Was tun wir, wenn wir bloggen?

Ein kleiner Exkurs in die Meta-Ebene, ein in den Strom der Bloggerei eingeschobenes Moment der Selbstreflexion: Was tun wir hier? Wenn man es euphorisch formulieren möchte, dann nehmen wir an einer Revolution teil: „Revolutionen bleiben meist unbemerkt, bis sie einen kritischen Punkt erreichen und alles schlagartig verändern. Wissenschaftliche Blogs haben nicht nur das Potenzial, Revolutionen auszulösen, sie sind selbst eine.“[1] Wenn man es kritisch formulieren möchte, dann befinden wir uns in der Blogosphäre beim „seichten Alltagsgewäsch“, bei den „eitlen Selbstdarstellungen“ oder gar in den Arenen „menschenverachtender Parolen“. Wolf Lotter sagt, es seien „Tummelplätze anonymer Heckenschützen“.[2] Beide Positionen, die euphorische und die kritische, sind nicht ganz falsch, und zwischen diesen beiden Positionen ist viel Platz für weitere Beurteilungen.

Blogs können alles Mögliche sein, und sie sind unterschiedlich gut: Sie sind an unterschiedliche Zielgruppen adressiert, mit unterschiedlichen Zwecksetzungen, in unterschiedlichen Stilen. Die universale Wissensquelle der Spätmoderne definiert: Ein Blog sei „ein auf einer Website geführtes und damit – meist öffentlich – einsehbares Tagebuch oder Journal, in dem mindestens eine Person, der Web-Logger, kurz Blogger, Aufzeichnungen führt, Sachverhalte protokolliert oder Gedanken niederschreibt.“ Der Autor werde genannt, häufig werde aus der Ich-Perspektive geschrieben. „Damit kann das Medium sowohl dem Ablegen von Notizen in einem Zettelkasten, dem Austausch von Informationen, Gedanken und Erfahrungen als auch der Kommunikation dienen.“[3] Es gibt Blogs von Menschen, die augenscheinlich in ihren Jobs unterbeschäftigt sind und ihren „eigentlichen“ Lebensinhalt auf diesen Kommunikationsplattformen finden. Es gibt nüchterne Marketing-Blogs: wenn etwa die eigene Person, das Projekt oder die Institution „verkauft“ werden muss und die Bloggerei den Bekanntheitsgrad steigern soll, bis zum Herbeireden von Exzellenz. Sogar einige corporate blogs (von Unternehmen) lassen sich finden, und für die Politik gehören Blogs ohnehin immer mehr zur unabdingbaren Fingerübung. Zuweilen – bei manchen Zeitungen – gibt es allerdings in der Tat Blogs, an denen man nicht den Diskurs, sondern vorzüglich Diskutierunfähigkeit studieren kann: Inszenierungen von Ressentiments, Orgien von Beschimpfungen, Serien von Untergriffen. Die klassische redaktionelle Maxime, dass anonyme Leserbriefe sofort in die „Rundablage“ zu befördern seien, ist mancherorts einem Entzivilisierungsprozess, für den die Mediengesellschaft auch manch andere Beispiele abliefert, zum Opfer gefallen.[4]

Jedenfalls sind Blogs ein neues Gebilde in der Welt der Kommunikation, wandelbar, vielfältig, unterschiedlich – und auch der Versuch, die Subspezies „Wissenschafts-Blogs“ genauer zu fassen, gehört zu jenen Unternehmungen, bei denen man den Pudding an die Wand zu nageln trachtet.

(1) Wissenschafts-Blogs können als Quasi-Zeitschriften etabliert werden, bei denen die Blog-Beiträge (verkürzte) wissenschaftliche Journal-Aufsätze darstellen, vielleicht ein bisschen griffiger. Sie können aber auch ganz in der Mediensphäre angesiedelt sein, so etwa bei www.guardian.co.uk/science/blog oder bei www.wired.com, bei der Burda-Seite scienceblogs.de oder bei den Wissenschaftsmagazinen, zum Beispiel blogs.discovermagazine.com oder scilogs beim Spektrum der Wissenschaft. Auch Nature bloggt: blogs.nature.com. Die Grenzen zwischen Wissenschaft und Journalismus verschwimmen häufig – und das ist hier positiv gemeint.

