Nerds, Nerdettes #4 Die Nerdette (und zerstreute Tatsachen)

Nachdem bisher vor allem der Nerd im Vordergrund meiner Überlegungen stand – auf die Gender-Dimension nicht nur dieser, sondern auch vieler anderer Sozialfiguren wies ich bereits in einem früheren Post hin – wird es heute um die Nerdette gehen. Ich werde heute kein geschlossenes Argument präsentieren, sondern dazu einladen, die Geschlechtsdimension der Nerdiness als weibliche* Seite einer binär codierten Geschlechterunterscheidung (männlich/weiblich) zu debattieren.

Zuvor aber wieder ein Exkurs. Angeregt durch die Kommentare zum ersten und zum zweiten Beitrag würde ich gerne einen Hinweis bezüglich meiner Lesart der Sozialfigur ergänzen, genauer: zum Verhältnis von theoretischem Begriff und dem empirischen Material, das mit diesem Begriff beobachtet wird.

/Leser*innen, die sich dafür nicht interessieren, springen bitte jetzt weiter zum Absatz Nerdettes, Nerdinen, female Nerds/

#Exkurs: Zerstreute Tatsachen und das soziologische Sehnen nach Ordnung#

In den Kommentaren zu den vorhergehenden Beiträgen kristallisierten sich vor allem zwei Fragekomplexe heraus: Erstens die Frage danach, was denn nun wirklich ein Nerd/eine Nerdette sei, wenn offenbar ganz unterschiedliche Adressierungen stattfänden, nerdism positiv und negativ bewertet werden kann, subversiv oder warenförmig vorkommt.

Die zweite Frage schloß hieran an und war die nach der Potenz einer Sozialfigur des Nerd, wenn diese offenbar im empirischen Material zerfasert, so wenig auf eindeutige Attribute „festzuzurren“ ist. Beide Fragen sind wichtig, weil sie das Verhältnis der soziologischen Beobachtungen und Theorien zu empirischen Daten, zum „Feld“ thematisieren.

Zum Verhältnis von empirischen Beschreibungen und Theorie, das in Fragen nach der Präzision und Verallgemeinerbarkeit einer Sozialfigur für n Fälle und ihrer „wirklichen“ Repräsentation in der sozialen Welt immer wieder thematisiert wird, lohnt es sich, Adornos Ausführungen zu Soziologie und empirischer Forschung zu lesen.

Adorno argumentiert nämlich, dass die Übereinstimmung von Theorie und empirischer Beobachtung gar nicht möglich bzw. erst notwendig sei. Adorno schreibt:

„Theoretische Gedanken über die Gesellschaft insgesamt sind nicht bruchlos durch empirische Befunde einzulösen: sie wollen diesen entwischen wie spirits der parapsychologischen Versuchsanordnung. Eine jede Ansicht von der Gesellschaft als ganzer transzendiert notwendig deren zerstreute Tatsachen. Die Konstruktion der Totale hat zur ersten Bedingung einen Begriff von der Sache, an dem die disparaten Daten sich organisieren“ (Adorno 1957: 197).

Ich verstehe das so, dass die Gesellschaft vor allem in der beobachtenden Konstruktion der Soziologie ‚zu sich‘ kommt. Die disparaten Daten organisieren sich anhand theoretischer Unterscheidungen, um historische Betrachtungen, um Begriffe. Am Begriff des Nerd*der Nerdette lässt sich das gut beobachten: Je mehr empirische Daten und je mehr Beispiele in den Kommentaren zum ersten und zweiten Beitrag dem Begriff „nahe kommen“, umso reicher – und zugleich unschärfer wird er! „Derb historisch verlaufen die Daten sich ins Vage“, schreibt Adorno (Theodor W. Adorno 1970: 11).

Adorno favorisiert aber keinesfalls eine Soziologie ohne Empirie:

„Will Theorie aber nicht trotzdem jenem Dogmatismus verfallen, über dessen Entdeckung zu jubeln die zum Denkverbot fortgeschrittene Skepsis stets auf dem Sprung steht, so darf sie dabei nicht sich beruhigen. Sie muß die Begriffe, die sie gleichsam von außen mitbringt, umsetzen in jene, welche die Sache von sich selber hat, in das, was die Sache von sich aus sein möchte, und es konfrontieren mit dem, was sie ist. Sie muss die Starrheit des hier und heute fixierten Gegenstandes auflösen in ein Spannungsfeld des Möglichen und des Wirklichen: jedes von beiden ist, um nur sein zu können, aufs andere verwiesen.“ (ebd.)

Wenn Theorie sich von empirischen Daten vollends befreie, verliere sie ihren Erkenntniswert genauso, als wenn sie sich konkretistisch als Hypothese ausgebe (ebd.: 198f.). Eine kritische Betrachtung der Gesellschaft fürchte sich nicht vor der sozialen Welt, sondern konfrontiere die Sachen – luhmannianisch gesprochen – mit den blinden Flecken ihrer Selbstbeschreibung. Nie hätte bedeutende Gesellschafttheorie „empirische Untersuchungen verschmäht“, sagt Adorno. Als Beispiele führt er u.a. Aristoteles‘ Studie über griechische Städte und die empirischen Studien von Marx und Weber an (Adorno 1969: 540).

