Öffentliche Güter I – Konflikt und Verantwortung

Wir hatten in den vergangenen Wochen im SozBlog eine Debatte zum Verhältnis von Recht und Gesellschaft bzw. von Recht und Soziologie. Wenn wir uns auf dieser Linie weiter bewegen, dann ist auch die Frage nach den öffentlichen Gütern und Dienstleistungen nicht allzu weit entfernt. Der soziale Rechtsstaat ist ja gerade das Ergebnis einer institutionellen Balance privater Aktivitätsspielräume und öffentlicher Verantwortungsbereitschaft – mit Blick auf die Angelegenheiten des Allgemeinen: die Erziehung, die Gesundheitsvorsorge, die technische Infrastruktur, die Mobilitätsermöglichung, die Verwaltung und Wohlfahrtspflege. Diese Balance hat einen volkwirtschaftlichen und verwaltungsrechtlichen Kern, aber sie provoziert ebenso eine Reihe soziologischer Fragestellungen.

Wenn heute in den gesellschaftspolitischen Debatten die Rede auf die öffentlichen Güter kommt, dann geht es zunächst einmal um ganz verschiedene Problematiken. Es geht um die Sicherung des Gemeinwohls, um effiziente öffentliche Mittelverwendung in Zeiten staatlicher und kommunaler Hyperverschuldung, um veränderte Ansprüche der Bürgerschaft an den Staat, um neue Managementkonzepte öffentlicher Leistungen – aber auch um die Produktionsbedingungen öffentlicher Güter: Wer stellt sie unter welchen Bedingungen her? Ja, wer trägt in welcher Weise Verantwortung für öffentliche Leistungen? Und: Wer setzt in den Konflikten um öffentliche Ressourcen seine Interessen durch?

Der Verbrauch und die Herstellung öffentlicher Güter und Dienstleistungen stehen in einem konfliktreichen Spannungsfeld von finanzpolitischen Restriktionen, Notwendigkeiten der Daseinsvorsorge und Infrastruktur sowie normativen Anforderungen an Gesellschaftsgestaltung. Denn so viel scheint zumindest in unseren politischen Breitengraden klar zu sein: die Verfügbarkeit und Qualität öffentlicher Güter verweist auf die Leistungsfähigkeit und Akzeptanz demokratischer Gesellschaftspolitik.

In der Debatte um öffentliche Güter betreten wir daher ein weites, für soziologische Fragen ertragreiches Feld. Es werden Fragen nach dem Verhältnis von Staat, Markt und Gesellschaft verhandelt. Dazu zählen beispielsweise Aspekte der Durchsetzungsfähigkeit des Öffentlichen gegenüber den Interessen exklusiver, oft zunftartig organisierter Gruppen oder die Problematisierung der öffentlichen Subventionierung privater Akteure.

Aber bleiben wir an dieser Stelle noch einen kurzen Moment beim Thema Verantwortung. Was heißt in diesem Zusammenhang Verantwortung? An welche Grenzen stößt Verantwortung? Welche konkurrierenden Interessen werden hier sichtbar?

In einer empirischen Studie zum Thema, die im Sommer im transcript-Verlag unter dem Titel „Im öffentlichen Dienst“ erscheinen wird, können wir drei unterschiedliche Antworttypen erkennen, wenn wir Produzenten öffentlicher Güter (in diesem Fall im Bereich der kommunalen Verwaltung, der öffentlichen Gesundheitsversorgung und der Infrastrukturdienste) die Frage nach der Verantwortung stellen:

Erstens: Verantwortung heißt Sicherung – öffentliche Güter sind ein prekäres Gut, das gesellschaftlich gepflegt und verteidigt sein will. Zweitens: Verantwortung heißt Risikobereitschaft – öffentliche Güter müssen veränderten gesellschaftlichen Bedingungen stets angepasst werden. Nur wer neue Wege in der Erstellung öffentlicher Güter geht, wird diese langfristig bewahren können. Drittens: Verantwortung heißt Infragestellung – öffentliche Güter müssen in Konkurrenz stehen. Es gibt keine dauerhaften öffentlichen Güter. Statische Konzepte schädigen die Interessen der Allgemeinheit. Die Antworten auf die Frage nach der Verantwortung folgen daher keinem einheitlichen normativen Konzept, sondern sie bilden unterschiedliche Interessenlagen ab.

Wie auch immer: die Produktion und die Produzenten, der Nutzen und die Lasten, die Finanzierung und die soziale Selektivität öffentlicher Güter sind gesellschaftliche Zukunftsfragen, die im Spannungsfeld kommunaler Bewirtschaftung und supranationaler Gestaltung stehen. Können wir gehaltvoll über soziale Ungleichheit, Gemeinwohl und Demokratie sprechen, wenn wir in der Soziologie keine Verantwortung für dieses Thema übernehmen?