Ich gestehe, dass mich die – überaus willkommenen – Kommentare zu meinem letzten Eintrag überrascht haben. Dass Minirock und feministisches Engagement einander widersprechen, dies zu behaupten lag und liegt mir fern. Wer Alice Schwarzers Biografie gelesen hat, wird hier reichlich Belege dafür finden, dass ›im Geiste von Alice‹ feministische Politik machen bereits bei dieser selbst hieß, Politik (auch) im Minirock zu betreiben. Dies als Widerspruch zu begreifen, liegt mir im Übrigen ebenso fern, wie etwa anzunehmen, dass sich unter Kopftüchern keine feministischen Haltungen finden lassen. Worum es mir vielmehr ging, war, jene diskursive Bewegung kenntlich zu machen, wie diese doppelte Bewegung der simultanen Aneignung und Abstoßung von Feminismus zu verstehen ist. Schauen wir uns diese daher noch einmal genauer an.
Was in jener, von mir als Pirouette bezeichneten Bewegung als – unzweifelhaft voraussetzungsvolles, oft schwieriges – Erbe zunächst aktiv ausgeschlagen wird, ist das, was den Feminismus der zweiten Welle politisch, intellektuell, emotional ausmachte. Das Begehren nach Freiheit und Glück. Die Leidenschaft für Teilhabe an der Welt und die Einmischung in Welt. Die Bereitschaft, von dieser Welt und dem, was sich in ihr ereignet, berührt und bewegt zu werden. Sensibilität für die vielfältigen Weisen von Entwürdigung und Entrechtung, Entfremdung und Isolation, für die vielen Formen körperlicher und emotionaler Versehrung. Der Anspruch auf Selbstbestimmung, Gleichberechtigung und Würde. Die Überwinung der Herrschaft einiger Männer über Frauen und alle anderen Männer. Die Beseitigung aller Formen von Unterdrückung und Gewalt. Das andauernde Ringen darum, die komplex organisierten intersektionalen Gefüge globaler sozialer und politischer, ökonomischer und kultureller Ungerechtigkeit sowie die daraus resultierenden Sets von Privilegien einerseits, Diskriminierungen andererseits nicht nur angemessener zu verstehen, sondern auch außer Kraft zu setzen. Die Einsicht darin, dass Feminismus immer auch in die Kämpfe seiner Zeit verwickelt ist, Frauen daher auch Konstrukteur_innen der Verhältnisse sind, in denen sie leben. Folglich weder ›die‹ Frauen noch ›der‹ Feminismus politisch je ›unschuldig‹ sind. Das Wissen mithin um die Notwendigkeit, Rechenschaft darüber abzulegen, wie Welt und Sozialität imaginiert, geformt und aufrechterhalten werden. Die Bereitschaft, immer wieder aufs Neue zu fragen, wem und welchen Kämpfen Feminismus Rechnung trägt, wer wie ein- und ausgeschlossen wird, von wem aus feministisch gedacht und gehandelt wird, wessen und welches Handeln ermöglicht und wessen und welches Handeln verunmöglicht wird. Die Frage zu stellen – und sich stellen zu lassen –, welche Erfahrungen und welche Körper, welches Begehren und welche Bedürfnisse, welche Gefühls- und Seinsweisen und welche Verwandtschaften lebbar sind und welche nicht – und nicht zuletzt, welche Allianzen über die Grenzen des Geschlechts hinweg ermöglicht und welche sabotiert werden.
Die Rede von der Lust- und Modefeindlichkeit von Feminismus, seiner Unwillig- oder Unfähigkeit, das Begehren und die Wünsche von Frauen heute wahrzunehmen, von dessen Veralten und seiner Rückwärtsgewandheit, von seiner Unfähigkeit, eine Zukunft für Frauen und Männer zu entwerfen, fungiert daher aus meiner Sicht vor allem als Instrument zur Regulierung dessen, welche feministischen Ansichten und Haltungen in der Öffentlichkeit als ›vernünftig‹, als ihrer Zeit ›angemessen‹ gelten können. Sie hat damit Teil an der Strukturierung des Möglichkeitsraums für feministische Kritik. Sie organisiert, welcher Feminismus innerhalb der Grenzen ›unserer‹ Gemeinschaften tolerierbar ist und welcher nicht, wie wir über dessen Zukunft nachdenken und über seine Vergangenheit sprechen können.
