Habenwollen oder Teilenwollen?

Mit aufmerksamkeitssteigernder Verspätung (verursacht durch das Tief „Christian“, das den Bahnverkehr nördlich von Göttingen lahmlegte) komme ich letztlich doch noch beim Literarischen Salon in Hannover an. Ich bin Gast einer Podiumsdiskussion zum Thema „Sharing-Ökonomie“. Mit auf dem Podium sitzen Heiko Grunenberg, Soziologe und Nachhaltigkeitsforscher an der Uni Lüneburg sowie Raphael Fellmer, Aktivist für ein Leben ohne Geld und Mitgründer von Foodsharing e.V.

Während der Veranstaltung gezeichnet von Mathias Vogel (www.paramikron.de)
Während der Veranstaltung gezeichnet von Mathias Vogel (www.paramikron.de)

Welche Idee ist mit der Sharing-Ökonomie verbunden?

In seinem Buch The share economy. Conquering stagflation (1984) untersuchte Martin Weizman, ob fixe oder erfolgsbezogene Vergütungen für Arbeit zu höherem Wohlstand führen. Zu seiner heutigen Bedeutung kam der Begriff Sharing-Ökonomie, als er 2009 auf der next09-Konferenz verwendet wurde, wobei das Teilen von Wissen im Mittelpunkt stand.

Inzwischen hat sich das Netz als ideale technologische Plattform der Sharing Ökonomie entwickelt und der Begriff erfuhr eine deutliche Ausweitung seiner Bedeutung. Relativ einfach können Algorithmen programmiert werden, die Angebote und Bedarfe zusammenbringen (was sich dann auf Neudeutsch „matchen“ nennt). Auf Onlineplattformen finden sich daher schnell, unkompliziert (aber nicht immer kostenlos) Menschen zusammen, um materielle und immaterielle Güter zu tauschen.

Mittlerweile wird alles Mögliche getauscht. Einige Beispiele: NeighborGoods (Dinge, die zu Hause herumliegen und die man seinen Nachbarn zugänglich machen möchte), thredUp (Tauschnetzwerk für Kinderkleidung), SwapSimple (Filme, Bücher, Videospiele) und Airbnb (Plattform für Übernachtungsplätze). Spätestens jetzt kommt die bereits in der Ankündigung der Veranstaltung gestellte Frage auf: Ist die Sharing Ökonomie „Traum aller Kapitalismusgegner oder eine ernst zu nehmende Entwicklung in Richtung nachhaltiger Produktion?“

Deutschland teilt

Zusammen mit der Sharing-Plattform Airbnb (s.o.) und dem Sozialforschungsunternehmen TNS-Emnid entstand an der Universität Lüneburg die Studie „Deutschland teilt“. Sie zeigt, dass neben der Besitz-Ökonomie („Habenwollen“) auch die Sharing-Ökonomie („Tauschenwollen“) in Deutschland zunimmt. In nüchternen Zahlen liest sich das so: Jeder zweite Deutsche hat schon einmal Erfahrungen mit alternativen Konsumformen („Ko-Konsum“) gemacht. Jeder vierte Deutsche hat schon einmal „selten gebrauchte Gegenstände“ von anderen Personen gemietet anstatt diese zu kaufen. Vor allem bei den 14- bis 29-Jährigen sind Sharing-Plattformen beliebt. Die Podiumsdiskussion in Hannover diente nun dazu, diese Entwicklung einzuschätzen und Fragen zu klären, die nicht in blanken Zahlen beantwortet werden können. Mir war dabei die Rolle des Kritikers zugedacht. Nebenbei bemerkt: Ein nicht unwesentliches Element bei „Öffentlicher Soziologie“ ist ein klares Bewusstsein darüber, welche Rolle mit unterschiedlichen Settings verbunden ist – und zugleich die Fähigkeit, sich von dieser Rolle ironisch zu distanzieren.

Neue Sozialform oder uraltes Phänomen?

