Man mag die Frage für banal halten, wie der Ausgang der deutschen Bundestagswahl zu verstehen ist, welche Haltungen und Deutungsmuster sich darin ausdrücken. Die Verlust-Parteien jedenfalls nehmen ihn zum Anlass für Kurswechsel und neue Weichenstellungen, die in Zukunft die Entscheidungsspielräume der Bürger mit beeinflussen werden. Auch scheint „politische Bildung“, wie es im Kommentar von „Meta“ anklingt („leider“), einen Beitrag einzustufen als unerheblich, nicht pointiert oder zu zurückhaltend. Im Studium der Sozialen Arbeit herrscht ein anderes Verständnis von politischer Bildung vor. Hier ist sie elementare Voraussetzung für die Analyse der Lebensbedingungen verschiedener Gruppen, die zur Klientel Sozialer Arbeit werden können, sowie der Handlungsmöglichkeiten in der Berufspraxis. Politische Bildung geht hier einher mit der Bildung zur politisch denkenden und handelnden Persönlichkeit und ist insofern politische Soziologie. Ein auf Wirtschaftsliberalität oder Nationalliberalität verengtes Verständnis von Freiheit, worum es im letzten Beitrag ging, ist sowohl den gesellschaftlichen Gestaltungsspielräumen als auch dem professionellen Handeln als Sozialarbeiter abträglich.
Deutschlands neue APO
Außerparlamentarische Opposition (APO), das klingt nach langen Haaren und dem Duft von Marihuana, nach Sitzblockade und teach-in, nach Wohngemeinschaft und Gruppensex. Ganz anders die neuen außerparlamentarischen Kräfte. Im Erscheinungsbild das Gegenteil davon sind die beiden Großgruppen, die seit der Bundestagswahl gestern draußen vor den Türen des Parlaments ihre Vorstellungen von einer besseren Bundesrepublik Deutschland ins Gespräch bringen müssen.
Welche Leistung zählt?
Zählt eine neue Bestzeit über 400m? Oder gilt sie als Leistung nur, wenn sie für die Nationalmannschaft errungen wurde, nicht aber beim Seniorensport? Zählt auch die Leistung des Trainers nur, wenn sie beruflich statt ehrenamtlich erfolgt, am besten in einer Profisportart, die von börsennotierten Unternehmen getragen wird? Die Reinigungskraft auf einer Autobahnraststätte leistet etwas. Dafür erhält sie eine geringe Entlohnung. Sie erhält Gegenleistungen in Form von Arbeitslosengeld, wenn sie arbeitslos wird und wenn sie zuvor sozialversicherungspflichtig beschäftigt war. Putzen zuhause zählt nicht. Die eigenen Kinder zu erziehen, ist seit jüngstem eine Leistung im Sinne des Sozialgesetzbuches. Jedenfalls für einige Monate und als Ersatz für zuvor verdientes Einkommen. Als normgerechte Leistung gilt Kindererziehung immer dann, wenn sie für fremde Kinder verrichtet wird, also in einem Erwerbsverhältnis stattfindet. Leistung für andere stiftet Sinn, aber muss sie auch Wert haben, um zu zählen, um anerkannt zu sein und um Gegenleistungen zu rechtfertigen?
(866 + 338 + 215) / 14 = { }
Fachhochschullehrer ist ein Traumberuf. Wer gerne lehrt, wer komplexe Inhalte vom Gegenstand her denken und daher exemplarisch vertiefen sowie praxisnah erarbeiten mag, wer mit steigenden Mengen von Studierenden in Kontakt treten und den Kontakt respektvoll und mit Interesse am Einzelnen gestalten kann, wer an seinem Fach und seinen Themen die Lust auch dann nicht verliert, wenn er selbst nicht mehr dazu kommt, grundlegende Werke zu verfassen, wer auch kleinere Forschungsprojekte, zumal von der Praxis angestoßen, nicht unrühmlich findet, wer zudem Begutachtungen und Arbeit in Ausschüssen und Kommissionen nebenher erledigen und dabei schließlich für seine übrigen, außerberuflichen Interessen und Notwendigkeiten das gewünschte Quäntchen Zeit freihalten kann – für den ist alles in bester Ordnung. Wochen- und monatelang.
