Schule. Befürworter einer lebensweltlich verwurzelten Sozialforschung werden mit Wohlgefallen zur Kenntnis nehmen, dass ich das Thema Schule in meinen Lehrveranstaltungen mit einem gehörigen Maß kritischer Schärfe anspreche. Aus biografischen Gründen entkomme ich der schönen Tradition nicht, die von großen Namen unseres Fachs in diesem Zusammenhang begründet worden ist. Denken Sie beispielsweise an Bourdieu, denken Sie aber auch an Luhmann – der implizite Rückblick auf die eigene Schulzeit schleicht sich in ihre Auseinandersetzung mit pädagogischen Fragen bald mehr, bald weniger aufdringlich ein. Volkmar Sigusch hat sinngemäß einmal geschrieben, dass die Zeit des Schulbesuchs in der nachträglichen Betrachtung für viele Menschen die Phase der größtmöglichen Freiheitsberaubung war. Dahingehend befragt, erhalte ich von Studierenden, jenen also, denen es mittlerweile besser geht, manchmal geradezu reflexartige Widerworte: Gerne würde man noch einmal die Schuljahre durchleben, es war interessant, lehrreich, hat Spaß gemacht usw., und wenn ich lange genug frage, wird mir vermutlich bald jemand erzählen, die Schule habe noch dazu ‚den Charakter gebildet‘.
Meine Erinnerungen an die Schulzeit in der Provinz sind etwas anders gelagert. Aus heutiger Sicht fallen mir vor allem die, ich nenne sie mal hochtrabend: ‚Mikrostrukturen der Macht‘ ein. Von den Unterrichtsinhalten selbst ist fast nichts geblieben. Immerhin, Lesen und Schreiben kann ich halbwegs, in Kopfrechnen bin ich geradezu superb (Zitat eines damaligen Mathelehrers: „Das bringt dir später auch nichts“), und wenn mich ein Inhalt interessierte, blieb ich nicht wegen, sondern trotz des Unterrichts dran. Was aber konkret in Chemie, Biologie, Physik, Religion, Erdkunde usw. usf. in der Gymnasialzeit gelehrt wurde, hat sich, Inbegriff ephemeren und doktrinären Wissens, längst verflüchtigt. Niemals wieder werde ich die Kenntnis, die mir in diesen Jahren mehr oder weniger geschickt vermittelt wurde, gebrauchen können. Wie ich mich sachlich streite, wie ich Autoritäten hinterfrage, wie ich Rechte einfordere, wie ich gesellschaftlichen Anforderungen jenseits trivialer Schemata entspreche (und warum ich das vielleicht nicht immer sollte), wie ich verführe, wie ich bei krummen Dingern nicht erwischt werde, wie ich finde, was mir beruflich liegt, und wie ich erkenne, welche politische Meinung unstrittig richtig und welche ganz eindeutig falsch ist, habe ich in der Schule nicht gelernt. Ach so, das wird implizit mitvermittelt, versteckt zwischen Trigonometrie und Bundesjugendspielen? Dies wissend, hätte ich dann doch eine Umwertung der Werte in Richtung unverhüllter Alltagsnähe bevorzugt.
Lehrerpersönlichkeiten auf dem bekannt breiten Spektrum didaktischer und menschlicher Klugheit bzw. stumpfer Talentlosigkeit haben mich bis zum Abitur ‚begleitet‘, wären danach aber nicht im Traum auf die Idee gekommen, zu überprüfen, wie wichtig, wertvoll und anschlussfähig all das (Nicht-)Gelernte in der Nachschulphase für mich tatsächlich gewesen ist. Immer noch rätsele ich über die insgeheime Weisheit der pädagogischen Devise, dass bei einer Schulhofprügelei stets unabhängig vom konkreten Auslöser alle Beteiligten zu bestrafen sind, zumal das Rechtssystem bei vergleichbaren Vorkommnissen unter Erwachsenen seltsamerweise ganz anders agiert. Dass Benotungen mir helfen, mich weiter zu entwickeln, habe ich spätestens dann anzuzweifeln gelernt, als ‚nicht-erbrachte Leistungen‘ negativ beurteilt wurden, wo doch gar nichts zur Beurteilung vorlag. Die glanzvolle Fairness plakativer Gleichbehandlung erinnert mich an die Aussage von Anatole France, wonach in Frankreich der majestätische Gerechtigkeitsgedanke darin zu finden sei, dass es Bettlern gleichermaßen wie Königen verboten ist, unter Brücken zu schlafen. Und schließlich: Nüchterne Aussagen über inhaltliches Desinteresse am Unterrichtsstoff wurden von Lehrern als Provokation und als Sanktionseinladung gedeutet, obwohl sie ohne jede polemische Absicht aufrichtigen Herzens ausgesprochen wurden. Kurzum, Luhmanns luzide Überlegungen zum Schulunterricht als Konstruktionsstätte menschlicher ‚Trivialmaschinen‘ kann ich gut nachvollziehen.