Das Verhältnis von Empirie und Theorie ‚ein für allemal‘ zu klären, sollte also aus dieser Sicht nicht im Interesse von Soziolog*innen liegen. Was man von Adorno lernen kann, ist die Variabilität der Daten und die Beteiligung der Wissenschaft an ihrer Konstruktion immer im Auge zu behalten. Sie „zu glätten und zu harmonisieren“ (ebd.: 198) verspricht keinen Erkenntnisgewinn, sondern kommt dem Sieg des eines anti-aufklärerischen Ordnungswunsches über die Soziologie gleich. Die Frage nach der objektiven Verallgemeinerbarkeit einer Sozialfigur, danach, ob sie ‚wirklich‘ alle möglichen Fälle umfasse, darf und soll aus dieser Perspektive vernachlässigt werden. In den Blick geraten statt dessen nicht-harmonisierbare Selbstbeschreibungen, blinde Flecken oder – wie es BlogLeserin in einem Kommentar nannte – ein Gerangel von Konzepten, Idealen und Beschreibungen (Kommentar vom 12.5.13, 00:20).

#Exkurs Ende#Exkurs Ende#Exkurs Ende#Exkurs Ende#Exkurs Ende#

#Nerdettes, Nerdinen, female Nerds

Wie funktioniert nun also die weibliche* Darstellung von nerdiness? Beim Nachdenken über Sozialfiguren wird die Geschlechterdimension meist ausgeblendet, was dazu führt, dass wir Manager, Berater, Politiker und Amokläufer oft unreflektiert als männlich denken. Mag sein, dass sich alle Nerds, ungeachtet des Geschlechts, gleich beschreiben: Das kann aber nur ein Blick in die Empirie und eine Auseinandersetzung mit ‚dem weiblichen Nerd‘ zeigen. In diesem Sinne: Was ist die Funktion einer Selbstbeschreibung als Nerd für weibliche Identitäten?

In der (freilich v.a. männlich dominierten) Netzöffentlichkeit finden sich viele nerdige Selbstbeschreibungen von Frauen. Diese unterscheiden sich in ihrer Darstellung (zumindest auf den ersten Blick) nicht von männlichen Beschreibungen. Nerdige Frauen mögen über dieselben Themen bloggen, wie männlichen Nerds. Sie schreiben vielleicht über Technik, Star Wars, Heavy Metal oder Rollenspiele, bringen sich in die Arbeit des Chaos Computer Club und andere Hacker-Kontexte ein. (Einen Überblick über ’normale‘ nerdige Interessen kann dieses Nerd-Wiki verschaffen, vgl. auch den zugehörigen Kommentar des Verfassers zum ersten Beitrag diesen Kommentar).

In den Berichten über die Gender(in)kompetenzen der Piratenpartei konnte man beobachten, wie diskriminierende Beschreibungen männlicher Nerds durch Medien und politische Gegner auf eine weibliche Beschreibung der nerdiness traf, die sich mit den betroffenen Männern solidarisierte (Siri/Villa 2012: 161ff.). Auf die von ‚außen‘ formulierte Kritik an den Macho-Nerds, die ich im dritten Beitrag beschreibe, reagierten weibliche Piratinnen mit dem empörten Hinweis, auch Nerds zu sein (ebd.): Ein Fall von Undoing Gender via nerdiness? (vgl. Hirschauer 2001)

Zudem wird der Einzugsbereich der nerdiness – wenn man sie denn als eine nicht auf Wertschöpfung gerichtete, obsessive Beschäftigung mit Abseitigem fassen will – erweitert. Es kommen ggf. neue Betätigungsfelder für weibliche* Nerds hinzu: Sind Frauen, die wöchentlich Schminktutorials bei Youtube einstellen, nicht auch nerdy? Unterscheidet sich die exzessive Beschäftigung mit Star Trek von der mit den Gilmore Girls?

Vielleicht ist es hier besonders sinnvoll zwischen female Geeks und ‚allgemeiner‘ nerdiness zu unterscheiden. In einem Kommentar zum zweiten Beitrag hat Fritz Iversen argumentiert, dass die Figur des Nerd nicht ohne den Link zum Technischen zu verstehen sei (Kommentar vom vom 12.5.13, 12:48). Für jene, die erst nun hinzukommen, eine die bisherigen Diskussionen m.E. gut zusammenfassende Beschreibung von t. Den Nerd zeichne folgendes aus:

„Also als eine bemerkenswerte und vielleicht von der Mehrheit der Außenstehenden vor allem in ihrer Intensität als “abnormal” empfundene Hingabe an bestimmte Inhalte. Das ist vielleicht das auffälligste Merkmal. Dazu käme sicher in den meisten Fällen eine hohe Technikbegeisterung und auch Technikakzeptanz und eine hoher Bildungsstand. (Ein Teil der früher sog. Streber würde heute wohl problemlos als Nerds durchgehen).“ (Kommentar vom  5. Mai 2013 um 00:26

Noch immer ist das Vorurteil, dass Frauen sich ’natürlich‘ nicht oder weniger für Technik interessieren als Männer, weit verbreitet. Die sozialwissenschaftliche Geschlechterforschung hat an vielen Feldern gezeigt, dass das was so natürlich aussieht, das Produkt eines aufwendigen gesellschaftlichen Konstruktionsprozesses ist. Man denke nur an die geschlechtsspezifischen Verkaufsstrategien für Kinderspielzeug, die Mädchen mit rosa Glitzerpartikeln und Jungen mit blauem Werkzeug eindecken wollen (vgl. hierzu lehrreiche Beiträge des Kotzenden Einhorns wie diesen). Sind weibliche Nerds also eine späte Chiffre einer um 1900 entstehenden Vergeschlechtlichung der Kultur? (vgl. Bublitz 2000: 44ff.)

Meine erste Annäherung an die Nerdette will ich mit einer Diskussionsthese beschließen: Die These lautet, dass nerdiness weiblichen Identitäten eine Abgrenzung von stereotypen und sexualisierenden Geschlechtererwartungen an Weiblichkeit ermöglicht.