Zu fragen ist daher nicht nur, von welchem Regime der Verständlichkeit Feminismus sich in Zukunft wird regieren lassen und vor allem welche Regime der Verständlichkeit, welche Raster des Lebbaren er selbst generieren wird. Um die Reichweite und Effekte als wie auch immer feministisch deklarierter Interventionen beurteilen zu können, muss es daher Teil feministischer Praxis sein, zu untersuchen, welche Fragen und welche Antworten als vernünftig, als ›wahr‹ erachtet werden. Warum etwa scheinen Kopftuch- und Burkaverbote – und damit der Eingriff in das Recht, sich in der Öffentlichkeit zu bewegen – vernünftig, während das Verbot von Gewaltpornografie als ein Eingriff in die Meinungsfreiheit gilt und gesetzlich fixierte Quoten für die Privatwirtschaft als deren Gängelung verstanden wird?
Ebenso müssen sich Feminist_innen, gleich ob in Rock oder Hose, ob mit Make-up oder ohne, gefallen lassen, in Frage gestellt zu werden und beständig selbst aufs Neue fragen, welches Wissen und welche Praxen, welche Erfahrungen und welche Horizonte sich (zukünftig) unter dem Namen Feminismus wiederfinden (können). Da durch jede feministische Politik Frauen in je spezifischer Weise gewissermaßen erst ins Leben gerufen werden und jede feministische Politik auch eine je spezifische Aufrufung bzw. Rekonstruktion von ›Geschlecht‹ ist, durch die in je eigener Weise Möglichkeiten formuliert und ausgeschlossen werden, muss jede feministische Politik auf genau diese aktiv verschwiegenen Möglichkeiten hin befragt werden. An welchen Werten, welchen Stimmen und Erfahrungen wird sich feministischer Aktivismus und feministische Wissensproduktion daher orientieren? An welchen epistemischen Grenzen, die immer auch und vielleicht sogar vor allem ontologische Grenzen sind, wird er sich aufhalten? Von welchen sites, welchen Positionierungen aus agieren? Schlicht gesagt: Von welchen ›Frauen‹ und welchen Bedürfnissen spricht Feminismus und will er sprechen?
mir geht der Kotau mancher Feministinnen vor den Feminismus-Klischees ebenfalls auf den Keks (so verstand ich den ersten Artikel zum Thema), so wenn z.B. die taz vor etwa zwei Jahren im Editorial zur Frauentags-taz betonen muss, sie seien ja *trotz feministischer Thematik* sooo humorvoll – im Gegensatz zur verbiesterten Feministin als solcher.
In der Abgrenzung zu den Klischees, die dazu dienen den Feminismus zu stigmatisieren, laufen Frauen/Feministinnen genau in die gestellte Falle und kehren das brave Mädchen raus. Ganz unabhängig vom Minirock.
Mich treibt auf dieser Seite aber noch eine ganz andere Frage um: wieso schreibt die DSG in der oberen Ecke dieses Blogs nur die „lieben Leser“ an, warum gibt es hier nur „Autoren“? Ist die DSG in den Fünfzigerjahren, im präfeministischen Zeitalter stehen geblieben? Insbesondere bei einer soziologischen Gesellschaft eine spannende Frage…
gg, Sie haben völlig Recht mit Ihrer Sprachkritik, die männlich-verallgemeinernde Version stammt noch aus der Rohfassung des Blogs (in den Post-50ies) und wird schleunigst ergänzt. Danke für den Hinweis!
