Fatale Allianzen auf dem deutschen Sonderweg zur wissenschaftlichen Exzellenz
Ein Gastbeitrag in zwei Teilen von Richard Münch, Bamberg
Dies ist die Fortsetzung von Teil 1 vom 27. Mai
Nachdem im ersten Teil dieses Beitrags drei zentrale Entwicklungstrends des akademischen Shareholder-Kapitalismus skizziert wurden, sollen in diesem abschließenden Teil zwei Faktoren beleuchtet werden, die erklären, warum diese Entwicklung trotz ihrer unübersehbaren negativen Konsequenzen unbeirrt vorangetrieben wird.
- Zwei Erklärungen für diese Trends
2.1 Die Narrative der Knappheit öffentlicher Finanzen und der erhöhten Ansprüche an ‚Accountability‘
Die Protagonist*innen der skizzierten Programmatik mit ihren problematischen Folgen für Wissenschaft und Hochschulbildung stützen sich auf zwei Narrative: 1. die Knappheit der öffentlichen Finanzen und 2. erhöhte Ansprüche der Öffentlichkeit an ‚accountability‘. Diese beiden Narrative gilt es zu hinterfragen, statt sie als sakrosankt hinzunehmen. Und es ist zu prüfen, ob sich aus ihnen Maßnahmen ableiten lassen, die für die Wissenschaft ganz offensichtlich weit mehr Schaden als Nutzen bringen.
Beide Narrative sind nicht vom Himmel gefallen, sondern Kern der neoliberalen Sicht auf den Staat und die Herstellung öffentlicher Güter. Wenn der Staat so klein wie möglich gehalten werden soll und wenn dessen Tätigkeit grundsätzlich misstraut wird, dann fehlt ihm das nötige Geld, sodass wie in den USA sogenannte Philanthro-Kapitalist*innen wie Bill Gates & Co. einspringen müssen, um fehlende Steuergelder durch privates Sponsoring zu ersetzen. Und öffentliche Güter müssen so weit wie möglich durch private ersetzt und auf Märkten bzw. Quasi-Märkten gehandelt werden, um direkte ‚accountability‘ herzustellen. Wohin das führt, sehen wir beispielhaft in den USA: zum Triumph des Marktes über die Demokratie und zur Plutokratie.
Auch wenn man akzeptiert, dass in Deutschland nicht 100 Universitäten in allen Fächern gleich gut ausgestattet werden können und 2,76 Millionen Studierende im Jahr 2016 viel höhere Kosten verursachen als 1,04 Millionen im Jahr 1980 oder gar nur 245.000 im Jahr 1965, und wenn man es auch für richtig hält, dass Universitäten über ihre Leistungen Rechenschaft abzulegen haben, dann folgt daraus noch lange nicht, dass man zu diesem Zweck artifiziell eine scharfe Trennung zwischen Elite und Masse schaffen und ein Kontrollregime errichten muss, die zusammen Vielfalt und Kreativität ersticken und den Erkenntnisfortschritt hemmen, statt ihn zu fördern.
Das angebliche Knappheitsproblem ist in Wahrheit ein Verteilungsproblem. Geld fehlt vor allem für die universitäre Lehre, weil – wie gesagt – viel zu viel in die Forschung ohne Lehre gesteckt wird. Und fünfzig mit der kritischen Masse ausgestattete Fachbereiche sind insgesamt leistungsfähiger als zehn überfinanzierte und vierzig unterfinanzierte. Ohne Rankings und ihre zwanghaft erzeugte eindimensionale Differenzierung in Ränge, auf die alle wie gelähmt starren, ist eine horizontale Differenzierung nach Profilen viel leichter möglich und der Sache angemessener, auch mit mehr oder weniger Gewicht von Forschung und Lehre. Die Fixierung auf Stratifikation verringert zwangsläufig die horizontale Differenzierung des Hochschulsystems nach Profilen. Beides zusammen – wie es der Wissenschaftsrat gerne hätte – steht unter dem Diktat der Stratifikation durch Rankings und macht zwangsläufig minderwertig, was an sich nur anders ist, als ein Großstandort der Forschung.
