Helma Lutz, 29. April 2012, für SozBlog, den Blog der Deutschen Gesellschaft für Soziologie
Das Werk ,The Painful Cake’ des schwedischen Künstlers Makonde Aj Linde wurde am 17. April 2012 im Stockholmer Museum für Moderne Kunst aus Anlass des schwedischen ‚World Art Day’ präsentiert und hat in der Weltpresse eine Flut von Kommentaren ausgelöst. Linde hatte zu diesem Anlass eine ‚lebende Torte’ angefertigt, die den Torso einer nackten schwarzen Frau darstellt, in deren monströsem Kopf (eine stereotype Verzerrung im Stil der ‚Blackface’-Minstrel-Theatertradition des US-amerikanischen Südens) sich der Künstler verbarg, der bei jedem aus dem Unterleib des Torsos geschnittenen Stück Kuchen schmerzvolle Schreie abgab.
Die schwedische Kulturministerin Lena Adelsohn Liljeroth, die die Ausstellung eröffnete, schnitt das erste Stück des Kuchens an und fütterte damit anschließend den Künstler (siehe: http://www.youtube.com/watch?v=eivcagwvbQk&feature=related).
Der Sturm der Entrüstung richtete sich gegen den Künstler, in erster Linie jedoch gegen die Ministerin, deren lachende Komplizenschaft als rassistischer Akt betrachtet und die zum Rücktritt aufgefordert wurde. Insbesondere SprecherInnen der Nationalen Afro-Schwedischen Assoziation (Afrosvenskarnas riksförbund), gefolgt von der Brüsseler Anti-rassistischen NGO ‚European Network Against Racism’ (ENAR) forderten den Ministerpräsidenten Schwedens auf, die Ministerin zu entlassen, da ansonsten der Eindruck entstehe, rassistische Vorurteile seien für die schwedische Regierung sozial und juristisch akzeptabel.
Adelsohn Liljeroth wies die Anschuldigungen mit dem Hinweis darauf, dass gerade provokative Kunst aus ihrer Sicht wirkungsvoll sein kann, zurück; allerdings seien die Bilder der Performance falsch verstanden worden und sie entschuldige sich „bei jenen, die sich durch mein Handeln verletzt fühlten.“
Zum Zeitpunkt dieses Ereignisses hatte ich bereits mein Gastsemester an der Universität Linköping angetreten und die Diskussion mit meinen KollegInnen vor Ort war vor allem gekennzeichnet von Abwehr und Ekel (beim Betrachten der Bilder) als auch von Ambivalenz in Bezug auf die Beurteilung der Aktion: Konnte diese Performance wirklich als ein rassistischer Akt interpretiert werden? Schließlich sei der Künstler ein Afro-Schwede, der mit seinem Werk der sog. Afromantics (Verfremdung von Bildern und Fotografien, in die afrikanische Gesichter gemalt werden) gerade auf offenen und subtilen Rassismus in der schwedischen Gesellschaft aufmerksam machen wolle. Oder sollte die Aktion eher als sexistisch beurteilt werden? Ein männlicher Künstler gibt vor, mit seinem schockierenden Werk ein vorwiegend weißes Publikum auf die Verbreitung von Genitalverstümmelung aufmerksam machen zu wollen und übersieht dabei, dass sein Kunstwerk eigentlich nur eines tut, nämlich die Fortschreibung der Viktimisierung und erneuten Unsichtbarmachung der betroffenen Frauen, die in dieser Performance selbst nicht zu Wort kommen dürfen; dabei bedient er sich eines rassistischen Voyeurismus. Womöglich ging es dem Künstler letztendlich nur um seine Selbstdarstellung mittels Provokation? „Weiße gebildete Menschen stehen um eine stereotypisierte nackte Frau herum, trinken Sekt, essen Kuchen und lächeln, während die Afrikanerin grausam verstümmelt wird“, wie Katrin Haimerl in der Süddeutschen Zeitung schreibt (siehe: http://www.sueddeutsche.de/panorama/rassismus-debatte-in-schweden-angst-essen-torte-auf-1.1335637). An diesem Abend und auch an den folgenden Tagen kamen meine KollegInnen und ich zu keiner geteilten Einschätzung; wir waren eher ratlos.
