nerds „Rationals“ mit dem Basistemperament NT. Siehe http://de.wikipedia.org/wiki/Keirsey_Temperament_Sorter was das heißt. Die Verteilung der Typen ist unterschiedlich. Der Anteil von NTs in der Gesamtbevölkerung ist ca. 12%.

  8. Ganz klar ist ja noch nicht, was Nerds eigentlich ausmacht? Aufschlussreich ist da zum Beispiel die hier in den Kommentaren verlinkte Veranstaltung, in der Will Wheaton eine Art Beschreibung abliefert (neben dem Aufruf zur Ehrlichkeit und harten Arbeit): Er beschreibt es im wesentlichen als spezielles Konsumverhalten und ein bisschen auch als (teures) Hobby. (Letzteres an der Stelle, an der er die weiten Reisen erwähnt). Hauptsächlich aber wohl als spezielle Konsumorientierung. Also als eine bemerkenswerte und vielleicht von der Mehrheit der Außenstehenden vor allem in ihrer Intensität als „abnormal“ empfundene Hingabe an bestimmte Inhalte. Das ist vielleicht das auffälligste Merkmal. Dazu käme sicher in den meisten Fällen eine hohe Technikbegeisterung und auch Technikakzeptanz und eine hoher Bildungsstand. (Ein Teil der früher sog. Streber würde heute wohl problemlos als Nerds durchgehen). D.h. auch: Es handelt sich um eine spannende und tendenziell solvente KonsumentInnengruppe. Angesichts der weiter wachsenden „Digitalisierung“ des privaten und beruflichen Lebens wird diese Gruppe noch wichtiger. In den vergangenen Jahren ist eine Gruppe, „Nerds“ also, gesellschaftlich identifiziert, gelabelt und homogenisiert worden und das vormals „Anormale“ wird findet so auch seinen durchaus akzeptierten Platz im Kaufhaus und am Arbeitsplatz und findet gar gesellschaftliche Akzeptanz. „Nerdiness“ bleibt dabei vollkommen unpolitisch und reflektiert in keiner Form ihre soziale Position in der Gesellschaft. (Preisfrage: Wieviele Schwarze haben in „The Big Bang Theory“ eine und welche Rolle?)Der „Nerd“ bleibt in diesem Bild klar weiße Mittelschicht.

    Riegers Abwendung von dieser Art des Labeling ist dabei ganz nachvollziehbar, sieht er nur noch die Elemente der Integration, Vereinnahmung und Vermarktbarkeit von „Nerdiness“ ist eine Abgrenzung des Hackers mit Attitude auch sofort geboten.

    1. „Dazu käme sicher in den meisten Fällen eine hohe Technikbegeisterung und auch Technikakzeptanz und eine hoher Bildungsstand. (Ein Teil der früher sog. Streber würde heute wohl problemlos als Nerds durchgehen). D.h. auch: Es handelt sich um eine spannende und tendenziell solvente KonsumentInnengruppe.“
      Diese Tendenz scheint zumindest in Darstellung des Nerd in den Printmedien oder im Werbefernsehen eine Rolle zu spielen…

      „Preisfrage: Wieviele Schwarze haben in “The Big Bang Theory” eine und welche Rolle““ Das ist ein interessanter Hinweis. Inwiefern ist die Figur des Nerd eine weiße Mittelschichtsfigur? Auf den ersten Blick: so sehr, wie sie hetero-männlich ist. Ich glaube, dass aber richtig viele der „erfolgreichen“ Sozialfiguren weiße Mittelschichtsfiguren sind (nicht zuletzt, weil bspw. die Soziologie eben eine Mittelschichtswissenschaft ist, die sowohl die sehr Armen/Prekären als auch die sehr Reichen bzw. Eliten vernachlässigt…)

  9. Kai van Eikels hat auf seinem Blog den Beitrag zur „Rache der Nerds“ hochgeladen. Ich habe den Link oben ergänzt.

  10. Also wenn ich hier noch einmal Nerds und Hipster im selben Satz lese, dann darf die Welt mal meine „Nerd Rage“ erleben ;) Aber Spaß beiseite…

    Doch warum immer „The Big Bang Theory“ als beispielhafte Darstellung von Nerds herangezogen wird, ist mir ein Rätsel. Das ist eine vollkommen überspitzte Comedy-Sendung, die auf Grundlage der im Netz immer lauter werdenden „Nerd-Bewegung“ entstanden und die ihrerseits ja nur das Resultat einer vollkommenen Überflutung von Menschen durch das Internet mit Popkultur ist.