Das Verschwimmen der Grenzen kann zur Diffusion der Genres führen. Interessant ist etwa die Frage, ob derartige Blogs bei steigender Qualität und Durchschlagskraft sowie zunehmender Kostenlosigkeitsgewöhnung der RezipientInnen (so wie bei den Online-Ausgaben von Tageszeitungen) Rückwirkungen auslösen, in diesem Falle auf wissenschaftliche Zeitschriften. Gibt es einen Zusammenhang mit den Anläufen renommierter Verlage, wissenschaftliche open-access-Zeitschriften zu gründen, die nur elektronisch angeboten werden – auch noble refereed journals? Der Aufwand muss freilich anderswo hereingebracht werden: bei den WissenschaftlerInnen. Tatsächlich sind im Falle der Publikation bei solchen Zeitschriften 1000 $ Kostenbeitrag und mehr fällig. Die unendliche Netzfreiheit zwischen Blog und Journal hat Schattenseiten. Das zuständige Komitee der Harvard University hat gerade dazu aufgerufen, sich angesichts unzumutbarer Preissteigerungen bei den Zeitschriften verstärkt der open access-journals und anderer entsprechender Vermittlungswege zu bedienen. Vielleicht verändert sich tatsächlich das wissenschaftliche Publikationswesen – wenn nicht als Revolution, dann wenigstens als kontinuierliche „Verschiebung“.

Das Aufblühen der elektronischen Welt ist aber nicht nur für die WissenschaftlerInnen eine Herausforderung, es erzeugt auch bei den WissenschaftsjournalistInnen Ängste vor dem Blog-Tsunami: Wenn Wissenschaftler tatsächlich das öffentliche Schreiben erlernten, würden die journalistischen „Übersetzer“ ja überflüssig. Allerdings gibt es ohnehin nicht viele von ihnen, und die Qualitätszeitungen, die unter Druck stehen, würden es gar nicht so ungern sehen, wenn die WissenschaftlerInnen die Sache – kostenlos natürlich – selbst in die Hand nehmen (wenn sie nur schreiben könnten, aber diese Gefahr ist gering).

(2) Wissenschaftliche Blogs können als eine von mehreren Schienen einer Projektpräsentation oder zur Darstellung (Aufbereitung, Begleitung oder Nacharbeit) von Tagungen oder Ausstellungen dienen. Ein Beispiel: „Auf diesem Blog wollen wir […] versuchen, eine neue PR-Strategie für die 2006 von mir mitgegründete HarzOptics GmbH zu entwickeln, die als An-Institut der Hochschule Harz insbesondere in den Bereichen LED-Außenbeleuchtung, optische Mess- und Nachrichtentechnik sowie Beleuchtungsplanung forscht. […] Bereits seit einigen Monaten überlegen meine Kollegen und ich, wie man unsere bisherige (nicht erfolglose aber eben auch nicht grandiose) Öffentlichkeitsarbeit in neue Bahnen lenken könnte – beispielsweise durch die verstärkte Professionalisierung unserer Pressearbeit oder den Relaunch unseres Blogs.“[5]

Doch es bleibt nicht bei der akademischen „Peripherie“, auch honorige Universitäten richten ihre allgemeinen Wissenschafts-Blogs ein. Auch die berühmten: www.ox.ac.uk/media/science_blog für den naturwissenschaftlichen und arts_at_oxford für den humanwissenschaftlichen Bereich; allerdings ist da schon auch ein professioneller Press Officer am Werk. Oder blog.stanford.edu. Sie betreiben damit auch Wissenschafts-Marketing – ein Begriff, den manche nicht gerne hören.[6] Aber auch die Bewohner des Elfenbeinturms haben zur Kenntnis genommen, dass in der neuen akademischen Bluff-Welt Klingeln zum Geschäft gehört – irgendwie ja auch immer dazu gehört hat, wie jeder Blick in die Wissenschaftsgeschichte lehrt, aber das Klingeln ist nicht nur wesentlich lauter geworden, es wird als handfestes Professionalisierungserfordernis eingemahnt und geht in Leistungsindikatoren ein.

Es gibt weitere Spielarten. Wissenschafts-Blogs können sich als Insider-Blogs verstehen: für den Diskurs einer kleinen ExpertInnenschar über ein hochspezielles Thema. Oder sie bieten eine Plattform für spezielle Institutionen: www.sparklingscience.at präsentiert etwa Schulforschungsprojekte. Manche Blogs sind offenbar eher eine Art von Exzerpierstelle für Studierende. Anything goes.