Wenn es so einfach wäre
Freiheit und Gleichheit als ideale Beschreibung einer Gesellschaftsordnung, wer möchte da nicht einstimmen? Nun ist aber der soziologische Blog keine Plattform für das politische Plädoyer, sondern für die Analyse der Ausdrucksformen sozialer Wirklichkeit und Verhältnisse. Visionen bedürfen daher einer differenzierten Herleitung. „Wenn es so einfach wäre“ weiterlesen
Neulich in Bern
Die Schweiz gehört im Allgemeinen ebenso wie Deutschland nicht zu den Ländern mit einer ausgeprägten sozialen Mobilität. Auch ist Bern im Speziellen nicht bekannt für seine avantgardistischen Programme zur Förderung benachteiligter Sozialmilieus. Sondern hier wie dort begründen soziale Bewegungen Veränderungen vor Ort, bergen Gestaltungsoptionen, die mehr oder weniger aggressiv in die Tat umgesetzt werden, oft auch scheitern. „Neulich in Bern“ weiterlesen
Kommentare, Kritik und die Formen der Wissenschaftskommunikation
In den kommenden Tagen werde ich an einer großen internationalen Konferenz teilnehmen. Weil ich währenddessen auch sehr viele Aufgaben übernehmen muss, werde ich mich auch an den letzten Tagen meines Blogs nicht mehr besonders aktiv beteiligen können. Kommentare, die dann noch eingehen, werden deswegen vorläufig unbeantwortet bleiben müssen (oder verspätet beantwortet). Das ist vermutlich auch kein sehr großes Versäumnis, denn trotz eines vielversprechenden Beginns hielt sich das Kommentieren dieses Blogs in sehr engen Grenzen. Die Befürchtung, dass das Theorieblog im Sommerloch nicht die Form annehmen würde, die ich mir erhoffte, hatte ich ja schon mit meinem ersten Blogbeitrag (aber erst nach meiner Zusage an die DGS) geäußert. Die schrumpfende Zahl an Kommentaren mag an meinen Themen liegen. Wenn man jedoch die Beiträge und die Kommentare des Sozblog Revue passieren lässt, dann fällt auf, dass die Beiträge zwar von einer relativ hohen Zahl an Besuchern angeklickt werden, aber relativ wenig kommentiert werden. Wer wissenschaftliche Vorträge hält, wird dieses Muster kennen. Nicht nur als Missverhältnis zwischen Publikum und Fragen, sondern, zuweilen, auch als Missverhältnis zwischen dem Ziel des Vortrags und dem, was gefragt wird. So unähnlich die technischen Formen und die medialen Formate sind, so weisen sie also eine gewisse Ähnlichkeit hinsichtlich der Art von Dialogizität auf – ein Thema, das, wie in einem früheren Blogbeitrag betont, gerade mit Blick auf die neuen Medien besondere Beachtung verdient.
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Macht Powerpoint schlau? Neue Formen der Wissenskommunikation.
Macht Powerpoint schlau? Neue Formen der Wissenskommunikation.
Die Medien haben sich sehr intensiv mit den Folgen von Powerpoint beschäftigt. Mittlerweile ist es zwar wieder ruhiger um Powerpoint geworden – vermutlich weniger, weil sich die Frage nach den Folgen erübrigt hat, sondern weil Powerpoint zu sehr zur Gewohnheit geworden ist. Als ich mir diese Frage erstmals laut um das Jahr 2002 stellte, wurde ich vor allem von technikbegabten Studierenden mit der Technik konfrontiert. Man mag sich kaum mehr erinnern, dass wir damals in Vorlesungen zuweilen nur gesprochene Worte verwendet haben. Die Begegnung mit Powerpoint warf deswegen die Frage auf, ob und was sich an den Vorträgen verändert. Daraus ist ein Forschungsprojekt entstanden, dessen Ergebnisse an verschiedenen Stellen veröffentlicht worden sind (Schnettler/Knoblauch 2007; Knoblauch 2013). Da die Frage nach Powerpoint sowohl die Rolle des Wissens, der Wissenschaft und der Kommunikation angeht (die ich in diesem Blog mehrfach angesprochen habe), möchte ich hier einige Befunde über die Forschung zu Powerpoint in der für Blogs gebotenen Kürze anführen. Dafür aber habe wir ein Video, das der „frühe“ Roman Pernack noch als Student gemacht hat, indem er unser damaliges Projekt darstellt. Das Video findet sich hier.