Schon jetzt ist zu beobachten, dass das vielfältige deutsche Hochschulsystem in den letzten 20 Jahren an horizontaler Differenzierung verloren hat, und zwar genau deshalb, weil mit dem durch Rankings erzeugten Wettbewerb alle zu demselben Erfolgsmuster streben und dabei die einen eben erfolgreicher sind als die anderen, ganz einfach weil sie über die bessere Ausstattung für diesen einseitigen Wettbewerb verfügen (Baier 2016). Ohne diese zugleich homogenisierende und stratifizierende Wirkung von Rankings könnten wir wie bisher auch weiterhin ein Hochschulsystem haben, das sehr vielen unterschiedlichen Bedürfnissen dient und unter überhaupt keiner Knappheit leidet, weil nicht für alle Studiengänge und jede Forschung gleich viel Geld benötigt wird. Wer weniger Geld benötigt, darf dann aber nicht gleich als minderwertiger betrachtet werden als diejenigen, die mehr Geld zur Verfügung haben. Genau diesen fatalen Irrtum begeht jedoch die Orientierung an Rankings, für die eben die Höhe der eingeworbenen Drittmittel ein rangdifferenzierender Indikator ist. Das kann auch von den Ersteller*innen der Rankings noch so oft dementiert und relativiert werden. Sobald der Indikator in der Welt ist, führt er sein Eigenleben und lässt sich durch beschwichtigende Reden nicht mehr aus der Welt schaffen.
Rankings schaffen einen ‚Winner-Take-All-Market‘, in dem sich extreme Einkommensunterschiede zwischen den absoluten Top-Positionen und dem Rest bilden, weil nur diese Positionen zählen (Frank und Cook 1999, 2010, 2013; Hacker und Pierson 2011). Es gibt wenige Gewinner*innen und viele Verlierer*innen. Die Gewinner*innen können Monopolrenten erzielen, sodass die Einkommensverteilung letztlich für das Gesamtsystem ineffizient ist. Rankings erzeugen Knappheit, wo ohne sie gar keine vorhanden wäre, schon deshalb, weil sie einen eindimensionalen Wettbewerb um knappe Ränge an der Spitze erzeugen. Und weil dieser Wettbewerb letztlich durch verfügbares Kapital entschieden wird, findet eine unablässige finanzielle Aufrüstung statt, die Kapital weit über das funktionale Erfordernis hinaus verschwendet. An der Spitze herrscht fortwährend Knappheit, weil die Konkurrent*innen dort oben davonzueilen drohen. Der FC Bayern München kann noch so reich sein, er wird angesichts der Aufrüstung von Real Madrid & Co. immer zu wenig reich sein. Und weiter unten wird Eintracht Frankfurt immer zu wenig haben, um sicher die 1. Liga halten zu können, im Vergleich zum FC Bayern München erst recht.
Auf die Wissenschaft übertragen heißt das, dass Harvard & Co. unablässig aufrüsten müssen, um die Position an der Spitze halten zu können, die UC Berkeley BP braucht, um einigermaßen mithalten zu können, und die staatlichen Universitäten im Mittelfeld Industriegelder benötigen und ihre Studiengebühren erhöhen müssen, damit sie nicht ganz untergehen. Der exorbitant steigende Kapitalbedarf dieses Systems ist nicht den funktionalen Erfordernissen von Forschung und Lehre geschuldet, sondern dem durch Rankings ins Unermessliche gesteigerten Aufrüstungswettbewerb. Die Kapitalakkumulation verselbständigt sich gegenüber der eigentlichen akademischen Tätigkeit, für die ohne den Aufrüstungswettbewerb gar kein so hoher Kapitalbedarf bestünde. Lionel Messi und Christiano Ronaldo würden für jeweils 250.000.- Euro Jahreseinkommen genauso gut spielen wie für die 75 bzw. 67 Millionen Euro, die sie im Aufrüstungswettbewerb der Champions League einschließlich Werbegeldern tatsächlich pro Jahr einnehmen. Und wir können auch mit Sicherheit sagen, dass ein/e Absolvent*in der Stanford University nicht über 39-mal mehr Wissen verfügt als ein/e Absolvent*in der Universität Wien, wenn auch das Jahresbudget von Stanford 2012 bei 196.000.- Euro pro Studierender/Studierendem lag und das der Universität Wien bei nur 5.000.- Euro. Auch die/der MIT-Absolvent*in weiß nicht sechseinhalb mal mehr als die/der Absolvent*in der TU München, wie es der Jahresbudget-Unterschied zwischen 211.000.- Euro und 32.000.- Euro pro Studierender/Studierendem suggeriert (Schenker-Wicki 2014: 21).
