Geht der Trend noch zum Zweitbuch?

Diesen Blogeintrag verfasse ich in der Bates Hall der Boston Public Library: in einem Lesesaal mit zwei großen Kuppeln an beiden Enden einer langgestreckten Halle von majestätischer Anmutung. Ihr Namensgeber hatte seine großzügige Geldspende zur Anschaffung von Büchern mit nur einer Bedingung verknüpft: „that the building shall be such as to be an ornament to the city, that there shall be a room for one hundred to one hundred and fifty persons to sit at reading tables, and that it be perfectly free to all with no other restrictions than may be necessary for the preservation of the books.“

Die Bücher sind tatsächlich kostenlos zugänglich. Lediglich für den Ersatz einer verlorenen Bibliothekskarte wird 1 Dollar erhoben. Restringiert wurde ich bislang nur dahingehend, dass ich eine mitgebrachte Flasche Wasser nicht auf der hölzernen Tischplatte im Lesesaal positionieren durfte. „You can have it. But don’t put it on the table, they don’t want it“, so der Security-Man, der ab und an durch den Saal läuft.

Wesentlich lockerer verfährt man in der Mugary Memorial Library, der Zentralbibliothek der Boston University. Während ich meine Petflasche in der Tasche versteckt eingeschmuggelt habe, tragen die Studierenden nicht nur ihren Kaffee in (immerhin geschlossenen) Pappbechern, sondern Salate mit Extra Dressing und Sandwiches an einen der vielen Arbeitsecken dieses 5-stöckigen Gebäudes. Weder am immer doppelt besetzten Eingang noch sonstwo habe ich bislang erlebt, dass auf die Einhaltung der Hausregeln gepocht worden wäre.

Warum schreibe ich heute darüber? Weil ich mir Boston (auch) über seine – angeblich über 100 – sehenswerten Bibliotheken erschließe, und auch in einem anderen Zusammenhang mit der Bedeutung  des Buchs konfrontiert worden bin.

Erwarten Sie aber keine Stellungnahme zum Thema Open Access. Dazu sind andere viel tiefer in die Materie eingedrungen. Auch über Verlagspolitiken könnten viele von uns viel erzählen und auch im DGS-Vorstand sind diese im Zusammenhang mit Plänen für die Zeitschrift German Sociological Review ein Dauerthema. Ich berichte lediglich über einige meiner im akademischen Alltag gewonnenen Beobachtungen zum Umgang mit Büchern.

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Seminare und studentische Beteiligung

Dieser Blogeintrag erreicht Sie aus New York: Das spielt für Sie keine Rolle, für meinen Kopf umso mehr, dem noch die Ohren aus einem Harlemer Jazz Club dröhnen.

Vergangene Woche habe ich zum ersten Mal überhaupt nach didaktischen Hilfestellungen zur Seminargestaltung gesucht (mein erstes Mal, by the way): Was tun, wenn der Vorbereitungs-Aufwand und der Beteiligungs-Ertrag in keinem Verhältnis zueinander stehen? Wenn bei allem Engagement der Eindruck bestehen bleibt, dass kein Funke überspringt?

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Studierkulturen

Im Westen nichts Neues – jedenfalls nicht zum hiesigen Studieren aus meiner Sicht. Es gab zwar einiges zum Dozieren, aber keine Kapazitäten zum Beobachten, weil meine Beobachtungsgabe infolge einer sitzungstechnisch erforderlichen Stippvisite in Karlsruhe und dem damit einhergehenden Zweifach-Jetlag (der sich übrigens nicht aufhebt, sondern spätes Einschlafen mit frühem Aufwachen kombiniert) auf ein Minimum reduziert war. Aus diesem Grund berichte ich heute – etwas akademischer – über den Forschungszusammenhang, in dem meine im letzten Blog-Eintrag geäußerten persönlichen Betrachtungen zum Studieren stehen:

In der Begegnung mit Studierenden machen wir Dozenten ja häufig die Erfahrung, dass „die Uni“ nur einen geringen Teil ihres Alltags darstellt und das Studium in seiner Bedeutung für sie nicht selten hintan steht. Äußerungen wie ‚Ich kann nächste Woche leider nicht zum Seminar kommen, da muss ich arbeiten’ oder auch ‚Ich kann mich am Wochenenden nicht mit meiner Arbeitsgruppe treffen, weil ich da nachhause fahre, um Fußball zu spielen’, deuten wir zumeist als mangelnde Studienorientierung, als Dezentralisierung des Studiums heute.

Dem stehen Befunde gegenüber, dass junge Leute heute ihr Studium mit großer Ernsthaftigkeit und zum Teil unter hohem Druck absolvieren. Und auch sie selber wissen häufig in keiner Weise von einem Laissez faire zu berichten. Dies hat damit zu tun, dass sie sich in einem Spannungsfeld bewegen, das für nicht wenige Studenten zur Zerreißprobe wird.