(3) Wissenschafts-Blogs legen oft ihr Hauptaugenmerk darauf, die Brücke von der Wissenschaft zur (medialen) Öffentlichkeit zu schlagen – irgendwo zwischen Aufklärung und Entertainment. So etwa www.scienceblogs.de: „Auf ScienceBlogs schreiben Forscher, was sie bewegt. Journalisten veröffentlichen unredigiert. Das ist die Basis für einen neuen Dialog aus erster Hand über die Rolle der Wissenschaft in Politik, Religion, Philosophie, Kunst und Wirtschaft.“ In einer Wissenschaftswelt sei das Portal „der digitale Salon führender Blogger unterschiedlicher Fachbereiche. Sie präsentieren, kommentieren und diskutieren aktuelle Themen.“

Öffentlichkeitsorientiert ist (natürlich) auch der Blog des früheren Chip- und Bild der Wissenschaft-Journalisten Reiner Korbmann: „Ich bin Wissenschaftsjournalist seit über 35 Jahren. Vor mehr als zehn Jahren habe ich angefangen, mich auch um die andere Seite des Tisches zu kümmern: Wie Wissenschaftler untereinander und mit der Gesellschaft kommunizieren. Lasst es mich so sagen: Da könnte vieles besser sein.“[7] Da hat er wohl recht. In typisch angelsächsischem Enthusiasmus sagt scienceblog.com über sich selbst: „It lives, breathes and eats press releases from research organizations around the globe. Most of what you read here are press releases from the outfits named in the stories themselves. […] The other half of the equation is blog posts from readers like you. So if you have an interest in science, drop us a line and we’ll hook you up so you can join others in an ongoing, vibrant dialog about what makes the world tick.“ Scienceblogs.com[8] rühmt sich: „We have selected our 80+ bloggers based on their originality, insight, talent, and dedication.“ Und vermutlich auch aufgrund ihrer Verfügbarkeit und Sprachgewalt.

(4) Wissenschafts-Blogs können sich auf bestimmte Fachgebiete konzentrieren – so etwa http://scienceblog.at für Naturwissenschaften und Mathematik und de.hypotheses.org (als Portal) für die Geisteswissenschaften. In eher „volksbildnerischem“ und weniger dialogischem Gestus wird in ersterem Blog verkündet: „Diese Disziplinen haben überragende Bedeutung für Wirtschaft, Kultur und viele soziale Aspekte. Dieser Science-Blog soll Laien über wichtige naturwissenschaftliche Grundlagen und Standpunkte informieren, deren Grenzen in kritischer Weise abstecken und Vorurteilen fundiert entgegentreten.“ Wenn man durch das Netz braust, dann fällt überhaupt auf: Die Naturwissenschaften sind stark vertreten, im unmittelbaren Angebot und in der sekundären Darbietung, wie die Portale scienceblogs und scilogs zeigen. Die Geisteswissenschaften werden von den Netz-Freaks als etwas „behäbig“ gescholten. Aber soeben wurde auch mit dem erwähnten de.hypotheses.org ihr großes Portal aus der Taufe gehoben, und einzelne Blogs waren ohnehin schon lange gut unterwegs: Archivalia, weblog.hist.net und andere. Oder natürlich Melissa Terras mit dem Untertitel: Adventures in Digital Humanities and digital cultural heritage. Plus some musings on academia.

Die Blogosphäre, so hat Marc Scheloske, der „Macher“ der „Wissenschaftswerkstatt“, schon vor Jahren allgemeine Kriterien zu formulieren versucht, sei verteilte Kommunikation, ein Informations- und Diskursnetz; Bloggen mache sichtbar; Blogs seien „Mensch-Verbindungsmaschinen“.[9] Wichtig sei: Es handle sich um „Ich-Medien“ – der „Mensch“ muss vorkommen (in diesem Falle ist der Wissenschaftler oder die Wissenschaftlerin gemeint, die gemeiniglich auch unter diese Kategorie fallen).

Wer bloggt, hält das natürlich für eine feine Sache und ermuntert die Kollegen: „Man muss nicht darauf schielen, ob irgendeine Lebensäußerung die Karriere behindern könnte. Wer ständig mit stromlinienförmig angelegten Ohren herumläuft und die drei weisen Affen zu seinen wichtigsten Karriereberatern erkoren hat, sollte ohnehin kein Blog schreiben. Er sollte eigentlich auch kein Wissenschaftler werden, denn die lebendige Wissenschaft nährt sich von Kontroversen. Lehrmeinungen müssen ständig hinterfragt werden, sonst erstarrt die akademische Gemeinschaft in scholastischen Spitzfindigkeiten.“[10] Einem solchen Appell würden sich die meisten Leserinnen und Leser aus der hiesigen soziologischen Zunft anschließen, und er muss gerade deshalb hie und da geäußert werden, weil die Lebenswirklichkeit, wie wir wissen, nicht ganz so beschaffen ist.

