Auf dem Weg nach Bamberg…

 

Soziologische Beobachtungen haben in aller Regel einen bestimmten Anlass – eine Forschungsfrage oder eine Problemstellung. Nimmt man sich nun vor, den 38. Soziologie-Kongress der DGS in Bamberg zu beobachten, dann wird eine spezifische Fragestellung umso notwendiger, denn es handelt sich um eine 5-tägige Veranstaltung mit etwa 2000 Teilnehmenden, mit etlichen Vorträgen von hunderten Personen, die zu beobachten wären. Naheliegend wäre es, sich zu fragen, was denn diesen Kongress von anderen Veranstaltungen unterscheidet. Den Vergleichshorizont könnten etwa 70 Tagungen und Kongresse bilden, an denen ich im Jahr 2016 bereits teilgenommen habe. Dabei handelte es sich um ganz unterschiedliche Vergleichsveranstaltungen, darunter etwa jene von Fachgesellschaften (u.a. Erziehungswissenschaft und Psychologie), Universitäten und Instituten im In- und Ausland (u.a. Israel, Kanada, Indien), Verbänden, Unternehmen, Kommunen, Ministerien und Parteien. Fast alle hatten gemein, dass – auf extrem unterschiedlichem Niveau – Fragen rund um das Themenfeld „Flucht“ aufgeworfen wurden. Und an dieser Stelle könnte man meinen, dass die Soziologie auf ihrer Hauptveranstaltung, zumal unter dem Rahmenthema „Geschlossene Gesellschaft“, hier die entscheidenden Fragen in unnachahmlicher Weise aufwirft und bearbeitet. Dieser Erwartung könnte man gegenüberstellen, dass man mit gutem Willen auf (vielleicht) eine Hand voll Veranstaltungen in den letzten Jahren verweisen könnte, in denen das Themenfeld „Flucht“ ernsthaft diskutiert wurde. Dieser Befund ist umso bemerkenswerter, wenn man bedenkt, dass die letzten Kongressthemen – aus heutiger Perspektive – genauso gut in die derzeitige Flüchtlingssituation gepasst hätten („Routinen der Krise – Krise der Routinen“, „Vielfalt und Zusammenhalt“, „Transnationale Vergesellschaftungen“).

Auf einige, in der Gesellschaft als Krise diskutierte Situationen (etwa durch PISA oder die Agenda 2010 ausgelöst) konnte die deutsche Soziologie vergleichsweise souverän reagieren. Auf andere, etwa die Finanzmarktkrise, eher vorsichtig und defensiv. Wie wird es mit der aktuellen Situation rund um Flucht und Flüchtlinge aussehen? Wenn das derzeitige Topthema durch die Soziologie schon nicht als solches antizipiert wurde – was sie nicht notwendigerweise muss, auch wenn viele gesellschaftliche Akteure dies erwarten, insbesondere auch deshalb, weil die Soziologie nicht selten „ihrer“ Zeit voraus war – so darf man durchaus den Anspruch stellen, dass nun Reaktions- und Anpassungsvermögen ihre (häufig genug in Zweifel gestellte) gesellschaftliche Legitimation begründen. Gerade auch deshalb, weil auf dem vergangenen Kongress in Trier mehrfach mit Nachdruck auf die Relevanz von sowohl Öffentlicher Soziologie als auch gesellschaftlich relevanter empirischer Forschung hingewiesen wurde.

Die Beobachtungsfrage könnte also lauten: Auf welchem Niveau kann die deutsche Soziologie, der zweifelsfrei die umfassendsten Werkzeuge für breite Zugänge und mehrperspektivische Analysen zur Verfügung stehen, hier die zentralen Fragen bearbeiten? Umfassende Begriffe mit globaler Reichweite (etwa Grenzen, Nationalstaat, Menschenrechte) sowie konkrete Analysen zu Befunden und Herausforderungen im Hinblick auf Bildungschancen, Arbeitsmarktintegration, Sozialstaat, Stadtentwicklung, Rassismus und Diskriminierung, rechtsextremen Terrorismus, abweichendem Verhalten, Radikalisierung usw. können (und sollten) aufgeworfen werden. Vom Prinzip her könnte sich jede Sektion von der aktuellen Situation irritieren lassen. Im Kongressprogramm sehe ich nicht alle diese drängenden Fragen repräsentiert, aber immerhin doch einige. Und auch die Auswahl der Keynotes (und ihrer Sprecher) geben Anlass zur Hoffnung. Ich bin gespannt und melde mich wieder…