Die Motive für die Teilnahme an der Sharing-Ökonomie fasst Heiko Grunenberg im Wort Coolness zusammen. Wer teilt, unterscheidet sich in seiner Lebensform sichtbar von anderen. Und damit bringt der Sozialforscher es wunderbar auf den Punkt: In der Konsumtheorie haben Konsumgüter nicht nur einen Gebrauchswert, sie geben darüber hinaus „Signale“ ab, die helfen die eigenen Identität im Konsumbürgertum zu finden, über seinen eigenen Lebensentwurf nachzudenken und diesen immer wieder zu konkretisieren. (vgl. Wolfgang Ullrich: Habenwollen. Wie funktioniert die Konsumkultur? oder wunderbar aus der Innensperspektive derMarketingtreibenden Rolf Jensen: Dream Society). Es stellt sich die Frage, ob das auch für die Negation des Konsums in der Tauschökonomie gilt? Ich meine schon.

Online-Tauschbörsen und Tausch-Apps sind nichts anderes als Biografie-Requisiten innerhalb einer zum Teil umfassenden Inszenierung des eigenen Lebens. Beides zusammen motiviert zur Fiktionalisierung der eigenen Biografie, indem ein bestimmter Ausschnitt der Wirklichkeit mit großem Distinktionspotenzial „technisch handhabbar“ gemacht wird. „Habenwollen“ (Besitzökonomie) und „Teilenwollen“ (Sharing-Ökonomie) sind unterscheiden sich hierbei nur graduell. Eigentlich besteht bei näherem Hinsehen kein Unterschied mehr zwischen der Besitz- und der Tauschökonomie. Über das, was handhabbar gemacht werden soll, legt sich niemand individuell Rechenschaft ab. In beiden Bereichen werden die Marktteilnehmer in Richtung eines sozial erwünschen Konsum oder eben Ko-Konsumverhaltens kollektiv „konditioniert“. Ich würde sogar soweit gehen und sagen, dass es sich dabei um eine hübsche, technisch überhöhte und daher zeitgemäße Form des Re-Skillings handelt, d.h. dem Wiedererlernen einst selbstverständlicher sozialer Verhaltensweisen über den Umweg der Technik (vgl. Richard Sennet: Together). Sehr deutlich kommt dies der Studie (oder Imagebroschüre?) „Sharing Economy – Die Macht des Teilens“ des Büro f21 für Zukunftsfragen zum Ausdruck: „Uralte Wirtschaftsformen werden durch Technologie neu erfunden“.

Die neue Form der Sharing Ökonomie bringt zudem neue Risiken mit sich. In der Tauschökonomie werden Rechte durch Vertrauen ersetzt. In den Tauschbeziehungen (zumal in den digital vermittelten) steigt notwendigerweise der Anteil des Vertrauens. Das kann im Extremfall zu ernsthaften juristischen Problemen führen, wenn es z.B. um Haftungsfragen geht. Verbraucherschutzrechte (für die an anderer Stelle eingetreten wird) werden innerhalb der Sharing-Ökonomie „freiwillig“ aufgegeben.

Foodsharing

Es verwundert mich daher schon, dass ausgerechnet die ehemalige Landwirtschafts- und Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner eine Entwicklung massiv unterstützt, die ich besonders aufmerksam verfolge. Für jemanden, der sich seit Jahren mit dem Phänomen der Lebensmitteltafeln beschäftigt, ist Foodsharing besonders interessant. Auf dieser Online-Plattform werden Lebensmittel, die „übrig“ sind, Personen angeboten, die bereit sind, diese abzuholen. Aktivisten wie Raphael Fellmer sind vorne mit dabei, die politisch erwünschte Parole von der Lebensmittelverschwendung in deutschen Haushalten zu verbreiten. Es gibt dabei aber ein Problem: Die Datengrundlage, auf der die Argumentation aufbaut, ist äußerst fragil.

Kristallkugelwissenschaft

Die Studie „Ermittlung der weggeworfenen Lebensmittelmengen und Vorschläge zur Verminderung der Wegwerfrate bei Lebensmitteln in Deutschland“ der Universität Stuttgart (Institut für Siedlungswasserbau, Wassergüte und Abfallwirtschaft im Auftrag des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz) weist privaten Haushalten eine hohe Verantwortung für das Müllproblem zu. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass jede/r Deutsche pro Jahr fast 82 Kilo Lebensmittel wegwirft. Untermauert werden die Zahlen mit suggestiven Bildern von kilometerlangen Lastwagenkolonnen, um die weggeworfene Menge zu visualisieren. Inzwischen gibt es jedoch auch Kritik an dieser Studie.

