Bloggen als Bestandteil der herrschenden Kultur der Soziologie?

Die aktuellen Methoden der Sozialwissenschaft (Beobachtung, Interview, Aufzeichnung laufender Interaktion, Artefaktanalyse) sind wenig geeignet, hinter die von Organisationen strategisch für die Soziologie aufgestellten Kulissen zu schauen. Deshalb zeichnet die heutige Soziologie nicht mehr ein umfassendes Bild von der Gesellschaft (falls sie das jemals tat), sondern ein hoch selektives, das viele (auch oft sie selbst) zu Unrecht für die Wirklichkeit halten.

Letzteres war im Groben die Behauptung meines letzten Blogs http://soziologie.de/blog/?p=910#more-910. Obwohl der in den zurückliegenden Tagen etwa von insgesamt 1.500 Menschen angeklickt wurde, haben nur zwei Leser diese (die Soziologie betreffende) Aussage kommentiert – was mich wundert, haben doch meine beiden Blogs zuvor zum Sinn und Unsinn des Bloggens (was die Soziologie nur indirekt berührt) deutlich mehr Kommentare hervorgerufen. Zudem hat der BDS noch den Blog genutzt, Autoren für einen Sammelband zu gewinnen – was mich auch gewundert hat, aber aus anderen Gründen – offensichtlich benutzt man die Blogs nicht nur zum Austausch von unfertigen Gedanken.

Auf die Frage, weshalb so wenige Soziologen und Soziologinnen diese Aussage kommentieren, fallen mir drei Antworten ein:

(1) Weil sie so offensichtlich falsch ist, dass es sich nicht lohnt, ein Wort darauf zu verschwenden;

(2) Weil sie so offensichtlich zutreffend ist, dass es sich nicht lohnt, ein Wort darauf zu verschwenden;

(3) Weil es für Soziologen und Soziologinnen zwar Sinn macht, Blogs zu lesen (also zu nehmen), aber keinen Sinn macht, Blogs zu kommentieren (also zu geben).

Letztere scheint mir die plausibelste Antwort zu sein und sie ist angesichts der überall präsenten Intensivierung und Extensivierung der wissenschaftlichen Arbeit und des Zwangs, seine Zeit als Wissenschaftler/in ökonomisch zu investieren, nachvollziehbar und sinnvoll. Denn als guter Manager, gute Managerin meiner selbst und meiner Arbeitskraft lohnt es für Soziologen/innen nur dort Zeit einzusetzen, wo eine gute ‚Rendite’ (Drittmittelantrag, Publikation, Qualifizierungsarbeit, Verbandsarbeit etc., also ökonomisches, soziales oder symbolisches Kapital) in Aussicht steht. Alles andere wäre Zeitvergeudung.

Bloggen scheint aus dieser Sicht – um das Thema meines ersten Blogs aufzugreifen http://soziologie.de/blog/?p=870 – mithin Zeitvergeudung zu sein. Keine Zeitvergeudung wäre Bloggen, wenn es sich auch für Wissenschaftler/innen und insbesondere für Soziologen/innen lohnen würde. Das scheint jedoch (noch) nicht der Fall zu sein – so mein Eindruck. Das mag allerdings für andere Berufsgruppen (z.B. Journalisten) anders sein.

Es fragt sich erst einmal, wie sich die Kultur (und das Gratifikationssystem) der Soziologie ändern müssten, damit sich Bloggen für Soziologen/innen lohnt und wie sich solche Änderungen herbeiführen lassen. Nur wenn man ‚Gewinne’ plausibel machen kann oder besser: wenn diese Gewinne für Blogger/innen und auch für Leser/innen praktisch erfahrbar sind, wird sich (vielleicht) auch die Kultur der Soziologie ändern. Damit würde sich aber auch der Charakter des Bloggens ändern: Bloggen gehörte dann zur herrschenden Kultur, mit allen damit verbundenen Vorteilen und Nachteilen. Ich bin mir nicht sicher, ob dies wirklich das ist, was die Blogger/innen wollen.

Aber grundlegender ist die Frage, ob sich eine solche Änderung der Kultur der Soziologie auch für die Soziologie als Profession lohnt. Was gewänne sie?

