Märkte verstehen. Die Wiederaneignung der Wirtschaft als soziologisches Thema

Ausgehend von den aktuellen Lebensmittelskandalen, Konzentrationsprozessen auf dem Medienmarkt sowie der Finanzkrise, hatte ich mir vor zwei Monaten das Ziel gesteckt zu versuchen, moderne Konsumgütermärkte und die Risikoproduktion auf diesen Märkten besser verstehen. Hierzu bin ich in den vergangenen Wochen Stück für Stück die einzelnen Glieder der Produktionskette durchgegangen und habe ihre eigene Dynamik sowie Bedeutung für das Ganze diskutiert, wobei ich an dieser Stelle auf eine Darstellung der inneren Systematik der Beiträge verzichten möchte, weil ich dies bereits in meinem Zwischenfazit getan habe.

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Globale Unternehmen und lokale Lebensverhältnisse. Der Einfluss der räumlichen Organisation der Produktion auf die Gesellschaft

Wie ich gestern beschrieben habe, bestehen zwischen verschiedenen Unternehmen, die Teil eines Produzenten-Zulieferer-Netzwerkes sind, marktspezifische, aber strukturelle Machtungleichgewichte, und diese werden nicht nur strategisch genutzt, sondern beeinflussen auch das Wettbewerbsverhalten nachhaltig. Auch zwischen (globalen) Unternehmen und Regionen bzw. der Gesellschaft bestehen Machtbeziehung: Da Unternehmen immer an bestimmten Orten produzieren, sind sie auf lokale Ressourcen angewiesen, beeinflussen aber gleichzeitig die lokale Sozialstruktur, d.h. die Lebenschancen der dort lebenden Menschen. Dieses Wechselverhältnis versuchen Unternehmen gezielt zu ihren Gunsten zu beeinflussen – ein maßgeblicher Faktor ist hierbei die Art und Weise, wie die Produktionskette räumlich organisiert ist.

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Globalisierung, Modernisierung und die Widerständigkeit des Lokalen

Volker H. Schmidt (2012a) kritisiert in seinen Beiträgen auf diesem Blog den beschränkten „Beobachtungshorizont“, „Eurozentrismus“ und „methodologischen Nationalismus“ der deutschen Soziologie und plädiert für eine „globale Soziologie“. Er verweist damit auf die Globalisierungsdebatte, in deren Zuge seit langem diskutiert wird, ob wir eher von einer „Modernisierung“ oder von „multiplen Modernen“ sprechen – sprich: Sind asiatische, afrikanische und südamerikanische Länder als Nachzügler der Entwicklung des „Westens“ zu betrachten, oder werden sie einen eher eigenständigen Weg gehen?

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Raum als Syntheseleistung, oder: Die vielen Gesichter Chinas

Zur sozialen Konstruktion von Raum bedarf es u.a. einer Syntheseleistung: Menschen fassen bestimmte Menschen- und Güteransammlungen zu Räumen – also zu einer Sinneinheit – zusammen, nehmen sie als solche wahr, stellen sie sich als solche vor und erinnern sich an sie auf diese Art und Weise (Löw 2001: 159, 263; Elias 1969). Dabei fassen wir durchaus auch recht Unterschiedliches und Heterogenes zusammen. So lesen wir etwa in der Presse immer wieder von „Deutschland“, „Frankreich“, „Großbritannien“ oder „China“, und wir gehen implizit dabei vom nationalstaatlichen institutionellen Rahmen sowie einer „kulturelle Einheit“ oder „Ähnlichkeit“ innerhalb des Raumes aus. Wie brüchig diese Konstruktion von Einheitlichkeit ist, wird am Beispiel von China deutlich.

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Und Europa?

In seinem Buch „Three Billion New Capitalists” entwirft Clyde Prestowitz (Basic Books 2005, S. 252f.) das fiktive Szenario der ersten Lagebesprechung eines frisch vereidigten US-Präsidenten mit den Geheimdiensten. Die Quintessenz der Botschaft, die dem neuen Amtsinhaber übermittelt wird, lautet, dass die USA vor gewaltigen Herausforderungen stünden, aber (teils aufgrund eigener Versäumnisse, teils aufgrund komplexer geopolitischer Verwicklungen) kaum Möglichkeiten hätten, den Lauf der Dinge in ihrem Sinne zu beeinflussen. Das war als Weckruf an die politischen und intellektuellen Eliten des Landes gemeint und stieß erwartungsgemäß auf wenig Resonanz. Drei Jahre später, im September 2008, ging die Lehman Brothers Bank bankrott und stürzte erst die USA, dann rasch auch Europa in die größte Finanz-, Wirtschafts- und Währungskrise seit 1929. Im November, Barack Obama war soeben zum Nachfolger George W. Bushs gewählt worden, veröffentlichte der Rat der US-Geheimdienste einen Bericht, der sich gleichsam als „Willkommensgruß“ an die neue Administration lesen ließ und diese auf die vor ihr liegenden Aufgaben einstimmte. Die außenpolitische Kernaussage des Berichts fasst der folgende Satz prägnant zusammen: „The international system – as constructed following World War II – will be almost unrecognizable by 2025 owing to (…) an historic shift of relative wealth and economic power from West to East“ (National Intelligence Council, Global Trends 2025: A Transformed World, 2008, S. vi). Oder anders gesagt, die Vorherrschaft des Westens geht zuende, und für „uns“ bedeutet das, dass wir uns auf drastisch verringerte Einflussmöglichkeiten, schrumpfende Handlungsspielräume einstellen müssen. Das war keine Fiktion. Viele der düsteren Vorahnungen von Prestowitz waren schneller eingetreten, als er selbst es befürchtet haben mochte.

