Kriege, Kriegsgesellschaft, Zeitenwende

Beitrag 11: Zivilgesellschaft im Krieg (I) – Die USA 1940/41

„Zivilgesellschaft im Krieg“ beschreibt eine Konstellation, bei der eine (demokratische) Zivilgesellschaft eine (kämpfende) Kriegsgesellschaft unterstützt (in der Regel bei der Abwehr einer Aggression). Diesen Typus finden wir im 20. Jahrhundert in Europa kaum vor. Eine Ausnahme war Schwedens Unterstützung im russisch-finnischen Winterkrieg vom 30. 11. 1939 bis 13. 03. 1940, mit Waffen und Munition und auch Freiwilligen, die auf der Seite Finnlands kämpften. Seit den 1950er Jahren waren die meisten europäischen Staaten in die Militärblöcke der NATO oder des Warschauer Pakts integriert. Die neutralen Staaten beteiligten sich nicht in irgendeiner Weise militärisch an Kriegen und fühlten sich nicht von außen bedroht. Anders die USA: In der Zwischenkriegszeit isolationistisch und strikt neutral, unterstützten sie seit August 1940 das von Hitler-Deutschland bedrängte Großbritannien mit Waffen und Munition, ähnlich wie gegenwärtig Deutschland und andere demokratische Staaten die Ukraine gegen die russische Aggression unterstützen. Sie bilden somit einen interessanten Vergleichsfall zu aktuellen Ereignissen und Entwicklungen in Europa.

  1. Isolationismus und Neutralität – Die USA in der Zwischenkriegszeit als „reine Zivilgesellschaft“
  2. 5. Mai 1940: Churchill bittet Roosevelt um Waffenhilfe gegen Hitler
  3. Roosevelt: „Wir müssen das große Arsenal der Demokratie sein“
  4. 7. bis 11. Dezember 1941: Japans Überfall auf Pearl Harbour, Deutschlands Kriegserklärung an die USA
  5. Die USA als Zivilgesellschaft im Krieg – Fazit

1.      Isolationismus und Neutralität – Die USA in der Zwischenkriegszeit als „reine Zivilgesellschaft“

Die USA traten 1917 auf der Seite der Entente in den Ersten Weltkrieg ein. Präsident Woodrow Wilson wirkte maßgeblich auf der Versailler Friedenskonferenz von 1919 mit. Doch der US-Kongress lehnte die Ratifizierung des Versailler Vertrags und der Nachfolgeverträge für Österreich, Ungarn und die Türkei ab. Die USA verzichteten sogar auf den Beitritt zum Völkerbund, der auf Initiative ihres Präsidenten zustande gekommen war und für die Zukunft eine friedliche Welt garantieren sollte. Sie entschieden sich stattdessen in der Zwischenkriegszeit für eine isolationistische Politik, um sich aus europäischen Angelegenheiten möglichst herauszuhalten.

Am 31. August 1935 trat ein Gesetz in Kraft, das die Vereinigten Staaten in jedem künftigen Krieg zur Neutralität verpflichtete. Das schloss ein Waffenembargo gegen beteiligte, Krieg führende Staaten ungeachtet amerikanischer Sympathien ein. Bis 1937 wurden weitere vier Neutralitätsgesetze erlassen. Damit sollte einem erneuten amerikanischen Kriegseintritt wie 1917 vorgebeugt werden. Trotz der dramatischen Ereignisse in Ostasien (japanisch-chinesischer Krieg seit 1937) und in Europa beschlossen Repräsentantenhaus und Senat im Juni/Juli 1939, das Waffenembargo gegen alle beteiligten Parteien aufrechtzuerhalten – gegen den Willen der Regierung von Präsident Franklin D. Roosevelt.

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Kriege, Kriegsgesellschaft, Zeitenwende

Beitrag 10: Der Erste Weltkrieg als paradigmatischer Fall kriegsgesellschaftlicher Transformation (IV) – Kriegsgesellschaftliches Dilemma

  1. Kriegsgesellschaftliches Dilemma, theoretisch betrachtet
  2. Die russische Februar-Revolution ist eine Manifestation des kriegsgesellschaftlichen Dilemmas
  3. Das Hindenburg-Programm stärkt das Deutsche Reich zeitweise militärisch, führt aber letztendlich zum Zusammenbruch der Heimatfront
  4. Am kriegsgesellschaftlichen Dilemma zerbricht auch das multiethnische Habsburgerreich
  5. Das kriegsgesellschaftliche Dilemma im Ersten Weltkrieg – Fazit

Große Kriege können eine gewaltige Inklusionsdynamik freisetzen. Das Gefühl der äußeren Bedrohung erzeugt ein affektuelles Gemeinschaftserlebnis, so dass wir von Vergemeinschaftungen im Sinne Max Webers sprechen können. Ein kriegführendes Land stellt sich als patriotische Vergemeinschaftung dar, quasi als (wahrgenommene) Schicksalsgemeinschaft gegen eine Bedrohung von außen, gegen eine „Welt von Feinden“ (Kaiser Wilhelm II). Dieses Vergemeinschaftungserlebnis führt dazu, dass sich interne politisch, soziale und ökonomische Konflikte weitgehend verflüchtigen. Vor allem in den ersten Monaten finden wir in den kriegführenden Ländern eine unvergleichliche Konfliktabstinenz vor (vgl. Beitrag 9). Aber das bleibt nicht so. Die historischen Befunde zeigen, dass in den ersten beiden Jahren des Ersten Weltkriegs innere Konflikte wie Arbeitskämpfe selten sind. In der zweiten Kriegshälfte hingegen nehmen interne soziale Konflikte dramatisch zu. Für alle kriegführenden Länder beobachten wir einen Anstieg an sozialen Protesten und Rebellionen bis hin zu offenen Revolutionen gegen Ende des Ersten Weltkriegs. Die Härte, mit der die Konflikte ausgetragen werden, nimmt gegen Kriegsende zu. Die für den Kriegsbeginn so prägenden patriotischen Vergemeinschaftungen zerbrechen. Warum ist das so? Kriegsgesellschaftstheoretisch betrachtet macht sich hier der Effekt einer Strukturkonstellation bemerkbar, die man als „kriegsgesellschaftliches Dilemma“ bezeichnen kann.

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