Die Genç, oder: gibt es türkische Jugendliche?

Akademische Abschlussarbeiten sind akademische Abschlussarbeiten. Keiner schreibt sie gerne, keiner liest sie gerne. Manchmal gibt es aber auch Ausnahmen. Das sind dann Sternstunden der akademischen Lehre.

Vor einiger Zeit bekam ich eine solche Diplomarbeit auf den Tisch. Ihre These lautete kurzerhand: Die Soziologie arbeitet mit einem normativen Jugendbegriff. Sie kann deshalb andere Formen, dieses Lebensalter zu durchschreiten, nur als Modernisierungsdefizit verstehen, weshalb sich letztlich ein Assimilierungskonzept dahinter verbirgt. Die Soziologie verstellt sich damit den Blick auf soziale Wirklichkeit.

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Nachhaltiges Publizieren

„Meine Arbeitsgruppe publiziert so viel“, beklagte sich neulich ein Ökonom, „aber wir merken, dass die Kollegen das gar nicht mehr lesen.“ – Wie könnten sie auch, die sind ja alle mit Schreiben beschäftigt. Und gerade Ökonomen sollten über eine Theorie verfügen, die das Phänomen erklärt: Inflation.

Das Problem betrifft nicht allein die Ökonomie: Weil im Wissenschaftssystem die Konsumenten immer zugleich auch Produzenten sind, gibt es eine beinharte intra-personale Konkurrenz um das wirklich knappe Gut: die Zeit. Gegenwärtig gewinnt die Produktion, weil alle Anreizsysteme auf sie eingestellt sind. Wir alle sind deshalb Chinesen und überschwemmen die Märkte mit billigen Texten. Die Umweltkosten sind hoch: die Fortschrittsfähigkeit unserer Disziplinen steht auf dem Spiel. Wir brauchen dringend eine Strategie für qualitatives, nachhaltiges Publizieren.

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Europa und die Ukraine: Huntington reloaded?

Achtung: der nachfolgende Blog enthält nicht die politische Meinung der Deutschen Gesellschaft für Soziologie. Er enthält nicht einmal die Meinung des Autors. Er möchte nur zwei Deutungsvarianten eines aktuellen Konflikts einander gegenüberstellen und fragen, ob die Soziologie Mittel entwickelt hat, diesen Deutungsstreit zu entscheiden.

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Impact Factor. Ein offener Brief

Sehr geehrter Kollege,

Sie fragen nach dem Impact Factor unserer Zeitschrift, weil Sie überlegen, ein Manuskript einzureichen.

Ich muss gestehen: Ich habe keine Ahnung. Ich habe mich bislang nicht darum gekümmert. Als redaktionsführender Herausgeber war ich darauf konzentriert, gute Manuskripte auszuwählen und in wenigen Fällen einzuwerben. Ihre Anfrage lenkte meine Aufmerksamkeit auf die Frage, ob der Impact Factor nun auch in der Soziologie zu einem wichtigen Motiv wird, in einer Zeitschrift zu publizieren. Sollten wir ihn also zur Kenntnis nehmen oder gar bewusst pflegen?

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Inklusion

Die Lehrer der Republik müssen zur Weiterbildung antreten. „Inklusion“ steht auf ihrem Lehrplan. Seit 2009 gilt die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen auch in Deutschland, und alsbald brach in den Kultusministerien der Länder großes Grübeln aus, was denn wohl ein „Recht auf gleichberechtigte Teilnahme an der Gesellschaft“ für ein institutionell ausdifferenziertes Schulwesen bedeute. Irgendwie setzte sich dabei die Meinung durch, der Kern der Forderung bestehe darin, behinderte und nicht-behinderte Kinder künftig gemeinsam zu unterrichten. Und seitdem werden unter den Stichworten „Heterogenität“, „diversity“ und „Inklusion“ riesige Maschinen angeworfen, die Mensch und Organisation auf den neuesten Stand der Gerechtigkeitsumsetzung bringen.

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Auf Fränkisch durch Boston

Ein letzter kurzer Beitrag zum SozBlog – unter Berücksichtigung der Zeitverschiebung ist es ja fast noch Februar, dessen frühes Ende mich gestern überrascht hat: irgendwie scheine ich durch diesen Gastaufenthalt auch ohne fünfte Jahreszeit ein wenig aus der Zeit zu sein.

Und das, obwohl ich seit dieser Woche den Eindruck habe, im Alltag angekommen zu sein. Vieles, der Tagesablauf, der Weg zur Uni, selbst die Lehre ist zur Routine geworden: zu einer schönen, aber wohltuenden Gewohnheit, die das Leben leichter nehmen bzw. Raum für anderes lässt.

Dieses andere, das bislang zu kurz gekommen ist, sind die hausinternen kollegialen Kontakte. Dies hat mit der Kontaktpflege zu Kollegen außerhalb dieser Fakultät und den durch die Lehre eingeschränkten Kapazitäten zu tun, die nicht nur einen höheren Vorbereitungsaufwand, sondern wesentlich häufigere Konsultationen durch die Studierenden mit sich bringt. Es gibt einen dritten – kulturellen – Grund, den ich zum Schluss kurz anschneiden will:

Von Anfang an ist mir eine Diskrepanz zwischen der hier generell bemerkbaren hohen sozialen Aufgeschlossenheit und der Zurückhaltung der Kollegenschaft auf den Dienstfluren aufgefallen. Dies hat, wie ich vom hiesigen Kollegen Stephen Kalberg gelernt habe, mit einem kulturellen Missverständnis zu tun: statt meiner respektvollen Vorsicht  und der Erwartung, in den Kollegenkreis gewissermaßen eingeführt zu werden, wird hier offenbar eine forsche Kontaktaufnahme seitens des Neulings erwartet:

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