Entgrenzung – Blurring boundaries – Filter Bubble | Exit?

Die Überschrift verrät es schon: Das ist der Plot, den wir bisher verfolgt haben. Wir wollen ihn nun, nach dem Thema „Filter Bubbles“ (vorerst) abschließen. Denn in unserem letzten Beitrag auf diesem Blog wollen wir uns mit einem Thema befassen, das man pointiert auf die Formel der „Begrenzung der Entgrenzung“ bringen kann. Unsere bisherigen Posts drehten sich in der einen oder anderen Weise um verschwimmende Grenzen – in räumlicher, sozialer und zeitlicher Hinsicht, um ein Verschwimmen, das in den letzten Jahren immer wieder mit dem so genannten jüngeren Medienwandel in Verbindung gebracht wird.

Seit einigen Jahren mehren sich die Hinweise darauf, dass die ‚Fortschrittslogik‘ eines ökonomisch motivierten und technisch verfolgten Innovationsdrucks zumindest in Teilen und mit jeweils bestimmten Interessen in Kritik gerät. Zunehmend stoßen wir auf Gegenentwürfe zu „always on“ oder „big data“, die sich im Alltagshandeln von Usern, in Geschäftsmodellen und Produktstrategien und auch in öffentlichen Debatten beobachten lassen. Nun kennen wir ja aus der Geschichte bereits regelrecht eruptive Attacken auf technische Neuerungen und deren erwartete Folgen, beispielsweise den prominenten Maschinensturm im 19. Jahrhundert. Der Charakter heutiger Problematisierungen hat sich allerdings verändert. Kritiken, Gegenentwürfe und Maßnahmen vollziehen sich, sehen wir einmal von diesem Beispiel ab, eher still und werden in weiten Teilen von kommerziellen Interessen eingeholt. Neben den verschiedenen Mediatisierungstendenzen, wie sie unter Schlagworten wie „Vernetzung“, „Beschleunigung“ oder „Verdatung“ auftauchen, deuten sich entsprechend Gegentendenzen an, oder, wie wir das bislang etikettieren, Tendenzen einer „De-Mediatisierung“. Wenn, wie auch Urs Stäheli das beschreibt, die „Diagnosen der Übervernetzung lauter“ (Stäheli 2013, S. 5) werden, dann geraten damit nun Phänomene der Entnetzung, der Entschleunigung und der Entdatung in den Blick.

Dies nun ist bislang noch recht abstrakt. Deshalb wollen wir einige konkrete Beispiele nennen, um unsere Feststellung zu veranschaulichen. Dazu müssen wir zuerst einmal das Feld ordnen und können dabei u. a. unterscheiden in:

  • Alltagspraktiken, die sich z. B. auf Praktiken des Blockens oder Filterns von Informations- und Kommunikationsströmen, bis hin zum ‚digitalen drop-out‘ erstrecken.
  • Geschäftsmodelle und Produktstrategien, in deren Zentrum z. B. die so genannten „ephemeren Daten“ oder die nicht mehr zentral-serverseitige Speicherung von Daten stehen, womit Dritte die Kommunikation und Information nicht mehr archivieren sollen, sondern, womit Daten selbst-destruktiv angelegt sind. Beispiele finden sich etwa in „Snapchat“, „Telegram“ oder „Wickr“.
  • Öffentlich und politisch geführte Debatten, die sich vor allem im Zusammenhang der verhandelten Rechtsprechung finden. Beispiele sind das unlängst vom EU-Gerichtshof gegenüber Google durchgesetzte „Recht auf Vergessenwerden“.

“He just really prefers to live in the present” – so beschreibt eine Unternehmenssprecherin das Vorgehen des CEO’s von „Snapchat“, der unlängst seinen gesamten Twitter-Account gelöscht hat. Sicher ist dies für den Geschäftsführer der bekanntesten „ephemeral messaging“-App eine auch marketingstrategisch erfolgsversprechende Aktion. Aber es handelt sich eben nicht nur um einen Marketing-Gag, sondern um eine medienbezogene Praktik, die sich bei Teenagern in der einen oder anderen Form bereits etabliert hat. Im Kern geht es darum, die Kontrolle über die eigene Adressierbarkeit und, damit verbunden, über personenbezogene Daten zurückzugewinnen. danah boyd nennt das „whitewalling“, und Michael Ducker spricht von einem „super-logoff“. Noch vor wenigen Jahren wiesen Studien zur „self awareness“ und „Selbstoffenbarung“ persönlicher Daten im Internet auf das Paradox hin, dass Menschen, insbesondere Jugendliche, um ‚ihre’ Datenspuren zwar wissen, trotzdem allerdings ‚naiv’ den Routinen und den subjektiven Vorzügen des Medienhandelns folgen und eher selten auch praktische Vorkehrungen treffen. Dies ist nicht nur ein kleines Beispiel für das, was uns unter dem Schlagwort der Demediatisierung interessiert. Für uns verfestigt sich zunehmend der Eindruck, dass sich Alltagspraktiken, gewissermaßen zeitversetzt, aber im Takt des anhaltenden Medienwandels ständig verändern, sich also verfestigen, wieder lösen und wieder verfestigen. Und macht es u. E. durchaus notwendig, dass wir auch solchen vergleichsweise jungen Phänomenen durchaus gegenwartsorientiert Aufmerksamkeit schenken.


Wir möchten uns an dieser Stelle von den Lesern des DGS Blogs verabschieden und allen Diskusionsteilnehmenden danken. Wir hoffen, es ist uns gelungen, die Faszination, die uns beide für diese Themen eint, zumindest ein wenig an einige von Ihnen weiterzutragen. Vor allem aber gilt unser Dank schließlich der DGS, die uns den Freiraum gegeben haben, genau dies zu versuchen.

In diesem Sinne:

BlogEndeAus

Ein Gedanke zu „Entgrenzung – Blurring boundaries – Filter Bubble | Exit?“

  1. Hallo: Gut,daß Sie sich nun verabschieden. Soziologisch gelungen ist Ihnen imo weniger als nix. Gruß, Harry

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