Essen kann verderben oder durch zu lange Lagerung Keime und Bakterien ansetzen, so dass Menschen beim Verzehr krank werden. Dies zu vermeiden, ist ein Grundproblem, mit dem Lebensmärkte historisch schon immer zu kämpfen hatten. So unterscheiden sich die USA, Europa und Asien grundsätzlich in den Qualitätskonventionen (Diaz-Bone/Salais 2012; Bessy 2012; Diaz-Bone 2012; Kädtler 2012), was „frische Lebensmittel“ sind, und entsprechend sind Produktionsketten komplett unterschiedlich organisiert, um Hygiene sicherzustellen und das Verderben von Nahrungsmitteln zu vermeiden.
Bakterien im Essen – Deutungsunterschiede in Europa und den USA
Schon bei der Produktion kann es sein, dass Lebensmittel Bakterien und Keime enthalten, wobei diese nicht immer schädlich sein müssen (im Gegenteil!) und geringen Mengen auch von gesunden Erwachsenen vertragen werden. So enthält etwa Rohmilch Milchsäurebakterien, die andere (für den Menschen schädlichere) Keime in Schach halten und die die Voraussetzung für die Säuerung, also die Herstellung von „saurer Milch“, dem Vorläufer von Joghurt sind. Auch bei Käse erfolgt die Reifung, die Voraussetzung für den guten Geschmack ist, nur, wenn bestimmte Bakterien im Produkt sind. Ähnlich benötigt man für die traditionelle Herstellung von Brot und Bier Hefebakterien usw.
Auch wenn diese Bakterien für die Produktion erforderlich sind, kann man schon hier eine unterschiedliche Haltung dazu haben. In Europa tendiert man eher dazu, sie als natürlichen und für den Geschmack essenziellen Bestandteil von Nahrungsmitteln zu sehen, in den USA werden Bakterien generell als problematisch zu sehen. Das Resultat dieser unterschiedlichen Qualitätskonventionen sieht man, wenn man etwa französischen Weichkäse (in Frankreich gekauft) mit amerikanischen Cheddar (in den USA gekauft) vergleicht: In Frankreich gilt Käse nur als gut, wenn er lebende Kulturen enthält. Täglich wird der Käse geprüft, bis er den optimalen Reifegrad enthält, und erst dann wird er verzehrt. Ein „guter“ Weichkäse zerläuft, wenn man ihn anschneidet und hat ein (für diese Käsesorte) sehr charakteristischen Geschmack und Aroma. In den USA wäre das undenkbar. Genauer gesagt, darf kein Käse, der etwa im Supermarkt verkauft wird, lebende Kulturen enthalten. Bakterien werden vor dem Verkauf etwa durch Bestrahlung abgetötet. Das Resultat ist, dass amerikanischer Supermarkt-Käse einem Flummi gleicht (und ich persönlich finde, dass er auch so schmeckt, aber ich bin ja auch europäisch sozialisiert – dafür enthält der Käse aber garantiert keine Bakterien).
Die Organisation von „Frische“ in Deutschland
Neben diesen für die Produktion erforderlichen Bakterien sind aber auch viele Bakterien für Menschen gesundheitsschädlich. I.d.R. verursachen die Bakterien entweder beim Menschen selbst Krankheiten, oder ihre Zersetzungsprodukte sind für den Menschen giftig. Auch diese können natürlich oder durch Verunreinigungen während der Produktion oder später durch die Luft in die Lebensmittel gelangen. Daneben kann es auch noch andere Verunreinigungen im Essen geben, die wir in Mitteleuropa (dank staatlicher Lebensmittelkontrollen und verbesserter Produktionsbedingungen) teils gar nicht mehr kennen, wie etwa Trichinen im Fleisch.
