Annette Treibel, 27. Januar 2012, für SozBlog, den Blog der Deutschen Gesellschaft für Soziologie
Vom 29. September bis zum 1. Oktober 2011 fand der Soziologie-Dreiländerkongress in Innsbruck zum Thema „Neuer Strukturwandel der Öffentlichkeit“ statt. Dort haben 700 TeilnehmerInnen die Öffentlichkeit(en) unter die Lupe genommen, aber nicht so sehr sich selbst.
Der Kongress war gut organisiert, mehrheitlich gut gelaunt und schwitzte, zumindest draußen – die sommerlichen Temperaturen führten dazu, dass die Schattenplätze vor dem SOWI-Gebäude und in den Straßencafés besonders begehrt waren. Und der Kongress fuhr auf den Berg – das war ein logistisch aufwändiges Unternehmen, bis die TeilnehmerInnen in mehreren Etappen mit Seilbahn(en) und Bussen hinauf- und vor allem wieder hinunter geschafft waren.
Noch nach vier Monaten ist dieses Event im wahrsten Sinne des Wortes für mich ein Highlight. Das Abend-Licht auf der Nordkette, die Luft – phantastisch. Interessant auch die Gespräche im Vorfeld – mit denen, die das andere Abend-Event im Stiftskeller oder gar kein Event vorzogen: „Fährst Du mit auf den Berg? Nein, das ist nichts für mich – ich bin nicht schwindelfrei.“; „Nein, zusammengepfercht in einer Seilbahn – lieber nicht.“ „Nein, der Kongress ist eh‘ teuer, und das dann auch noch – das ist es mir nicht wert.“ Es war also keine repräsentative Auswahl der Kongress-TeilnehmerInnen, die auf der Restaurant-Terrasse auf 1920 Metern Meereshöhe das Panorama bestaunten.
Ich stellte mit einiger Überraschung fest, dass ich mir – Soziologin hin oder her – keine Gedanken darüber gemacht hatte, wie hoch selektiv eine solche Unternehmung ist. Die, die dabei waren, hatten ein Feeling wie auf einem Schulausflug – jedoch mit weniger kalkulierbaren Figurationen. Man redete über das, was man unten – auf dem Boden der alltäglichen Wirklichkeit – macht; tauschte Anekdoten über Kinder aus, so vorhanden; für was man sich interessiert, wenn man nicht Soziologie betreibt … SoziologInnen sind also ganz normale Menschen, was auch vorher schon klar war. Aber wie ist unser Verhältnis zu diesen Nicht-SoziologInnen?
Was mir in Innsbruck zu kurz kam und auch sonst zu kurz kommt, ist die Frage: Wie stehen wir als SoziologInnen zur Öffentlichkeit, zu unserer öffentlichen Präsenz? „Von ganz oben sieht man weiter“, hieß es im Vorprogramm zu Innsbruck. Schwindelfreie SoziologInnen über den Wolken – ist es das, sind wir das? Und wer interessiert sich für uns, die wir auf den Gipfeln der Soziologie oder in den Gehegen der Fachöffentlichkeit umher spazieren?
Ich finde, unsere Selbstvermarktung lässt zu wünschen übrig. Diejenigen Kollegen oder (sowieso zu wenigen) Kolleginnen, die die Mikrofone von Hörfunk- und Fernsehstudios nicht fliehen, gelten gerne als eitel und in ihren Statements als ‚unterkomplex‘.
Wir tun auch zu wenig für das Feuilleton, für das gebildete bürgerliche Publikum. Letzteres analysieren wir vielleicht, aber wir sehen dort keine AdressatInnen unserer Arbeit. Sicherlich, wir leben in einer arbeitsteiligen Gesellschaft, und in dieser sind wir für die professionelle Analyse gesellschaftlicher Strukturen und Prozesse zuständig. Gut, das bringt uns – hoffentlich – in Lohn und Brot und die Anerkennung von KollegInnen und Studierenden. Und weiter?
Ich plädiere für eine weniger ‚geschmäcklerische‘ und personalisierte Diskussion dieser Fragen in der DGS. Wollen wir sichtbarer sein, so muss etwas an den Strukturen verändert werden. Die DGS sollte über zwei Schritte nachdenken: erstens eine Pressestelle einzurichten und zweitens Medien- und PR-Trainings für die interessierten KollegInnen anzubieten. Dann wären nämlich mehr als ‚die üblichen Verdächtigen‘ unterwegs und für JournalistInnen und andere Gruppen, die sich durchaus für die soziologische Sicht interessieren, ansprechbar. Oder wollen wir den besser sichtbaren Reflexionswissenschaften Philosophie und Psychologie das Feld überlassen? An dieser Stelle möchte ich auch den ‚üblichen Verdächtigen‘ danken – ohne sie würde man außerhalb des Faches fast vergessen, dass es Leute gibt, die „Soziologen“ oder „Soziologinnen“ sind und wofür man diese braucht.