 

24 Gedanken zu „Bloggen als Bestandteil der herrschenden Kultur der Soziologie?“

  1. Es ist zweifelsohne Antwort 3.

    Es ist wohl ein Gemenge aus dem „Marketing-Charakter“ (Erich Formm), der „homo-clausus-Selbsterfahrung“ (Norbet Elias) und einer Habitualisierung von Leistungs-, Erfolg- und Konkurrenzdenken.

    Es überrascht mich zwar nicht, da ich diese Erfahrung seit etwa 10 Jahren mit Soziologen in verschiedensten Online- wie „Offline“-Kommunikationszusammenhängen mache. Aber es frustriert zunehmend.

    Aber am wichtigsten scheint mir zu sein, dass kaum jemand an wirklicher Erkenntnis interessiert ist. Der diskursive Austausch bietet die Möglichkeit die eigenen Gedanken mit den Gedanken anderer Menschen abzugleichen und somit auch einen Realitätsabgleich zu erfahren, auf Fehler in den eigenen Gedanken hingewiesen zu werden, auf Lücken in der Argumentation. All dies scheint kaum noch von Interesse zu sein. Die Gedanken werden monopolisiert, um sie auch ja als vermeintlich erster beim VS-Verlag (nur als Beispiel) unterzubringen.

    Doch ist es realiter weniger eine Monopolisierung als eine Abschottung gegen den Diskurs. Ist der eigene Gedankengang publiziert, kann man ihn sich in die Vita schreiben. Egal wie die Reaktionen darauf ausfallen.

    Diskutiert man die eigenen Gedanken möglicherweise öffentlich, läuft man Gefahr, sich einem stetigen Prozess der Verbesserung auszusetzen. Das verhindert natürlich (möglicherweise) das Publizieren „unfertiger“ Gedanken.

    Gäbe es ein intrinsisches Erkenntnisinteresse würde „man“ „jede“ Möglichkeit des Austausches nutzen. Jede Diskussion und sei sie auch noch so wenig qualifiziert, bedingt Assoziationen zu denen man ohne diese Diskussion möglicherweise nicht fähig gewesen wäre.

    Vielen scheint „Wissen“ zu akkumulieren zu genügen. Beim „Soziologie-Quiz“ des Small-Talk auf Veranstaltungen ist man dann ganz weit vorne. Über z.B. diskrete Gesellschaften wissen wir dann allerdings immer noch nichts.

    „Das Ich ist Klischee“ gilt vor allem in Bezug auf ein „Bild von der Gesellschaft, […], das viele […] zu Unrecht für die Wirklichkeit halten.“

    Soziologie, die die Erscheinung für das Wesen hält, ist unwesentlich.

  2. Also ich weiß beim besten Willen nicht, was man zu solchen Blogbeiträgen noch Sinnvolles sagen soll. Mir fehlen einfach die Worte!

  3. Die Erfolge der modernen Wissenschaft beruhten insbesondere im 18. Jahrhundert auf der Maxime, das Gute auch dann zu tun, wenn man dafür nicht belohnt wird. Das Gute, um das es ging, waren die Bemühungen um Aufklärung, die um so relevanter wurden, da allenthalben die Klage über die feudale Fürstenwillkür so groß geworden war, dass kritsche Geister seiner Zeit schon trotzig, ja beinhame selbstbewusst mitteilen konnten, für vernünftige Vorschläge bestraft worden zu sein.
    Nachdem die Wisssenschaft sich diese Erfolgsgrundlage durch die Bürokratisierung im Laufe des späten 19. Jahrhunderts selbst entzogen hatte, gilt nunmehr, aufgrund der Intransparenz des bürokratischen Appartes, dass man nichts Gutes mehr tun kann, es sei denn, man werde dafür belohnt. Es muss sich lohnen, sonst geht auch in der Wissenschaft nichts.
    Kein Wunder also, dass Unternehmensberater an den Universiäten eindringen und den ganzen Betrieb unter ökonomischen Effizienzienkriterien aufmischen, um zu versuchen, eine leistungsgerechte Evaluation der Wissenschaft zu installieren.

