Deutschlands neue APO

Außerparlamentarische Opposition (APO), das klingt nach langen Haaren und dem Duft von Marihuana, nach Sitzblockade und teach-in, nach Wohngemeinschaft und Gruppensex. Ganz anders die neuen außerparlamentarischen Kräfte. Im Erscheinungsbild das Gegenteil davon sind die beiden Großgruppen, die seit der Bundestagswahl gestern draußen vor den Türen des Parlaments ihre Vorstellungen von einer besseren Bundesrepublik Deutschland ins Gespräch bringen müssen.

Die FDP muss die nächsten vier Jahre draußen bleiben, zum ersten Mal in ihrer Geschichte gehört sie nicht dem Bundestag an. Die erreichten 4,8% sind das schlechteste (vorläufige) Endergebnis, das die Liberalen je erzielt haben. Ganz anders sieht die Welt der „Alternative für Deutschland“ aus: 4,7% sind hier Grund zu Freude und Stolz für eine Partei, die es vor sieben Monaten noch gar nicht gab. Mehr als ein Achtungserfolg ist ein solches Ergebnis aus dem Stand. Immerhin fast 10% aller Wählerinnen und Wähler sind allein mit diesen beiden relativ großen Gruppen mit ihren Interessen nicht im Parlament vertreten (weitere 6,2% der „Anderen“ auch nicht).

Nicht nur das Erscheinungsbild, auch die Inhalte der beiden Oppositionen könnten unterschiedlicher nicht sein. Der APO ging es in den 1960er Jahren um die Demokratisierung der Hochschulen, die Aktivisten von einst suchten ein Gegengewicht gegen die 1966 an die Regierung gekommene Große Koalition und die demgegenüber geschwächte parlamentarische Opposition, sie wandten sich gegen die geplanten Notstandsgesetze und den Vietnamkrieg der USA (Borowski 2007). Es war kein erklärtes Ziel zu regieren, sondern der außerparlamentarische Charakter war Programm, es galt durch eine soziale Bewegung von unten direkt gestaltend einzugreifen. Heute würde man sagen: Politische Partizipation in einem zivilgesellschaftlichen Verständnis wie etwa von Antonio Gramsci formuiert, also als kollektive Anstrengung zur Meinungsbildung, nicht als Gesamtheit ehrenamtlich engagierter Bürger.

Die beiden neuen außerparlamentarischen Gruppen gehören demgegenüber dem liberalen Lager an. Für das auf einen Wirtschaftsliberalismus beschränkte Verständnis der FDP steht etwa das Wahlprogramm 2013 (S. 12) mit Formulierungen wie: „Die Soziale Marktwirtschaft schafft Chancen, damit sich jeder Mensch in unserem Land frei entfalten kann. Wir wollen Vollbeschäftigung erreichen, damit jeder die Chance bekommt, durch eigene Anstrengung aufzusteigen und seine Lebensverhältnisse zu verbessern. Voraussetzung dafür ist aber eine starke, dynamische und innovative Wirtschaft, die Arbeit schafft und Chancen zum Ein- und Aufstieg bietet. Deshalb wollen wir den Industriestandort Deutschland und den Mittelstand – das Rückgrat unserer Wirtschaft – weiter stärken sowie das Handwerk als Wirtschaftsfaktor voranbringen.“ Das Freiheitsverständnis ist eines, das von wirtschaftlicher Stärke ausgeht. Das sozialpolitische Credo lautet entsprechend: Wenn es der Wirtschaft gut geht, dann geht es allen gut. Oder auch: Wirtschaftspolitik ist die beste (und einzig sinnvolle) Sozialpolitik. Es ist eine Freiheit zu wirtschaftlicher Leistung als Fundament für die Entscheidungsfreiheit des Einzelnen in anderen Lebensbereichen.

Die AfD kann als nationalliberale Kraft bezeichnet werden aufgrund ihrer europa- und einwanderungsskeptischen Haltung. Sie zeigt sich etwa in Forderungen nach der „Auflösung des Euro-Währungsgebietes“, der Forderung nach einer Zurückverlagerung der Gesetzgebungskompetenzen auf das nationale Parlament und die Betonung ihres Budgetrechts sowie in der Vorstellung für Zuwanderung von qualifizierten Arbeitskräften. Abschottung nach außen zugunsten der eigenen Prosperität ist eine Haltung, die der AfD auch Stimmen von rechtsaußen eingebracht hat. Liberal ist die AfD im Sinne der Stärkung demokratischer Bürgerrechte bis hin zu Forderungen nach Verfahren direkter Demokratie. Freiheit in ihrem Verständnis ist v.a. Freiheit von europäischer Verantwortung einer starken Volkswirtschaft gegenüber schwächeren, Freiheit der Familie zur Erziehung ihrer Kinder und der bildungspolitische Wettbewerb der Schulsysteme.