Und dann hätten wir beides: die Soziologie über den Wolken und die Soziologie zum Anfassen.
Links
Zum Panel „Die Funktion soziologischen Wissens in gesellschaftlichen Gestaltungsdiskursen“ in Innsbruck 2011 vgl. https://www.conftool.com/soziologie2011/index.php?page=browseSessions&form_session=22siehe auch: http://www.bpb.de/publikationen/41N6K1,5,0,Soziologie_Gegenwart_und_Zukunft_einer_Wissenschaft.html http://www.soziale-welt.nomos.de/fileadmin/soziale-welt/doc/SozWelt_05_04.pdf
„Und wer interessiert sich für uns, die wir auf den Gipfeln der Soziologie oder in den Gehegen der Fachöffentlichkeit umher spazieren? Ich finde, unsere Selbstvermarktung lässt zu wünschen übrig.“
Das finde ich als Student auch! Hier noch ein anderer recht interessanter, aktuellerer Artikel zu dem Thema – einer der wenigen, der sich in den Weiten des Netzes finden lässt :)
http://www.scribd.com/doc/77775281/Schrape-2011-Markenidentität-Soziologie
Interessantes Thema, das ergänze ich mal um folgenden Link:
http://www.bpb.de/publikationen/41N6K1,5,0,Soziologie_Gegenwart_und_Zukunft_einer_Wissenschaft.html
Cool, lasst uns weiter Links zu dem Thema sammeln, sind ja schwer zu finden. Hier zwei Bewegte zur public sociology:
http://www.youtube.com/watch?v=d29t2Tshc9M
http://www.youtube.com/watch?v=8zcq-7I8f8A
Krass übrigens, dass das Thema beim 2012er DGS-Kongress scheinbar keine rolle spielt:
http://www.dgs2012.de/start/call-for-papers
Mal ein Arbeitspapier zur praktischen Umsetzung dieser Idee:
Sociology goes Public
Über Laienöffentlichkeit, Bürgeruniversität und eine Stiftungsprofessur für Soziologie
http://www.fernuni-hagen.de/imperia/md/content/soziologie/soz4/hasg_6.pdf
Grüße, Jochen
Die ganze Diskussion hat ha mit der Presidential Address von Michael Burawoy 2004 begonnen. Erfreulicherweise gibts den Text inzwischen umsonst und online:
http://www.jstor.org/stable/4145348?seq=2
Das liegt natürlich auch daran, dass Soziologen mit ihrem Wissen nur selten an die Öffentlichkeit treten. Man könnte auch sagen: Die Früchte der Anerkennung in der Fachgemeinde hängen so hoch, dass man bei dem Versuch ihres Erreichens leicht die Bodenhaftung verliert. Oft scheinen es deswegen eher studentische Projekte zu sein, die der Soziologie Aufmerksamkeit verschaffen, z.B. dieses: http://www.uni-muenster.de/Soziologie/forschung/die-stadt-fragt.html
… ich wäre sehr froh, die Erkenntnisse und Betrachtungen aus der Soziologie häufiger in der öffentlichen Diskussion zu finden. Mir haben einige Artikel sehr geholfen mir eine umfassendere Meinung zu bilden. In der Diskussion mit Mitbürgern und im Umgang mit Mitarbeitern kann ich häufig Situationen für mich besser bewerten. Schade für mich ist, dass ich als Nicht-Soziologe die Fachtermini nicht präsent habe und somit mir der ein oder andere Text Schwierigkeiten bereitet. Für mich besteht die Kunst der Wissenschaften darin, die Erkenntnisse so zu formulieren, dass diese verständlich gemacht werden. Das ist sehr oft und in den meisten Bereichen äußerst schwierig und damit eine Barriere in die öffentliche Debatte einzusteigen. Und doch muss es versucht werden, um einen direkten und schnelleren Einfluss nehmen zu können. Die Soziologie ist heute wichtiger als jeher!
„Die DGS sollte über zwei Schritte nachdenken: erstens eine Pressestelle einzurichten und zweitens Medien- und PR-Trainings für die interessierten KollegInnen anzubieten“ – das sehe ich ebenso und es wird ja auch in dem Artikel oben zur Markenidentität der Soziologie vorgeschlagen. Nur: Beim DGS-Kongress in Bochum scheint das mit Blick auf das Programm kein Thema zu sein… Vielleicht eine Ad-HoC-Gruppe?
Liebe KommentatorInnen,
danke für Ihre Rückmeldungen und die eingestellten Links. Ich werde innerhalb und außerhalb der DGS an dem Thema dranbleiben. Und übrigens: am 16. März 2012 ist Anmeldeschluss der Ad-hoc-Gruppen (formloser Antrag an die DGS-Geschäftsstelle)! Nur zu!
Annette Treibel