Qualitative Forschung / Forschungsethik / Streitpunkt: Digitale Archivierung

Um es gleich vorweg zu nehmen: Ich bin dafür, aber nicht als Standard, sondern als Option.

Aber erst mal einen Schritt zurück: worum geht es in der Debatte und wo liegt das Problem? Die digitale Archivierung von sozialwissenschaftlichen Forschungsdaten ist mittlerweile alltägliche Praxis – in der quantitativen Forschung sowieso, und auch in der qualitativen Forschung gibt es kaum noch Sozialwissenschaftler/innen, die nicht am Computer arbeiten und zumindest einen Teil ihrer Daten digital speichern und auf die eine oder andere Weise „archivieren“. Der Punkt, um den gestritten wird, ist die Frage, ob alle Forschungsdaten, inklusive die verschiedenen Varianten empirischen Materials in der qualitativen Forschung, formal und standard-mäßig digital archiviert und für Dritte zugänglich aufbewahrt werden sollten.

Das Thema wird schon seit einigen Jahren kontrovers diskutiert und im letzten Jahr hat sich die Debatte im deutschsprachigen Raum verdichtet – es gab eine entsprechende Resolution von DGS-Sektionen, sowie mehrere Beiträge und Veranstaltungen. Nun hat der Rat für Sozial- und Wirtschaftsdaten (RatSWD) eine Stellungnahme veröffentlicht, in der er empfiehlt „auch im Bereich der qualitativen Sozialforschung grundsätzlich eine Kultur der Datenbereitstellung zu fördern.“ (S.1)

Dass der Rat zu diesem Thema eine Stellungnahme veröffentlicht, ist grundsätzlich zu begrüßen. Außerdem fällt positiv auf, dass fachkundige, qualitative Expertise in die Stellungnahme eingeflossen ist: Kritische Einwände werden adressiert und es ist ein klares Bemühen ersichtlich, die Besonderheiten der qualitativen Forschung angemessen zu berücksichtigen und ein differenziertes Vorgehen zu propagieren. Das ist gut. Wo liegt also das Problem?

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Internationale, qualitative HIV-Forschung

Vom 6.-9. Juli 2015 fand in Stellenbosch, Südafrika, eine internationale Konferenz zu sozialwissenschaftlicher HIV-Forschung statt („Rhetoric and Reality“). Die Konferenz wurde von ASSHH (Association for the Social Sciences and Humanities in HIV) veranstaltet und fand in dem Tagungszentrum des Stellenbosch Institute for Advanced Study (STIAS) statt. Ich hatte bereits an der letzten ASSHH-Konferenz vor zwei Jahren in Paris teilgenommen und war nun das erste Mal in meinem Leben in Südafrika.

Das Besondere an ASSHH-Konferenzen (im Unterschied zu anderen internationalen HIV-Konferenzen) besteht in dem Fokus auf dezidiert sozialwissenschaftlichen Zugängen zur HIV-Forschung, die kritisch und theoretisch informiert sind und methodologische Ansätze beinhalten, die in klinisch-biomedizinisch dominierten Kontexten oft nur wenig Beachtung finden. Viele der vorgestellten empirischen Studien basieren auf qualitativer Forschung, Mixed-Method-Designs und partizipativer Forschung; Theoriebezüge werden zu einem breiten Spektrum von Ansätzen und Disziplinen hergestellt (v.a. Anthropologie, Cultural Studies, Gender Studies, Literaturwissenschaft, Postcolonial Studies, (Sozial-)Psychologie, Soziologie und Politikwissenschaften). „Internationale, qualitative HIV-Forschung“ weiterlesen