Ludgar Fischer hat sich sowohl mit den Lebensmittelgesetzen als auch mit der Müllstudie kritisch beschäftigt: „In Brüssel vergeht keine Woche ohne Konferenz über angebliche Lebensmittelvergeudung. Die EU-Kommission, einzelne Parlamentarier, der Wirtschafts- und Sozialausschuss, Handels- und Verbraucherverbände, Freunde der Erde und des langsamen Essens, Konzerne, die schnelles Essen ermöglichen, überbieten sich mit Tagungen, Symposien und Podiumsdiskussionen, auf denen wohlmeinende Menschen über eine Lösung des scheinbaren Problems diskutieren.“ In seinem programmatischen Artikel „Ab in die Tonne!“ zeigt er, dass die Zahlen der „Müllstudie“ Hochrechnungen von Schätzungen von Einzelaussagen weniger Experten oder Messungen sind. Summiert wurden Mittelwerte von Annahmen. Die ermittelte Wegwerfmenge – insbesondere die in den privaten Haushalten – hält einer ernsthaften empirischen Überprüfung nicht stand. So wurden bei den privaten Haushalten z.B. Schälabfälle, welker Salat, schrumpelige Äpfel, trockenes Brots oder abgelaufene Joghurts mitgezählt. Von denen wird niemand ernsthaft verlangen, dass diese nicht weggeworfen werden sollen. Fischer kommt zu dem Ergebnis, dass die Empfehlungen auf wackeliger Grundlage stehen: „Möglicherweise hat man hier ‚Daten’ zusammengesammelt, die für die politisch gewünschte Aussage scheinbare Belege liefern konnten.“ (vgl. Fischer, Ludger, 2013: Von Müllvermeidung wird kein Mensch satt. In: Journal Culinaire, 3, S. 129-137) Und wie sieht diese Empfehlung, ausgesprochen von Ilse Aigner aus im Journal der Hanns Seidel Stiftung aus?: „Lebensmittel gehören auf den Tisch und nicht in die Tonne.“

Lebensmittel „retten“

Hier kommen die Tafeln ins Spiel, die sich als „Lebensmittelretter“ stilisieren. Bei den Lebensmitteltafeln in Deutschland hat sich die Idee, Lebensmittel zu „retten“ in der letzten Zeit zu einer neuen, hochproblematischen Legitimationsfigur entwickelt. In diesem Revier tummelt sich auch Raphael Fellmer, der sich „Freund der Tafeln“ nennt und ebenfalls Lebensmittel „rettet“. Mehr noch: Durch die Nutzung der Sharing-Plattformen – insbesondere auch von lebensmittelretter.de – will er dazu beitragen, dass alle Menschen „echte Liebe und Menschlichkeit“ erleben. Mir ist das ein wenig zu viel Dalai Lama und zu wenig Logik. Wer davon spricht, Lebensmittel zu „retten“, stellt diese auf eine Stufe mit Menschen.

Die Rede von der „Rettung“ der Lebensmittel verdeckt das eigentliche Problem, das sich mit „Tonnenideologien“ nicht lösen lässt. Nach einer kürzlich veröffentlichten Rot-Kreuz-Studie können sich 43 Millionen Europäer kein Essen leisten und sind stattdessen auf Suppenküchen, Tafeln und Lebensmittelgutscheine angewiesen. Der Rot-Kreuz Generalsekretär Bekele Geleta bezeichnete dies als die „schlimmste humanitäre Krise seit dem 2. Weltkrieg“. Vor diesem Hintergrund gibt die „Müllstudie“ einen problematischen Weg vor, indem sie behauptet: „Unstrittig ist, dass die Weitergabe an karitative Einrichtungen wie die Tafeln ein sinnvoller Weg zur Abfallvermeidung ist, der womöglich noch intensiviert werden kann.“ Das kann man auch anders sehen:

Erstens gibt es hier ein logisches Problem. Die Abgabe von Lebensmittel an Bedürftige bei Tafeln ändert nichts am Armutsproblem. Von Müllvermeidung wird niemand satt.