Streberin/Nerd zu sein, mag zwar bedeuten, als Partnerin für ’normale‘ Männer im Sinne einer hegemonialen Männlichkeitskonstruktion (Connell) nicht mehr sichtbar oder attraktiv zu sein. Dies kann einerseits schmerzhafte Ausschlüsse produzieren, andererseits zur Entlastung und Befreiung beitragen. nerdiness bedeutet in diesem Sinne, sich gesellschaftlich als männlich* konnotierte Inhalte anzueignen (bzw. sich gegen ihre Zuschreibung nicht zu wehren), und dadurch dem Korsett dessen, was Frauen sein, leisten, performen sollen, zu entkommen.

Darum ist die Nerdette auch für feministische Akteur*innen nicht uninteressant. Das Missy Magazine, ein feministisches Journal, besitzt bspw. die Kategorie Lieblingsstreberin. (Danke an P. Villa für den Link!) Hier treffen wir zum Beispiel Leslie Winkle aus The Big Bang Theory und Willow Rosenbeg aus Buffy – Im Bann der Dämonen an. Leslie Winkle – die gealterte Darlene aus Roseanne – tritt in der Big Bang Theory als selbstbewusste Physikerin auf, die ihre sexuellen Bedürfnisse ebenso unkompliziert und naturwissenschaftlich reguliert wie ihren Umgang mit den vor allem männlichen Kollegen. Streberhaft-Sein wird als Möglichkeit für eine erfolgreiche weibliche Inszenierung in den Ring geworfen.

Ich will es abschließend am Beispiel Winkles‘ zuspitzen: Das Streberhaft- und Anders-Sein unterscheidet die Nerdette von einer (Hipster-)Frau, die sich nur die Insignien der Nerdette aneignet, sei es die Nerdbrille oder eine karierte Bluse (wie dieser Link von BlogLeserin zeigt). Winkle trägt übrigens meiner Erinnerung nach  weder Brille (?) noch  keine besonders nerdige Kleidung. Die Nerdette ist also eine Frau, die sich ihrer Streberhaftigkeit nicht schämt und sich vor möglichen „Weiblichkeitsverlusten“ durch offenes Zurschaustellung von Begabungen, Anderssein oder gar geistiger Überlegenheit nicht fürchtet. Die Nerdette freut sich über ihre Erfolge und gibt sogar damit an. Während die Darstellung der meisten Serien- und Filmfrauen um die Frage kreist, ob sie einen Freund/Mann hat, findet oder verliert, sucht sich die Nerdette ihre Erfüllung außerhalb der privaten Sphäre. Die Frage, ob sie (k)einen Freund hat, stellt sich nicht (vgl. Kommentar von kasonze am 6.05.13 um 12:34).

Nachtrag: Leslie Winkle trägt durchaus Brillen. Angeblich sogar mal zwei. Danke, Erik Meyer, für den Hinweis.

Leseempfehlungen

Kotzendes Einhorn beschäftigt sich in kurzen und oft polemischen Beiträgen mit Popkultur, Politik und Gender. Kotzendes Einhorn ist auch auf Facebook vertreten.

 

Für all jene, die sich mit feministischer Netzpolitik noch nicht beschäftigt haben, bietet die Seite des Feministischen Instituts Hamburg mit kurzen Artikeln einen sehr guten Einstieg. Einen Überblick über feministische Aktivitäten im Netz gibt Deborah Schmidt. Tanja Carstensen diskutiert die deliberativen Potentiale des Web aus feministischer Perspektive und Kathrin Ganz reflektiert Netzpolitik aus einer queer-feministisch/intersektionalitätstheoretischen Perspektive.

 

Literatur

Adorno, Th. W. (1957): Soziologie und empirische Forschung. In: Soziologische Schriften I. Frankfurt/M.: Suhrkamp, S. 196-216.

Adorno, Th. W. (1969): Gesellschaftstheorie und empirische Forschung. In: Soziologische Schriften I. Frankfurt/M.: Suhrkamp, S. 538-546.

Adorno, Th. W. (1970): Ästhetische Theorie. Gesammelte Schriften Bd. 7. Frankfurt/M.: Suhrkamp.

Bublitz, Hannelore (2000): Zur Konstitution von ‚Kultur‘ und ‚Geschlecht‘ um 1900. In: Bublitz, Hannelore, Hanke, Christiane & Seier, Andrea (Hg.): Der Gesellschaftskörper. Zur Neuordnung von Kultur und Geschlecht um 1900. Frankfurt/New York: Campus, S. 19-87.

Hirschauer, Stefan (2001): Das Vergessen des Geschlechts. Zur Praxeologie einer Kategorie sozialer Ordnung. In: KZfSS Sonderheft 41, S. 208-235.

Siri, Jasmin & Villa, Paula-Irene (2012), Piratinnen – Fehlanzeige Gender?, in: Bieber, Christoph & Leggewie, Claus (Hg.), Unter Piraten. Erkundungen in einer neuen politischen Arena, S. 144-171.

14 Gedanken zu „Nerds, Nerdettes #4 Die Nerdette (und zerstreute Tatsachen)“

  1. „Die These lautet, dass nerdiness weiblichen Identitäten eine Abgrenzung von stereotypen und sexualisierenden Geschlechtererwartungen an Weiblichkeit ermöglicht.“

    Diese These zielt im Prinzip auf die Motivation bestimmter Mädchen und Frauen ab, warum sie zur Selbstbeschreibung auf nerdiness zurückgreifen, nämlich um sich von bestimmten anderen Selbstbeschreibungsformen abzugrenzen. Die Motivation würde also in dem Wunsch liegen sich gegen etwas abzugrenzen, um die eigene Identität zu bestimmen. Eine denkbar schlechte Motivation, wenn es nur darum geht sich als nerdy zu beschreiben, um nicht so zu sein oder zu erscheinen wie die Anderen. Das hieße ja, sich eine bestimmte Selbstbeschreibung zu zulegen nur um seine Ablehnung gegen die Selbstbeschreibungen anderer Personen zu kommunizieren. Das halte ich für wenig plausibel, da es keine positive Bestimmung der eigenen Identität im Sinne, was hat die Selbstbeschreibung eigentlich mit mir (der sich als nerdy beschreibenden Person) zu tun.