    Dabei sind die „Nerds“ in „The Big Bang Theory“ so realistisch dargestellt wie „Ärzte“ in „Scrubs“.

    Dieser Tage ist es doch schick geworden sich „Nerd“ zu nennen, da im Rahmen der Vorstellung des Nerds (oder Geeks) als computeraffinen und damit vielleicht auch intelligenten und kreativen Zeitgenossen, dies eine Art Selbstbeweihräucherung ist. Man ist modern, netzaffin, „in den neuen Medien zu Hause“ und gleichzeitig auch ein bisschen rebellisch und cool, weil man sich ganz offen zu seiner Liebe zu „nerdigen Themen“ wie Fantasy oder Science Fiction bekennt.

    Leider hat das auch dazu geführt, dass sich mittlerweile jeder Hanz und Franz als „Nerd“ bezeichnet, nur weil er mal einen Superman-Aufkleber auf dem Kühlschrank hatte oder früher mal ne Folge Alf geguckt hat. Insofern ist doch jeder Mensch ein Nerd und es gibt nur verschiedene Grade der „Nerdiness“.

    Ich für meinen Teil bin mit Fantasyfilmen, Computerspielen und Actionfiguren aufgewachsen. Und auch im Erwachsenenalter haben mich Traumwelten und Realitätsflucht in jeder Form nie losgelassen. Warum solle ich ein endliches Leben auch ernst nehmen? Insofern komme ich dem vollkommen überspitzt visualisierten Nerd-Bild aus „The Big Bang Theory“ schon sehr nahe. Aber das ist sicher nicht die Norm. Aber der Grund warum ich mein http://nerd-wiki.de/ schreibe.

    Im Grunde ist doch jeder Mensch, der im Internet- und Informationszeitalter geboren wird und aufwächst automatisch ein „Nerd“, weil er jeden Tag ungewollt geradezu in Popkultur badet. Es gibt durch das Internet eben viel mehr und viel leichter Zugang zu allem, was man als „nerdig“ bezeichnen könnte, als noch zu Zeiten unserer Großeltern. Insofern bezeichnet „Nerd“ doch lediglich eine neue Generation von Menschen, so wie im 17./18. Jahrhundert mal „Stürmer und Dränger“ oder „Romantiker“ die Welt bevölkerten. Jeder, der heutzutage Kinder zeugt, entlässt einen Vollblutnerd mit mobilem Internet und demnächst noch 3D-Helm in die Welt…

    Insofern dürfte der Begriff des Nerds irgendwann immer breiter und seichter werden, bis er ganz verschwunden ist. Oder er wird durch neue Begriffe, die einen größeren Spezialisationsgrad im Interessensgebiet ausdrücken, wie „Brony“ (männlicher My Little Pony Fan), abgelöst. :)

    1. Danke für den Link. Ich habe ihn gleich für den Beitrag genutzt. Ich hoffe, vorsichtig genug formuliert zu haben, um um die Nerdrage herumzukommen. :)
      „Doch warum immer “The Big Bang Theory” als beispielhafte Darstellung von Nerds herangezogen wird, ist mir ein Rätsel.“
      Müsste nicht sein, stimmt, aber ist ein gutes Beispiel da breit bekannt. Sicher, eine dolle Übersteigerung; aber interessanterweise werden da ja ganz viele Themen angesprochen, die sich auch im Nerdwiki finden.
      „Im Grunde ist doch jeder Mensch, der im Internet- und Informationszeitalter geboren wird und aufwächst automatisch ein “Nerd”, weil er jeden Tag ungewollt geradezu in Popkultur badet.“
      Das ist ein interessanter Gedanke, wobei ich gar nicht genau weiß, ob die technische Kompetenz der Jugendlichen so groß ist. Unter meinen Studierenden – fast die jüngsten Menschen, mit denen ich zu tun habe – gibt es sowohl Digital Natives als auch solche, die kaum eine E-Mail verschicken können. Bronies sind ein sehr interessantes Phänomen. Eine noch nicht da gewesene Darstellung von Männlichkeit, die ganz ohne die zwanghaften Ironisierungen der 90er und 2000er Jahre auskommt. Superspannend!