In gewisser Weise wird allerdings, wie in der Schule gelernt, aus der Multiplikation von minus und minus auch hier plus. Gravierende Verstöße gegen jugendliches Gerechtigkeitsempfinden, die Ödnis im Lehrplan, Unzulänglichkeiten des Lehrpersonals: all dies kann helfen, das persönliche Reflexionsbewusstsein zu schärfen. Didaktik ex negativo, wenn man so will. Als Bonbon kommt in meinem Fall hinzu, dass ich im Deutschunterricht Namen fanatischer Kommunisten wie Adorno und Mitscherlich zum allerersten Mal vernommen habe. Vermutlich war es anderswo, und ist es überhaupt heute in der Schule ganz anders, als bei dem unglücklichen Spezialfall, den ich zu durchleben hatte. Für sanftes Abfedern bei der soziologischen Betrachtung schulischer Praxen gibt es m.E. dennoch keinen Grund, dafür ist die Machtdurchdringung zu stark, die Asymmetrie zu deutlich und die absurde Notengläubigkeit zu etabliert. Schule als Interaktionslabor ist ein spannendes Thema, dass ich als Seminaridee für kommende Semester unschlüssigen KollegInnen hiermit gerne ans Herz lege – nicht ohne den unschätzbaren Vorteil zu erwähnen, dass alle Mitwirkung daran freiwillig ist; und nicht ohne den Wunsch, dass niemand auf die Idee kommen möge, die Wirklichkeit des Seminarinhalts sei die Wirklichkeit des Lebens.
Empirie. Wer meint, dass die empirische Sozialforschung hinsichtlich der Einstellung des sie umsetzenden Personals der klerikalen Sphäre fernsteht, hat Bourdieu nicht gelesen. Den „Propheten“ der Theorie stellt er die „Priester“ der Empirie gegenüber – „die am liebsten ein Leben lang alle Forscher auf den Bänken der methodischen Katechismuslehre sitzen ließen“. Natürlich ist das übertrieben – die Implikation dieser schon etwas älteren Äußerung, wonach Theorie und Empirie nicht gerade Hand in Hand unter dem Sonnenschein allumfassenden Erkenntnisgewinns über eine saftig grüne Wiese namens Gesellschaft wandern, scheint mir aber nicht ganz falsch zu sein. Ein Vorzug, der neben anderen Fachdisziplinen vor allem der Soziologie zugutekommt, liegt in der Unabweisbarkeit alltäglicher Referenzerfahrungen. Selbst beinharte Theoretiker, die sich willig in einem empiriefernen Elfenbeinturm verorten (wenn es sie denn gäbe), kämen schließlich nicht umhin, in all ihrem theoretistischen Treiben jene Strukturen und Vorkommnisse zu entdecken, die sie, ins Abstrakte gewendet, weltabgewandt eben deshalb untersuchen, weil es sich um Weltgeschehen handelt. Soziologinnen und Soziologen sind ‚immer im Dienst‘ – ihnen kann niemals und nirgends etwas widerfahren, das nicht in die verschiedenen theoretischen Gedankengebäude hineinpasst, die sie während offizieller Arbeitszeiten betreten.