Wie schwerwiegend ein Befall mit diesen Schädlingen ist, hängt vom Lebensmittel ab, d.h. auch hier muss man wissen, wie man damit umgeht. So sollte man z.B. verdorbenes Fleisch und Brot sofort wegwerfen, weil, wenn man die Zeichen des Befalls mit bloßem Auge sieht, bereits das komplette Nahrungsmittel ungenießbar ist. Bei Marmelade sammeln sich dagegen etwa Schimmelkulturen oben außen an. I.d.R. genügt es daher, wenn man die verdorbene Schicht großzügig abhebt – die unteren Schichten im Marmeladenglas kann man normalerweise noch essen. Nicht nur, um die Konsequenzen eines verdorbenen Lebensmittels zu beurteilen, sondern auch, um zu erkennen, wann ein Lebensmittel verdorben ist, benötigt man erhebliches Ernährungswissen. So erkennt man bei den meisten Lebensmitteln an Aussehen, Konsistenz und Geruch seinen ungefähren Zustand.
Als Grundregel kann man sagen: Je länger ein Lebensmittel lagert und je wärmer und feuchter die Umgebung ist, desto schneller verdirbt es.
Entsprechend hat sich in Deutschland seit etwa 200 Jahren die Nahrungsmittelindustrie – unterstützt aber auch angetrieben von staatlichen Hygienevorschriften – darauf konzentriert, die Lebensmittel so aufzubereiten und zu standardisieren, dass schon bei den Rohstoffen möglichst wenig (schädliche) Bakterien und andere Schädlinge enthalten sind und dass diese Lebensmittel auch bei der Weiterverarbeitung auch nicht befallen werden. Daher werden bei der Produktion Lebensmittel hitzebehandelt oder bestrahlt, um potenzielle Krankheitserreger abzutöten. Weiter werden bei der Produktion oft Zusatzstoffe verwendet, die diesen Befall verhindern soll – das Aflatoxin in der Milch war ja ironischerweise ein Schimmelbekämpfungsmittel, das eigentlich die Ausbreitung von Schimmel und damit die Gesundheitsverträglichkeit des Lebensmittel verbessern (nicht verringern!) sollte. Um eine Kontaminierung durch Anlagen und Luft zu verhindern, spielen Reinigungsmittel bei der Produktion eine große Rolle (die ebenfalls wieder gesundheitsschädlich sein können), und die aseptisch hergestellten Lebensmittel werden so verpackt, dass sie nicht durch die Luft oder Kontakt mit Gegenständen oder anderen Lebensmitteln wieder verunreinigt werden können (was wiederum einen Verpackungsberg produziert).
Da Feuchtigkeit und Hitze das Verderben von Lebensmittel fördern, spielt die Kühlkette eine wichtige Rolle, d.h. die Lebensmittel werden über die ganze Produktionskette hinweg – auch beim Transport und im Haushalt des Endverbrauchers – so kalt gelagert, dass sich Bakterien nicht verbreiten können, weshalb die Kühlkette auch auf gar keinen Fall unterbrochen werden darf.
Man sieht hier übrigens, dass die Nahrungsmittelindustrie gar nicht Alles in der Hand hat – auch der Verbraucher muss seinen Beitrag leisten.
Damit der Verbraucher möglichst wenig über das Nahrungsmittel wissen muss, werden ein Mindesthaltbarkeitsdatum sowie Lagerungshinweise auf die Verpackung aufgedruckt, die so berechnet sind, dass praktisch kein Lebensmittel unterhalb des Mindesthaltbarkeitsdatums verdirbt. d.h., wenn man sich mit Essen auskennt, muss man Lebensmittel nicht unbedingt nach Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums wegwerfen, sondern erst wenn sie tatsächlich verdorben sind. Manche Lebensmittel (wie Fleisch) sollte man tatsächlich sofort entsorgen. Aber bei Milch erkennt man z.B. i.d.R. schon am Geruch, dass sie nicht mehr gut sind. Bei vielen Lebensmitteln kann man durch starkes Erhitzen oder Einfrieren die Lebensdauer verlängern – wozu man aber kochen können muss. Man sieht hier, dass Voraussetzung für diese Art des Umgangs mit Nahrungsmitteln u.a. moderne Haushaltstechnik (Kühlschrank, Gefriertruhe, Herd) ist.