Zweitens sind die inzwischen institutionalisierten Tafeln ein Beispiel für etwas, was ich das Delegationsprinzip nenne: Der Hype um die „Müllstudie“ ist ein Beispiel für die Moralisierung von Themen und Märkten. Dabei wird die Verantwortung für Nachhaltigkeit von den Produzenten zu den Konsumenten durchgereicht. Die Menschenrechtsorganisation FIAN, die für das Recht auf Nahrung eintritt, sieht die neuen Almosensysteme ebenfalls kritisch und schreibt in einem Eckpunktepapier: „Der Staat delegiert die Grundversorgung immer weiter an die Zivilgesellschaft. Das Menschenrecht auf Nahrung wird in Deutschland nicht ausreichend umgesetzt, sondern zunehmend gefährdet, weil der Staat seinen Verpflichtungen nicht angemessen nachkommt.“

Und drittens entstehen durch die (logistisch mehr oder weniger aufwendige) Umverteilungen der Konsumreste sowie die komplementären Online-Angebote wie mundraub.org, lebensmittelretter.de oder eben foodsharing.de die fragwürdige Suggestion, dass sich in Deutschland armutsbetroffene BürgerInnen scheinbar mühelos (mittels einer App bzw. Online-Plattform!) mit Lebensmitteln versorgen können. Durch die Rede vom „Retten“ der Lebensmittel tritt das Problem Armut in den Hintergrund und wird verharmlost.

Zukunft der Sharing Ökonomie und die Rolle der Soziologie

Am Ende der Podiumsdiskussion in Hannover sollen auch wir in die Kristallkugel schauen. Wir werden wir nach unseren Einschätzungen zur Sharing-Ökonomie für die nächsten 25 Jahre gefragt. Man einigt sich zunächst darauf, dass Teilen zu einer „kurzfristigen Nachhaltigkeit“ führe. Bis ich direkt ins Publikum frage, ob mir jemand erklären kann, was „kurzfristige Nachhaltigkeit“ eigentlich ist. Immerhin hat die Diskussion einige der Eckpunkte der Sharing-Ökonomie deutlich gemacht: Vertrauen als neue Währung, der Coolnessfaktor einer Lebensform und deren Distinktionspotential sowie die Möglichkeit, face-to-face-Interaktionen technisch zu stimulieren (oder zu simulieren).

An der letzten Runde auf dem Podium wurde aber deutlich, dass eine „Öffentliche Soziologie“ vor allem Wachsamkeit für rhetorische Nebelbomben mitbringen muss, die allzu gerne in Debatten eingesetzt werden. Die Soziologie kann in solchen Debatten zudem erfolgreich zeigen, wie immer wieder neue Formen längst bekannter Inhalte auftreten. Ich denke dabei an das fast zeitlose Werk Georg Simmels, der diese Wechselwirkung deutlich herausarbeitete.

Vor allem aber besteht die Aufgabe einer „Soziologie für die Öffentlichkeit“ im Rahmen solcher Debatten darin, vor den unintendierten Effekten der als „neu“ oder „besser“ angepriesenen Entwicklungen zu warnen und dabei auf die Notwendigkeit aufmerksam zu machen, Differenzkriterien und Vergleichsmaßstäbe zu nutzen, anstatt von „kurzfristiger Nachhaltigkeit“ (oder ähnlichen Bullshit) zu sprechen (vgl. Harry G. Frankfurt: On Bullshit). Mir erscheint das als ein zentraler Punkt vieler öffentlicher Debatten zu sein, innerhalb derer zwar Phänomene beschrieben werden, die aber selbst kritierenlos dahindriften. Gerade die Soziologie könnte hier eine Metaperspektive anbieten.

Nach der Veranstaltung werden diese Fragen noch bis vier Uhr morgens diskutiert. Wir teilen Wein, Käse und viele „nachhaltige“ Ideen. Ich versuche mich so gut es geht auf den Beinen zu halten. Für diesen schönen Moment, den ich für nichts auf der Welt tauschen möchte.