Von anderen interaktiven Plattformen unterscheiden sich Wissenschafts-Blogs natürlich durch „Wissenschaftlichkeit“ (was schon auf den ersten Blick eine glatte Tautologie darstellt und auf den zweiten Blick in diskursive Abwege führt, die hier nicht begangen werden sollen). Wir geben uns also mit der undefinierten Wissenschaftlichkeit vorläufig zufrieden und gehen davon aus, dass wir wissen, worum es sich handelt, solange wir sie nicht definieren müssen. Aber, ganz grob gesprochen, kann man die stilistischen Varianten dieser neuen wissenschaftlichen Kommunikationsgebilde auf drei wesentliche Cluster häufen: (1) Quasi-Magazine: regelmäßige Berichterstattung über Interessantes, quer durch den akademischen Produktionsbetrieb, sachlich, aber mit journalistischem Drive. (2) Persönliche Statements, ein bisschen facebook-artig: „Ich konnte die letzten zwei Wochen nicht schreiben, weil ich mit meiner Dissertation beschäftigt war, aber jetzt habe ich vor…“. „Vor meinem Tagungsvortrag habe ich festgestellt, dass ich mein Manuskript zu Hause gelassen habe…“. Das wird oft als Königsweg gesehen: eine Art Lebens- und Wissenschaftsbegleitung für die Fangemeinde.[11] (3) Die mittlere Variante: aktuelle Anstöße aufnehmen, weiterdenken, mit ein bisschen soziologischem Sachverstand anreichern; vorwiegend wohl an die Population im eigenen disziplinären Camp gerichtet, günstigstenfalls ein bisschen darüber hinaus.[12] In dieser letzteren Variante ist wohl auch der DGS-Blog zu verstehen, und ich möchte versuchen, dieses „Format“ inhaltlich etwas näher zu umschreiben.

(1) Es gibt das Verfertigen von Gedanken im Schreiben. Wissenschaftliche Aufsätze sind idealtypisch eher „fertige“ Produkte, abgerundet und ausgefeilt, Ergebnisse langfristiger Professionalität, und stilistisch fühlen sie sich oft dem „Gestus der Wahrheit“ verpflichtet.[13] Blogs sind den Denkvorgängen näher. Sie nehmen Anstöße aus dem aktuellen Leben auf, aus dem Alltag, aus öffentlichen Ereignissen und aus den Medien – was man eben üblicherweise als „öffentlichen Diskurs“ bezeichnet. Sie erlauben auch einen Blick in die Werkstatt der Wissenschaft, nicht nur in das Schaufenster. Man darf Überlegungen vorweisen, derer man sich noch nicht ganz sicher ist. Man darf Fragen stellen und sie offen lassen. Man darf sich gar ins Fragmentarische, Essayhafte wagen. Blogs erlauben es auch, sich den Erwartungen der Gesellschaft an das, was wissenschaftliche Disziplinen leisten sollen, besser anzunähern: nicht im Sinne des Opportunismus oder der Banalisierung, sondern im Sinne einer Berücksichtigung von „allgemeineren“ (nicht gänzlich esoterischen, subsubsystemischen) Fragestellungen. Dieses Bloggen ist nicht eine Aktivität der Einigelung, sondern der Öffnung.

(2) Wissenschaftlichkeit ist geboten – und doch dürfen Blogs auch ein wenig näher an Unfertigkeit oder Vorläufigkeit situiert sein. Sie dienen der schnellen Kommunikation, nicht unbedingt der Präsentation gut abgelegener Arbeiten. Letztere haben wohl wirklich ihren guten Platz in wissenschaftlichen Zeitschriften (solange es sie noch gibt, in welcher Form auch immer). In den Blogs kann man sich auch in die eine oder andere Richtung vortasten, gar ein wenig spekulieren. Es dürfen auch in den Blogs Fußnoten, Zitate und Belege vorkommen, aber eine leichte Entlastung vom wissenschaftlichen Formalismus ist möglich. Es ist gut, das alte Wertfreiheitsprinzip (im eingeschränkten Weberschen Sinne) im Kopf zu behalten, also persönliche und wissenschaftlich begründete Meinungen zu unterscheiden, aber in den Blogs darf vielleicht doch zeitweise Meinungsäußerung und Urteilsfällung stärker vertreten sein als in einem wissenschaftlichen Aufsatz – ein Hauch von Normativität, keine Abhandlung von Vorurteilen und Appellen. Jedenfalls vermischen sich in den Blogs stilistische Typen: Informationen, Essays, Interviews, Reports, Analysen, Kommentare.

