Seit fünf Tagen gelten bundesweit neue Maßnahmen im Umgang mit dem Corona-Virus. Statt eine Ausgangssperre zu verhängen, haben sich Bund und Länder am Sonntag auf ein erweitertes Kontaktverbot verständigt. Geltungsdauer: mindestens zwei Wochen. Seither ist es nur noch erlaubt alleine bzw. höchstens mit einer Person (außerhalb der Familie) nach draußen zu gehen.
#StayAtHome ist und bleibt die Devise, um die Verbreitung des Virus einzudämmen.
Mit der Einführung des Kontaktverbots verbindet sich zusätzlich die Schließung von Gastronomiebetrieben in Bundesländern, in denen wie in Berlin bislang noch die 1,5-Meter-Abstandsregelung gegolten hat. Schließen mussten ebenso Dienstleistungsbetriebe im Bereich der Körperpflege, in denen eine physische Distanz praktisch nicht einzuhalten ist.
Wie sich die Ausgangsbeschränkungen im Stadtbild ausdrücken, zeigen Aufnahmen wie diese aus Frankreich, Italien oder Spanien. Aber selbst ohne offizielle Ausgangssperre sind die öffentlichen Plätze hierzulande ebenso wie leergefegt.
Nur auf den Straßen im eigenen Kiez sieht man noch relativ viel Bewegung bei schönstem Frühlingswetter: Joggende, Einkaufende, Eltern mit Kinderwagen, Einzelgänger oder Paare auf einem regelkonformen Spaziergang. Wenn man mit ihnen diese Tage ins Gespräch kommt, spürt man immer wieder die Erleichterung darüber, dass der Gang nach draußen nach wie vor erlaubt ist. Doch schwingt bei jedem zufälligen Treffen auf der Straße ein latent schlechtes Gewissen mit, da alle wissen, dass es noch besser wäre, das Haus möglichst gar nicht zu verlassen.
Jeder Small Talk auf der Straße ist daher nicht nur distanziert aufgrund der gebotenen physischen Abstandssicherung, sondern auch in gewisser Weise gehetzt. Dies steht im Kontrast zu der Tatsache, dass das öffentliche Leben nahezu still steht. Wo zuvor noch geschäftiges Treiben war, haben die meisten Einzelhandelsgeschäfte und Dienstleister spätestens seit Montag geschlossen.
Die Frage im Kleinen wie im Großen ist, wird die Gesellschaft noch die gleiche sein, wenn die Corona-Krise vorbei ist? Wann ist sie vorbei? Was bleibt?
Auf diese virulenten Fragen gibt es momentan noch keine Antwort. Es herrscht eine noch nie dagewesene Unsicherheit, nicht zuletzt in wirtschaftlicher Hinsicht für den Handel und viele Solo-Selbständige. Die Hinweisschilder der kleinen Geschäfte, die sich damit auf unbestimmte Zeit von ihrer Kundschaft verabschieden, bezeugen das. Ein Schaufensterbummel gibt somit Einblick in die gesellschaftliche Stimmungslage während der Corona-Krise. [i]
Manche Geschäfte geben auf ihrem Hinweisschild ein vorläufiges Enddatum der Schließzeit an. Andere haben digitale Lösungen parat und bewerben ihr Online-Angebot. Wieder andere setzen auf solidarische Nachbarschaft, damit der sogenannte Lieblingsort weiter existieren kann. [ii]
Dass so mancher Laden in der Nachbarschaft bereits jetzt schon fehlt, bezeugen die angehefteten Mitteilungen der Stammkundschaft.
Einige Restaurants haben auf Lieferservices umgestellt, ihre Werbung dafür ist mehr oder minder offensiv. Nur wenige gastronomische Einrichtungen wie Kaffee-Shops realisieren mit einem neuen Tresen hinter der Eingangstür einen Abverkauf vor Ort.
Die meisten Restaurants und Cafés haben jedoch komplett zugemacht – mit dem Hinweis auf die Senatsverordnung, mit vorläufigem Ablaufdatum versehen oder ganz ohne Notiz. Welche Strategie sich für einen kleinen Betrieb am Ende rentiert, wer am Ende überlebt, ist offen, genauso offen wie das Ende des Shut-Downs. Relativ sicher aber ist, dass der inzwischen verabschiedete Rettungsschirm der Bundesregierung mit Soforthilfen aus dem Nachtragshaushalt von rund 156 Milliarden Euro nicht alle (kleinen) Betriebe retten kann.
Von den Gefahren für die Wirtschaft ist aktuell viel zu lesen und zu hören, aber noch relativ wenig zu sehen. Das Straßenbild hat sich bislang hier kaum verändert. Tische und Stühle der Restaurants und Cafés stehen vielfach noch draußen, ganz so, als würde sich gleich wieder jemand hinsetzen.
Dieser Blick auf die Straße weckt die Assoziation an das Märchen Dornröschen, der routinierte Alltag ist plötzlich eingefroren. Die bildhaften Abweichungen stellen sich wohl erst mit der Zeit ein, je länger der Ausnahmezustand andauert – wie hoch auch immer die Dornenhecke am Ende wächst, um im Bild zu bleiben. Dass sich bereits subkutan zahlreiche Veränderungen ergeben haben, spürt man daran, dass bestimmte Rituale und Gewohnheiten inzwischen abgelegt sind.
In den sozialen Medien werden derzeit Wünsche und Erinnerungen gesammelt, welche Erlebnisse am meisten vermisst werden, um sie im Danach mit Freude wiederaufzunehmen. Doch einige Traditionen scheinen aus der derzeitigen Wahrnehmung heraus fast gar nicht mehr fortsetzbar. Dazu gehört z.B. das reguläre Kiezfest. Ein Foto davon bildet das letzte Bild hier unten im Blog, das von der Gegenwart nur einige Monate entfernt ist, doch jetzt der fernen Vergangenheit anzugehören scheint.
Dass der Anblick bereits befremdlich ist, lässt erahnen, wie tiefgreifend die Nachwirkungen dieser Pandemie sein werden.
[i] Eine Fotodokumentation wie diese bringt, so die Hoffnung, das Medium Blog weiter zur Entfaltung, auch zu Forschungszwecken.
[ii] ‚Lieblingsorte‘ ist eine Berliner Nachbarschaftsaktion, um kleine Läden, Theater, Clubs, Museen, Restaurants und Cafés vor der Insolvenz zu retten. Auf der Plattform kann man ab sofort Gutscheine kaufen für die Zeit nach der Wiedereröffnung.