8 Gedanken zu „Habenwollen oder Teilenwollen?“

  1. Sehr anregender Artikel. Eins nur als Einwand: Wenn Lebensmittel weggeworfen werden, weil sie scheinbar oder tatsächlich nicht mehr zu verwenden sind, dann hat ökonomisch gesprochen eine Fehlallokation stattgefunden – sinnloser Ressourcenverbrauch, sinnloser Kapitaleinsatz.
    So scheint mir, dass sich in der Sharing-Ökonomie ganz unterschiedliche Gesichtspunkte begegnen: Armutsökonomie, ökologische Ökonomie und klassische Ökonomie (wenn ich mir z.B. eine Bohrmaschine vom Nachbar leihe, weil ich so ein Ding nur einmal kurz brauche, ist das einfach ökonomisch vernünftig, weswegen man solche „Tauschverhältnisse“ auch unter Wohlhabenden findet). Doch unabhängig vom ökonomischen, also rationalen Motiv ergibt sich noch ein ganz anderer „unbewusster“ Effekt, nämlich dass sich im großzügigen Gewähren, Helfen oder Abgeben überhaupt erst Gesellschaft bildet – Gesellschaft in dem Sinn, dass Menschen sich als ein „wir“ verstehen. Von daher frage ich mich sogar, ob eine Gesellschaft überhaupt als solche bezeichnet werden könnte, wo jedwede Elemente des großzügigen Teilens fehlten. Das wäre dann ja nur noch ein Markt, der zu keiner Sekunde aufhört, nichts als ein Markt zu sein. Insofern ist das „Re-Skilling“ vielleicht der interessanteste Gesichtspunkt: Die Gesellschaft empfindet, dass Gemeinsamkeit verloren gegangen ist, und erfindet nun eine Fülle von Ersatzformen, um sich wieder als Gesellschaft fühlen und erleben zu können. Es sollen da auch „gewachsene“ Trennungen überwunden werden, z.B. zwischen Habenden und Nicht-Habenden. Das Internet ist für diesen Wunsch der Treiber schlechthin. Da wimmelt es ja nur so von Formen „neuer Sozialität“. Und so entsteht auch die „Moral von der Geschichte“, der Druck, „sozial“ zu sein und sich sozial zu verhalten (vor wenigen Tagen haben sich zwei Milliardäre auf Twitter „in aller Öffentlichkeit“ gegenseitig aufgefordert, gefälligst sich weniger um den eigenen Gewinnst zu kümmern, sondern mit dem Geld gefälligst mehr Gutes für die Gesellschaft zu tun). Oder anders gesagt: Das Teilen gehorcht nicht nur Not oder Vernunft, sondern es zeigt sich darin, wie das Netz den Wunsch nach einer fast inniglichen Gemeinsamkeit mit allen anderen entstehen lässt. (eine These)

    1. Danke für den Kommentar. Schön, das es nicht nur „Besserwisser“ unter den LeserInnen gibt. Ich stimme Ihnen zu, dass da diese Sehnsucht nach Gemeinschaft ist. Mein Punkt ist der, dass die neue Vergemeinschaftung im Medium der Digitalität stattfindet. Ich kritisiere also nicht die Akte des Teilens, großzügigen Gewährens etc. Ich glaube nur, es wäre sinnvoller, dies direkt zu organisieren, ohne den Umweg über die Technik – weil dabei genau das wieder verloren geht, wonach sich viele Menschen sehnen…