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Studieren aus Dozentensicht

Stephan Lessenich’s highly appreciated pretty nice comment on my first Sozblog post interpretiere ich schlicht aus Zeitgründen nicht als Aufforderung, im weiteren auf Englisch von meinen Erfahrungen an der Boston University zu berichten.

„Ein Glück, dass das Semester bald rum ist“, dürfte der Stoßseufzer sein, der an deutschen Universitäten derzeit vermutlich am häufigsten zu hören ist. Demgegenüber endet hier gerade so etwas wie eine allgemeine Orientierungsphase, womit ich nicht etwa Veranstaltungen meine, in denen Studierende über die ihrer Semesterzahl entsprechende Belegung von Lehrveranstaltungen informiert werden.

Ich meine die hier institutionalisierte Praxis, dass sich Studierende in den ersten zwei Wochen ohne weitere Begründung von Kursen wieder abmelden können, die sie belegt und für die sie bezahlt haben, woraufhin die freiwerdenden Plätze von wartenden Studenten eingenommen werden können – was mir in Anbetracht der nicht unerheblichen Studiengebühren in etwa unserem 14-tägigen Umtauschrecht vergleichbar erscheint (Leider habe ich noch nicht herausgefunden, was die Studenten für mein Seminar berappen müssen; der Preis für einen vom zeitlichen Umfang vergleichbaren Englischkurs (5h pro Woche im spring term) liegt aktuell bei $ 1200 US Dollar zzgl. $ 60,- Anmeldegebühr).

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Eine Deutsche in Boston

Mit mir befüllt ab dem heutigen Martin Luther King Day eine Autorin den SozBlog, die sich auf ihr doppelt unbekanntem Terrain bewegt – weder kann ich Erfahrungen als Bloggerin noch als Visiting Professor im amerikanischen Hochschulsystem vorweisen, womit sich doppelte Kontingenz mit doppelter Inkompetenz verkoppelt: Während ich in meinem neuen Arbeitsalltag darum bemüht sein werde, meine organisatorische Unkenntnis und kulturelle Unwissenheit dort, wo sie sich nicht kaschieren lässt, mit um Nachsicht heischender Hilflosigkeit in gebrochenem Englisch zu korrigieren, werde ich sie hier Lesern, von denen ich nicht weiß, ob sie mich und ich sie kenne, in für einen Blog unangemessen langen deutschen Sätzen offen legen.

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Rückkehr ins Paradies

Diesen letzten Beitrag möchte ich sehr kurz halten. Ich berichte von einem besonderen Versprechen an die Öffentlichkeit, das Versprechen der Naturwissenschaften auf die „Rückkehr ins Paradies“ und der daran anschließenden Frage, was die Soziologie als Gesellschaftswissenschaft diesem Heilsversprechen entgegen zu setzen hat.

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Haltung

Ich wünsche zunächst allen Leserinnen und Lesern dieses Blogs ein frohes und wunschgerechtes neues Jahr 2014! Zu Beginn des neuen Jahres möchte ich in diesem vorletzten Beitrag kurz das Thema „Haltung“ ansprechen. Zwar wissen wir seit Katja Kullmanns autobiografischem Buch Echtleben, dass es heute recht kompliziert ist, „eine Haltung“ zu haben. Doch was ist das, „Haltung“?

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Ballastabwurf

Weihnachten ist eine die Zeit, in der jede Menge Zeug angesammelt wird. Daher möchte ich mich in diesem Beitrag mit dem Thema Ballastabwurf beschäftigen. Ausgangspunkt ist das aktuelle Buch What Use is Sociology? (Cambridge 2014), in dem Zygmunt Baumann sich in Gespräche mit Michael Hviid Jacobsen und Keith Tester verwickeln lässt. Vielleicht eine neue Modeform, diese Dialoge zwischen Soziologen? Die Lektüre verspricht jedenfalls Aufregung pur.

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Chöre und erzählerische Wahrheit

Für das Sozialkunstprojekt „Sein oder…“ (gefördert vom Jobcenter des Landkreises Karlsruhe) wurden sechs Monate lang Hartz-IV-Empfänger freigestellt, um unter künstlerischer Anleitung „ein Theaterstück aus dem eigenen biografischem Stoff zu weben“. Ein paar Stunden vor der Premiere (!) lädt mich die Regisseurin ein. Warum? Mitten im Stück wird mein Buch „Schamland“ auf einen Tisch geknallt. Damit soll effektvoll die Frage beantwortet werden, in welchem Land wir eigentlich leben. Vielleicht ist das auch eine soziologische Form? Ich weiß es nicht. Ich habe es als Autor einfach gerne gesehen und war dankbar für die Einladung. Aber die Frage, welche Form soziologische Texte annehmen könnten, beschäftigt mich permanent. Gibt es in der Soziologie etwas, das in der Literatur selbstverständlich ist – Eleganz? Wie könnte eine elegante Soziologie aussehen, die Komplexität erhält und dennoch Verständlichkeit ermöglicht?