(3) Blogs dieser Art sollen über den engsten Zirkel (der unmittelbaren Probleminteressenten und -professionisten) hinausreichen und eine weitere Streuung der Adressaten anpeilen. Man soll nicht nur die Aktivisten des eigenen wissenschaftlichen Subcamps im Auge haben, sondern manche, die allgemein im soziologischen Gelände unterwegs sind, vielleicht Interessenten für die Sozialwissenschaften generell, ja vielleicht sogar darüber hinaus: die Reste einer intellektuellen Öffentlichkeit. Ein tüchtiger Schuss „Dilettantismus“ ist (bei AutorInnen und RezipientInnen) hilfreich – im guten, Burckhardtschen Sinne: Dilettantismus als Liebhaberei und autodidaktische Kennerschaft jenseits des unmittelbaren Arbeitsbereichs, hinausragend über den soziologischen Kreidekreis auf der einen und der anderen Seite, früher hätte man gesagt: ein bisschen „Bildung“.

(4) Es gibt – ansatzweise, langsam – einen Wandel in der Wahrnehmung von Aktivitäten im Bereich von public science. Norbert Bolz hat in einem berühmt gewordenen Statement dem wissenschaftlichen Nachwuchs vom Bloggen abgeraten – das schade der Karriere, denn es gelte in der deutschen Wissenschaft als unfein, sich auf das Niveau von Laien zu begeben. Aber vielleicht gibt es doch ein leise wachsendes Verständnis dafür, dass auch die elektronische Welt als akzeptable Plattform wahrgenommen wird – auch wenn sich beim Bemühen um einen die deutsche Sprache nicht allzu sehr quälenden Schreibstil noch nicht allzu viel Ermunterndes regt. In den Blogs fließen jedenfalls die öffentliche und die elektronische Welt zusammen – unter dem Gebot der Verständlichkeit. Eine Anforderung, die vielerorts als Unanständigkeit wahrgenommen wird. Vielleicht könnten wir ein paar Schritte in Richtung darauf kommen, dass Unverständlichkeit nicht per se als entscheidendes Wissenschaftskriterium aufgefasst wird.[14]

(5) Blogs dieser Art haben einen gewissen Anspruch: Sie dürfen „keine Orte der verlorenen Beißhemmung“[15] sein, keine Anpöbelungsbühnen. Die meisten Menschen nehmen es übel, wenn man nicht ihrer Meinung ist. Argumentationsfreie Polemik kommt zwar auch bei herkömmlichen Rezensionen in Zeitschriften vor, aber doch seltener. Beim Bloggen gehört dies zu den Erfahrungen, mit denen man rechnen muss. Man kann sich bei solchen Angriffen zurückhalten, aber dann gibt man den Angreifern die Bühne frei; man kann auf die Angriffe genauer eingehen, aber das ist oft unfruchtbares Gezänk. Wohlgemerkt, hier ist nicht von einer normalen kritischen Argumentation oder Auseinandersetzung die Rede; gleichwohl ist nicht verwunderlich, dass auf die Frage, wie WissenschaftlerInnen ihre Ergebnisse vor der Publikation diskutieren wollen, nur 1% einen Blog-Beitrag nennen: Gerade wenn man die Sache noch nicht ganz abgerundet hat, macht man sich angreifbar, wenn man „öffentlich“ das Maul aufreißt – und das heißt: (1) das kann in intriganten wissenschaftlichen Situationen unangenehm sein[16]; und (2) das Netz vergisst bekanntlich nichts. Da verzichtet man lieber auf einen derart „unsicheren“ Dialog.