      1. Ah, jetzt verstehe ich erst Ihren letzten Satz zum „schönen Moment“ richtig … Und das sehe ich genauso. Als Erfahrung (so ein bisschen im Sinne von Negt/Kluge) gibt es die Geselligkeit nur real – mit Augenkontakt, Hintergrundgeräusch und „zum Anfassen“, im Internet erleben wir Simulationen und Surrogate. Es ist ein bisschen wie Sex und Masturbation: Der Erregungszustand kann sehr ähnlich sein, die Erfahrung ist aber eine diametral andere, eigentlich entgegengesetzte. Netz-Apps sind daher immer dann sozial, wenn sie auch aus dem Netz herausführen und zu einer Erfahrung führen: z.B. Flashmobs, „Facebook-Parties“, „gemeinsam wandern an der Mosel – wer kommt mit?“, auch Demonstrationen und Aufstände etc. Das Netz scheint allerdings, wenn ich mich nicht verschätze, den Wunsch nach geselliger/gesellschaftlicher Begegnung wieder regelrecht zu reanimieren, nachdem die Räume für die Begegnung der Gesellschaft mit sich selbst immer kleiner wurden (es scheint mir geradezu eine Schwemme an selbstorganisierten Tagungen und Konferenzen zu geben, sobald jemand ein Thema hat, gibt es eine Veranstaltung dazu). Ein schwerer Einschnitt war z.B. die Zunahme des Individualverkehrs und wahrscheinlich noch gravierender die Popularisierung des TVs, Gemeinschaftserlebnisse gibt es heute immer öfter nur noch gegen Eintrittsgeld, Kirchen nur Weihnachten überfüllt etc. Beim TV haben wir dabei schon die gleiche Dialektik wie beim Internet: Einerseits hat die Gesellschaft fantastische Möglichkeiten, sich selbst wahrzunehmen, andererseits geschieht die Wahrnehmung in „Einzelhaft“. Vermutlich generiert das soziale Internet auch nicht einfach Sozialität per se, sondern gefährdet sie auch. Es hat lediglich im Gegenstz zu TV „mächtige“ Möglichkeiten, aus der strukturellen Verinselung herauszuführen, zu „schönen Momenten“. Betrachtet man die Verinselungsprozesse der Moderne (allein die Karriere des Wortes „Selbstverantwortung“ spricht vllt Bände, auf wie vielen auch abstrakten Ebenen diese Verinselung sich entwickelt hat), würde ich sogar die These wagen: Das Netz ist eher die Rettung und das Residuum für das ansonsten vielseitig bedrohte Gemeinschaftserleben.

  2. Sicher findet schnell eine Überhöhung statt und (scheinbar) neue Handlungsansätze werden zur Rettung verklärt. Natürlich: Wenn Menschen anfangen alternative Varianten von (Tausch)Ökonomie (wieder) zu entdecken, zu erproben und damit zu experimentieren, hat das etwas mit ihrem Selbst-verständnis zu tun, mit Identität.
    Dennoch wird man dem Phänomen nicht gerecht, glaube ich, wenn man es auf Biografie-Requisiten reduziert. Die Frage, wie wir als Gesellschaft zukünftig Ökonomie organisieren, beschäftigt, glaube ich, viele Menschen. Und die Eliten haben über weite Strecken wenig überzeugende Antworten zu bieten. Ebensowenig der Staat, der hier adressiert wird. Ist es wirklich bloß ein weiteres „gesendet von meinem iPhone“-Requisit, was der Hobbybastler als Baustein seiner Biografie hinzufügt?

    Einerseits kann es darum gehen die „mit meiner iPhone-App rette ich die Welt in der Mittagspause“-Romantik zu entlarven. Denn, da gehe ich völlig mit, das Problem von struktureller Armut lösen foodsharing & Co natürlich nicht.

    Andererseits geht es um das Experimentieren und Erproben von teils neuen Wegen der Tauschökonomie und letztlich damit ja auch um neue Wege der Vergemeinschaftung. Dazu zählen auch die verschiedenen Varianten von Lokalwährungen/ Tauschringen /Umsonstladen etc.. Das scheint mir ein überaus spannendes Phänomen, was noch ganz am Anfang steht. Abwarten, welche Dynamik sich daraus entwickelt.

    1. Danke auch für diesen Kommentar! Ich glaube, wir sind da nicht weit auseinander…Ich selbst bin gerade dabei eine Tauschbörse vor Ort aufzubauen (mal sehen, ob das klappt). Aber ich versuche dabei die blinkende Oberflächen der ipads möglichst raus zu halten. Experimentieren: ja. Aber möglichst im Sinne lokaler Verantwortungsgemeinschaften und nicht im Sinne virtueller Gemeinschaften (was immer das sein soll). Übrigens denke ich, dass der kritische Hauptaspekt der ist, dass sich bei solchen Plattformen früher oder später (durch die Hintertür) wieder ökonomische Aspekte einschleichen, sei es durch Gamification- oder Incentivierungsansätze. Das gilt es in der Tat noch näher zu beobachten…