    Es handelt sich dabei um eine Fortschrittsentwicklung, um eine Entzauberung der sog. Aufklärung. Da über Wissenschaftlichkeit kaum noch geurteilt werden kann, aufgrund des Risikos, bei negativem Urteil in unhaltbare und undurchschaubare Diskussionen, Intrigen und Karriereblockaden verwickelt zu werden, wird der Code der Wissenschaftlicheit durch den Code der Reputation ersetzt.

    http://www.soziale-systeme.ch/hefte/2010_2_zus.htm

    Das zeigt auch, dass diese bislang überführten Plagiatoren, eigentlich gar nicht aus dem Rahmen fallen. Plagiieren ist zwar nicht erlaubt, aber effizient und könnte sich angesichts der Intransparenz lohnen. Und gerade das Internet sorgt nun für die Aufdeckung dieses berechnenden Prinzips.
    Und warum sollte das Internet nur in dieser Hinsicht die berechnenden Beurteilungsweisen von Wissenschaft aufdecken können? Denn Wissenschaftlichkeit wird in diesen Plagiatsaffären auf die Frage des richtigen und falschen Zitierens reduziert, alles andere lässt sich überhaupt nicht kommunizieren, schon gar nicht die die Rede von der „guten wissenschaftlichen Arbeitsweise“, weil niemand mehr erklären kann, worin das Gute daran besteht, es denn – wie gesagt – man würde dafür belohnt.

    So ist es eine durchaus erfreuliche Entwicklung, wenn nunmehr ungeschönt und (wenn ich so formulieren darf) ganz unverschämt die Frage nach der Belohnung aufgeworfen wird. Wenn nun auch in der Wissenschaft akzeptiert wird, dass sich Wissenschaft lohnen müsse, dann kann nicht mehr gut die Einsicht verhindert werden, dass sie sich nicht nur für Wissenschaftler lohnen müsse, sondern auch für den Staat, die Gesellschaft, die Wirtschaft, den Steuerzahler usw.
    Und wenn die Frage so gestellt werden kann, dann könnte sie auch verneinend beantwortet werden. Oder es kommt zu einer Differenzierung, die besagen könnte: eine bürokratisch gemaßregelte Wisenschaft lohnt sich eigentlich nicht. Man müsste dann Wege finden, Wissenschaft kostengünstiger ohne Bürokratie zu betreiben.

    https://differentia.wordpress.com/2013/01/11/vroniplag/

    Aber das wäre wiederum eine Frage der Forschung. Wie könnte Wissenschaft auch ohne Büroktraie funktionieren? Niemand weiß es, aber niemand kann das erforschen, weil, nunja, niemand dafür belohnt wird.

    Insofern haben die in dem Artikel aufgeworfenen Überlegungen einen aufklärerischen, entzaubernden, illusionslosen und nüchternen Charakter. Ohne Blogartikel dürfte es etwas schwerer sein, solche Überlegungen überhaupt zu verbreiten.

  4. Auch wenn viele Soziologen mit ihrer Zeit im Sinne von maximaler ‚Rendite‘ ökonomisch umgehen mögen, gibt es doch nur wenige, die bspw. einem netten, kurzweiligen und durchaus auch fachlichen Plausch auf dem Flur oder beim Mittagessen abgeneigt wären. Warum also sind Blogdiskussionen dennoch kaum reizvoll?

    Ich hab keine Ahnung, vielleicht ist es die Angst vor ‚Trollereien‘, da ein jeder anonym mitdiskutieren/mitposten darf, oder davor, daß das mal so schnell Dahingetippte für immer gespeichert und mit dem eigenen Namen verbunden bleibt. Denn für das Wohlüberlegte und vor der Veröffentlichung zehnmal Durchgelesene – was eben mehr Zeit in Anspruch nimmt – gibt es ja andere Orte, die dann auch die Publikationsliste verlängern. Also doch nur Zeitökonomie? Dann muß man sich natürlich fragen, wo die Soziologen sind, die primär aus Leidenschaft Soziologen sind.

  5. Lieber Jo,

    zunaechst ist Dir hoch anzurechnen, dass Du hier eine moegliche Aenderung der Kultur in der soziologischen Diskussion ausprobierst. Lohnt sich da, fragst Du? Fuer mich als Leser Deines und anderer blogs lohnt es sich durchaus. Deswegen verbringen wir ja Zeit damit blogs zu lesen, statt die Zeit auf das Lesen anderer Texte zu verwenden. Fuer Dich als Autoren, der, wie Du schreibst mit dem Bloggen weniger Erfahrung hat, sollte es eigentlich ermunternd sein, dass Du nicht nur Leser findest, sondern auch eine zaehlbare Gruppe von Kommentatoren. Wieviele schriftliche Kommentare bekommst Du denn auf Zeitschriftenartikel in die Du vermutlich viel mehr Zeit investierst?