Der Budget-Unterschied drückt allerdings einen entsprechenden Unterschied im symbolischen Wert des Diploms aus, woran man wieder erkennen kann, dass es bei diesem Wettbewerb auch bei den Studierenden nicht um die funktionalen Erfordernisse des Kompetenzerwerbs geht, sondern um Distinktionsgewinne, die sich wiederum in materielle Vorteile umsetzen lassen. Auch zwischen den Studierenden erzeugen Rankings einen Aufrüstungswettbewerb, bei dem es weniger um faktische Leistungssteigerung als um symbolische Prestigegewinne geht. Bildung wird in diesem Wettbewerb zu einem Positionsgut, bei dem Unterschiede im Fachwissen nicht die großen Einkommensunterschiede zwischen den Absolvent*innen mit Zertifikaten von Universitäten in unterschiedlichen Rangpositionen erklären können. Dazu gehört auch, dass weniger die bessere Wissensvermittlung durch die Universitäten an der Spitze die höheren Einkommen ihrer Absolvent*innen erklärt, sondern die Tatsache dass sie aufgrund ihrer begehrten Position in der Lage sind, die besten Studienanfänger zu rekrutieren. Diese bringen höchste Kompetenzen mit, sodass sie zusammen mit dem Prestigetitel dieser Universitäten zwangsläufig auch die großen Gewinner*innen auf dem Arbeitsmarkt sind. Die eigentliche Wissensvermittlung durch die Universität übt nur einen geringen zusätzlichen Effekt auf den beruflichen Erfolg aus.
Das angebliche Problem mangelnder ‚Accountability‘ schließlich, ist eine neoliberale Konstruktion, der entgegenzuhalten ist, dass universitäre Forschung und Lehre im Hinblick auf ihre grundsätzliche Einrichtung der demokratischen Kontrolle bedürfen, im Hinblick auf die Rechtmäßigkeit ihres Betriebes der bürokratischen, im Hinblick auf ihre Inhalte jedoch der professionellen Kontrolle, die durch betriebswirtschaftliches ‚Qualitätsmanagement‘ und Rankings sowie die Errichtung eines akademischen Shareholder-Kapitalismus schlichtweg zerstört wird.
2.2 Forschungs- und Hochschulpolitik im Zirkel politischer Selbstreferenz
Aus einer konsequent systemtheoretischen Perspektive ist es in einer funktional differenzierten Gesellschaft gar nicht möglich, dass die Politik die Wissenschaft im Sinne der Wissenschaft und ihres Fortschritts steuert (Luhmann 1986). Eingeschlossen in den Zirkel der politischen Selbstreferenz steuert sich die Politik mit dem Exzellenzprogramm nur selbst. Das Programm ist Politik für die Politik durch Politik und sendet an das Wissenschaftssystem mit dem Geldsegen der Initiative nur Impulse, die dort auf vorhandene Strukturen treffen. Und solange diese Strukturen so innovationsfeindlich sind, wie es sich angesichts eines Verhältnisses von 85% Mitarbeiter*innen und 15% Professor*innen an den deutschen Universitäten darstellt, produzieren die jährlich zufließenden 533 Millionen Euro an Exzellenzgeldern nur mehr vom Gleichen, statt Neues hervorzubringen.