  3. Es gibt keine wie auch immer geartete Moral, die ein harmonisches Zusammenleben sowohl untereinander als auch mit der Natur von mehr als 150 Menschen ermöglicht, denn nur bis zu dieser Grenze können sich alle noch gegenseitig kennen. Bleibt aber die Arbeitsteilung auf 150 Menschen beschränkt, gibt es keine Weiterentwicklung. Darum verharrte der Homo sapiens über einen Zeitraum von etwa 150.000 Jahren auf dieser Stufe des Urkommunismus, der alles andere als ein „paradiesischer Zustand“ ist, sondern nur das nackte Überleben.

    Für eine kulturelle Weiterentwicklung muss die Arbeitsteilung auf deutlich mehr als 150 Menschen ausgeweitet werden. Dazu ist die Solidarität ungeeignet, denn niemand ist mit anderen solidarisch, die er nicht kennt. Die einzige Motivation und – weil in den Anfängen der Kulturentwicklung das Wissen noch fehlte – auch die einzige Möglichkeit für eine koordinierte Arbeitsteilung zwischen vielen tausend bis zu einigen Millionen war zunächst die Machtausübung des Menschen über andere Menschen oder Menschengruppen. Dazu erfand der Kulturmensch die Götter: durch Schöpfungsmythen im kollektiv Unbewussten einprogrammierte, künstliche Archetypen, um aus Menschen willige „Arbeitsameisen“ (Untertanen) zu machen. Eine solche frühe Kultur, eine zentralistische Planwirtschaft noch ohne liquides Geld (Ursozialismus bzw. Staatskapitalismus), war z. B. das vorantike Ägypten der Pharaonen, in der der einfache Arbeiter noch kein selbständig denkender Mensch war, sondern ein beliebig austauschbarer Leibeigener des Pharao. Der einfache Arbeiter dachte sich aber nichts dabei, verrichtete die ihm zugewiesene Arbeit und ließ sich mit einem Häufchen Getreide pro Tag füttern, denn er hatte keine Vergleichsmöglichkeit. Aufgrund der Programmierung seines Unterbewusstseins war er nicht in der Lage, sich ein anderes und besseres Leben, das er hätte begehren können, überhaupt vorzustellen.

    Das Bewusstsein des Menschen arbeitet mit Worten und Zahlen, das Unterbewusstsein mit Bildern und Metaphern. Das Unterbewusstsein lässt sich programmieren und damit der Kulturmensch durch selektive geistige Blindheit an eine noch fehlerhafte Makroökonomie anpassen, indem elementare makroökonomische Zusammenhänge mit archetypischen Bildern und Metaphern exakt umschrieben und diese dann mit falschen Assoziationen und Begriffen verknüpft werden, an die der Untertan glaubt. Der Glaube an die falschen Begriffe erzeugt eine geistige Verwirrung, die es dem Programmierten so gut wie unmöglich macht, die makroökonomische Grundordnung, in der er arbeitet, zu verstehen; noch weniger kann er über die Makroökonomie, die in den Grundzügen seine Existenz bestimmt, hinausdenken. Diese Technik, die in früheren Zeiten – etwa bis zum 6. vorchristlichen Jahrhundert – noch eine exakte Wissenschaft war und die nur von eingeweihten Oberpriestern betrieben werden durfte, nennt sich „geistige Beschneidung von Untertanen“, bzw. Religion = Rückbindung auf künstliche Archetypen im kollektiv Unbewussten. Auch das, was heute „moderne Zivilisation“ genannt wird, entstand aus der Religion:

    Macht oder Konkurrenz

  4. Raphael Fellmer ist kein Mitbegründer von Foodsharing e.V. Zwar nur eine Nebensächlichkeit, die einer vom anderen abschreibt. Nur dadurch wird es nicht zur Tatsache. Raphael Fellmer leistet unendlich viel auch und gerade für Foodsharing,
    aber zu deren Gründern gehölrt er eben nicht.

  5. Danke für den Hinweis – ich habe es nicht abgeschrieben, sondern gehört. Von wem, weiß ich nicht. Aber ich werde es entsprechend korrigieren….

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