    Dann gibt es noch eine andere Seite der Kultuveraenderung zu beobachten, die man eventuell bedauern kann. In Grossbritannien wird groesster Wert auf den sogenannten ‚Impact‘ von Forschung gelegt. Definiert hat bisher kaum jemand schlussendlich, was mit ‚Impact‘ gemeint ist, aber was gemacht wird ist zu zaehlen, wie haeufig Artikel nicht nur zitiert, sondern auch von Servern heruntergeladen werden. In Folge dessen werden blogs unter anderem dazu genutzt, Forschung so zusammenzufassen, dass der Leser dazu ermuntert wird, den ganzen Artikel herunterzuladen. Man bietet Haeppchen, um Appetit zu machen. Der blog wird zum trailer eines Artikels. Melissa Terras (UCL) hat dazu einmal ein kleines Experiment mit ihren Artikeln gemacht; mit erstaunlichem Resultat finde ich. Melissas blog-post dazu findet sich hier: http://goo.gl/tIBe3

    In aehnlichem Zusammenhang sind die Diskussionen auf dem LSE Impact blog sehr interessant:
    http://blogs.lse.ac.uk/impactofsocialsciences/

    Man kann nun dieser Entwicklung des blogs als Werbetraeger skeptisch gegenueberstehen, aber man kann natuerlich auch realistisch sein und sich in die Perspektive der Geldgeber oder Steuerzahler versetzen, die in Zeiten knapper Kassen umsomehr, wissen wollen, was mit ihrem Geld bewirkt wird. In Grossbritannien bleibt einem im Moment nicht viel anderes uebrig, mitzumachen, da unser ‚Output‘ gemessen wird, und darauf aufbauend ueber unsere Karrieren oder deren Ende entschieden wird. Meine Meinung dazu kannst Du Dir denken…

    Ein anderer Kommentator hat schon daraufhin gewiesen, dass blogs natuerlich nicht alleine dastehen, sondern in ein groesseres Netzwerk von anderen Medien eingebunden sind. RSS-feeds und Twitter wurden genannt. Du hast hier, glaube ich, noch den ein oder anderen blog zu schreiben, bevor Du Dich vom Sozblog verabschiedest, zumindest als Autor. Ich hoffe jedoch, dass Du aus welcher Motivation heraus auch immer Du das machen magst, Dich weiter daran versuchst und frohelich weiterblogst, vielleicht sogar froehlicher als bisher. Und wenn Du dann schon dabei bist, hoffe ich, dass Du mich und die anderen Lesern hier dann auf Twitter begleitest und uns auf Deine neuen blog-posts hinweist. Ich bin auf @dirkvl :-)

    1. Lieber Dirk,

      vielen Dank für Deinen Kommentar. Du hast natürlich Recht, dass Zeitschriftenartikel (von mir) wahrscheinlich sehr viel weniger Leser/innen und Kommentaren/innen finden. Ich war in der Tat überrascht – über beides. Aber ich war auch überrascht, dass vor allem das Thema ‚Bloggen‘ zieht – und hier vor allem die Blogger bewegt, während die soziologischen Themen eher wenig Resonanz bewirkten. Bei den Soziologen/innen sind die Blogs noch nicht angekommen. Und ich frag mich weshalb.

      Einen Grund für das Bloggen hast Du genannt, der (noch) spezifisch britisch ist: Werbung für die geschriebenen Texte. Das ist gut nachvollziehbar und auch verständlich. Die Frage ist (und die hast Du ja auch schon thematisiert), ob der Charakter des Bloggens sich dadurch nicht grundsätzlich wandelt.

      Und meine Frage ist immer noch: Was gewinnt die Profession durch das Bloggen?

