Corona und die Soziologendämmerung: ein Blick aus dem Niemandsland der Wissensintegration

  1. Einführung – Wissenschaft, Politik und öffentliche Meinung

Das Leitmedium „Die Welt“, das zum Corona-Management auch kritische Berichte brachte und auch weiterhin bringt, hat kürzlich von der Grazer Initiative von Klaus Kraemer zur Aufarbeitung der Rolle der deutschsprachigen Soziologie mit Heinz Bude und Alexander Bogner berichtet[1],[2]. Das ist ein bemerkenswertes Mediensignal, dem eine breite Wirkung zu wünschen ist. Das kommentiere ich nun aus der Sicht eines ausgebildeten Soziologen und Managementpraktikers und ehemals praktischen und nun systemtheoretisierenden Mediziners. Es ist ein Blick aus dem institutionellen Niemandsland.

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Kriege, Kriegsgesellschaft, Zeitenwende

Beitrag 7: Der Erste Weltkrieg als paradigmatischer Fall kriegsgesellschaftlicher Transformation (I) – Mobilisierungswettlauf

 Im Beitrag 6 wurden sieben kriegsgesellschaftstheoretische Basistheoreme vorgestellt, welche die Dynamik der kriegsgesellschaftlichen Transformation beschreiben: Krieg als Mobilisierungswettlauf, Mobilisierungswettlauf als Triebkraft der kriegsgesellschaftlichen Transformation, Zentrale Steuerung, Tendenziell diktatorische Spitze, Patriotische Vergemeinschaftung, Kriegsgesellschaftliches Dilemma, Zivilgesellschaftliche Transformation.

Wir müssen zur Analyse der aktuellen Situation unterscheiden erstens zwischen Kriegsgesellschaft und Zivilgesellschaft und zweitens zwischen „reiner“ Zivilgesellschaft ohne Kriegsbeteiligung und äußere Bedrohung und einer Zivilgesellschaft im Krieg mit (indirekter) Kriegsbeteiligung und äußerer Bedrohung. Meine Grundthese ist, dass sich die deutsche Gesellschaft und Politik nach wie vor weitgehend im Modus einer „reinen“ Zivilgesellschaft bewegen. Damit gefährden sie, wie andere westliche Staaten auch, das Überleben der Ukraine im russischen Angriffskrieg. Nach einer Niederlage der Ukraine könnte Russland NATO-Staaten, z. B. die baltischen Länder angreifen, und dann wäre Deutschland wie andere NATO-Staaten zu militärischem Beistand verpflichtet, wäre also Kriegspartei mit eigenen Streitkräften.

Um dem vorzubeugen, müsste die Bundesrepublik Deutschland von einer „reinen“ Zivilgesellschaft zu einer Zivilgesellschaft im Krieg werden. Eine Zivilgesellschaft im Krieg unterstützt eine Kriegsgesellschaft. Anders gesagt: Die Zivilgesellschaft im Krieg steht in einer symbiotischen Beziehung mit der unterstützten Kriegsgesellschaft. Um die Beziehung zwischen beiden zu verstehen, befassen wir uns zunächst historisch mit den Kriegsgesellschaften des Ersten Weltkriegs.

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Rassismus- und Antisemitismuskritik in den aktuellen Gewaltverhältnissen

Eine Erinnerung an gesellschaftskritische Grundüberzeugungen kann derzeit helfen, sich den Bekenntniszwängen zu widersetzen, die eine „Positionierung“ im Verhältnis zu Israel angesichts der Gewalteskalation im Gaza-Krieg fordern und den diesem zugrunde liegenden Konflikt mit einem binären Schema vereinfachen. Wie könnte es möglich werden, komplexer zu denken und den eigenen historisch-gesellschaftlichen Kontext zu berücksichtigen?