    Vermutlich so gut wie niemand beschäftigt sich mit hoch komplizierten Programmiersprachen und ähnlichem nur um seine Ablehnung gegenüber den anderen Personen zu kommunizieren. Ich würde eher vermuten, diese Personen tun das, weil sie Interesse an einer bestimmten Betätigung oder Thema haben und es ihnen Spaß und Freude bereitet sich damit zu beschäftigen. Und das unabhängig von der Frage, ob man sich damit von bestimmten Geschlechterstereotypen absetzen kann. Wenn jemandem etwas Freude bereitet, ist man auch bereit gewisse Nachteile, wie stereotype Fremdbeschreibungen, in Kauf zu nehmen. Zeichnen sich Nerds nicht auch dadurch aus, dass sie wenig Bewusstsein für die Geschlechterdifferenz besitzen? So erscheinen Mädchen mit Jungs-Hobbies weniger attraktiv. Das machen Sie bestimmt nicht, weil sie weniger attraktiv erscheinen wollen, sondern weil die Geschlechterdifferenz wenig Relevanz für ihre Identität besitzt.

    Wenn, dann wäre die scheinbare Abgrenzung gegen Geschlechterstereotype nur ein unintendierter Effekt, den vermutlich als Erster ein anderer Beobachter, der mit der Gender-Brille beobachtet, erkennt. Für Nerds selbst ermöglicht die Nerd-Form vermutlich zu beobachten, dass sich für bestimmte Themen eben nicht nur Männer interessieren, sondern auch Frauen. Dann würde die Beobachtung von Nerds eine Gelegenheit bieten über Geschlechterdifferenzen hinweg Gemeinsamkeiten bei Interessen zu sehen, die vormals als überwiegend männlich galten. Diese nerdigen Interessen stellen sich dann als nicht ganz so männlich raus, wie es das Stereotyp suggeriert. Durch die Entdeckung der gemeinsamen Interessen ergeben sich dann aber auch wieder Möglichkeiten eine Beziehung anzubahnen.

    So würde Nerd als Selbst- & Fremdbeschreibung die Geschlechterdifferenz auf der einen Seite überwinden und auf der anderen Seite die Geschlechterdifferenz betonen, denn diese würde spätestens in der Beziehung dafür wieder umso stärker zum Tragen kommen – sofern man über heterosexuelle Beziehungen spricht, bei homosexuellen Beziehungen stellt sich das Problem der Geschlechterdifferenz logischerweise nicht.

    Durch den obigen Text entsteht außerdem der Eindruck, Nerds hätten kein Interesse an Beziehungen zum anderen Geschlecht. Das wage ich zu bezweifeln und trifft nicht mal auf die erwähnte Leslie Winkle aus „The Big Bang Theory“ zu. Hatte sie nicht eine Beziehung zu Leonard? Ironischerweise verkehrte sich in ihrer Beziehung die Rollenverteilung. Leslie übernahm den männlichen Part, weil sie sich einfach das nahm, was sie brauchte um ihre Bedürfnisse zu befriedigen – in diesem Fall Leonard – und Leonard übernahm den weiblichen Part, da er eigentlich an einer romantischen Beziehung mit Leslie interessiert war. Auch dies ein Fall, in dem die Geschlechterdifferenz auf der einen Seite aufgehoben wird und sich dadurch umso stärker in der Beziehung bemerkbar macht.

  2. Ich frage mich, ob es Nerds in Frauengestalt wirklich gibt, oder ob „Informatik-affine“ Frauen allermeistens gerade nicht nerdig sind, selbst wenn sie von ihrem Computerverhalten und ihrem Internet-zentrierten Lebensstil her den Male-Nerds ähneln. Der Grund ist, dass es Female-Nerds selten schaffen, mit dieser sozial-emotionalen Inkompetenz zu glänzen, die für Male-Nerds charakteristisch sein soll. Es hat daher wohl auch kaum jemand überrascht, als vor wenigen Tagen die Meldung rund ging, dass SAP hunderte Autisten einstellen will, offenbar weil die als Profi-Nerds hervorragend zu gebrauchen sind. Der Nerd als habitueller Halb-Asperger – wurde der schon als Frau gesehen? Ich glaube nicht. (Passt vllt vorderhand nicht in die vorherrschende Gender-Lehrmeinung, wäre aber vielleicht ein Ansatzpunkt für die Forschung – Genderspezifische Beziehungsgestaltung von Male & Female Nerds – gibt’s das?) Es könnte aber auch sein, dass die soziale Inkompetenz des Nerds nur eine mediale Zuschreibung ist, also ein reines Fremdbild. Dann ist es gerade andersherum: Das Umfeld ist zu faul, sich auf den Nerd und sene Themen einzulassen – dann wären nicht die Nerds, sondern die Nicht-Nerds die sozial Inkompetenten, weil sie diese angeblich seltsamen computeraffinen „Figuren“ ausgrenzen und sich über sie in Fernsehserien lustig machen. Das wäre also eine klassische Integrationsproblematik – integrieren und integrieren lassen.

  3. Lieber Beobachter der Moderne, lieber Fritz Iversen,

    danke für die Kommentare und eine Entschuldigung (an den Beobachter) dafür, dass ich erst jetzt antworte. Ich brauche dafür immer etwas Muße und die habe ich im Alltag nicht immer. Aber Sie sehen, dass ich es nicht vergesse. Ich freue mich nämlich immer sehr über die Diskussionen, die hier angestoßen werden. Ich antworte im Folgenden ihren Kommentaren versammelt.