      1. Lieber Jo,

        Zeitschriftenartikel und Buecher haben den Nachteil, dass sie sowohl intellektuell als auch praktisch schwerer zugaenglich sind. Mit intellektuell meine ich weniger den Schreibstil als die Angebundenheit an bestimmte Diskurszusammenhaenge, was durch Zitationen etc. angezeigt wird. Der blog erlaubt dem Autoren die Moeglichkeit sich von dieser Angebundenheit zu loesen und neue Verknuepfungspunkte zu finden. Dadurch wird es beispielsweise möglich, dass der Autor eines Zeitschriftenartikels sich an aktuelle Diskurse in anderen Bereichen anschliesst, und so ein neues, breiteres Publikum fuer seine sozialwissenschaftliche Forschung zu finden. In diesem Sinne kann dadurch die Soziologie ihre Relevanz in der Gesellschaft zeigen.

        Neben dem Anschluss an Diskurse ausserhalb der Soziologie ist es auch moeglich, Debatten ueber Forschung innerhalb der Profession weiterzufuehren und neue Verbindungen herzustellen. Es gibt vermutlich auch Beispiele im deutschsprachigen Bereich, aber hier ein blog der Occupations, Organizations and Work, den ich interessant finde, da er versucht, akademische Diskurse weiterzufuehren.

        http://workinprogress.oowsection.org

        Derlei Diskussionen ausserhalb des institutionalisierten Betriebes koennen (und geben tatsaechlich) interessante Impulse fuer die Diskussion innerhalb der Profession. Beispielsweise bin ich derzeit in Diskussion mit dem Betreiber des ‚Work in Progress‘ blogs, eine gemeinsame Sektionssitzung mit uns Ethnomethodologen zu organisieren. Die Diskussion hat ihren Ausgangspunkt vom Inhalt des blogs bzw. dessen, was er nicht oder wenig diskutiert, naemlich ‚das Arbeiten‘, genommen.

        1. Lieber Dirk,

          das ist mir ausgesprochen plausibel. Danke für die Hinweise. Vielleicht noch eine kleine Bemerkung: die Beispiele von Dir deuten auf Blogs hin, die schon sehr themenzentriert sind. Ob bei einem so weit gestreuten Blog wie dem SozBlog eine ähnlich effektive Zusammenarbeit zustande kommt, ist mir angesichts meiner Erfahrungen noch offen.

          Aber sollte das, was Du beschreibt, Alltag von Wissenschaft werden, ändert sich sicher auch deren Alltag.

          Ich bin gespannt, wie es weiter geht.

  6. „Auf die Frage, weshalb so wenige Soziologen und Soziologinnen diese Aussage kommentieren“, gibt’s wenigstens noch eine vierte Antwort (und vermutlich noch etliche mehr)- ich zitiere aus einem privaten Blogbeitrag vom 20.01.2013:

    „(…) Ich war vorher auch auf dem offiziellen Soziologenblog der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, wo sich alle zwei Monate namhafte (?) Soziologieprofessoren in der Kunst des Bloggens üben. Das hat der aktuelle Sozprofblogger zum Anlass genommen, erst mal das Bloggen wortreich zu definieren (hier und hier), was zu zahlreichen, oft ebenso wortreichen Kommentaren und Besuchen führte – da ging’s wohl ans Blogger-Eingemachte, und auch ich hab’s mit (mäßigem) Interesse verfolgt. Der neueste Post ist ein noch wortreicherer Erguss über ein soziologisches Thema und ich konnte mich nicht überwinden, das zu lesen, obwohl ich dreimal dazu ansetzte. Andern muss es genauso gegangen sein, zumindest findet sich nach drei Tagen noch kein einziger Kommentar dazu. So schnell erlischt das Interesse, wenn einer ’ne Stunde braucht, um was zu sagen, wofür drei Sätze reichen täten. Ich lese auch lieber kurze, verständliche, spannende und auf den Punkt gebrachte Posts: In der Kürze liegt die Würze! Aber kurze und knackige Texte zu schreiben braucht’s halt mehr Grips und Zeit, als lange Wortschwälle abzulassen. (…)“ (Zitiert aus: http://diagnosisblog.wordpress.com/2013/01/20/blog-erguss/ – die entsprechenden Posthinweise sind im Originaltext verlinkt).