Als Doktorand in Frankfurt am Main kam ich, mal aus Notwendigkeit, mal aus Neugier, manchmal auch, um abenteuerlustigen Besuchern aus der Provinz einen Hauch der nicht-intendierten Effekte großstädtischen Zusammenlebens zu vermitteln, öfter mal am Bahnhofsviertel vorbei. Nähere Erläuterungen zum Image des Stadtteils kann ich mir an dieser Stelle vermutlich ersparen. Die unverhüllte Mixtur aus Drogenszene, Prostitutionsmilieu, weiterer Kleinkriminalität, immenser nächtlicher Interaktionsdichte, institutionellem Fassadenaktivismus und distriktüberschreitender Erlebnisofferten hatte es in sich. Kann man das Bahnhofsviertel – und seine diversen Äquivalente in anderen Städten – theoretisch denken? Als strukturelles Phänomen vielleicht schon. Mir schien es, nachdem die Idee näherer Recherche sich zu sehr verfestigt hatte, um sie wieder loszuwerden, gewinnbringender, in die Praxen des Ortes einzutauchen, so gut es eben geht. So entstand ein kleines Forschungsprojekt, u.a. wurde ein Buch geschrieben, und ich konnte mich nebenbei als Verwandlungskünstler betätigen: aus zunächst ängstlichen Studierenden, die nicht so recht zu erklären wussten, was sie in die korrespondierende Lehrforschungsveranstaltung getrieben hatte, wurden über Monate hinweg Spezialisten mit intimer Feldkenntnis. Die Berührungsangst hat sich, vermute ich, aufgelöst, als klar wurde, dass der im Bahnhofsviertel vorhandene Gegenentwurf zu jenem Lebensführungsmodell, das einem erzieherisch ans Herz gelegt wird, sich als Chimäre herausstellte. Lebenswelten im Schatten der Gesellschaft existieren nicht infolge bewusster Abwendung vom Mainstream, sondern als Komplementäreffekt; ohne die Effektivität von Normalitätsvorgaben wären Abweichungen nicht denkbar (und vice versa). Fast widerstrebt es mir, von Erfahrungen ‚im Feld‘ zu sprechen, schließlich sind die Menschen, ihre Handlungen und die biografischen Ausrichtungen, die sie dorthin gebracht haben, wo wir sie befragen und beobachten konnten, mit dem heimlich stets mitgedachten ‚Nicht-Feld‘ eng verknüpft, das manche Empiriker zu betreten glauben, wenn der Feierabend der Sozialforschung anbricht.
Seit ich sowohl mit den prophetischen wie auch mit den priesterlichen Dogmen der Soziologie per Du bin, bin ich mir sicher, dass der fruchtbarste Ertrag zumindest für ethnografische Nachforschungen der ‚eigenen‘ Kultur unter der Oberfläche der gesellschaftlichen Selbstdarstellungs- und auch Selbstbeobachtungsangebote lokalisiert ist. (Bei Michael Schetsche lässt sich ein ähnlicher Gedanke, wissenssoziologisch eingerahmt, in einem aktuellen Buch nachlesen.) Die Robert Park zugeschriebene Devise, dass Sozialforscher dorthin gehen müssen, wo sie sich ihre Hosen schmutzig machen, verdient es knapp einhundert Jahre nach ihrer Formulierung, unterstrichen zu werden. Von Vorteil ist außerdem, dass unter der Oberfläche überall dort nachgeschaut werden kann, wo es Oberflächen gibt. Und der Oberflächenglanz umgibt uns alle gemeinhin fast überall. Die Omnipräsenz der Gleichzeitigkeit des Evidenten (vielleicht: des Selbstverständlichen) und des diese Evidenz stabilisierenden Untergrundes sozialen Geschehens liegt bei näherer Betrachtung auf der Hand. Soziologie ist folglich auch deshalb aufregend, weil die Anschauung der Gesellschaft(en) sozusagen in Stereo vorgenommen wird; auf zwei Kanälen läuft vermeintlich dasselbe, tatsächlich aber gibt es Überlagerungen. Es ist die schöne, mich bislang nicht müde machende Aufgabe der Soziologie, diese Interferenzen aufzuspüren. Vieles davon ist Learning by doing, allen Lehrbüchern zum Trotz – und vieles wird, natürlich, beim Betrachten der Pionierarbeiten gewonnen, die andere geleistet haben. Wenn Sie nachfragen und Namen hören wollen würden, würde ich an erster Stelle Ronald Hitzler nennen.