Und doch bleiben Feminismus und Feminist_innen allzu oft mitten im Femininen. Wie Sie selbst betonen – Feminismus ist eine spezifische Form der Konstruktion von Geschlechtlichkeit, die dazu neigt diese zu zementieren. Feminismus ist notgedrungen ein relativer Begriff – eine Setzung auch eine Kehrseite mit hervorbringt. Selbst wenn Feminist_innen eine selbstbewusste Position zu dieser Setzung entfalten und an ihren Grundfesten rütteln – so habe ich manchmal den Eindruck -, erst wenn die feministische Kritik im Männerbild ankommt, scheint auch der Anspruch eines Feminismus erfüllbar. Solange das Männerbild monolithisch thront, ist Feminismus ein unerfülltes Projekt – im schlimmsten Fall verkommt er zu einer femininen Karikatur patriarchaler Dominanz. Es ist die Herrschaft der Männlichkeit über die Männer, die bisher unangefochten jeder berechtigten feministischen Emanzipation im Wege steht. Ein Feminismus, der sich allein mit und um Frauen dreht, bleibt unerfüllt. Der Feminismus muss wahrscheinlich männlich (Vertreter und der Zielgruppe nach) werden, damit die Bedeutung dieser Kategorien an sich schwinden darf. Ein Maskulinismus ist schließlich keine Alternative. Vielleicht ist das aber nur naives Geplapper.
@Michael Ernst-Heidenreich : „den Feminismus“ gibt es meines Wissens nach gar nicht. Und ein monolithisch thronendes Männerbild gab es vielleicht noch bei Beauvoir, erkenne ich jetzt aber nirgendwo im Feminismus. Kritik an männlicher Identitätsbildung hat sich ja aus dem Feminismus entwickelt.
Lesetip hierzu: Rolf Pohl „Feindbild Frau. Männliche Sexualität, Gewalt und die Abwehr des Weiblichen“
@gg: Danke für den Lesetipp. Zu meiner Korrektur: sollte ich den Eindruck erweckt haben, dass „der Feminismus“ ein monolithisches Männerbild hervorbringt – das habe ich so nicht gemeint. Was ich gemeint habe, ist, dass Feminismus eine vielgestaltige Denkbewegung ist, die nach wie vor vor allem von Frauen bedacht und gedacht wird. Wenn der Feminismus männlich werden muss, dann meine ich damit, dass Männer zu Feministen werden müssen. Ich halte das nicht für banal. Solange im Selbstbild von Männern, Männlichkeit in Stein gemeißelt scheint, ist feministische Dekonstruktion unvollendet. Und solange diese Männlichkeit strukturell institutionell verlangt wird, ist die Rede von „neuen Männern“ Farce und Spiegelfechterei.
Das ist sicherlich kein neues Argument, aber ich hatte den Eindruck, dass die Debatte hier, sich sehr auf einen Feminismus von Frauen für Frauen beschränkt. Einem solchen Unternehmen wollte ich den Erfolg in Abrede stellen und betonen, dass die Kraft feministischen Kontingenzbewusstseins nicht an der fragwürdigen Geschlechtergrenze aufhören kann, will sie „erfolgreich“ Wirksamkeit entfalten. Wie gesagt: das ist kein neues Argument, in meinen Augen aber ein sehr zentrales.
Ich hoffe ich rede mich nicht um Kopf und Kragen und sage nicht allzu banales.
Beste Grüße,
M.E.
wie könnte ein plädoyer dafür, dass auch männer feminist_innen sein sollten, banal sein? es wäre mehr als wünschenswert!
bestens, sh
@Michael Ernst Heidenreich: Ihrem ersten Absatz stimme ich voll zu! wobei es ja bereits einige männliche feministInnen gibt, der genderblog wurde zb. auch von einem solchen ins leben gerufen.
In dem zur Debatte stehenden Thema erkenne ich aber die Wirkungen eines Backlashs, der zum Leisetreten und Abgrenzen vom Feminismus (der als Schreckgespenst auftritt) verführt. Finde ich gut, dass das hier mal aufs Tapet gebracht wird.