Dieses Frischekonzept und die daraus resultierende Art der Organisation der Produktionskette ist einerseits Voraussetzung für Differenzierung und Globalisierung der Produktion, andererseits für die Durchsetzung des modernen Lebensstils und insbesondere für die Berufstätigkeit der Frau:
Nur dadurch, dass Lebensmittel tage- und wochenlang haltbar gemacht werden, können sie arbeitsteilig in komplexen Produzenten-Zulieferer-Ketten produziert und über große Distanzen hinweg transportiert werden – denn auch der Transport braucht seine Zeit.
Gleichzeitig ist die längere Haltbarkeit eine Voraussetzung dafür, dass (Haus-)Frauen nicht mehr den größten Teil ihres Tages mit Nahrungsmitteleinkauf und -zubereitung verbringen, sondern „freigesetzt“ werden für den Arbeitsmarkt.
Diese Veränderung des Lebensstils ist aber nicht nur Folge, sondern auch Ursache der Beschleunigung dieses Prozesses der Verlängerung der Haltbarkeit. Weil die meisten Deutschen nur noch einmal die Woche einkaufen (und zwar dann, wann es ihnen zeitlich am besten reinpasst) und diese Lebensmittel dann erst im Lauf der Woche verbrauchen, müssen Nahrungsmittelproduzenten heute Lebensmittel produzieren, die nach Lieferung an den Handel noch min. zwei Wochen haltbar sind, was bei vielen Lebensmittel ohne Zusatzstoffe gar nicht geht.
„Frisch“ heißt bei uns also zusammengefasst: Lange haltbar, aseptisch gelagert und transportiert sowie gut gekühlt.
Die Organisation von „Frische“ in Asien
Auf den ersten Blick herrschen auf einem asiatischen Markt für die meisten Mitteleuropäer erschreckende Zustände – es ist viel zu schmutzig, weil unter freiem Himmel auf ungeteerten Wegen verkauft wird, die bei Regen schlammig werden.
Waren und Dienstleistungen, die bei uns sauber voneinander getrennt werden, werden auf engstem Raum nebeneinander verkauft (z.B. Friseur, Gemüse, Fleisch). Man riecht die Lebensmittel – und diese sind oft nicht gekühlt. Die Händler tun bei der Arbeit alles Mögliche nebenher wie telefonieren und schlafen.
Auf den zweiten Blick stecken dahinter ein anderes organisationales Problem sowie ein anderes Frischekonzept.
Das organisationale Problem ist, dass es in Asien viel heißer ist als in Mitteleuropa und dass viele Asiaten auch heute noch keinen Kühlschrank haben. Manche Lebensmittel verderben folglich innerhalb weniger Stunden.
Das asiatische Frischekonzept ist: frisch vom Feld (bei Obst und Gemüse) oder lebend (bei Fisch, Tieren und Geflügel). Die meisten Asiaten würden sich vermutlich vor Ekel schütteln bei dem Gedanken, dass Mitteleuropäer Essen teils wochenlang im Kühlschrank aufbewahren.
Am liebsten kauft man direkt beim Hersteller, und wenn das nicht geht, bei einem Händler des Vertrauens, dem man aber nie restlos vertraut. Lieber inspiziert der Verbraucher (dem damit ein sehr großes Ernährungswissen abverlangt wird) die Ware selbst. Einem lebenden Huhn sieht man z.B. viel besser an, ob es gesund ist, als einem geschlachteten Huhn.
Auf asiatischen Märkten findet man daher noch sehr viele lebende Ware – damit der Käufer sie selbst prüfen kann und auch wirklich sicher ist, dass sie frisch ist.
Nachdem er sich ausgesucht hat, was er will, wird diese i.d.R. entweder vor seinen Augen geschlachtet (was wegen der Vogelgrippe aber nicht mehr überall erlaubt ist), oder er nimmt sie nach Hause und schlachtet sie selbst.
In jedem Fall wird aber Fleisch sofort weiterverarbeitet und entweder gleich verzehrt (was bedeutet, dass man nicht irgendwann kaufen kann, sondern erst kurz vor Verzehr) oder stundenlang etwa in Suppen gekocht (oder, wenn man doch einen Kühlschrank hat, dann doch noch etwas gelagert – aber in jedem Fall auch dann bald zubereitet).