Hinter Gittern. Aus Platzgründen möchte ich einem in unserem Fach selten genannten Vorbild Tribut zollen. Der Marquis de Sade soll den letzten Teil der „120 Tage von Sodom“, seiner schauerlichen Aufzählung verschrobener Fantasien, deshalb nur in Notizen formuliert haben, weil ihm in der Gefängniszelle das Papier ausging. Auch ich muss mich kurz fassen – passenderweise zum Thema Inhaftierung. In mehreren Bundesländern durfte ich Gefängnisse besuchen und ein wenig hinter die Kulissen schauen, mal mit engagierter Unterstützung des Personals, mal mit weniger Begeisterung bei den Experten der Szenerie. Das Gefängnis ist nicht alleine wegen dem Offenkundigen faszinierend, der geballten Faktizität erstens devianten Verhaltens und zweitens seiner konsequenten Bekämpfung im Sinne gesamtgesellschaftlicher Ordnungs(wieder)herstellung. Als soziologisch reizvoll würde ich bereits den Umstand beschreiben, dass die Idee der Haft dermaßen nachhaltig ins Bewusstsein Betroffener wie Außenstehender eingeschrieben ist, dass die nüchtern betrachtet vorliegende Differenzierung zwischen ‚Freien‘ und ‚Gefangenen‘ als solche nicht besprochen wird. Es gibt offenbar nur eine Seite der Medaille. (Tipp für künftige Ethnografen: ‚Gefangene‘ kommt als kategoriale Bestimmung beim Plaudern mit dem Wachpersonal nicht besonders gut an – zu viele negative Vibes.) Hinzu kommt das hintergründige Schwellenphänomen: ab wann jemand, für wie lange, und allemal: mit welcher jeweiligen Perspektive, ‚behind bars‘ verschwindet (studentisches Missverständnis: ‚hinter den Kneipen‘), ist nur vermeintlich ‚sachlich‘ geklärt. In der rechtswissenschaftlichen Debatte scheinen die relevanten Konstruktivismen langsam anzukommen (Stichwort: soziologische Jurisprudenz). Die Soziologie sollte am Ball bleiben, empirisch ist noch längst nicht alles geklärt. Auch hier wäre es, wie überall, falsch, an der Oberfläche zu verbleiben, an der sich beispielsweise der politische Diskurs aus Gründen der Anschlussfähigkeit orientieren muss. Ganz einfach ist nichts, schon gar nicht das, was jedermann einleuchtet. In diesem Sinne möchte ich mein Schlusswort verstanden wissen, das gar nicht mir, sondern Adorno gehört: „Wo es am hellsten ist, herrschen insgeheim die Fäkalien.“
Lieber Herr Benkel,
vielen Dank für ihre spannende Reflexion auf die gesellschaftlichen Schatten, die als Fundament der strahlenden gesellschaftlichen Oberflächen herhalten müssen. Sie Sprechen da ein äußerst fundamentales Thema soziologischen Reflektierens und Arbeitens an und machen für mich insbesondere an den Feldbesuchen im Frankfurter Bahnhofsviertel deutlich, wie man im Modus der ethnografischen Feldforschung einen Blick hinter die Selbstrepräsentationen der Gesellschaft bekommt und auf solches blickt, was als verkannt und abgewertet der sozialen Unsichtbarkeit überlassen wird.
Wenn die Soziologie nun solchen Ordnungen der Sichtbarkeit oponiert und sich ein Bild davon macht, was hinter der Sichtbarkeit passiert, greift die Soziologie dann in eben diese Ordnung der Sichtbarkeit selber ein? Die soziologische Beobachtung liest sich bei Ihnen wie eine Art Illuminator, die den gesellschaftlichen Lichtkegel verschiebt. Ist die Soziologie dabei Orientiert an einem Ideal umfassender Sichtbarkeit und gesellschaftlicher Selbstverständigung zu dem sie beitragen will? Und falls ja, was für Grenzen gibt es dabei? Sollte die Soziologie gewisse Dinge im Schatten belassen dafür aber an machen Oberflächenerscheinungen umso dringender in den Schatten hinein Leuchten?