Wissenschaftlich kann die Exzellenzinitiative deshalb grundsätzlich kein Erfolg sein. Wenn sie trotzdem als Erfolg gefeiert wird, dann bringt das nur zum Ausdruck, dass es auch gar nicht um den wissenschaftlichen, sondern um den politischen Erfolg geht. Die immer wieder betonte Erhöhung der Sichtbarkeit von Spitzenforschung in Deutschland durch die Exzellenzinitiative ist ein politisches und kein wissenschaftliches Erfolgskriterium. Sie bedeutet, dass ausgewählten Universitäten wie im längst von McKinsey für Wirtschaftsunternehmen ausgerufenen ‚global war for talents‘ durch erhöhte Sichtbarkeit ein Wettbewerbsvorteil gegeben wird. Dieser Wettbewerb um die ‚besten Köpfe‘ ist jedoch die heteronome politische Seite der Wissenschaft, auf der es um die zirkuläre Akkumulation von Geld und Prestige geht (vgl. Bourdieu 1975). Sie dominiert zunehmend über die autonome wissenschaftliche Seite der offenen und uneigennützigen Suche von Forscher*innen nach neuen Erkenntnissen. Das ist gut für Harvard & Co., aber nicht für die Wissenschaft, weil eine breitere Streuung der Harvard-Milliarden für mehr Wettbewerb, Offenheit und Produktivität sorgen würde, genauso wie die Spieler auf der Ersatzbank von FC Barcelona, Real Madrid, FC Bayern München & Co. den Fußball auf der ganzen Welt bereichern und dort für mitreißende Spiele sorgen könnten, wenn sie bei anderen Vereinen auf dem Feld stehen würden. Auch die Wissenschaft würde von einer breiteren Streuung der Talente über die Welt und aus deren frühzeitiger Entlassung aus der Gefangenschaft in riesigen Forschungsverbünden profitieren, die von Wissenschaftler*innen geleitet werden, die zu systematisch Kapital akkumulierenden Forschungsmanager*innen mutiert sind und für die von Diane Reay (2014) beschriebene wachsende Kluft zwischen Kapital und Arbeit im akademischen Feld sorgen.
Politisch haben die Verantwortlichen für die Exzellenzinitiative jedoch alles richtig gemacht. Das Programm setzt unmissverständlich auf die politische Seite der Wissenschaft. Es macht die Reichen in der Wissenschaft noch reicher und die Armen ärmer. Die reicheren Universitäten sollen so in die Lage versetzt werden, mit Harvard & Co. im globalen Monopoly-Spiel um die ‚besten Köpfe‘ mithalten zu können, was allerdings angesichts der Vermögenskluft, die zwischen Harvard & Co. und dem Rest der Wissenschaftswelt klafft, und angesichts der US-Hegemonie in der vom Shanghai-Ranking bestimmten Wissenschaft ohnehin eine Illusion ist. Man erhofft sich vergeblich, dass eine jährliche Finanzspritze von 30 Millionen Euro die TU München zum ernsthaften Konkurrenten von Harvard, MIT & Co. macht, so wie auch ein größerer Anteil des FC Bayern München an den Fernsehgeldern der Bundesliga diesem Verein ermöglichen würde, dem FC Barcelona, Real Madrid oder Manchester United die größten Fußballtalente auf dem Weltmarkt wegzuschnappen. Nur leider ist der Abstand der TU München zu Harvard, MIT & Co. auch mit Exzellenzgeldern viel größer als derjenige des FC Bayern München zu seinen Konkurrenten in der Fußball-Champions-League. Deshalb ist der logische weitere Schritt in die Richtung des akademischen Shareholder-Kapitalismus der Ruf nach der Förderung einer Sponsoren-Kultur durch kräftige Steuersenkungen, sodass es wie in den USA genügend Philanthro-Kapitalist*innen gibt, die ihr überflüssiges Geld lieber in ‚ihre‘ Universität stecken, statt es einem ‚ineffizient‘ wirtschaftenden Staat für Bildungs- und Sozialausgaben zu überlassen.