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Krieg, Kriegsgesellschaft, Zeitenwende

Beitrag 6: Basistheoreme der Kriegsgesellschaftstheorie

Kriegsgesellschaftstheorie im hier verstandenen Sinn befasst sich mit durch Kriege ausgelöste Transformationen gesellschaftlicher Strukturen. Es geht also nicht um Ursachen, sondern um gesellschaftliche Wirkungen von Kriegen. Doch längst nicht jeder Krieg führt zu einer gesellschaftlichen Transformation. Ich habe im Beitrag 5 folgende Typen der gesellschaftstransformativen Kraft von Kriegen unterschieden: Kriegsgesellschaft (als Ergebnis kriegsbedingter gesellschaftlicher Transformation),  antizipative Kriegsgesellschaft (ohne manifesten Krieg in Erwartung eines großen, tendenziell totalen Krieges), Kriegführende Zivilgesellschaft (ohne gesellschaftliche Transformation), Zivilgesellschaft im Krieg (Kriegsbeteiligung ohne eigene Streitkräfte, gleichbleibende Basisstrukturen wie Markt und Demokratie bei verändertem institutionellem Arrangement), reine Zivilgesellschaft (ohne Kriegsbeteiligung und Kriegsbedrohung). Ich möchte in diesem Beitrag sieben Basistheoreme der Kriegsgesellschaftstheorie kurz skizzieren.

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Für eine ernsthafte Verwissenschaftlichung der Debatte

Es ist mit allem Nachdruck zu begrüßen, dass die DGS auszuloten beginnt, welche Perspektiven die Soziologie zur aktuellen Debatte um den Gaza-Krieg und den darauf bezogenen Protesten, zu dem terroristischen Angriff der Hamas auf Israel und zu den damit zusammenhängenden Deutungsfragen um Antisemitismus, Rassismus usw. beitragen kann. Angesichts antagonistisch strukturierter Debatten ist jede wissenschaftliche Differenzierung und jedes Gegen-den-Strich-Lesen der Debatten durch verschiedene (sub-)disziplinäre Perspektiven ein Gewinn. Der Eröffnungstext von Jürgen Daub ist nicht im engeren Sinne ein Beitrag zur angestrebten Soziologisierung, gleichwohl verdeutlicht er (analytisch wie performativ) einige der Probleme der aktuellen Thematisierungsstrategien im diskursiven Feld Nahostkonflikt/Israel/Palästina/Judentum/Antisemitismus/Rassismus usw.

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Ideologische Verirrungen. Zu den „propalästinensischen Protesten“ an deutschen Universitäten

„Der terroristische Überfall der Hamas auf israelische Zivilisten am 7. Oktober 2023, die andauernde Entführung vieler Israelis und der sich daran anschließende Krieg im Gazastreifen mit unzähligen zivilen Opfern ist auch in der deutschen Wissenschaft ein viel diskutiertes und umkämpftes Thema. Die Kontroverse um die jüngsten Protestcamps und Besetzungen von Universitätsräumen, bei denen leider auch immer wieder antisemitische Schmähungen skandiert werden, hat auch die Deutsche Gesellschaft für Soziologie zu einer Stellungnahme, vor allem zur Berichterstattung über die Proteste, veranlasst. Diese hat unter den Verbandsmitgliedern viel Zustimmung, aber auch Kritik hervorgerufen. Wir wollen diesen Stimmen auf dem SozBlog Raum geben.“

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Krieg, Kriegsgesellschaft, Zeitenwende

Beitrag 5: Wann führen Kriege zu einer gesellschaftlichen Transformation, und wann nicht?

Im Beitrag 4 wurde Herbert Spencers Theorie des „Militant Type of Society“ vorgestellt. Demnach führen Kriege zu einer gesellschaftlichen Transformation. Triebkraft derselben ist der Mobilisierungswettlauf. Denkt man sich zwei gleiche Gesellschaften im Krieg, dann gewinnt die Gesellschaft, die mehr Soldaten und Arbeitskräfte, aber auch Motivation und Loyalität gegenüber dem Staat motiviert. Eine Mobilisierung kann effektiv nur zentral gesteuert werden. Zur Durchsetzung zentraler Steuerung bedarf es eines starken Staates mit einer tendenziell diktatorischen Spitze. Es gewinnt die Partei, die am längsten den Mobilisierungswettlauf durchhält. Das ist der Kern eine Kriegsgesellschaftstheorie nach Herbert Spencer.

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