Abschließend: Alles, was über wissenschaftliche Blogs gesagt wird, kann morgen schon wieder falsch sein, denn es handelt sich um ein „liquides“ Objekt, noch flüchtiger als die liquide Modernität. Das Objekt lässt sich durch Regeln nicht einfangen (das hat ja auch sein Gutes), und es gedeiht. ScienceBlogs.com gibt zu: „ScienceBlogs is very much an experiment in science communication, and being first also means being first to encounter unforeseen obstacles. We are learning as we go (and as goes the blogosphere) and appreciate your understanding and patience.“[17] Die Liquidität macht allerdings auch Grenzen der Kommunizierbarkeit deutlich, allein schon quantitativ: Immer mehr Blogs etablieren sich; diese werden wieder zusammengefasst in Blog-Portalen; aber der Kampf gegen die Unübersichtlichkeit findet ebenso statt wie in anderes Ressorts einer „Aufmerksamkeitsökonomie“. Das muss uns allerdings vorläufig im DGS-Blog noch nicht interessieren. Wenn man aber einen kleinen Rundblick anstellt, dann kommt man an der bescheidenen Feststellung nicht vorbei, dass es „den“ Typus des Wissenschaft-Blogs schlechthin nicht gibt; es gibt verschiedene Typen, neue tauchen auf, alte ändern sich. Ein bisschen mehr als „Mode“ ist das Phänomen schon, denn die Technologie verschwindet nicht mehr, und vielleicht nehmen wir tatsächlich an einer „Revolution“ teil. Insofern können wir mit unserem Blog herumspielen – solange man nur einigermaßen weiß, was man tut.[18] We appreciate your understanding and patience.


[1] edoc.bbaw.de/volltexte/2010/1713/pdf/09_Lugger.pdf

[2] Wolf Lotter: Anonyme Hetzer und Spinner, Die Welt, 30.05.2007.

[3] Wikipedia-Artikel Blog.

[4] Deshalb hat Wolf Lotter (s.o.) in seiner kräftigen Polemik auch recht, wenn er sagt: „Das Internet ist frei, und niemand kann es unter seine Kontrolle bringen. Wer diesen Satz heute noch glaubt, ist naiv. Die freie Rede im Internet ist bedroht. Schuld daran sind die, die sich nicht unter Kontrolle haben. Nicht sinistre Geheimdienste und die Produkte anderer Hirngespinste bedrohen die Freiheit im Internet, sondern jene, denen es schlicht an Anstand und Mut fehlt, zu dem, was sie zu sagen haben, auch zu stehen.“

[5] Christian Reinboth in www.scienceblogs.de.

[6] Aber auch NGOs haben sich längst den Marketing-Erfordernissen ergeben, ja selbst Kirchen versuchen, ihren Herden auf diesem Wege die sinnvolle Nutzung von Kirchensteuern plausibel zu machen.

[7] wissenschaftkommuniziert.wordpress.com.

[8] Es ist tatsächlich nur ein „s“ als Unterschied zum vorigen Angebot.

[9] Marc Scheloske: Die Wissenschaft und die Blogosphäre: Liebesheirat oder Zweckgemeinschaft? Annäherungen an eine fruchtbare Liason, www.wissenswerkstatt.net/1008/03/11.

[10] Thomas Grüter: Don’t Panic! (http://www.scilogs.de/blogs/blog/ gedankenwerkstatt/2012-05-02/ don-t-panic).

[11] Scheloske geht recht weit in diese Richtung, wenn er schreibt: „[I]dealerweise ist ein Wissenschaftsblog das Online-Notizbuch eines Forschers (und dieses Notizbuch kann als Schmierzettel, als Experimentierfeld, als öffentlicher Meckerkasten etc. genutzt werden). Und die Interessen, Expertise, (Be-)Urteilungen und Persönlichkeit des Blogautors machen das Blog zu seinem (!) Blog.“ Beim Blick auf den Wissenschaftsbetrieb habe ich meine Bedenken mit einer solchen Selbstdarstellung, vor allem für jüngere KollegInnen. Etwas abgewogener ist schon Scheloskes zusammenfassender Satz: „Ein Wissenschaftsblog ist dann ein gutes Wissenschaftsblog, wenn der Blogger seinen individuellen Mix aus fachbezogenen Notizen und persönlicher Note gefunden hat.“ (Marc Scheloske: www.wissenswerkstatt.net/1012/03/13/wege-aus-der-nische…). Etwas ausführlicher schildert er die Anforderungen unter Bezug auf Florian Freistetters „Astrodicticum simplex“. Die Grundzutaten seien: Persönlichkeit (Ein Blogposting ist keine Doktorarbeit und kein Förderantrag. Das Format bietet die Möglichkeit, einerseits einen eigenen Stil, andererseits auch ein (persönlich-menschliches) Profil zu entwickeln. Und das sollte man ausnutzen.) Fleiß/Frequenz (Auch im Bloggeschäft haben die Götter vor den Erfolg den Schweiß gesetzt. Regelmäßige Postings sind dafür wichtig. Da geht es um Leserbindung etc. Und wenn man es schafft, mehrmals wöchentlich zu bloggen, dann umso besser.) Dialog (Es geht um Kommunikation. Nicht als Einbahnstraße, sondern als Dialog. Und zwar auf Augenhöhe. Zwischen Blogautor und anderen (Wissenschafts-)Bloggern. Zwischen Blogautor und den Kommentatoren. Auch ein Wissenschaftsblogger ist nicht unfehlbar.)