Beide Gruppen zielen ins Parlament, beide wollen mitentscheiden und mitregieren. Ob sie sich inhaltlich begegnen, bleibt abzuwarten. Die Diskussion, welche Lücken das Ausscheiden der FDP gerissen hat und welche Freiräume die AfD besetzt hat, weckt jedenfalls Phantasien über zukünftige Neuausrichtungen auch der anderen Parteien. Sollte es zu einer erneuten Großen Koalition kommen, fragt sich – wie einst – was sich an kollektiver Meinungsbildung in welchen Formen artikulieren wird. Denn neben den Wählerinnen und Wählern von AfD, FDP und Anderen haben 28,5% gar nicht gewählt: über 40% der wahlberechtigten Bevölkerung kann sich nicht recht vertreten fühlen. Interessant ist diese Entwicklung nicht nur für den politisch denkenden und handelnden Bürger, sondern auch für den sozialwissenschaftlich Forschenden, weil sich in diesen Entwicklungen auch Ängste, Hoffnungen und Deutungsmuster im Gemeinwesen zeigen, die es zu verstehen gilt.

4 Gedanken zu „Deutschlands neue APO“

  1. … neutral, neutraler, am neutralsten (eigentlich nicht steigerbar)? Der Beitrag wirkt leider wie eine Kollage unverfänglicher Textauszüge aus Materialien zur politischen Bildung zum Wahlergebnis. Oder ist es ein Skandalon die AfD als „nationalliberal“zu bezeichnen? Das Motiv dieses Beitrags erschließt sich mir nicht. Warnen Sie vor einem möglichen Rechtsruck?

  2. …sondern auch für den sozialwissenschaftlich Forschenden, weil sich in diesen Entwicklungen auch Ängste, Hoffnungen und Deutungsmuster im Gemeinwesen zeigen, die es zu verstehen gilt.

    Gott sei Dank, die Arbeit geht nicht aus.

  3. Von der Allgemeinen Theorie der Beschäftigung der Politik zur Vollbeschäftigung

    1. Schummeln gilt nicht, das heißt: Geldvermögen und Schulden sowie „Giralgeld“ sind kein Geld (Zentralbankgeld = Bargeld plus Zentralbankguthaben der Geschäftsbanken), sondern Ansprüche bzw. Forderungen auf Geld mit zudem unterschiedlicher Fristigkeit. Wer nicht einmal das differenzieren kann, versteht gar nichts; und wer dann noch von einer „Geldschöpfung der Geschäftsbanken“ phantasiert, die heute in Verdummungsanstalten gelehrt wird, damit die Insassen etwas im Grunde so Einfaches wie das Geld NICHT verstehen, versteht weniger als nichts. Dass kurz vor dem Ende des zivilisatorischen Mittelalters die Geldmenge überproportional ausgeweitet wird, um eine schleichende Inflation bei sinkender Umlauffrequenz zu erhalten und damit die Liquiditätsfalle hinauszuzögern, ist immer noch kein Grund, von etwas zu phantasieren, was es nicht gibt.

    2. Der Kreditzins, den Unternehmer für Investitionskredite an die Geschäftsbanken zahlen, besteht aus der Bankmarge und dem Guthabenzins, den die Geschäftsbanken an die Sparer zahlen. Die Bankmarge minus Risikoprämie (Kreditausfall-Versicherung) minus Personal- und Sachkosten ist der Gewinn der Geschäftsbanken vor Steuern, und der Guthabenzins der Sparer ist die Liquiditätsverzichtsprämie (Urzins) plus Knappheitsaufschlag plus Inflationsaufschlag. Der Realzins (Sparer-Gewinn) ist der Guthabenzins minus Inflation.

    3. Der Knappheitsaufschlag kann sowohl positiv (Belohnung für Konsumverzicht, nach einer umfassenden Sachkapitalzerstörung) als auch negativ (Bestrafung für Investitionsverzicht, kurz vor dem nächsten Krieg, der aufgrund atomarer Abschreckung bisher ausfallen musste) in Erscheinung treten.

    Alles klar so weit? Dann die große Preisfrage: Was ist der Urzins, woraus entsteht er, und wozu brauchen wir den überhaupt? Sie haben die Wahl zwischen der Beschäftigung der politischen Seifenoper (Nebenwirkungen: Massenarmut, Umweltzerstörung, Terrorismus und Krieg sowie alle anderen Zivilisationsprobleme, die sich überhaupt thematisieren lassen)…

    Die Fruktifikationstheorie (A. R. J. Turgot), die Abstinenztheorie (N. W. Senior), die Agiotheorie (E. v. Böhm-Bawerk), die Ausbeutungstheorie (K. Marx), die Liquiditätstheorie (J. M. Keynes), die dynamische Zinstheorie (J. A. Schumpeter), die Grenzproduktivitätstheorie (J. B. Clark), die Loanable-Fund-Theorie (B. G. Ohlin), die Eigentumstheorie (G. Heinsohn / O. Steiger)…

    …und dauerhafter Vollbeschäftigung (allgemeiner Wohlstand auf höchstem technologischem Niveau, eine saubere Umwelt und der Weltfrieden sind selbstverständlich, sodass die politische Seifenoper überflüssig wird und der „liebe Staat“ abgebaut werden kann):

    Die Urzinstheorie (S. Gesell)

    Es sagt sich der Untertan: „Dass die hohe Politik überflüssig wird, ließe sich vielleicht verschmerzen; dass ich aber auf meine geliebte Religion verzichten soll, wenn sich niemand mehr an der „Frucht vom Baum der Erkenntnis“ bedient, geht nun wirklich zu weit!“

    Was bleibt bei so viel Dummheit noch übrig?

    „God said ‚Cancel Program GENESIS‚. The universe ceased to exist.“

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