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Warum kommunikativer Konstruktivismus?
Im letzten Blogbeitrag habe ich einige Missverständnisse des sozialen Konstruktivismus angesprochen. Dabei habe auch darauf hingewiesen, dass es daneben einige berechtigte Kritiken an diesem sozialtheoretischen Ansatz gibt. Diese Kritik ist der Grund für die Versuche zur Fortentwicklung dieses Ansatzes in Richtung auf das, was als „kommunikativer Konstruktivismus“ bezeichnet wird. Damit ist eine mittlerweile durchaus ansehnliche Bewegung gemeint, die unter anderem von Jo Reichertz (2010) mit seinem prägnanten Konzept der Kommunikationsmacht und, in einer „diskursiven“ Fassung, auch von Reiner Keller getragen wird (Keller, Knoblauch und Reichertz 2013). Ich möchte diesenen Ansatz hier etwas skizzieren, indem ich auch auf weitere Kritik des sozialen Konstruktivismus eingehe.
Wie kam es zum kommunikativen Konstruktivismus?
Das Wort kommunikativer Konstruktivismus hatte ich erstmals in meiner Habilitation verwendet, die im Frühjahr 1994 abgeschlossen wurde[i]; im Herbst desselben Jahres erschien auch ein Band zum 65-jährigen Geburtstag von Thomas Luckmann, den Sprondel (1994) den Untertitel „Die Objektivität kommunikative Ordnungen und ihre kommunikative Konstruktion“ gab.
Latours Popanz: Über Mißverständnisse des Sozialkonstruktivismus
Nachdem ich das letzte Blog der Empirie gewidmet hatte, um das auszuführen, was ich als „populäres Wissen“ fasse, möchte ich mit diesem Blogbeitrag an die Ankündigung erinnern, das Sommerloch zu nutzen, um theoretische Fragen anzusprechen. Bevor ich auf das in meinen Augen so wichtige Projekt des „kommunikativen Konstruktivismus“ eingehen möchte, will ich diesen Blogbeitrag nutzen, einige Bemerkungen zum Ausgangspunkt dieses zu Projektes machen: dem „Sozialkonstruktivismus“. Denn obwohl der „Sozialkonstruktivismus“ und vor allem seine „Kritik“ allgegenwärtig ist, scheint es sich dabei häufig um einen Popanz zu handeln.
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Benedikt in Berlin
Obwohl ich ja einen Theorie-Blog mache und Professor für “Theorie moderner Gesellschaften” bin, stehe ich, wie manche wissen, immer auch mit einem Bein fest auf dem Boden der (sozialwissenschaftlichen) Empirie. Im Grunde ist auch das, was ich in der Theorie überlege, aus den fortwährenden Auseinandersetzungen mit zahlreichen empirischen Arbeiten entstanden. Damit die Theorie in diesem Blog nicht völlig überhandnimmt (und bevor ich noch einmal Theorie nachlege), möchte ich, sozusagen zur Abwechslung, ein paar Beobachtungen aus einem empirischen Projekt berichten, das mich selbst sehr begeistert hat und zu dem es auch eine hübsche filmische Darstellung gibt: Den Besuch von Papst Benedikt in Berlin.
Von der populären Kultur zum populären Wissen (Schluß)
Im letzten Teil (3) habe ich argumentiert, dass die massiven Veränderungen der Kommunikationsstrukturen ebenso massive Folgen für die Struktur des gesellschaftlichen Wissens haben, die ich mit dem Begriff des „populären Wissens“ charakterisieren möchte. Für den Blog möchte ich Überlegungen weiterführen, die ich an anderer Stelle schon begonnen habe. Dem Thema wird auch ein kleines Rundgespräch gewidmet, das im September in Tübingen stattfinden wird.
