Die Fußball-WM der politischen Symbolik
Eine bei der Hymne schweigende iranische Mannschaft; englische Fußballer, die sich zum Anpfiff gegen Rassismus niederknien; Dänen, die in schwarzen Shirts trainieren, der Farbe der Trauer; die DFB-Elf, die sich den Mund zuhält; zahlreiche arabische Zuschauer*innen mit „Free Palestine“-Zeichen – so viele politische Gesten wie bei dieser WM gab es selten irgendwo im Spitzensport. Und obwohl bereits die letzte WM in Russland in stärkerem Maße politisiert war, erleben wir aktuell nochmals eine Zuspitzung. Selten zuvor wurde medial so ausgiebig über politische Symbolik berichtet. Der Mythos vom „unpolitischen Sport“ bzw. der Satz „Sport and politics don’t mix“ – aktuell scheint beides nicht mehr zu gelten. Für uns ist das ein Anlass auch hier im Blog die Frage aufzugreifen: Dürfen oder sollen Fußballer die globale Bühne des World Cup für politische Äußerungen benutzen?
Lange sah es so aus als würde die WM mit „One Love“ beginnen, einem politischen Zeichen für Vielfalt und Toleranz, ausgesendet von sieben westeuropäischen Mannschaften. Manuel Neuer, Harry Kane, Hugo Lloris und andere Teamkapitäne wollten mit der Armbinde in Regenbogen-ähnlichen Farben auflaufen, und zwar auch entgegen des ausdrücklichen Verbots der FIFA. Dass es für diese Aufmüpfigkeit am Ende eine kleine Geldstrafe von der FIFA geben würde, war einkalkuliert. Dass es sportliche Sanktionen geben könnte – gelbe Karten, Sperren oder Punktabzüge –, damit hatte man scheinbar nicht gerechnet. Zumindest wirkte der Rückzieher einigermaßen improvisiert und letztlich wenig souverän. Die mediale Schelte kam prompt. Die als Machtkampf inszenierte kleine Revolte der westeuropäischen Fußballverbände hat die FIFA also fürs Erste im Keim erstickt.
Die FIFA hat in ihrem umfassenden Reglement zum FIFA World Cup auch die Ausrüstung klar geregelt: Die teilnehmenden Mitgliedsverbände sind verpflichtet, das FIFA Ausrüstungsreglement einzuhalten. Spielern und Offiziellen ist es demnach nicht erlaubt, in irgendeiner Sprache oder Form auf ihrer Spielkleidung, Ausrüstung oder ihrem Körper nicht offiziell genehmigte Botschaften, Symbole oder Slogans mit politischem, religiösem, gewerblichen oder persönlichem Inhalt zu verbreiten. Diese Regel gilt für die Spiele, aber auch für Trainingseinheiten in den Stadien oder offizielle Medienkonferenzen.
Die Suche nach der universellen Botschaft
Für Werbebotschaften ist es naheliegend, dass die FIFA darauf achtet, dass Spieler und Teams nicht mit eigener Werbung auftreten, die womöglich in Konkurrenz zu den offiziellen Sponsoren der FIFA steht. Letztere haben ihre exklusiven Marketingrechte schließlich teuer erkauft. Politische Botschaften werden aus einem anderen Grund abgelehnt: sie polarisieren und werden von Teilen des weltweiten Sportpublikums als Provokation verstanden. Genau dies versucht die FIFA als globale Organisation zu vermeiden, die sich „Football Unites the World“ auf die Fahnen geschrieben hat. Botschaften, die die FIFA offiziell genehmigt hat, sollen deshalb von universeller Art sein.
Wann ein Slogan eine universelle Botschaft verbreitet und wann er eine partikularistische politische Botschaft darstellt, entscheidet die FIFA im Einzelfall. Der Antrag des dänischen Fußballverbands auf Trainingsshirts mit dem Slogan „Human Rights for all“ wurde bekanntlich ebenso abgelehnt, wie die „One Love“ Armbinde. Die Dänen und die Deutschen argumentierten, dass ihre Slogans universell sind. Die FIFA geht davon aus, dass diese Botschaften eher westliche Werte propagieren und v.a. explizit gegen den Gastgeber Katar gerichtet sind. Letzteres stimmt natürlich: Die ganze Idee von „One Love“ hätte es nicht gegeben, wäre Katar nicht der Austragungsort. Im Grunde erleben wir am Beispiel der WM-Armbinden ein Lehrstück zur Frage, wo Universalismus beginnt und ggf. auch endet.
Der westeuropäischen “One Love”-Initiative setzt die FIFA nun eigene Armbinden entgegen, deren Botschaften in der Welt nicht polarisieren werden. Dazu gehören u.a. die Slogans “Save the planet“, “Education for all“, “Be active” oder “Protect children”. Dagegen wird niemand etwas sagen, egal ob politisch links oder rechts, ob Mann oder Frau, ob in Afrika, Asien oder Europa lebend. Genau deshalb sind die Armbinden der FIFA keine Symbole für eine konkrete Veränderung, sondern Etiketten unter denen sich die ganze Welt(fußball)gemeinschaft zusammenfinden kann.
Was halten die Menschen in Deutschland von politischen Aktionen im Fußball?
