Andreas Diekmann hat in einem Artikel in der Süddeutschen Zeitung [1] kurz vor dem letzten Soziologiekongress die provokante These aufgestellt, die Soziologie müsse sich ganz neu erfinden. Nanu, möchte man sagen, hundertzwanzig Jahre Soziologie einfach in die Tonne treten und neu starten? Was steckt dahinter? Als wichtigstes Argument führt Diekmann die technologische Entwicklung an, die inzwischen zu informatischen Strukturen geführt hat, in denen nahezu alle menschlichen Aktivitäten in Echtzeit Datenspuren erzeugen. Die Medien, die Wirtschaft und zunehmend auch die Wissenschaft sprechen dann von Big Data – eine wohl nicht ganz zufällige Anähnelung an die alte Dystopie vom Big Brother. Freizeitsportlerinnen messen ihre Leistungen und körperlichen Zustände, Kunden ergattern mit Payback-Karten geringfügige Rabatte und zahlen dafür mit ihren Konsumdaten, Strom- und Heizenergiezähler sammeln zunehmend auf digitalen Wegen Verbrauchsinformationen etc. So kommen „Big Data, Big Misunderstanding?“ weiterlesen
Monat: November 2017
Was für eine Wissenschaft soll die Soziologie sein?
Die sogenannte „Akademie für Soziologie“ verpflichtet sich der Gesellschaft gegenüber vor allem darauf, eine bestimmte Leistung zu erbringen: Sie will dem steigenden Bedarf nach „verlässlichen Informationen sowie praktischen Handlungsempfehlungen“ [1] nachkommen. Und sie will das unter „Anwendung kontrollierter wissenschaftlicher Methoden“, basierend auf „klar und präzise formulierten Theorien“ und unter Einsatz von „Replikationen“ erreichen. Doch soll das der Kern der Wissenschaftlichkeit unseres Faches sein? Wirklich? Was macht Forschen zu wissenschaftlichem Forschen? Es sind nicht Daten, nicht Gesetze, nicht Normen, die wissenschaftlichen Fortschritt hervorbringen. Nein, es ist das Argument. Es geht um „Was für eine Wissenschaft soll die Soziologie sein?“ weiterlesen
Mit einem Auge ist man halb blind: Von Einheit und Uneinigkeit der Soziologie
Prolog
Ich habe ein durchaus emphatisches Verhältnis zu meinem Fach, der Soziologie. Meines Erachtens ist sie – neben der Sozialanthropologie – die Grundlagenwissenschaft für alle mit Sozialität oder Gesellschaftlichkeit verbundenen Fragen und informiert damit auch viele unserer Nachbarfächer, wie Politologie, Erziehungswissenschaft oder empirische Kulturwissenschaft. Zugleich liefert sie differenzierte und reflektierte Diagnosen der Gegenwartsgesellschaften und ihrer Probleme. Daher lässt es mich nicht unberührt, wenn eine Gruppe von Vertreterinnen und Vertretern unseres Faches den Begriff für sich reklamieren und ihn dabei inhaltlich so ausdünnen, dass – wie ich behaupten möchte – wesentliche Leistungen und zentrale Funktionsweisen der Soziologie als akademischer Disziplin verloren zu gehen drohen. Um Schaden vom Fach Soziologie in Deutschland abzuwenden, bedarf es dringend einer gründlichen Debatte über einige inhaltliche Grundfragen, aber auch über professionspolitische Strategien. Eine Debatte, die ich mit diesem Blog anstoßen möchte, von der ich mir aber wünsche, dass viele „Mit einem Auge ist man halb blind: Von Einheit und Uneinigkeit der Soziologie“ weiterlesen