Auch in Asien ist es nicht immer möglich, lebende Ware zu verkaufen. So sterben etwa Salzwasserfische nach einer bestimmten Zeit auf dem Markt, und nicht überall ist das Schlachten auf dem Markt direkt erlaubt. Bei Rindern und Schweinen kauft zudem ein Kunde fast nie ein ganzes Tier, d.h. es muss erst geschlachtet werden, um es dann portionsweise verkaufen zu können. Eine Alternative ist auch hier, die Ware zu kühlen (was etwa in Bangkok Selbstverständlichkeit ist, aber in Ländern wie Laos mangels Verfügbarkeit von Eis noch nicht).
In diesen Fällen schlachten die Händler die Tiere und versuchen die Haltbarkeit – etwa durch Kochen oder Abflammen mit dem Schweißgerät – länger haltbar zu machen. Trotzdem verderben die Lebensmittel schnell, weshalb der Zeitpunkt des Kaufs entscheidend ist: Frisches Fleisch kaufen Asiaten i.d.R. im Morgengrauen (zwischen 4 und 6 Uhr morgens), wenn es noch kühl ist und das Fleisch noch frisch ist. Der Preis des noch nicht verkauften Fleisches sinkt i.d.R. mit jeder Stunde (weil die Qualität auch immer schlechter wird).
Auch bei Garküchen achten Asiaten akribisch genau darauf, wann die vorgekochte Ware zubereitet ist – am liebsten schaut man beim Kochen zu. Die Reste vom Vormittag rührt am Nachmittag keiner mehr an. Insgesamt sieht man also, dass der Zeitpunkt des Kaufes in Asien nicht egal ist und dass der asiatische Verbraucher auch wesentlich mehr über Essen wissen muss als der europäische.
Sauberkeit spielt – wie in Europa – eine riesige (wenn nicht sogar noch größere Rolle), und wie sie gehandhabt wird, zeichnet einen vertrauensvollen von einem nicht vertrauensvollen Händler ab.
Insgesamt bin ich mir nicht sicher, ob die asiatische oder europäische Art, Frische zu handhaben, wirklich besser ist – sie sind zunächst anders. In jedem Fall stellt die asiatische Herangehensweise an Essen sicher, dass Verbraucher nicht den Bezug zu ihrem Essen verlieren oder gar auf die Idee kommen, dass Essen ein Produkt wie jedes andere sei – ein Problem, das ich vor zwei Monaten als eine der Hauptursachen für die zunehmenden Ernährungsrisiken in Europa ausgemacht hatte.
Literatur
Bessy, Christian (2012): Institutions and Conventions of Quality. In: Historical Social Research 37 (4): 15-21.
Diaz-Bone, Rainer (2012). Elaborating the Conceptual Difference between Conventions and Institutions. In: Historical Social Research 37 (4): 64-75.
Diaz-Bone, Rainer/Salais, Robert (2012). The Économie des Conventions – Transdisciplinary Discussions and Perspectives. In: Historical Social Research 37 (4): 9-14.
Kädtler, Jürgen (2012). On Conventions, Institutions, Power, and Uncertainty – Some Cursory Remarks. In: Historical Social Research 37 (4): 36-43.
Ein sehr interessanter Beitrag, der auch trotz des Alters immer noch sehr relevant ist für die Gegenwart!
„Essen kann verderben oder durch zu lange Lagerung Keime und Bakterien ansetzen, so dass Menschen beim Verzehr krank werden.“ – Meiner Meinung nach kann das schon bei dem Transport passieren. Deshalb muss die Lebensmittelindustrie von der Ernte bis zum Verzehr garantieren können, dass die Lebensmittel zum Verzehr geeignet sind. Viele Lebensmitteltransporteure kaufen Kunststoffpaletten, um den hygienischen Standard gerecht zu werden! In diesem Zusammenhang wird auch von Hygienepaletten gesprochen. Hygiene ist einer der wichtigsten Stichworte bei dem Thema Lebensmittel!
Vor allem der Teil der Frische-Organisation in Asien hat mich sehr fasziniert. Denn man geht davon aus, dass die Märkte viel unhygienischer sind als bei uns. Aber wenn man alle Fakten betrachtet versteht man erst das System.
Viele Grüße!