    „Wenn, dann wäre die scheinbare Abgrenzung gegen Geschlechterstereotype nur ein unintendierter Effekt, den vermutlich als Erster ein anderer Beobachter, der mit der Gender-Brille beobachtet, erkennt. Für Nerds selbst ermöglicht die Nerd-Form vermutlich zu beobachten, dass sich für bestimmte Themen eben nicht nur Männer interessieren, sondern auch Frauen.“

    Das ist eine wirklich feine Beobachtung. Sie haben Recht, dass man sich „gender trouble“ nicht so vorstellen darf, dass sich eine Person denkt, „Ha, heute tu ich mal was gegen Geschlechtsstereotype!“ – Das gibt es auch, in aktivistischen Kreisen zum Beispiel, ist aber sicher nicht die Regel.

    „So würde Nerd als Selbst- & Fremdbeschreibung die Geschlechterdifferenz auf der einen Seite überwinden und auf der anderen Seite die Geschlechterdifferenz betonen, denn diese würde spätestens in der Beziehung dafür wieder umso stärker zum Tragen kommen.“
    Auch daran habe ich in diesem Zusammenhang noch gar nicht gedacht. Jetzt kommt mir all die Literatur zu Hausarbeit und Alltag oder Geld und Liebe (zum Beispiel von Christine Wimbauer) in den Sinn. Ich bin mir gar nicht sicher, inwiefern Frauen* in bspw. Hackerforenkontexten oder Gamer-Kontexten überhaupt als solche erkannt werden. Ich hatte da mal selbst so eine lustige Situation, dass mir 4 Aktivisten in einem Chat einfach nicht glaubten, dass ich „wirklich ein Mädchen“ sei. „There are no girls here. Are you really a girl? Really?“ Auch andere Frauen haben mir berichtet, dass einfach davon ausgegangen wird, sie sind männlich (selbst ein weiblicher Avatar-Name muss da nicht weiterhelfen).

    „Durch den obigen Text entsteht außerdem der Eindruck, Nerds hätten kein Interesse an Beziehungen zum anderen Geschlecht.“
    Nicht so intendiert, da habe ich mich wohl nicht klar genug ausgedrückt… Mir ging es vielmehr darum, dass bspw. Leslie Winkle sich nicht über ihre Beziehung zu Männern definiert. Wenn man sich Serien und Filme aus Genderperspektive anschaut, dann sieht man, dass das noch immer ein ganz typisches Schema der Weiblichkeitsdarstellung ist. Besonders amüsant hierzu die Videos von Feminist Frequency, anbei zwei meiner liebsten: http://www.youtube.com/watch?v=bLF6sAAMb4s
    http://www.youtube.com/watch?v=opM3T2__lZA

    Nun zum Kommentar von Fritz Iversen. Das ist ein ganz wichtiger Hinweis, danke. Es gibt einen naturalistischen Diskurs, der Autismus als „richtig männlich sein“ beschreibt. Und daher scheint es, dass weibliche Autistinnen viel weniger sichtbar sind, als männliche. So werden Frauen wohl seltener als Autistinnen diagnostiziert als Männer, auch wenn sie sich „gleich“ benehmen. Es gibt hierzu durchaus Literatur und auch Versuche, weiblicher Autistinnen, mehr Sichtbarkeit zu erlangen. Mercedes Bunz schreibt: „Wenn die Frau noch im 19. Jahrhundert über eine Krankheit, die Hysterie, definiert wurde, dann wird die Essenz der Männlichkeit heute ebenso als Krankheit definiert, nämlich als Autismus.“ Gestern habe ich in einer Diskussion mit Kolleginnen außerdem gelernt, dass der Direktor des Zentrum für Autismusforschung in Cambridge die Theorie vertritt, Autismus sei männlich. (auch dazu Bunz unter 5. http://www.mercedes-bunz.de/theorie/feminismus/).

    Deutlich wird also, wie die Konstruktion einer Zweigeschlechtlichkeit vorgenommen wird, die dann so plausibel erscheint, dass sie nicht mehr hinterfragt werden muss.

    Danke Ihnen beiden für die Ergänzungen. Ich hoffe sehr, viele Leute lesen die tollen Kommentare.

    1. Liebe Frau Siri,

      danke für Ihre Antwort und machen Sie sich keine Gedanken. Wie heißt es so schön: Geduld ist die größte Tugend.

      „Sie haben Recht, dass man sich “gender trouble” nicht so vorstellen darf, dass sich eine Person denkt, “Ha, heute tu ich mal was gegen Geschlechtsstereotype!” – Das gibt es auch, in aktivistischen Kreisen zum Beispiel, ist aber sicher nicht die Regel.“

      Mir ging es gar nicht so sehr um Geschlechterstereotype, sondern um die Überwindung der Geschlechterdifferenz selbst. Man könnte auch vom Absehen geschlechtsbezogener Beobachtungsschemata sprechen. Das kann man machen. Ich wollte darauf aufmerksam machen, dass die Nerd-Form möglicherweise solch ein Schema ist, mit dem man von geschlechtsbezogenen Unterschieden absehen kann. Das läuft jedoch nicht darauf hinaus, dass es keine geschlechtsbezogenen Unterschiede mehr geben wird. Um es etwas plastischer auszudrücken, wenn man geschlechtsbezogenen Differenzen aus dem Sichtfeld verbannt hat, läuft man Gefahr, dass die einem unversehens wieder in den Rücken fallen. Sie liefern selbst ein schönes Beispiel. Nach ihrer Schilderung scheint es bei Hackern so etwas wie eine implizite Geschlechtertrennung zu geben (Hacker = männlich bzw. nicht weiblich). Geschlechtertrennung ist auch eine Möglichkeit Geschlechterdifferenzen zu eliminieren. Dumm nur wenn sich rausstellt, dass die Erwartung (Hacker = nicht weiblich) nicht gerechtfertigt ist.