[12] Eine sinnvolle Liste ist jene von Kjellberg für die Funktionen wissenschaftlicher Blogs: Inhalte weitergeben (disseminating content), Meinungen äußern (expressing opinions), informiert bleiben und sich erinnern (keeping up-to-date and remembering), schreiben (writing), sich austauschen (interacting), sich vernetzen (creating relationships). (S. Kjellberg: I am a blogging researcher: Motivations for blogging in a scholarly context, FirstMonday, 15(8), 2010). – Was die RezipientInnen betrifft, so haben Merja Mahrt und Cornelius Puschmann kürzlich eine aufschlussreiche Untersuchung angestellt (http://www.slideshare.net/coffee001/ mahrt-puschmann-wissenschaftsblogs-deidesheim-2012-0317-mm). Die größte Aufmerksamkeit erhalten Postings in Alltagssprache und Themen mit politischen oder anderweitig kontroversen Komponenten; eher nichts Posts, die aktuelle Studien und Befunde darstellen; und viele Posts zu geisteswissenschaftlichen Themen bleiben überhaupt ohne Kommentare. (Das klingt wieder wenig revolutionär.)

[13] Nur die ganz „Großen“ dürfen anders schreiben, mit der Weisheit eines langen Lebensrückblicks.

[14] Die üblichen Ausreden (Fachsprache sei nun einmal so kompliziert – und so weiter) seien geschenkt – alles Dutzende Male erörtert, durchdiskutiert, erledigt. (Auch eine sehr partielle Berechtigung solcher Einwände wird zugestanden; meist allerdings handelt es sich um sprachliche Unfähigkeit.)

 [15] Alan Posener: Querulanten aller Lager, vereinigt euch! Im Internet tobt sich das gesunde Volksempfinden aus, Welt am Sonntag 27.01.2008.

[16] Natürlich wollen wir nicht unterstellen, dass die Wissenschaft ein besonders intrigantes Gelände im Vergleich mit anderen Lebensbereichen ist; aber solche Situationen sollen auch im hehren akademischen Gelände vorkommen.

[17] Immerhin hat es Scienceblogs.com auch schon zu einem Shop geschafft, wo man T-Shirts und Häferl kaufen kann.

[18] Dieser Blog hat einen typischen Wissenschaftler-Fehler: Er ist viel zu lang. Das werde ich ändern. Aber es möge in diesem Falle geduldet werden, weil es zwischendurch doch einmal um eine Art Standortbestimmung des Blogs überhaupt geht, dessen besondere Organisationsweise und Situierung ja wieder ganz andere Facetten ins Spiel bringt, als dies bei einem „Privat-Blog“ oder „Magazin-Blog“ der Fall ist.

Ein Gedanke zu „Was tun wir, wenn wir bloggen?“

  1. Im Sinne der abschließenden Worte dieses Blog-Beitrags versuche ich an dieser Stelle, eine dem Niveau der Plattform angemessenen Kommentar zu verfassen und dennoch nicht auf die persönliche Note zu verzichten. In der Beschaffenheit der wissenschaftlichen Blogs als „liquides“ Objekt sind die formalen Ansprüche ja, wie bereits ausführlich erörtert wurde, nicht ganz so starr, wie in anderen wissenschaftlichen Formaten. Diese Freiheit besitzt jedoch auch ihre Grenzen. Denn mit der Flapsigkeit eines Facebook-Kommentars wäre man hier wohl deplatziert. In Kenntnis des wahrscheinlichen Leserkreises reflektiert man als Autor doch ausführlich über das zu Schreibende, Worte werden stärker abgewogen und grundsätzliche Fragen werden gestellt, wie zum Beispiel: „Ist ein derartiger Beitrag direkt an den Autor des Blogs zu richten, oder ist doch eher eine weniger persönliche Form angemessen?“ Das jahrelang geschulte Festhalten an Formalitäten in der wissenschaftlichen Kommunikation ist also nicht so leicht abzulegen, wie das Medium eigentlich vermuten lässt. Gibt es auch (noch) kein klar definiertes Regelwerk für wissenschaftliche Blogs und die darauf folgenden Reaktionen, so fühlt man sich doch grundlegenden Ansprüchen der „scientific community“ verpflichtet. Darüber hinaus wird von einschlägiger Seite auch dazu geraten: „Wer als Wissenschaftler verantwortungsvoll bloggt und hierbei die Regeln zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis immer im Hinterkopf behält, kann nichts verkehrt machen.“ (1) Der wissenschaftliche Blog bietet also kein Forum nach dem Motto „Anything goes!“, sondern er schafft neue Möglichkeitsräume auf altbewährtem Fundament.