In die weltweite Debatte über diese Performance hat auch der Künstler selbst, der in dem entstandenen ‚Hype’ einen Erfolg seiner Aktion sieht, eingegriffen: Linde ist der Meinung, dass gerade die breite Facette der Interpretationen dazu beitragen kann, über die Intersektionalität von Sexismus und Rassismus nachzudenken. Er weist auch darauf hin, dass er sich als homosexueller Künstler gegen Rassismus, Homophobie und Sexismus gewehrt und immer wieder sowohl die Anrufung als (heterosexueller)Mann, als auch die als ‚schwarzer Mann’ (I am white and I am black) in Frage gestellt habe. Gängige kollektive Identitätskategorien weist Linde ab, da sie als Teil einer ‚Vorurteilswolke’ (prejudice cloud) zu betrachten seien und einer alltagsrassistischen Typologisierung dienten, die in der schwedischen Gesellschaft gängig und unhinterfragt bleibe.
Ich habe mir schließlich die Frage gestellt, ob ich den Film, der auf you tube zugänglich ist, in einer Lehrveranstaltung zum Thema ‚Intersektionalität’ einsetzen könnte (zur soziologischen Debatte über Intersektionalität siehe: http://portal-intersektionalitaet.de/startseite/ ).
Warum sollte ich aber ausgerechnet einen Film benutzen, auf den ich selbst beim wiederholten Betrachten mit Ekel und Widerstand reagiere? Was könnten Studierende daraus lernen?
Zugegebenermaßen ist es mir nicht leicht gefallen, darauf eine differenzierte Antwort zu finden. Letztendlich sprechen aus meiner Sicht aber zwei Gründe dafür, dies zu tun:
1) Zum Einen kann damit verdeutlicht werden, dass jede Repräsentation einem Dilemma unterliegt: Die Sichtbarmachung von Exklusion, Marginalisierung, Unterdrückung und Entmachtung in Form von essentialistischer Visualisierung – in diesem Fall die Verweise auf die Zurschaustellung etwa der sogenannten ‚Hottentotten Venus’ im Europa des 19. Jahrhunderts oder der Blackface Minstrels in den USA – lenkt in extrem provokativer Form die Aufmerksamkeit der BetrachterInnen auf historische Ereignisse, ruft in der Regel zwar Abscheu und Distanzierung hervor, führt aber nicht dazu, die Repräsentation neu zu denken. Allerdings ist es erstaunlich, dass nicht nur die schwedische Kulturministerin, sondern auch eine Vielzahl von BesucherInnen, die über eineinhalb Stunden an dieser Performance partizipierten, sich offenbar amüsierten und niemand diesem Treiben ein Ende setzte. Die feministische Künstlerin Marianne Lindberg de Geer, die die Aktion fotografierte, kommentiert das folgendermaßen: „We were all complicit … We were all assured that it was alright, that it was art, that it was part of the performance. It was like the Milgram electric shock experiment, no-one stepped in to prevent the simulated pain from happening.“ Dieser Vergleich mit dem Milgram Experiment scheint mir wichtig und angebracht, weil er die Frage nach Komplizenschaft in einem ‚harmlosen Spiel’ stellt und sich nicht durch schnelle Distanzierung entzieht.