      Mithin scheint mir das eine spezifisch moderne Entwicklung zu sein: die Enttäuschung althergebrachter Geschlechterstereotype. Plötzlich werden an Frauen ihre männlichen Seiten beobachtet und umgekehrt an Männern ihre weiblichen Seiten. Nebenbei bemerkt, hat man es hier mit einem re-entry zu tun. Das wurde für mich auch beim Schauen der Videos deutlich. Dabei kam bei mir dir Frage auf, wie spezifisch weibliche Heldenrollen aussehen könnten? Hier wird auch gerade durch Film- & Fernsehen – wenn auch nicht flächendecken, aber wenn, dann sehr deutlich – vor Augen geführt, dass die weiblichen Helden den männlichen immer ähnlicher werden (z. B. Alien, Jackie Brown, Perdita Durango, Star Trek Voyager). Genau dasselbe Phänomen zeigt sich sobald man sich Frauen in Führungspositionen genauer anschaut. Das legt die Vermutung nahe, dass die vormals mit Männern assoziierte Heldenrolle möglicherweise geschlechterunabhängige Eigenschaften beschreibt, über die man verfügen muss, um bestimmte Probleme oder Herausforderungen zu lösen. Aktuell liegt in den Massenmedien der Fokus mehr auf der Übernahme von erfolgreichen, männlichen Kommunikationsweisen durch Frauen. Was jedoch nicht heißen muss, dass nicht auch Männer erfolgreiche Kommunikationsstrategien von Frauen übernehmen können. Diese Entwicklung wird u. a. in feministischen Beobachtungen von Männern als das neue schwache Geschlecht reflektiert. Man könnte allerdings zu bedenken geben, ob es wirklich eine positive Entwicklung ist, wenn eine vormals vor allem Frauen zugeschriebene Stärke (emotionale Kompetenz) bei Frauen verloren geht.

      Das Autismus-Bild ist mir in diesem Zusammenhang etwas zu stark. Ich würde eher von der Fähigkeit sprechen, seine Gefühle authentisch ausdrücken zu können. Dann würde sich zeigen, dass auch viele Frauen damit ein Problem haben. Interessant wäre dann die Frage, wieso vorwiegend Männer dies mit der Flucht in Informatik, Mathematik oder Naturwissenschaft kompensieren und Frauen vorwiegend… tja, womit eigentlich… Konsum (Stichwort Shopping-Addicts)? Das könnte die überwiegend männliche Konnotation des Nerds erklären.

      @Fritz Iversen

      „Es könnte aber auch sein, dass die soziale Inkompetenz des Nerds nur eine mediale Zuschreibung ist, also ein reines Fremdbild.“

      Ich würde eher umgekehrt sagen, dass die Nerd-Form ein Schema ist, mit dem diese Unfähigkeit u. a. in den Massenmedien beobachtet wird. Diese ist jedoch mit spezifischen anderen – auffälligeren – Zuschreibungen, wie die Faszination für Quantenphysik und Superhelden, assoziiert, was es z. Z. noch erschwert das allgemeinere Kommunikationsmuster zu erkennen. Nerd wäre dann zwar schon eine Fremdbeschreibung. Sie hat aber durchaus einen empirischen Gehalt, indem sie auf bestimmte Kommunikationsmuster aufmerksam macht, die man bei Menschen beobachten kann. Die Funktion würde darin bestehen die Beobachtung des Verhaltens von Einzelpersonen zu ermöglichen. Wobei sich allerdings die Gefahr, dass die Person mit dem Stereotyp verwechselt wird, niemals völlig eliminieren lässt.

      „Das wäre also eine klassische Integrationsproblematik – integrieren und integrieren lassen.“

      Ja, dem stimme ich zu. Es handelt sich dabei um eine Integrationsproblematik. Die Frage ist, wie sich diese Problematik kommunikationstheoretisch rekonstruieren lässt. Dies versuche ich im kommenden Beitrag auf meinem eigenen Blog. Dann relativiert sich etwas die Frage, wer grenzt wen aus. Es geht dann eher um die Frage, ob bestimmte Beobachtungsschemata die Beobachtung von Einzelpersonen erlauben, um entsprechend handeln zu können, oder ob Menschen lediglich in die Lage versetzen werden auf Stereotype und nicht auf Personen zu reagieren. Den Zugang zu Integrations- bzw. Exklusionsthematik sehe ich in der Frage, wie sich Personen gegenseitig behandeln.

      1. Danke für den ausführlichen Kommentar und die Präzisierungen. Ich denke das ist eine gute Frage an die Empirie, wann und wie die Geschlechterdifferenzierung den Leuten „in den Rücken fällt“, wann Geschlecht als anschlussfähige Information verstanden wird – oder nicht. Ich will da mal drauf achten.

      2. Hallo BlogLeserin, noch ergänzend: Es gibt – da hat mich P. Villa drauf aufmerksam gemacht, dass ich das nicht wirklich berücksichtige, auch die Marginalisierung scheinbar nerdiger“ Weiblichkeit in Mass Media, bspw. durch die Darstellung der „unweiblichen“ und „hässlichen“ Attribute der Nerdiness: Zahnspange, Brille, prekäre Sexualität. Ich finde da die Darstellung von Amy Farrow Fowler in (again) Big Bang Theory nicht uninteressant. Die Sexualitätsdarstellung von Amy hat zwar mehr Freiheitsgrade (Amy spricht locker über Selbstbefriedigung und kann Weiblichkeit begehren, ohne Angst zu entwickeln), ihre Darstellung kippelt aber manchmal vom queeren ins freakige: und ihr Begehren bleibt oft unerhört…

  4. “Undoing Gender via nerdiness?”
    Sowohl für Fremd- als auch für Selbstbezeichnungen muss diese Frage wohl verneint werden.