    Mit freundlichen Grüßen
    Gabriele Gerstmeier M.A.
    Soziologin mit Leidenschaft

    1. „Ich lese auch lieber kurze, verständliche, spannende und auf den Punkt gebrachte Posts: In der Kürze liegt die Würze!“

      Ob das für einen Blog gelten kann, der sich mit soziologischen Themen für soziologisch Interessierte beschäftigt, halte ich zumindest für fraglich.
      Es ist nicht die Länge eines Artikels. Denn ist der Beitrag spannend oder bietet sonstige Anknüpfungspunkte, so kann auch ein langer Text fesseln.
      Es dürfte eher ein klassisches Problem der (Sozial-)Wissenschaft sein: Anspruchsvolle Themen in einfache Sprache übersetzen. Das gelingt nicht jedem. Und häufig ist es auch gar nicht gewollt, da man sich mit Sprache ja auch so schön distinguieren kann.

  7. Was gewinnt die Soziologie als Profession, wenn Bloggen ein Bestandteil ihrer Kultur würde? Zunächst nichts weiter als einen Zuwachs an kontingenten Beobachtungen bzw. an systeminterner Varietät. Durch das Internet wird heute eine Form von Öffentlichkeit etabliert, aus der niemand ausgeschlossen werden kann. Und auch Blogs kann jeder lesen und ggfs. kommentieren. Als Blog-Autor sucht man sich sein Publikum nicht aus sondern das Publikum findet einen Autor. Dieses Publikum besteht aber nicht nur aus Befürworten und Experten. Unter anderem durch das Trollen sieht man wer da so alles mitliest. Das heißt aber nicht unbedingt, dass jede Kritik, egal ob sie von Experten oder Laien kommt, unbegründet wäre. Neben den beruflichen Verpflichtungen könnte hier ein weiterer Grund liegen, warum so wenige Soziologen bloggen. Bereits Luhmann hatte gesehen, dass das Internet die Autorität der Experten angreift (GdG, S. 312f.). Insofern würde ein Blog die Chance bieten fachliche Autorität und gesellschaftliche Relevanz zurückzugewinnen. Allerdings wird das nicht kampflos zu haben sein. Und das schreckt vielleicht viele ab?

  8. Als Trollen bezeichne ich das Beleidigen und Beschimpfen via Internet, was man häufig in den Kommentarspalten der Onlinemedien beobachten kann oder auch in Diskussionsforen. Wenn zum Beispiel jemand das im letzten Beitrag aufgeworfene Problem für offensichtlich falsch hält, aber trotzdem der Meinung ist man müsste darüber ein Wort verlieren, dann hätte er Sie persönlich beleidigen oder Ihre fachliche Kompetenz in Frage stellen können. Dann hätten wir es mit einem Fall von Trollen zu tun. Anders ausgedrückt, handelt es sich um eine gezielte Imageverletzung – in der Regel unter einem Pseudonym. Ich habe vor kurzem das Trollen in meinem Blog unter dem Titel „Kontingenz, Kritik und das Internet“ ausführlicher analysiert:

    http://beobachter-der-moderne.blogspot.com/2012/12/kontingenz-kritik-und-das-internet-2.html

    Hier ein Auszug aus dem Fazit:
    „Trollkommunikation besetzt den Kreuzungspunkt zwischen den zwei Konfliktlinien Experten vs. Laien und Redefreiheit vs. Persönlichkeitsschutz. Sie macht auf die damit verbundenen Probleme aufmerksam. Die Lektion, die Trolle erteilen, liegt letztlich darin, dass sie auf die Unvollkommenheit der sozialen Adresse und die menschliche Verletzlichkeit – auch ohne physische Gewalt – hinweisen. Zur Lösung dieses Problems trägt Trollkommunikation aufgrund der Art und Weise wie das geschieht jedoch nichts bei. Stattdessen verschärft sie das Problem.“

        1. Mein Kommentar zu Kusanowsky:
          Zustimmen möchte ich in dem Punkt, dass es schwierig sein wird, die Frage nach der sozialen Motivation des Trollend empirisch zu klären – obwohl unmöglich wird es nicht sein.

          Nicht zustimmen würde ich in dem Punkt, dass der Getrollte „mitschuldig“ ist. Das gilt nur, wenn es schon eine Mitschuld bedeutet, dass man ist.

          Natürlich setzt sich jeder, der öffentlich kommuniziert, der Gefahr aus, missverstanden oder Objekt von aggressiven Attacken zu werden. Das ist allerdings eine Bedingung und keine Mitschuld. Wessen sollte der Getrollte sich auch schuldig gemacht haben?

