Auf Fränkisch durch Boston

Ein letzter kurzer Beitrag zum SozBlog – unter Berücksichtigung der Zeitverschiebung ist es ja fast noch Februar, dessen frühes Ende mich gestern überrascht hat: irgendwie scheine ich durch diesen Gastaufenthalt auch ohne fünfte Jahreszeit ein wenig aus der Zeit zu sein.

Und das, obwohl ich seit dieser Woche den Eindruck habe, im Alltag angekommen zu sein. Vieles, der Tagesablauf, der Weg zur Uni, selbst die Lehre ist zur Routine geworden: zu einer schönen, aber wohltuenden Gewohnheit, die das Leben leichter nehmen bzw. Raum für anderes lässt.

Dieses andere, das bislang zu kurz gekommen ist, sind die hausinternen kollegialen Kontakte. Dies hat mit der Kontaktpflege zu Kollegen außerhalb dieser Fakultät und den durch die Lehre eingeschränkten Kapazitäten zu tun, die nicht nur einen höheren Vorbereitungsaufwand, sondern wesentlich häufigere Konsultationen durch die Studierenden mit sich bringt. Es gibt einen dritten – kulturellen – Grund, den ich zum Schluss kurz anschneiden will:

Von Anfang an ist mir eine Diskrepanz zwischen der hier generell bemerkbaren hohen sozialen Aufgeschlossenheit und der Zurückhaltung der Kollegenschaft auf den Dienstfluren aufgefallen. Dies hat, wie ich vom hiesigen Kollegen Stephen Kalberg gelernt habe, mit einem kulturellen Missverständnis zu tun: statt meiner respektvollen Vorsicht  und der Erwartung, in den Kollegenkreis gewissermaßen eingeführt zu werden, wird hier offenbar eine forsche Kontaktaufnahme seitens des Neulings erwartet:

„Die Statuszuteilung an Gruppenmitglieder und das damit verbundene Maß an Ehrerbietung, die die bürgerlichen Normen der Höflichkeit in Westdeutschland verlangen, wird in den USA oft als unnötige Passivität und übertriebener Anstand und sogar als eine mangelnde Fähigkeit, die Initiative in der Beziehung zu ergreifen, verstanden. Dies ereignet sich umso mehr in jenen Gruppen in den USA, die erwarten, dass neue Mitglieder ihre ‚Persönlichkeit’ darstellen“ (36).

Die hier angesprochenen unterschiedlichen Interaktionsformen „spielen sich auf einem weniger sichtbaren Niveau ab als die Sitten {über die man sich durch Reiseführer und Kultur-Ratgeber informieren kann} und bergen ein viel größeres Potential für strukturierte Missverständnisse“ (34).

Nicht nur sind die Verständnisschwierigkeiten also viel größer als das schlichte Problem der Verständigung. Auch der Anspruch an das Sprachvermögen ist nicht unerheblich. Denn es geht nicht nur um eine frische und lockere Selbstinitiative, sondern um Wortwitz und Humor, der sich etwa im unterhaltsamen Erzählen komischer Alltagsbegebenheiten zeigt.

Auch das lässt sich lernen und Üben macht auch hier den Meister. Für die Darstellung von ‚Persönlichkeit’ bedarf es überdies aber den von Cooley beschriebenen Spiegelungseffekt. Und hier wird es kompliziert, denn – zumindest mir – erschließt sich bislang nicht, wie ‚ich’ und das heißt vor allem: mein Reden (bzw. meine Kommunikation schlechthin) hier ankommt. Es ist ein wenig so wie mit dem Dialektsprechen: den eigenen hört man kaum und welche Assoziationen und Zuschreibungen die eigene Klangfärbung bei anderen auslöst, lässt sich nur über komplizierte Selbst-/Gegenunterstellungen ausloten.

Und erstaunlicherweise hört man selber die Herkunft anderer Nicht-Muttersprachler ja besonders deutlich: also nicht nur, dass da eine Österreicherin oder Spanierin, sondern ein Hesse oder Schwabe Englisch spricht. Dementsprechend muss ich davon ausgehen, dass sich in mein inzwischen immerhin fließend gebrochenes Englisch ein fränkischer Zungenschlag mischt, dem angeblich weniger die deutliche Aussprache von t statt d und p statt b, sondern das s in all seinen Summ- und Zischvarianten Probleme bereitet.

Ich vermag und mag mir nicht vorstellen, wie das klingt; wissen würde ich gern, wie es ankommt. Ich vermute (zu meinen Gunsten), als eine Mischung von Niedlichkeit und Naivität. Was ich weiß ist, dass die Natives, die wir bei internationalen Konferenzen um ihren sozusagen mobilen Heimvorteil beneiden, hinsichtlich des üblichen Tagungsenglisch eine enorme Leidensfähigkeit entfalten müssen.

Selbst wenn die Alltagsroutinen hoffentlich auch noch Kapazitäten eröffnen, andere Sehenswürdigkeiten als Bibliotheken zu erkunden, bewege ich mich in dieser Hinsicht gewissermaßen ‚blind’ durch Boston. Für eine an Darstellung und sozialer Kompetenz  interessierte Soziologin verspricht die Zeit spannend zu bleiben.