    Um die Fremdzuschreibungen/Definitionen von „Nerdette“ aus dem Urban Dictionary anzubringen:
    „A female nerd. Usually has glasses and braces. Nerds usually have nerdgasms when a nerdette walks into the room. Their glasses will fog up and they’ll get really nervous.”
    „A sexy female nerd. A non-sexy female nerd is a „nerdle“.”
    „A female nerd; often not as obsessed with Star Trek as the average nerd”
    Die binär codierte Geschlechterunterscheidung ist hier unübersehbar.

    Zur Selbstbezeichnung: Ich denke, „Nerdette“ wird insbesondere von Netz/IT-affinen Frauen* aus der queer│feministischen Subkultur genutzt, um sich vom heteronormativen Weiblichkeitsstereotyp abzugrenzen. Es geht hier m. E. um Sichtbarkeit und Selbstermächtigung bzw. sehe ich Parallelen zu der Aneignung und Umdeutung des Begriffs “Lady” durch die Riot-Grrrl-Bewegung (siehe Publikationen von Melanie Groß).

  5. So, nachdem nochmal dazu aufgerufen wurde, traue ich mich dann noch meine Überlegungen hier einfach mal kund zu tun.
    Ich schreibe hier also aus „eigener Erfahrung“ und weil ich mich bei den Nerd*ette Beiträgen doch etwas gewundert habe. Warum werden Nerd*ettes (wobei es ja hier eine Diskussion darüber gibt inwieweit es Nerdettes überhaupt gibt- ich sage ja!) immer gleich gesetzt mit Hackern und Personen die den ganzen Tag vorm PC sitzen und programmieren?
    Ich komme selbst, wie mein Synonym ja vermuten lässt, aus dem Gaming-Bereich, konkret spiele ich ein Onlinerollenspiel. Meine persönliche Erfahrung wäre vielmehr, dass es sehr viele verschiedene Formen von „Nerdigkeit“ gibt. Ich würde mich, wenn ich mal ein ganzes Wochenende hinter dem Bildschirm verschwinde und spiele, durchaus als Nerdette bezeichnen, bin ich doch in meinem sonstigen Umfeld mit Gesprächen über meine Ausrüstung, die Entwicklung meiner Spieler-Attribute oder den letzten „Run“ im Dungeon wenig anschlussfähig, während mir das einen „nerdgasm“ verschafft.
    Aber ich kenne beispielsweise Personen, die den ganzen Tag Blogs/Twitter etc. lesen, die wissen ganz andere Dinge als ich, denen passiert es aber genauso, dass sie damit nicht anschlussfähig sind. Wäre dann „Anschlussfähigkeit“ ein Nerdism-Kriterium? Das geht dann aber viel weiter, sowas kann nämlich auch als Briefmarkensammler*in passieren. Bleibt halt die Frage, inwiefern man den Begriff an „technisches Know-How“ koppelt, oder eben nicht.
    Auch das Klischee der sozialen Inkompetenz halt ich für genau das: ein Klischee. Natürlich wird man belächelt, erzählt man im „Real-Life“ davon, dass man stundenlang mit Personen aus dem Spiel im Teamspeak (Software mit der man online Gruppengespräche führen kann, was sich insbesondere für die Koordination sogenannter „Runs“ als äußert praktisch erweist) verbracht hat. Für die Personen dort ist das aber sehr real, es entwickeln sich Freundschaften und manche Personen haben mir berichtet, dass das ein wichtiger Teil ihres Alltags ist, weil sie in ihrer Umgebung (bspw. eine irische Kleinstadt) wenig Personen haben, mit denen sie auf „einer Wellenlänge“ sind. Solche Gespräche können dann durchaus auch von „Gaming-Kontexten“ abweichen und sehr privat werden. Daher würde ich stundenlanges „allein“ vor dem PC sitzen (aus welchen Gründen auch immer), nicht mit sozialer Inkompetenz gleichsetzen.
    Zum Schluss noch zum Thema undoing-gender… Ich würde auch nicht postulieren, dass ich mich damit ganz bewusst von bestimmten Weiblichkeitstereotypen absetzen möchte, denn in erster Linie tue ich das, wie hier schon richtig erwähnt, weil es mir Spaß macht. Freue mich aber dennoch über die verwunderten Blicke mancher Gegenüber, wenn ich von meinem Hobby berichte. Allerdings trifft auch die Beobachtung zu, dass insbesondere im Rollenspielkontext man eigentlich grundsätzlich erstmal als männlicher Spieler angenommen wird, häufig ist die Reaktion dann überrascht. Obwohl zum Beispiel in dem „Spielerverbund“ („Gilde“) in der ich mich bewege fast die Hälfte der Spieler*innen weiblich ist.
    Zudem habe ich, zumindest in meinem persönlichen Umfeld online, eine andere interessante Beobachtung gemacht. Nämlich, dass die Spielerinnen relativ häufig mit genau diesen Stereotypen spielen. Indem man Gespräche über „unweibliche“ Themen führt, oder indem auf das typische „hello guys“ mit Freude kundgetan wird, dass man überhaupt nicht von männlichen Spielern unterschieden werden kann, weil es keine/kaum Unterschiede gibt. Außer, wie im abschließendem Link deutlich wird :D:
    female gear sucks: https://www.youtube.com/watch?v=OTGh0EMmMC8