          Trollen scheint dagegen an Kommunikation zwischen Menschen, die keine gemeinsame Interaktionsgeschichte haben und haben sollen, gebunden zu sein – also an die Folgenlosigkeit für den Troll. Damit wird eine Grundbedingungen von Kommunikation versucht außer Kraft zu setzen. Mit allen Vorteilen und Nachteilen. Es ist dann zwar leichter zu kommunizieren, aber die Kommunikation bringt dann auch keine Identitätsgewinne – was bedeutet, dass der Troll nur aus der Selbstzuschreibung (man beachtet mich) Befriedigung ziehen kann. Und das ist ziemlich unbefriedigend. Auch für den Troll.

          Gerne würde ich die Handlungsstruktur des Trollens rekonstruieren und das kann man auch, ohne Trolle zu interviewen. Einen ähnlichen Weg geht auch der Beobachter der Moderne – glaube ich. Denn hat man einmal die Sinnfigur des Trollen erfasst, dann kann man auf die sozialen Motive schließen. Trollen mag zwar ein individuell vollzogene Handlung sein, aber dennoch ist sie ein sozialer Handlungstyp, der sich praktisch als Antwort auf ein soziales Problem herausgebildet hat. Kurz: Wenn man weiss, auf welches soziale Problem das Trollen die Antwort ist, dann hat man auch das Trollen verstanden. Oder anders: Wenn Trollen die Antwort ist, was war die Frage?

          1. Vielen Dank. Sie nehmen mir die Worte aus dem Mund. Ich hätte auf kusanowskys Kommentar so ähnlich geantwortet. Mithin sehe ich in der funktionalen Analyse wie ich sie in meinem Text versucht habe anzuwenden eine der wenigen Möglichkeiten das Internet noch wissenschaftlich zu untersuchen. Das könnte man mit Einschränkungen auch auf die Untersuchung von Organisationen übertragen. Ich muss allerdings hinzufügen bzw. gestehen, dass ich in dem Text auch meine eigenen Erfahrungen als Troll und mit anderen Trollen verarbeitet habe. Der Text ist also auch das Ergebnis der theoretischen Reflexion einer sozialen Praxis, das ohne selbst mitgemacht zu haben in dieser Form wahrscheinlich nicht möglich gewesen wäre. Das erwähne ich im Hinblick auf meinen Vorschlag für mehr aktive Beteiligung von Sozialwissenschaftler in Organisationen statt bloßer passiver Beobachtung. Das bringt natürlich neue Probleme mit sich und lässt sich sicherlich nicht für jede soziale Praxis empfehlen. Nichts desto trotz denke ich, dass sich auf diese Weise neue Zugänge für wissenschaftliche Untersuchungen erschließen lassen.

        2. Vielleicht könnten wir mal face-to-face über Ihre Erfahrungen als Troll plaudern. Würde mich interessieren. Sie wissen ja, wie Sie mich erreichen können.

  9. „Was genau meint ‘Trollen’?“

    Die Betrachtungsweise, die „Beobachter der Moderne“ vorgeschlagen hat, ist wenig hilfreich, weil sie nicht erkennen lässt, weshalb man für den Vorgang der „Imageschädigung“ einen neuen Begriff einführen müsste, wenn doch das, worum es geht, längst bekannt ist. Beschimpfung, Verleumdung, Rufschädigung, aber auch Protest, Hassbekundung oder Scherz- und Streichspiele – all das ist seit langem bekannt und es ist nicht erkennbar, warum dafür einer neuer Begriff eingeführt werden müsste, wenn das, was damit beschrieben wird im Laufe der letzten ca. 100 oder 200 Jahre niemals unbekannt geblieben ist.
    So handelt es sich nur um eine verspielte Müßiggängerei, das, was jeder kennt, mit einem Begriff, den noch nicht jeder kennt, zu beschreiben. Aber damit gewinnt man außer einem hübschen Zeitvertreib nicht viel. Vielmehr wird etwas längst Bekanntes nur auf eine noch nicht so bekannte Weise beschrieben.

    Und trotzdem fällt dies dem „Beobachter der Moderne“ gar nicht auf. Ja mehr noch: es wird sogar hingenommen, ohne zu bemerken, dass diese Bemühungen völlig überflüssig sind, weil nämlich das Neue (also das Unbekannte) daran völlig verkannt wird.