      1. Oh, vielen Dank für die Erwähnung meines bescheidenen Nerd-Blogs mit Link :)

        Was die „Bronies“ anbelangt: Dont get me startet… was das Interent nicht alles an sonderbaren Charakterzügen bzw. „Typen“ von Menschen auf Grundlage neuer Internetzeitalter-Hobbys hervor gebracht hat … spannend und skuril zugleich. Aber wir leben eben auch in skurilen Zeiten und es hat erst angefangen. ;)

        1. Ich sammle gerade Material zu Bronies, weil ich gem. mit einer Kollegin dazu schreiben will. Ich würde mich also sehr über Hinweise freuen, wenn Dir/Ihnen was über den Weg läuft… (emp. Material für MediensoziologInnen ist eigentlich „alles“ – Videos, Webauftritte, Interviews, whatever…) Das Nerdwiki ist übrigens prima und sehr liebevoll gestaltet, wie ich finde. Ich habe aber noch nicht viel Zeit dort verbringen können, weil ich immer so viele gute Kommentare beantworten muss :))

  11. Darüber bin ich informiert, habe sogar schon darüber geschrieben. :) Ich mag sehr gerne dieses Zitat, indem ein Pirat erklärt, was es mit MLP und PP auf sich habe (copy-paste aus dem in Beitrafg 3 zit. Artikel mit Paula-Irene Villa:
    Während die Ponys für Digital Immigrants, die selten „Internet gucken“ nicht mehr bedeuten als ein (Mädchen-)Spielzeug der 1980er Jahre (und so einen Hinweis auf die verspielte politische Geschäftsführerin ermöglichen) sind sie im Netz Thema für Meme, Verfremdung und subkulturelle Betätigung. Einige Piraten aus Berlin erklären im Interview mit dem Deutschlandfunk, dass es die Möglichkeit gibt, Geschäftsordnungsanträge auf Ponytime zu stellen, wenn Diskussionen zu hitzig werden. Ponytime bedeutet, dass eine Folge der Sendung My little Pony die Tagung unterbricht.

    „Es hat durchaus inhaltlich mit Dingen zu tun, die wir auch bei den Piraten bearbeiten: Vertrauen, Freundschaft etc. Wo einem vielleicht noch mal klar wird: Okay, der da gerade neben mir sitzt und mit dem ich so eine krasse Differenz hatte oder Meinungsverschiedenheit, ist aber grundlegend eigentlich auf meiner Seite und lass uns doch gucken, wie wir unsere Schnittmengen irgendwie finden und uns auf was einigen können.“
    Die Ponys brächten Ruhe und Besonnenheit in den Parteialltag:
    „Dadurch, dass sie Freundschaft schließen und zusammen denken können, lösen sie ihre Probleme. Und das ist es, was eigentlich das Netz auch ausmacht. Verschie¬denste Charaktere denken zusammen und lösen sie. Und das ist eigentlich das gleiche – nur abgebildet auf Ponys.“

    Nett, was? Herzlich, JS

  12. Hallo Jasmin Siri,
    vielen Dank für den interessanten Blog-Beitrag! Du schreibst davon, dass der negativ besetzte Begriff „Nerd“ teilweise umgewertet wurde. Im Neologismenwörterbuch des Instituts für Deutsche Sprache (IDS) findet man einen ähnlichen Befund und Belege dazu unter: http://www.owid.de/artikel/402580. Dort gibt es zudem Informationen zur Gebrauchshäufigkeit von „Nerd“ in den deutschsprachigen Korpora des IDS. Vielleicht ist das für Dich noch interessant.
    Herzliche Grüße!

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