    1. @ MMORPG-Nerdette

      Dass hier von sozialer Inkompetenz gesprochen wird, darüber bin ich auch nicht glücklich. Ursprünglich hatte ich von emotionaler Intelligenz gesprochen und bezog mich damit auf ein Konzept des amerikanischen Psychologen Daniel Goleman. Daraus wurde dann im Laufe der Kommentare soziale Inkompetenz. Eine semantische Karriere, die dem Konzept nicht gerecht wird, denn primär geht es nicht darum das Fehlen von etwas zu beobachten. Golemans Ausgangsfrage ist die nach Faktoren, welche die Interaktion zwischen Menschen beeinflussen. Emotionale Intelligenz ist ein Konzept, um diese Frage zu beantworten und bezieht sich vorwiegend auf die Fähigkeiten der Selbstwahrnehmung und Selbstregulation speziell im Hinblick auf die eigenen Emotionen. Davon hat er später soziale Intelligenz unterschieden und beschreibt damit die Fähigkeit Selbstwahrnehmung und Selbstregulation für die Organisation der sozialen Beziehungen einzusetzen. Zur sozialen Intelligenz zählt u. a. Empathie. Einem an Goffman geschultem Beobachter kommt dieser Ansatz durchaus entgegen.

      Wichtig ist im Hinterkopf zu behalten, dass emotionale und soziale Intelligenz nicht als absolute Größen zu verstehen sind, die ein bestimmtes Ideal formulieren. Es sind Kategorien zum Vergleich von menschlichem Verhalten. Es geht also nicht um die Frage, ob jemand diese Fähigkeiten besitzt oder nicht, sondern nur um Ausprägungen von mehr oder weniger. Goleman zielt vor allem auf die Organisation von menschlichen Beziehungen ab. Ich würde zur sozialen Kompetenz noch die Fähigkeit dazu zählen bestimmte symbolische Systeme zu beherrschen, wie zum Beispiel Mathematik, Programmiersprachen, die Theorien der Naturwissenschaften. Dabei handelt es sich um Symbolsysteme, die dazu geeignet sind bestimmte nicht-soziale Umweltausschnitte zu beobachten und zu manipulieren. Es handelt sich um Symbolsysteme, die denen, die damit arbeiten, positives Feedback geben können und damit ein Gefühl der Gestaltbarkeit und der Kontrolle von einem bestimmten Umweltausschnitt. Deswegen hatte ich in einem früheren Kommentar darauf hingewiesen, dass Personen, die als Nerds beobachten werden, durchaus sehr viel soziale Intelligenz besitzen können.

      Was man dann allerdings beobachten kann, ist, dass Personen, die über eine derartig hohe soziale Intelligenz verfügen, teilweise Probleme damit haben soziale Beziehungen ähnlich erfolgreich zu organisieren, wie die Beziehungen zu bestimmten nicht-sozialen Umweltausschnitten. Dass sie damit Schwierigkeiten haben liegt u. a. daran, dass die Beobachtung ihres Gefühlslebens einige Defizite aufweisen, wodurch sie auch Probleme haben sich in die emotionalen Zustände ihrer Interaktionspartner hineinzuversetzen. Dies drückt sich auch in einer bestimmten Art der Selbstdarstellung aus, die in der massenmedialen Wahrnehmung als Nerd registriert wird. Bei dem soziologischem Vergleich zu anderen Selbstdarstellungsformen kann es aber nicht um kompetent oder inkomptent gehen. Wichtig wäre als erstes die funktionale Äquivalenz der Selbstdarstellungsformen zu erkennen, um davon ausgehend die Unterschiede in den Ausprägungen herauszuarbeiten.

      1. Liebe Beide, danke für die spannenden Hinweise. Ich glaube, das spannende an der „INKOMPETENZ“-Diskussion ist, dass sie eben aus sich heraus emergiert, sobald die Nerd-Chiffre gesetzt ist.

        „Ursprünglich hatte ich von emotionaler Intelligenz gesprochen und bezog mich damit auf ein Konzept des amerikanischen Psychologen Daniel Goleman. Daraus wurde dann im Laufe der Kommentare soziale Inkompetenz. “

        Das finde ich – von wegen Anschlussfähigkeit und „nur die Kommunikation kommuniziert“ – sehr spannend. Und ich frage mich, inwiefern das schon auch mit dem Blogformat und der Kommentarfunktion zu tun hat. (Gar nicht als Mängeldiagnose sondern nur im Bezug darauf, dass es spannend ist, die Formen der Anschlusskommunikation anzuschauen.)

        „Ich würde auch nicht postulieren, dass ich mich damit ganz bewusst von bestimmten Weiblichkeitstereotypen absetzen möchte, denn in erster Linie tue ich das, wie hier schon richtig erwähnt, weil es mir Spaß macht. Freue mich aber dennoch über die verwunderten Blicke mancher Gegenüber, wenn ich von meinem Hobby berichte. Allerdings trifft auch die Beobachtung zu, dass insbesondere im Rollenspielkontext man eigentlich grundsätzlich erstmal als männlicher Spieler angenommen wird, häufig ist die Reaktion dann überrascht. Obwohl zum Beispiel in dem „Spielerverbund“ („Gilde“) in der ich mich bewege fast die Hälfte der Spieler*innen weiblich ist.“

        Ich würde gerade nur zugern eine Studie über Doing und Undoing Gender im Gaming-Bereich lesen… Eine Studie, die genau diese Praxen, die oben beschrieben werden, in den Blick nimmt. Ich glaube, das gibt es noch nicht. Vor zwei Semestern hat ein Student aus München dazu recherchiert und da war noch nicht viel zu finden…

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