Bloggen in der Sommerpause

Social Media sind ein ‚mixed bag‘: sie eröffnen faszinierende Möglichkeiten für Austausch, Information, Vernetzung und Forschung und sind doch auch etwas unheimlich, da sie Momente des Ungewissen und Unkontrollierbaren einschließen und starke Dynamiken entfalten (können). Ich bin gespannt auf die Erfahrung, hier zu bloggen. In den kommenden Wochen werde ich insbesondere über Konferenzbesuche schreiben, z.B. über eine sozialwissenschaftliche HIV-Konferenz in Südafrika, das Berliner Methoden-Treffen und die ESA-Konferenz in Prag. Dabei greife ich einzelne Aspekte heraus, die mir vor dem Hintergrund meiner eigenen Forschung besonders relevant erscheinen. Es wird also um qualitative Forschung gehen, um die Auseinandersetzung mit „race“ und Ethnizitäts-Kategorien und um Fragen der Forschungsethik. Ich möchte zudem darauf hinweisen, dass es eine kleine Pause geben wird, da ich vom 28.7. – 13.8. nicht online bin. Ich freue mich auf Ihre Kommentare…

Was bewegt die Entwicklung der qualitativen Sozialforschung?

In den letzten beiden Monaten habe ich in meinen Blogs anhand der Betrachtung von Einzelphänomenen (Interviews, Medien, Interkulturalität, Handlungsbegriff, Algorithmen) versucht die These zu plausibilisieren, dass die qualitative Sozialforschung sich in vieler Hinsicht tiefgreifend verändert hat.

In meinem letzten Blog möchte ich heute diese Deutung der Entwicklung qualitativer Sozialforschung noch eine Stufe weiter treiben und versuchen, das Muster hinter diesen aufgelisteten einzelnen Entwicklungen zu „erraten“ – also eine erste wissenssoziologische Konzeptionalisierung einer Entwicklungstheorie qualitativer Sozialforschung vorzunehmen. Tut man dies, dann lassen sich aus meiner Sicht drei wesentliche Großentwicklungen feststellen:

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Hat sich die qualitative Sozialforschung tiefgreifend verändert?

Auf den ersten Blick scheint es so (und das wurde auch in den Kommentaren zu meinem Blog sichtbar), als habe die qualitative Sozialforschung in den Anfangsjahren einen Bestand an Methoden entwickelt, der im Laufe der letzten Jahrzehnte nur ausgebaut, verfeinert und verbessert wurde. Die qualitative Sozialforschung (so zumindest der erste Eindruck) ist bei diesem Prozess weitgehend mit sich identisch geblieben.

Mir scheint diese These von der sich nur verbessernden qualitativen Sozialforschung nicht zutreffend zu sein, denn diese Art der Forschung hat sich maßgeblich geändert  – und zwar nicht nur die Praxis, auch in der Methodologie. Bedingt sind diese Umgestaltungsprozesse auch durch die veränderte Wirklichkeit (z.B. durch die allgemeine Mediatisierung), sicherlich aber auch durch die neuen Aufzeichnungs- und Auswertungsmedien. Die Hochschulreformen (Bologna) und die veränderte Vergabepraxis von Drittmitteln und natürlich die Tatsache, dass Forschung nicht mehr nur an den Universitäten und Instituten, sondern auch von Unternehmen durchgeführt wird, bedingen und gestalten ebenfalls den Wandel der Sozialforschung. Diese schleichende Umgestaltung der qualitativen Sozialforschung berührt m.E. auch den Kern dieser Forschungsstrategie, die angetreten war, den (subjektiven) Sinn von Handeln zu erfassen und dadurch Handeln zu verstehen und zu erklären.

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Um welchen Sinn geht es der qualitativen Sozialforschung?

Mein Plädoyer für mehr Nachdenklichkeit bei dem Einsatz und der Auswertung von Interviews (siehe letzter Blog) sollte kein Aufruf sein, in der Zukunft das zu machen, was die Alten vor 40 Jahren gemacht haben (back to the roots). Sondern es ging mir darum, gemeinsam darüber nachzudenken, ob die heute (fast flächendeckend) anzutreffenden Interviews noch das erreichen, was sie einmal erreichen sollten. Das tun sie nämlich aus meiner Sicht nicht mehr.

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