    Das Neue ist, dass das Internet ein Massenmedium für alle ist, (also auch ein Massenmedium für Massenmedien). Aber anders als bei bekannten Massenmedien, stellen die bekannten Verfahrensweisen, Regeln, Vorschriften, Gesetze, Gewohnheiten, Beurteilungsweisen, Praktiken (also all das, was man ein „Dispositiv“ nennen könnte) für Massenmedien nur eine Möglichkeit und nicht einmal die einzig relevante dar. Tatsächlich zeigt sich mit dem Internet, dass es ein neues Dispositiv entwickelt. Und diese Neuheit verweist auf Unbekanntes, das einen Erfahrungsbildungsprozess anstößt, der bis jetzt nur wenig Klarheiten oder Eindeutigkeiten zustande gebracht hat.

    (Daher auch die Immunreaktionen gegen das Internet, welche sehr nützlich sind, da sie sich ja auch über das Internet verbreiten.)

    Das Neue des Internets bezieht sich auf eine massenmediale Erweiterung aller bislang bekannten Möglichkeiten, nämlich: dass durch Internet Abwesende mit Abwesenden interagieren können und zwar ohne, dass sie für einander bekannt sein müssen oder bekannt werden können: Interaktion zwischen Abwesenden für einander Unbekannte. Unbekannt sind aber nicht nur die Personen, sondern auch die Gründe (also nachvollziehbare Routinen der Urteilsfindung) für die Interaktionen. Beispiel Twitter: massenweise machen sich Leute für einander durch „following“ beobachtbar, richten aneinander Kommunikationsofferten ohne erkennbare Gründe. Das heißt nicht, dass keine Gründe vermutbar wären, allein, die Kommunikation durchkreuzt die Vermutungen ständig, weil man nicht weiß mit wem man es tun hat und warum.
    So ist es diese Anonymität der Sach- und Sozialdimension der Kommunikation, die ständig Überraschungen zustande bringt. Dazu gehören Bekundung von Freundlichkeiten, kleinere Hilfsleistungen, aber auch enorme Unfreundlichkeiten, Beleidigungen, ja auch Computersabotage. Beides, die erfreulichen wie unerfreulichen Ereignisse bezeichne ist als „soziale Serendipität“, die dadurch auffällig wird, das offensichtlich ausreichend stabile Strukturen der Anonymität emergieren, die eben dies, den Fortgang der anonymen Kommunikation bedingen.

    Und diesen Bedingungen entsteht Trollerei, die nicht bloß Beschimpfung und Beschädigung meint. Denn das ist lange bekannt. Unbekannt ist aber warum unbekannte Leute unbekannte Leute beschimpfen oder ihnen Freundlichkeiten erweisen. Wie gesagt: man kann über die Gründe Vermutungen anstellen, aber solange die Bedingungen es nicht zulassen, diese Leute kennen zu lernen, bleiben diese Mutmaßungen reine empiriefreie Astrologie. Das Geschehen lässt sich mit bekannten emprischen Methoden nicht erforschen, weil die Adressabilität nicht so einfach gewährleistet ist.

    Ein Beispiel dafür darüber habe ich hier kurz beschrieben:

    https://differentia.wordpress.com/2012/11/10/unverschamte-unschuld-auf-der-suche-nach-einer-tat-ohne-tater/

    Dieses Beispiel zeigt die ganze Ratlosigkeit, die dieses Phänomen erzeugt. Man äußert Gewissheiten auf dem Wege der Vermutung, aber auch dem selben Wege zeigt sich, dass die Vermutungen ins Leere laufen, weil die Fremdreferenz sich dem Zugriff entzieht. Daher der Mangel einer empirischen Operationalisierbarkeit dieses Phönomens.

    Letzter Überlegung: man bemerke, dass der Kommentator „Beobachter der Moderne“ selbst anonym verbleibt, eine Beobachtung, die hier dadurch ensteht, dass seine Kommentare einfach frei geschaltet werden. Aber weder sind die Gründe für das Absenden eines Kommentar so leicht nachvollziehbar, noch die Gründe für das Freischalten. Warum geschieht das, wenn es „nutzlos“, Zeitverschwendung ist?

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