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Nützliche Armut

Am 23. November fand die Tagung „Nützliche Armut“ der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Wuppertal statt. Die Stiftung hatte auch das „Kritische Aktionsbündnis 20 Jahre Tafeln“ gefördert, daher sagte ich gerne für einen Vortrag zu. Vor dem Hintergrund meines Buches „Schamland“ legte ich auf der Tagung meine Kritik an der bundesdeutschen Tafelbewegung dar und erläuterte, warum freiwilliges Engagement Armutsbekämpfung nicht ersetzen kann. Der Titel der Tagung lehnte sich bewusst (und mit Erlaubnis des Autors) an ein Buch aus den 1980er an (Wolf Wagner: Die nützliche Armut. Eine Einführung in Sozialpolitik). Er traf den Kern des zu verhandelnden Problems perfekt.

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Das private Lernuniversum

Mit Lifelogging sind – wie im letzten Blog skizziert – viele Versprechen verbunden. Digitale Evangelisten wie Gordon Bell (Microsoft) möchten auch die Welt des (akademischen) Lernens revolutionieren. Dies wird es nötig machen, Lehre an Hochschulen völlig neu zu organisieren. Lehrbücher, Vorlesungen und Wikipedia waren gestern. Morgen kommt die studentische MEMEX – das große digitale Lerngedächtnis (eine Anlehnung an den „Memory Extender“ von Vannevar Bush). Dazwischen gibt es bereits heute eine recht aufgeregte Debatte über MOOCS (Massive Open Online Courses) – kurze Videoclips. Diese Form der Digitalisierung von Hochschulen sollte Soziologen nicht kalt lassen. Denn die Soziologie könnte als erste Disziplin aus der Bildungslandschaft verschwinden.

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Reim auf das Digitale

Ich komme gerade zurück aus San Diego, wo ich an der SenseCam-Konferenz teilnahm. Alle 18 Monate trifft sich eine kleine „Bruderschaft“, um über die neuesten Trends im Bereich Lifelogging zu diskutieren. Das interessiert mich gleich doppelt: Als Mitentwickler einer Lifelogging-App und als Soziologe, der wissen möchte, welche Effekte Lifelogging auf Individuen und Gesellschaft hat.

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Starbucks, Foodbanks und Postdemokratie

Ich schreibe diesen Blogbeitrag auf der Terrasse des J. Paul Getty Museums mit Blick auf die Stadt der Engel, Los Angeles, und den Pazifik. Wie vor jeder Reise in die USA las ich Baudrillards Amerika, mein Surrogat für die hypnotisch redundanten ADAC-DUMONT-MARCOPOLO-Reiseführer. Darin schreibt er: „Wenn man zurückblickt, ist Europa einfach verschwunden“. So etwas konnte man noch 1986 behaupten, in einer Zeit vor der „Always-on-Gesellschaft“, einer Zeit ohne das „Jesusphone“. Mich jedenfalls erreicht Europa nach wie vor, weil ich nicht auf digitales Fasten umgestellt habe. Aber ich habe ja Baudrillard als Reiseführer. Für ihn ist „Amerika (…) ein gigantisches Hologramm, die Gesamtinformation ist in jedem Teilstück enthalten.“

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Habenwollen oder Teilenwollen?

Mit aufmerksamkeitssteigernder Verspätung (verursacht durch das Tief „Christian“, das den Bahnverkehr nördlich von Göttingen lahmlegte) komme ich letztlich doch noch beim Literarischen Salon in Hannover an. Ich bin Gast einer Podiumsdiskussion zum Thema „Sharing-Ökonomie“. Mit auf dem Podium sitzen Heiko Grunenberg, Soziologe und Nachhaltigkeitsforscher an der Uni Lüneburg sowie Raphael Fellmer, Aktivist für ein Leben ohne Geld und Mitgründer von Foodsharing e.V.

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Gesellschaft als Labor

In den nächsten Wochen werde ich diesen Blog dazu nutzen, einige meiner Wege nachzeichnen und dabei exemplarisch Themen aufgreifen, die mir wichtig sind. Der Blog stellt gleichsam eine Klammer für Erfahrungen dar und ist eine gute Gelegenheit, „mit fremden Gehirnen zu denken“ – wenn es stimmt, was man so über Soziale Medien, Schwarmintelligenz und so weiter sagt.

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