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Lerngelegenheiten

Mit dem Durchbruch der globalen Moderne wird auch die Annahme hinfällig, praxisrelevantes Orientierungswissen lasse sich nur im Westen gewinnen bzw. nur dort etablierten Sozialformen ablesen. Zu den Folgen dieses Durchbruchs zählt nämlich auch eine Verlagerung, vor allem aber Multiplikation von Zentren sozialer und technologischer Innovation. Individuelle und kollektive Akteure, die Einfluss auf das globale Wandlungsgeschehen nehmen, lassen sich damit vermehrt in allen Weltgegenden beobachten.

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We ain‘t seen nothing yet

In meinem Blog „Durchbruch der globalen Moderne“ hatte ich geschrieben, der Wandel der letzten 20 bis 30 Jahre übertreffe alles in der bisherigen Geschichte der Moderne Dagewesene. Diese Behauptung lässt sich weiter radikalisieren, indem man den Beobachtungszeitraum etwas weiter ausdehnt. Folgt man einem Schema des Althistorikers und Archäologen Ian Morris (Why the West Rules – For Now, Farrar, Straus and Giroux 2010, S. 583), der das Wandlungsgeschehen seit 1700 graphisch in Form einer Entwicklungskurve darstellt und die gegenwärtigen Trends bis ans Ende des laufenden Jahrhunderts fortschreibt, dann ergibt sich ein Bild, wonach die bis dahin praktisch flach verlaufende Kurve 1820 zwar leicht anzusteigen beginnt, aber erst ab 1900 wirklich sichtbare Veränderungstrends anzeigt. Und wenngleich sie sich in den folgenden 100 Jahren kontinuierlich weiter aufwärts bewegt, verläuft sie selbst im 20. Jahrhundert noch annähernd parallel zur horizontalen Achse. Erst am nächsten Wendepunkt, im Jahr 2000, ändert sich das und schießt sie auf einmal steil nach oben.

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Verschiebung der Kräftezentren

Die globale Wirtschaftsleistung ist in den letzten drei Jahrzehnten stärker gestiegen als je zuvor. Das Wachstum verteilt sich jedoch sehr unterschiedlich auf die Weltregionen. Zwar partizipieren alle Regionen an der Entwicklung, aber von einigen Ausnahmen (wie Teilen Afrikas südlich der Sahara und Südasiens) abgesehen, gilt grundsätzlich, dass die Wachstumsraten in weniger entwickelten Regionen (teils deutlich) über denen der entwickelten Welt liegen. Das entspricht den Erwartungen der ökonomischen Wachstumstheorie. Es spiegelt sich auch in den Pro-Kopf-Einkommen wider. In den USA wuchsen diese nach Berechnungen Alfred Eckes (The Contemporary Global Economy, Wiley-Blackwell 2011, S. 7) zwischen 1980 und 2009 im Durchschnitt um 62 %, in Großbritannien sogar um 74 %. Aber was für sich genommen durchaus beachtlich scheint, verblasst im Vergleich mit Indien (+ 230 %), Südkorea (+ 360 %), der Asien-Pazifik Region (+ 594 %) und vor allem China (+ 1.083 %).

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Epistemologische und methodologische Herausforderungen globaler Modernität

Der globale Durchbruch moderner Sozialstrukturen, Lebensverhältnisse und institutioneller Arrangements stellt Wissenschaft, Politik und Wirtschaft vor neue Herausforderungen. Zu den größten Herausforderungen der Sozialwissenschaften gehören die Abkehr von gewohnten Forschungsroutinen und Deutungsmustern einerseits sowie die systematische Ausweitung des Horizonts wissenschaftlicher Beobachtung andererseits. Bis weit ins 20. Jahrhundert hinein konnte die Soziologie der Moderne sich mit gutem Grund auf den Westen konzentrieren, weil die nichtwestliche Welt die Transition zur Moderne weithin noch vor sich hatte, mithin nur wenig Anschauungsmaterial für Analysen von Modernität bot.

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