2) Die ‚Lebende Torte’ und die von Makonde Aj Linde entfachte Debatte laden dazu ein, eine Analyse über Absichten und Motive der Beteiligten einerseits und die daraus hervorgehenden Wirkungen andererseits zu führen. Glaubt man der Berichterstattung, dann gab es vor der Performance keinerlei Absprache, weder zwischen dem Künstler und der Ministerin, noch mit den an der Dokumentation der Aktion beteiligten KollegInnen, wie man sich verhalten wollte. Es war also nicht vorherzusehen, dass Adelsohn Liljeroth das am unteren Ende der Torte bereitgelegte Messer ergreifen und den ersten Schnitt tatsächlich machen würde, noch war antizipierbar, dass sie dem Künstler die Torte zurückfüttern würde – was metaphorisch einem kannibalistischen Akt gleichkommt. Linde hätte dieses Angebot aber auch verweigern können, indem er die Annahme der ‚Gabe’ verweigert hätte. In diesem Sinne ist auch der Künstler zum Komplizen der Situation geworden, obgleich er dies vermutlich nicht beabsichtigt hatte, denn er beschrieb seine Gefühle – in einer engen Box zu liegen und zu schreien – als physische und emotionale ‚totale Objektivierung’. Liest man alle Stellungnahmen der verschiedenen Akteure in diesem Zusammenhang, dann ergibt sich ein sehr differenziertes Bild, das die Differenz zwischen den ‚guten’ Absichten der AkteurInnen und den nicht-intendierten ‚schlechten’ Folgen sichtbar macht. Offenbar ist Linde der Meinung, dass er als Künstler in einem Land wie Schweden zu drastischen Formgebungen greifen muss, um das Tabu einer öffentlichen Debatte über Rassismus aufzubrechen. Es fragt sich aber, ob nun gerade dieses Kunstwerk dazu angetan ist, diesen Zweck zu erfüllen. Ich bin jedenfalls skeptisch, dass Diskussionen über Alltagsrassismus in Schweden oder anderswo in Europa mithilfe der verfremdeten Darstellung von Genitalverstümmelung geführt werden sollten, zumal diese allgemein als eine Sozialtechnik ‚barbarischer Kulturen’ betrachtet wird, von der sich die BetrachterInnen leicht distanzieren können. Wohl aber ist es möglich, mithilfe des ‚painful cake’ die historischen Spuren und die soziale Funktion der rassistischen Exposition ‚fremder Körper’ in der Geschichte Europas nachzuzeichnen und ins Gedächtnis zurückzuholen; und dann lässt sich vielleicht auch ein Vergleich zu aktuellen Aktionen dieser Art ziehen.
Eine äußerst interessante Aktion
Ich kann Ihre Ratlosigkeit sehr gut verstehen. Genau so fühlte ich mich auch, nachdem ich das verlinkte Video gesehen hatte. Dennoch ist diese Ratlosigkeit eine sehr intensive Selbsterfahrung. Die sich aufdrängende Frage: „Was hätte ich getan in der Rolle der Ministerin?“, bringt eine umfangreiche Reflexion in Gang. Folglich ist das Kunstwerk eindeutig gelungen. Es schafft zwei Vorgänge – westlichen Konsum und das Leiden in Afrika – so unmittelbar zu verbinden, dass einem der Bissen im Halse stecken bleiben möchte. So gesehen ist es durchaus verständlich, wenn die Ministerin nicht selbst essen will.
Den Anschnitt der Torte (!) zu verweigern hätte der Eindrücklichkeit der Aktion nur geschadet. Dass man dem moralischen Dilemma dann aber nicht entgehen kann, spricht für den Künstler/das Kunstwerk.
Ich halte es für verfehlt, von einem solchen Werk ein klares politisches Statement zu erwarten, oder auch nur selbst der Meinung zu sein sich ihm gegenüber eindeutig positionieren zu können. Es ist nicht die Aufgabe der Kunst eindeutig zu sein, sondern eine Diskussion „auf den Tisch zu bringen“. Dass hier durch die Vielfältigkeit der Verweise gleich mehrere Disskussionen unmittelbar gegenwärtig gemacht werden – von den Minstrels über Kanibalismus, kapitalistische Ausbeutungsmechanismen, Rassismus, Victimisierung der Frau, bis hin zur Genitalverstümmelung, etc. – spricht nur wieder für das Kunstwerk.
Es wäre also lohnend den „Painful Cake“ als Aufhänger für ein Seminar zu nutzen. Die Folgen allerdings, sind unabsehbar – und das ist auch richtig so!
Danke für diesen Blog!