Der Begriff des populären Wissens schließt an meinen Überlegungen zur „populären Religion“ an (Knoblauch 2009). Er darf jedoch nicht als eine Übertragung aus dem „System“ der Religion verstehen (obwohl ich sie für noch immer sehr „kulturbedeutsam“ halte). Denn die These der populären Religion besteht ja gerade darin, dass religiöses Wissen immer weniger von den auf Religion spezialisierten Institutionen verwaltet, vermittelt, ja möglicherweise kaum mehr entscheidend von ihnen geprägt wird. Vielmehr zeichnet sich in der religiösen Kommunikation eine Ablösung von den institutionellen Strukturen ab, wie sie in allgemeinerer Form als (natürlich keineswegs vollständige) Umstellung von einer „diskursiven“ zu einer „dialogischen Kommunikationsstruktur“ skizziert wird. Wie aber ebenso schon erwähnt, ist es mit der „Dialogizität“ dieser Kommunikationsstruktur keineswegs so weit her, wie man hoffen könnte. Ich denke, dass man sie besser durch den Begriff des „populären Wissens“ bezeichnen könnte.
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Schütz‘ „gut informierter Bürger“, die dialogischen Medien und die Transformation der Wissensvermittlung (Populäres Wissen 3)
Öffentlichkeit und Alltagswissen
Der letzte Blogbeitrag hat das sich ändernde Verhältnis zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit behandelt und damit zugleich die Verwendung des Blogs als kommunikativer Gattung in einem wissenschaftlichen Kontext reflektiert. Da der Begriff der „Öffentlichkeit“ sehr vieldeutig ist, möchte ich in diesem dritten Teil versuchen, die Veränderungen aus einer wissenssoziologischen Perspektive anzugehen. Im abschließenden vierten Teil dieses ersten Blocks meines Sommerloch-Soziologische-Theorie-Blogs will ich unter dem Titel des Populären skizzieren, in welche Richtung sich diese Veränderungen zu bewegen scheinen.
Public Sociology und populäres Wissen (2):
Public Sociology, Wissenschaft und Öffentlichkeit
Armin Nassehi bestreitet die These von Nina Baur, das SozBlog würde bereits „öffentliche Soziologie“ (also „public sociogy“) bedeuten (in den Kommentaren). Dennoch steht außer Frage, dass Blogs (Weblogs) besondere kommunikative Medienformate darstellen. Diese gehen aufgrund ihrer interaktiven und technischen Formate weit über eine bloße neue „Textsorten“ hinaus, sind aber keineswegs spezifisch für die Wissenschaft. Blogs werden ja von allerlei Menschen für allerlei Zwecke geschrieben (Diese Zwecke kann man vermutlich kaum als „Funktionen“ beschreiben, auch wenn man vermuten kann, dass der Blog – wie jede kommunikative Gattung – bestimmte Probleme kommunikativen Handelns löst). Aus diesem Grund entspricht das Blog durchaus der Forderung des ehemaligen Präsidenten der Amerikanischen Soziologischen Gesellschaft, die Soziologie in die Gesellschaft zu tragen, indem sie sich an öffentlichen Debatten beteiligt (Burawoy 2005).
Das Sommerloch-Soziologische-Theorie-Blog, Public Sociology und das Populäre
Mit dem ersten August übernimmt Hubert Knoblauch den Staffelstab des SozBlog von der Redaktion des soziologiemagazins e.V. Damit tritt an die Stelle des kollektiven „Wir“ der Redaktion wieder ein „ich“, das besondere Hintergründe und thematische Interessen hat (mehr zu meiner Person als in der Kurzangabe zu den AutorInnen können Sie auf meiner Homepage erfahren). Mit diesem Wechsel tritt an die Stelle von „digital natives“, die gekonnt mit dem Medium umgehen können, ein Vertreter jener Generation, die ihr Handwerk noch mit den alten Medien gelernt hat. Zumindest meine Magisterarbeit habe ich noch auf einer (mechanischen) Schreibmaschine getippt und Blogs gehören für mich – eher aus zeitlichen Gründen – keineswegs zu den vertrauten Umgangsformen. Aus diesen Gründen stellt die Übernahme des Blogs für mich auch ein Experiment dar, zumal ich ihn mit einer dezidiert theoretischen Ausrichtung betreiben möchte. Diese experimentelle Ausrichtung war auch der Grund für meinen Vorschlag an die Deutsche Gesellschaft für Soziologie. Ich bin der DGS dankbar, dass sie dieses Wagnis mit mir eingegangen ist.
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