Abgesehen davon, dass die Exzellenzgelder an der Hegemonie von Harvard & Co. nichts ändern und deshalb nicht den erwünschten Erfolg bringen werden, ist das Programm aber auf jeden Fall ein politischer Erfolg, und zwar in dem Sinne, dass es die Bedingungen der Aufmerksamkeitserzeugung in der Mediendemokratie in vollem Umfang erfüllt. Für die Medien ist ‚Sichtbarkeit‘ der entscheidende Faktor des Erfolgs. Einfach die Grundausstattung der Universitäten zu erhöhen, dafür zu sorgen, dass jedes Fachgebiet an möglichst vielen Standorten mit der materiell erforderlichen kritischen Masse an Grundmitteln ausgestattet wird, und die Oligarchie der Lehrstuhlinhaber*innen durch die Umwandlung von Mitarbeiter*innenstellen in Tenure-Track-Juniorprofessur*innen zu beseitigen, womit Forschung und Lehre viel mehr als durch die Exzellenzinitiative gedient wäre, bringt keine besondere mediale Aufmerksamkeit. Eine florierende Wissenschaft über die ganze Republik gestreut lässt sich medial nicht so gut verkaufen wie ein Bundesliga-Wettbewerb als Unterbau der vom Shanghai-Ranking organisierten internationalen Champions League. Allerdings wird es mit dem medialen Interesse bald vorbei sein, wenn Jahr für Jahr dieselben Sieger gekürt werden. Es muss dann der Starkult an die Stelle des Wettbewerbs treten, wie es sich in der Fußball-Champions-League beobachten lässt.
Ähnliches gilt für die mediale Inszenierung der Wissenschaft. Sie befeuert einen Starkult, der vollkommen verkennt, dass der Erkenntnisfortschritt aus der fortlaufenden Generierung von Hypothesen und ihrer Verwerfung resultiert, woran eine Vielzahl von Wissenschaftler*innen beteiligt sind, selbst dann, wenn am Ende eine Person mit einem Preis für eine Entdeckung bedacht wird. Dass die Inszenierung des Wettbewerbs um die ‚besten Köpfe‘ insbesondere auf Kosten zahlloser sogenannter ‚Nachwuchswissenschaftler*innen‘ in prekärer Beschäftigung unter der Regie von Manager*innen einer industriellen Massenproduktion und auf Kosten der Erneuerungsfähigkeit der Wissenschaft geschieht, wird im Nebel des Exzellenzhypes nicht bemerkt. Die Medien selbst leben davon und können deshalb kaum noch kritische Distanz dazu wahren.
Dass die Forschungs- und Hochschulpolitik für solche institutionellen Feinheiten blind geworden ist, liegt an der globalen Agenda neoliberaler Gouvernementalität, die alle Lebensbereiche ein- und demselben Muster unterwirft (Foucault 2006). Politiker*innen und Funktionär*innen, die diese Agenda umsetzen, tun schlicht das, was politisch opportun ist und von der globalen Agenda das Siegel der Legitimität erhält, unabhängig davon, ob es Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft hilft oder nicht. Sie können nicht anders handeln. Sie sind Gefangene einer globalen Agenda, die weder auf Funktionalitäten noch auf kulturelle Besonderheiten Rücksicht nimmt. Auch darin zeigt sich, dass der Erfolg der Exzellenzinitiative im Sinne der Selbstreferenz des politischen Systems ein politischer ist. Das Opfer für diesen politischen Erfolg erbringt der sogenannte wissenschaftliche ‚Nachwuchs‘ und mit ihm letztlich die Wissenschaft selbst und auch die Wirtschaft und die Gesellschaft insgesamt.
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Richard Münch ist emeritierter Professor für Soziologie an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg und Seniorprofessor für Gesellschaftstheorie und komparative Makrosoziologie an der Zeppelin-Universität Friedrichshafen
Arbeitsschwerpunkte: Gesellschaftstheorie, Komparative Makrosoziologie, Prozesse des gesellschaftlichen Wandels.
Literatur (Teil 2)
Baier, Christian. 2016. Reformen in Wissenschaft und Universität in feldtheoretischer Perspektive. Diss. rer. pol. Universität Bamberg.
Bourdieu, Pierre. 1975. „The Specificity of the Scientific Field and the Social Conditions of the Progress of Reason.“ Social Science Information 14 (6): 19-47.
Foucault, Michel. 2006. Die Geburt der Biopolitik. Geschichte der Gouvernementalität II. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Frank, Robert H. und Philip J. Cook. 1991. „Winner-Take-All Markets.“ Papers in Political Economy, No. 18. The University of Western Ontario.
Frank, Robert H. und Philip J. Cook. 2010. The Winner-Take-All Society. New York: Random House.