    Das im Beitrag genannte Gebot einer einfacheren Sprache zur Erklärung wissenschaftlicher Ansätze schafft schließlich eine Möglichkeit, durch welche sich der science-blog vom sonstigen Usus akademischer Texterzeugung distanzieren kann. Werden wissenschaftliche Texte verständlicher, so können diese auf jeden Fall von einem breiteren Publikum konsumiert werden. Sind zurzeit vor allem die Naturwissenschaften beim Bloggen federführend, wäre eine Zielgruppenerweiterung gerade für die Sozialwissenschaften, speziell die Soziologie, besonders interessant. Die derzeit bestehende Distanz zum beforschten Feld könnte dadurch mit Sicherheit verringert werden. Denn abgesehen von soziologischen Gegenwartsdiagnosen, die sich großteils an die breite Masse richten und dementsprechend verständlich geschrieben sind, ist die Disziplin wohl eher esoterischer Natur – geprägt von oft unnötiger sprachlicher Komplexität und auf soziologische Kreise beschränkt. Schließlich wäre gerade die Soziologie durchaus in der Lage, positive gesellschaftliche Veränderungen im Sinne Comtes zu initiieren, würden ihre Erkenntnisse einem breiteren Publikum zugänglich. Zumindest aber könnte die stärkere Verbreitung soziologischen Wissens die Selbstreflexion der Gesellschaft erhöhen, und zudem der Disziplin zu einem stärkeren Selbstbewusstsein verhelfen. Die spärlichen Medienauftritte von SoziologInnen, zumindest im deutschen Sprachraum, werden dem eigentlichen Vermögen des Faches schließlich nicht gerecht. Ein Zuwachs soziologischer Blogs wäre also durchaus wünschenswert.

    Noch ein paar Worte zum steigenden Trend der „open access“-Zeitschriften, der durchaus vom Aufkeimen der bloggenden Wissenschaft beeinflusst sein mag. Einerseits wäre es sicherlich zu begrüßen, wenn in Zukunft immer mehr hochkarätige Magazine für jedermann zugänglich würden. Andererseits bleibt die Frage nach den Konsequenzen einer derartigen Entwicklung für aufstrebende JungforscherInnen. Durch erweiterten „open-access“ könnten sie zwar leichter die aktuellen Forschungsergebnisse einsehen, jedoch würde es immer schwieriger werden sich einen Namen zu machen, wenn die Publikation der eigenen Forschung mit so enormen Kosten verbunden ist. Immerhin ist die wissenschaftliche Karriere in erheblichem Ausmaß von der Präsenz in renommierten Zeitschriften abhängig. ForscherInnen am Anfang ihrer Karriere verfügen meist nicht über die nötigen finanziellen Mittel, um in derart teuren Magazinen aufzuscheinen. Sie blieben wahrscheinlich auf der Strecke und Autoren, die bereits etabliert sind und über das nötige „Kleingeld“ verfügen, wären wohl verhältnismäßig überrepräsentiert.(2) Meiner Meinung nach keine gesunden Aussichten für die Wissenschaft.

    Inwieweit der wissenschaftliche Blog wirklich Teil einer Revolution ist, wird sich in den nächsten Jahren zeigen. Fest steht nur, dass er durchaus Potenzial besitzt den wissenschaftlichen Diskurs dynamischer zu gestalten. Darüber hinaus öffnet er die oftmals so abgeschlossene Welt der Wissenschaft für ein breites Publikum. „Science-Blogging“ ist somit auf jeden Fall ein Gewinn.
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    (1) Reusch, Sebastian; Gute Gründe, wieso Wissenschaftler mit dem Bloggen beginnen sollten. Quelle: http://www.scilogs.de/wblogs/blog/enkapsis/ansichten/2012-05-03/gute-gr-nde-wieso-wissenschaftler-mit-dem-bloggen-beginnen-sollten, eingesehen am 15.05.2012
    (2) Blogging würde sich dann auf jeden Fall als potente Alternative für Jungwissenschaftler anbieten, um dennoch ihre Arbeit an die Öffentlichkeit zu bringen. Die Bedeutung des wissenschaftlichen Bloggens würde dadurch vermutlich noch weiter gesteigert werden.

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