Die aktuellen Debatten in Deutschland vermitteln den Eindruck, dass wir eine Politisierung des Fußballs uneingeschränkt gut finden. In den konkreten aktuellen Fällen stimmt das vielleicht, denn die FIFA und Katar machen es uns einfach, geschlossen dagegen zu sein. Grundsätzlich dürfte eine fortschreitende Politisierung des Spitzensports aber auch Herausforderungen mit sich bringen.
In einer aktuellen repräsentativen Befragung aus dem Frühjahr 2022 haben wir gefragt, welche politischen Aktionen von Fußballern in der deutschen Bevölkerung Unterstützung bekämen und welche nicht. Wir greifen hier zwei sehr konträre Beispiele exemplarisch heraus: Eine breite Mehrheit der Deutschen würde es z.B. unterstützen, wenn ein Fußballer mit einer Regenbogen-Armbinde für die Gleichstellung sexueller Minoritäten eintritt (vgl. Abbildung; 1= unterstütze ich gar nicht … 5=unterstütze ich voll und ganz). Würde ein Fußballer aber öffentlich höhere Militärausgaben fordern, träfe das auf ebenso breite Ablehnung. Dass die Unterstützung politischer Äußerungen vom Thema abhängt, ist nun nicht weiter überraschend.
Interessant ist aber ein zweiter Befund, der sich auf die Legitimität einer politischen Äußerung bezieht. Wir haben auch gefragt: „Darf die Person so handeln oder finden Sie, das geht zu weit?“ (1=Das darf sie nicht. Das geht zu weit. … 5=Das darf sie tun. Das ist in Ordnung.) Viele Menschen halten politische Äußerungen und Gesten von Fußballern nicht grundsätzlich für legitim. Vielmehr korreliert die Legitimitätseinschätzung sehr eng mit der persönlichen Unterstützung der geäußerten Meinung.
Legitim ist das, was der eigenen Meinung entspricht
Während das Tragen einer Regenbogenarmbinde etwa von zwei Dritteln der erwachsenen Deutschen als eine legitime Aktion betrachtet wird, findet nur etwa ein Viertel, dass sich Fußballer auf Twitter für höhere Militärausgaben aussprechen dürfen. Das Recht auf politische Äußerungen können wir aber nicht nur denen zubilligen, deren Ansichten uns passen. „Sport and Politics don’t mix“ überzeugt uns nicht mehr. Aber Sportler*innen die politisch tun und sagen, was sie wollen, sind vielen Menschen auch nicht genehm. Wenn jetzt also öffentlich vielfach gefordert wird, dass Fußballer für ihre Werte und Überzeugungen eintreten sollen, dann heißt das im Klartext: genau für diejenigen Werte und Überzeugungen, die mehrheitsfähig sind bzw. den in Deutschland weithin geteilten Vorstellungen einer guten Gesellschaft entsprechen.
Wenn man also vom konkreten Beispiel Katars absieht, dann stellt sich schon die Frage, ob wir eine umfassende Politisierung des Sports wirklich möchten. Können wir es aushalten, wenn die Bühne des Sports für politische Bekundungen genutzt wird, die uns missfallen?
Über welche Botschaften würden „wir“ uns empören?
Was nun, wenn Sportler*innen eine politische Meinung vertreten, die nicht mehrheitsfähig ist? Man erinnere sich an Mezut Özil, der sich vor vier Jahren kurz vor der WM 2018 mit dem türkischen Präsidenten ablichten ließ. Das Bild wurde zum Politikum. Das mediale und öffentliche Echo war groß und ausnahmslos kritisch. Özil hätte sich zurückhalten müssen; seine politische Unterstützung für einen hierzulande wenig beliebten Präsidenten mit Hang zur Autokratie privat halten sollen. Tennisprofi Novak Djokovic ist ein weiteres Beispiel: Mit seiner Weigerung, sich gegen COVID-19 impfen zu lassen, wurde er zur Symbolfigur für Impfskeptiker und Querdenker. Alle diese Fälle haben mehr oder weniger polarisiert.
Zahlreiche weiße und konservative Amerikaner – allen voran Donald Trump – echauffierten sich über Colin Kaepernicks „Hymnenprotest“ beim American Football, mit dem er sich mit der „Black Lives Matter“-Bewegung solidarisierte. Die Einschaltquoten der amerikanischen Sendeanstalten knickten daraufhin, wie Brown und Sheridan in einer aktuellen Studie zeigen, messbar ein. Das Sportpublikum stützt also nicht nur progressive Werte, sondern hat in Teilen auch sehr konservative Haltungen.
Alle diese Aktionen (und ihre Gegenbewegungen) müssten wir aber auch aushalten können, wenn wir denn eine weitere Politisierung haben wollen. Das Recht auf Meinungsäußerung im Sport können wir nicht nur den Menschen mit bequemen Botschaften zubilligen. In zwei Jahren ist die UEFA Europameisterschaft der Männer in Deutschland. Gekickt wird in München, Berlin oder Hamburg. Wagen wir mal ein Gedankenexperiment: Angenommen eine der teilnehmenden Mannschaften würde sich mit einem christlichen Symbol auf der Armbinde gegen Abtreibungen aussprechen wollen oder mit Shirts trainieren, die Deutschlands Klimabilanz kritisiert: Wären wir dann erfreut, empört oder beleidigt? Wer heute eine stärkere Politisierung des Sports fordert, muss sich im Klaren darüber sein, dass dies auch unsere eigene politische Toleranz früher oder später auf die Probe stellen wird.