Frank, Robert H. und Philip J. Cook. 2013. „Winner-Take-All Markets.“ Studies in Microeconomics 1 (2): 131-154.
Hacker, Jacob S. und Paul Pierson. 2011. Winner-Take-All Politics: How Washington Made the Rich Richer – and Turned its Back on the Middle Class. New York: Simon and Schuster.
Luhmann, Niklas. 1986. Ökologische Kommunikation. Opladen: Westdeutscher Verlag.
Reay, Diane. 2014. „From Academic Freedom to Academic Capitalism.“ Discover Society. Measured – Factual – Critical. February 15, 2014. http://www.discoversociety.org.
Schenker-Wicki, Andrea. 2014. „Exzellenz: Institutionelle Konzepte.“ In: Österreichischer Wissenschaftsrat (Hg.). Exzellenz in der Wissenschaft. Österreich im internationalen Vergleich. Wien, S. 13-29.
Lieber Richard Muench,
vielen Dank fuer die ausgezeichnete Analyse! Ich habe ebenfalls die Ehre zu den Erstunterzeichnern der besagten Petition („Exzellenzkritik“) zu gehoeren, die, wie sie hervorheben, schon von mehr als 2000 akademischen Nonkonformisten unterzeichnet worden ist, und das, obwohl – man muss das hervorheben – viele derer, die sie auch gerne unterzeichnen wuerden, das nicht tun, weil sie Angst um ihre akademische Zukunft haben muessen. Das kann man im Lichte des von Ihnen im ersten Teil Ihres Beitrags diagnostizierten Zwangs zum Habitus der „subalternen Konformitaet“ auch gut nachvollziehen. Nicht nachvollziehbar aber, und nicht zu entschuldigen, ist dieser Habitus in der Tat bei jenen bereits ordinierten und unkuendbaren Kollaboratueren in den Geisteswissenschaften, die zwar staendig vom kritischen Denken reden, denen aber das dafuer erforderliche Rueckgrat gaenzlich fehlt, und die sich daher mit molluskenhafter Bereitwilligkeit in jede neoliberale Zumutung fuegen, die sich ihnen darbietet, in der Regel unter Berufung auf die systemischen Zwaenge, die durch die eigene wissenschaftliche Weichtierpraxis erst ermoeglicht und zementiert werden (ich wandele hier Ihr Marx-Zitat ab). An diesem Punkt beginn aber auch der Vergleich mit dem Spitzenfussball zu hinken. Messi ist ein Spitzenfussballer, wo auch immer er spielt. Die „besten Koepfe“ hingegen waeren nur die besten, wenn sie NICHT im Schatten des Exzellenzfetisch stuenden. Wo aber schon aus systemischen Gruenden nichts Handfestes erwachsen kann, und wo keineswegs die Besten exzellieren, sondern nur die Bestangepassten, sollte man auch keinen „brain gain“ konzedieren, sondern vielmehr im Namen einer freien Wissenschaft zur froehlichen Molluskenjagt blasen. Zudem koennte sich Dank einer List der Vernunft erweisen, dass – zumindest wo die Wissenschaft keines Large Hadron Colliders oder einer Marsmission bedarf, sondern nur eines guten Kopfes und einer Bibliothek – wirklich „gute Arbeit“ tatsaechlich an der Peripherie geleistet werden kann und muss.
Ich meinte natuerlich Richhard Muench und bitte, den Fehler zu entschuldigen und der fortgeschrittenen Stunde anzulasten.