Und ich hab mir noch eine Frage gestellt im Bezug auf Ihre Aussage, dass die Oberflächen der Gesellschaft von dem „stabilisierenden Untergrund“ getragen werden. Meinen Sie mit stabilisierenden Untergrund sowas wie allgemeine Strukturgesetze? Oder meinen Sie gesellschaftlich unbeachtete Existenzen und Lebensweisen, die von den öffentlich Verhandelten und als normal etikettierten Lebensweisen abweichen? Falls ja, warum stabilisieren diese Schattenexistenzen die oberflächliche Ordnung?
Konnte das jetzt nur so allgemein Formulieren, vielleicht weil Sie auch sehr allgemein geschrieben haben. Fragen Sie gerne zurück anstatt zu Antworten. Vielleicht kommt dann eine klarere Frage dabei heraus.
Allgemein interessiert es mich irgendwie, ob man nicht aus normativen, ethischen, moralischen oder sonst welchen Erwägungen auch Dinge unbeforscht lassen muss. So wie JournalistInnen Themen daran unterscheiden, was gesellschaftlich Relevant ist und was nicht. Aber wie sollen Soziologen das machen? Es scheint ja jedes Detail vor Welthaltigkeit zu strotzen.
Liebe(r) nk,
beim „stabilisierenden Untergrund“ fällt mir, ganz abgesehen vom Gedankengang in meinem Text, spontan Norbert Elias‘ Behauptung ein, dass selbst die vermeintlichen Ausbrüche aus der Regelhaftigkeit normierten Verhaltens bei näherem Hinsehen auf einem stabilen Fundament der Angepasstheit stehen.
Dazu nicht ganz unpassend: Das Selbstverständliche im Feld baut auf mehr oder weniger intendierten, mehr oder weniger strukturierten, mehr oder weniger organisierten Vorarbeiten auf, die selbst gar nicht selbstverständlich und oft nicht ohne Weiteres sichtbar sind. Wenn man im Zuge der Feldforschung mehr darüber erfährt, erscheint einem der Zusammenhang zwischen dem Sichtbaren und dem Unsichtbaren irgendwie ganz plausibel – zumindest geht es mir regelmäßig so.
Ich glaube andererseits aber nicht, dass die Soziologie oder konkret die Ethnografie die Ordnung des Sichtbarkeit, wie Sie es nennen, wesentlich beeinflußen könnten oder sollten. Man sieht nicht, was man nicht sieht, und braucht lange, alleine davon eine Ahnung zu erhalten. Unsichtbarkeit ist natürlich per se paradox – wäre sie wirklich nicht greifbar, wäre sie konsequenterweise auch nicht denkbar.
Ein vollständiges Ausleuchten von ad hoc undurchsichtigen sozialen Wirklichkeiten ist, denke ich, nicht zu erreichen, weil schließlich das Feld nur in sehr spezifischen Konstellationen wirklich derart ‚abgeschlossen‘ ist, dass SoziologInnen irgendwann sagen könnte, nun sei alles erfasst. Da halte ich es gerne (wieder) mit Bourdieu: Die relationalen Verknüpfungen von allem mit allem lassen es gar nicht zu, dass Themen umfassend überschaut oder, um in der Metapher zu bleiben, dass alles beleuchtet werden kann. Einfacher formuliert, mit dem Maß des Wissens geht auch ein Anstieg des Nichtwissens oder eben: der Unterbeleuchtung einher. Die Ausweitung des Scheinwerferkegels bringt zuviele weitere Aspekte mit ins Spiel, die ihrerseits sorgfältig betrachtet werden müssten. Das geht aber dann immer so weiter, und man sitzt im Schlamassel…
Sie sehen also: Schatten spenden nicht im Hochsommer Segen, sondern haben auch ihren methodischen Vorteil. Spannende Auswahlverfahren, die ForscherInnen Grenzen mitdenken und miteinkalkulieren lassen, gibt es glücklicherweise einige (spontan denke ich an Geertz).
Ich hoffe, das ‚erhellt‘ im wahrsten Sinne des Wortes ein wenig, was ich meinte.