Lieber Christian Uhl,
vielen Dank für den schönen Kommentar, der zurecht Punkte in den Vordergrund rückt, die ich im Hintergrund belassen habe. Die von Ihnen beklagte Zurückhaltung der Kollegenschaft mit kritischen Äußerungen zur Exzellenz-Initiative ist einerseits Ausdruck von schon eingeschränkter akademischer Freiheit, andererseits aber auch Ausdruck der Hegemonie des Neoliberalismus, die eine Entwicklung als alternativlos erscheinen lässt, die nicht alternativlos ist. Im zweiten Teil meines Blog-Beitrags bin ich auf Aspekte davon eingegangen. Brain gain gibt es durchaus in dem Sinne, dass reichere Universitäten größere Anziehungskraft auf schon erfolgreiche Wissenschaftler*innen ausüben können, woraus wiederum ein Prestigezuwachs resultiert, der dann tatsächlich zur symbolischen Aufwertung der Arbeit von Wissenschaftler*innen über das tatsächlich geleistete hinaus führt, dementsprechend an einer „Exzellenz-Universität“ oder an einem „Exzellenzcluster“ auch gewöhnliche Leistungen in den Exzellenz-Status gehoben werden. Und umgekehrt führt die Exzellenz-Rhetorik zu einer systematischen symbolischen Abwertung vieler hervorragender Leistungen an den Standorten ohne Exzellenz-Glanz. Auf jeden Fall haben sie es schwerer, erkannt und anerkannt zu werden. Umso erfreulicher ist es, wenn es trotzdem gelingt, gerade deshalb, weil in der Provinz der Spielraum für Heterodoxie größer ist. Besonders problematisch ist, dass das Exzellenz-Programm die für die Entwicklung des wissenschaftlichen Wissens unabdingbare offene und gleichberechtigte Kooperation unabhängig von Standorten einem Standortwettbewerb nach ökonomischer Logik opfert. Wenige Gewinner werden auf Kosten der Erzeugung vieler Verlierer gekürt, was sich insgesamt lähmend auf den Erkenntnisprozess auswirkt. Aber diese Konsequenzen werden von der Exzellenz-Rhetorik systematisch ausgeblendet. Von der auf mediale Erfolge konditionierten Politik kann man nicht mehr erwarten, von einer Instanz wie dem Wissenschaftsrat aber eigentlich schon.
Lieber Richard Münch,
meinen besten Gegen-Dank fuer Ihre Antwort. Ich stimme Ihrer Einschaetzung des „brain gain“ bzw. „brain drain“ durchaus zu, d.h., ich wollte nicht bestreiten, dass es sich dabei in der Tat um ein wirkliches Problem handelt. Nur stellt sich mir (auch in polemischer Absicht) angesichts dessen was da in diversen geisteswissenschaftlichen Exzellenzclustern getrieben wird – und was da andererseits NICHT getrieben wird – die Frage, ob es sich bei diesem „brain drain“ nicht gar um einen doppelten handelt, will sagen, ob der „brain drain“ nur als Verlust denkerischen Potenzials an der Peripherie sich laehmend manifestiert, oder nicht ironischer Weise auch als eine laehmende Drainage der „besten Koepfe“ selber. Der von einem Exzellenzcluster absorbierte Kopf kann ja seine denkerisch-kritischen Faehigkeiten nicht nur in der akademischen Provinz nicht mehr entfalten; es ist nach all den Jahren auch eine noch immer offene Frage, ob er das denn in einem Cluster kann, unter dem ideologischen Joch neoliberaler Vorzueglichkeit, und unter jenem Zwang zum Habitus „subalterner Konformitaet“, der offenbar kaum mehr zulaesst, als die Reproduktion des seit Jahrzehten vorherrschenden postmodern-neoliberalen mainsteams. Ein solcher „brain gain“ aber fuehrt sich selbst ad absurdum und mag ein glaenzender Erfolg zwar nach den selbst-referenziellen Massstaeben sein, die in der Echokammer neoliberaler „Exzellenz“ gelten, nicht aber nach den Regeln wirklich guter Fussballarbeit, wie sie vielleicht auf dem Bolzplatz im spaetkapitalistischen Hinterhoef moeglich ist, wo – so wollte ich als hoffnungsloser Romantiker hoffen – durchaus wirklicher Fussball gespielt werden kann, oder doch immerhin koennte. Damals, in jenem irgendwie mit unserem verwandten Zeitalter der Renaissance, waren das neue, aufbrechende Denken und die Kritik am herrschenden Dogma ja auch nicht mehr in den „Leuchttuermen“ der hoeheren Bildung zu Hause. Die Leuchttuerme waren bekanntlich voll von lauter pompoesen (neo)-konservativen Scholastikern, an deren Namen sich heute allenfalls noch ein paar Spezialisten erinnern. Und da, wo weltgeschichtliche Tatsachen und Personen sich zweimal ereignen, sie dies das erste Mal als Tragoedie tun, das zweite Mal aber als Farce (Marx, 18. Brumaire, MEW 8: 115), ist es wohl auch kein Zufall, dass deren (der Scholastiker) komische Hüte, Talare und falsche Baerte zur Reklame und rituellen Selbstinszenierung gerade von der neoliberal gewandelten „Zukunftsuniversitaet“ wieder hervorgekramt worden sind. Im „Exzellenz-Cluster“ werden derweil unermüdlich allerlei „invented traditions“ de-konstruiert …
Herzlichen Dank für den Beitrag! Viele erkennen erst jetzt, möglicherweise viel zu spät (aber man kann es sich gar nicht verkneifen: in „bester Tradition“), welcher Zusammenhang von Anfang an bestanden hat zwischen den Ende der neunziger Jahre eingeführten ECTS, der OECD-Politik (einschließlich der PISA-Rankings, die von einer OECD-Abteilung initiiert werden, deren Bezeichnung als „education“ einen fatalen Sinn besitzt, aber von unseren politischen Instanzen als „Bildungspolitik“ verstanden wird), dem Bologna-Oktroi und der sogenannten Exzellenzinitiative. So wie die frühen Warnungen, die es ja schon seit dem Beginn der 2000er Jahre gibt, werden wahrscheinlich auch die heutigen von einer Politik weggewischt, die damit rechnen kann, dass nicht nur das Bewusstsein über die institutionelle Qualität von Wissenschaft, Lehre und Forschung in den letzten 25 Jahren in der Gesellschaft insgesamt, vor allem aber auch bei jenen, die in diesem Bereich arbeiten, bis über die Grundmauern hinaus zerstört worden ist, sondern auch das Bewusstsein über die gesellschaftliche Qualität von Wissenschaft, Lehre und Forschung sowie über die spezifischen Arbeit, die da gesellschaftlich und individuell verrichtet wird. Neben all den Befunden, Argumenten und stichhaltig vorgeführten Bedrohungen, die das hervorruft und die von Richard Münch und den bisherigen Diskutanten hier vorgetragen wurden, sollte diese Diskussion explizit machen und stärker mit einbeziehen, dass es hier auch um einen Abbau von demokratischen Prinzipien geht – und nicht nur in den jeweils hier zur Sprache gebrachten Institutionen oder in den Bereichen von Wissenschaft, Forschung und Lehre selbst. Was hier erneut stichhaltig diagnostiziert wird, und was ein mehrheitlich offenbar zur Trostlosigkeit abgesunkenes akademisches Bewusstsein schon gar nicht mehr wahrnimmt, ist auch, dass – wie auch im allgemeinbildenden Schulbereich – diese Prozesse die hochgradig zugespitzte soziale Differenzierung wieder in ein neues Bildungsprivileg einmünden lassen, das diesmal eben auch auf die nur scheinbar noch akademischen Institutionen und Studiengänge durchschlägt (weil nämlich diejenigen, die das „Zeug“ haben, die Fallen übersteigen, in denen die anderen hängen bleiben), ein Bildungsprivileg, das umso höllischer wirkt, als es aller Propaganda nach nicht mehr auf politische Weise aufgehoben werden könne (wie es noch die gesellschaftspolitische Diskussion der späten sechziger Jahre in der Bundesrepublik sich zum Programm machte), weil es erstens global induziert und zweitens sowieso in der Sache begründet sei. Die Problematik also, die mit der „Exzellenzinitiative“ angesprochen ist, erweist sich für sich genommen schon als gesellschaftspolitisch sehr weitreichend, deutet aber auch weiter auf Prozesse, die demokratische Verfassung und Politik gesellschaftspolitisch insgesamt infrage stellen. Die Autoren des Bandes „Wider die Untertanenfabrik“ von 1967 haben es sich wahrscheinlich nicht träumen lassen, wie aktuell der Titel 50 Jahre später noch ist – und vielleicht jetzt erst wirklich wird. Auch der Kongress, der damals den Titel „Hochschule und Demokratie“ trug, wäre heute – mit internationaler Besetzung – in höchstem Maße vonnöten.