Zur Empfehlung des DGS-Vorstandes, aus dem CHE-Ranking auszusteigen 1
Die Empfehlung des DGS-Vorstandes, aus dem CHE-Ranking auszusteigen, hat beim CHE Alarm ausgelöst. Das CHE sieht sich unberechtigter Kritik ausgesetzt und verweist auf das Informationsbedürfnis von Studierwilligen, Hochschulleitungen und Ministerien, das durch das CHE-Ranking befriedigt wird. Ich möchte hier aufzeigen, dass die Art, wie Rankings diese Informationsbedürfnisse befriedigen, Forschung und Lehre so tiefgreifend deformieren, dass sie ihre genuine Funktion für die Gesellschaft nicht mehr erfüllen können. Die Empfehlung des DGS-Vorstandes verdient deshalb vorbehaltlose Unterstützung.
Helfen Rankings bei der Wahl eines Studienortes?
Die Wahl eines Studienfaches und eines Studienortes ist keine Entscheidung, die man ein für alle Mal trifft, und es gibt eine Vielzahl von Faktoren, die dabei eine Rolle spielen. Die Aufgabe des Staates ist es, dort, wo ein Studienfach angeboten wird, für eine gute Ausstattung mit Personal und Sachmitteln zu sorgen, sodass das Fach in genügender Breite und mit verschiedenen Möglichkeiten der Spezialisierung angeboten werden kann. Die Universitäten, Fakultäten und einzelnen Institute haben insbesondere bei der Berufung von Professorinnen und Professoren und der Einstellung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auf größtmögliche Originalität und Qualität in Forschung und Lehre zu achten. Wenn das alles gewährleistet ist, können sich Studierwillige auch ohne Entscheidungshilfen durch Rankings für ein Studienfach und einen Studienort entscheiden. Studienanfänger können einen Studienort wählen, weil er nicht allzu weit von zuhause entfernt ist oder gerade auch, weil er weit weg ist, weil der Freund oder die Freundin schon dort studiert, weil man von einem Freund gehört hat, dass es dort ganz interessant ist, weil der Studienort einen hohen Freizeitwert hat, weil man von der einen oder anderen Professorin schon einmal ein Interesse weckendes Interview in der Zeitung gelesen hat oder man vielleicht sogar ein Buch einer Professorin oder eines Professors gelesen hat.
Ist man mit der Wahl aus den verschiedensten Gründen nicht zufrieden, dann können das Studienfach oder der Studienort ohne weiteres gewechselt werden, wofür auch wieder alle möglichen Faktoren relevant sind. Entscheidend ist dabei, dass man zufrieden ist mit dem Studium und zu einem erfolgreichen Abschluss gelangt. Das CHE-Ranking kann einem dabei nicht helfen. Im Gegenteil, es kann sogar dafür sorgen, dass sich gar keine Zufriedenheit im Studium einstellt, weil die Orientierung am Ranking aus den Studierenden rationale Optimierer macht, die ständig frustriert werden, weil sie das Optimum nicht finden. Die Wahl eines Studienorts, der im CHE-Ranking nicht ganz oben steht, verursacht bei ihnen ein Gefühl, sich am falschen Ort zu befinden und nicht das Richtige zu tun, ein Gefühl der Inferiorität gegenüber den Studierenden an den hochrangigen Plätzen. Es beeinträchtigt ihre Studienmotivation und ihr Selbstvertrauen. Die Studierenden an einem hochrangigen Platz können ein Überlegenheitsgefühl entwickeln und sich schon als Teil einer Elite wähnen, obwohl das CHE-Ranking noch keineswegs die Position einer Elitezertifizierungsinstanz innehat. Sie können aber auch von ihrer Studiensituation enttäuscht sein, weil nicht die hohen Erwartungen erfüllt werden, die durch einen hohen CHE-Rang geweckt werden. So können hohe Forschungsreputation, hohes Drittmittelaufkommen und hohe Publikationszahlen in hochrangigen Fachzeitschriften in der Soziologie beispielsweise auch dafür stehen, dass die Professoren kaum Zeit für die Studierenden haben und die Publikationserfolge in einem so engen Spektrum an Daten und Themen erzielt werden, dass es spätestens nach dem dritten Fachsemester für die Studierenden langweilig wird, weil sie immer mehr von Demselben aufgetischt bekommen. Und es kann ein Themenspektrum sein, das weit neben den Interessen eines Studierenden liegt. Soll er oder sie dann an einen Studienort wechseln, an dem das angeboten wird, was den Erwartungen entspricht, aber möglicherweise einen „Abstieg“ in der CHE-Tabelle bedeutet?
Das CHE-Ranking erschwert einen solchen inhaltlich bestimmten Wechsel und begleitet ihn –falls er doch vollzogen wird – mit der Erzeugung eines schlechten Gewissens, sich nicht karrierefördernd verhalten zu haben. Das CHE-Ranking prämiert wie alle Rankings Größe. Kleinere Standorte belegen deshalb in aller Regel die unteren Rangplätze. Das heißt aber, dass ein solches Ranking die Wahlmöglichkeiten der Studierenden einschränkt. Auch große Standorte bilden nicht ab, was ein Fach alles zu bieten hat, schon gar nicht in Deutschland, wo wir mit unserer Lehrstuhlstruktur das Spektrum eines Faches auf Professorenebene auf die Kerngebiete einschränken. Die Vielfalt eines Faches muss sich deshalb auf eine größere Zahl von Standorten verteilen. Wer sich z.B. für Kultursoziologie interessiert, findet gerade an kleineren Standorten interessante Angebote, die dort häufig in Verbindung mit Geschichte oder Literaturwissenschaft stehen. Weil aber solche Standorte der von Rankings gepflegten Tonnenideologie nicht entsprechen, nehmen sie dort nur untergeordnete Plätze ein. Sie befinden sich im Verhältnis zu den durch Rankings herausgehobenen Standorten in einer dominierten Position im akademischen Feld. Studierende, die sich trotzdem dafür entscheiden, müssen damit leben, nach CHE-Lesart an einem Fachbereich minderer Qualität zu studieren. Der Sozialisationseffekt, den das Ranking über die Verbreitung durch ZEIT-Campus auf die Studierwilligen und Studierenden ausübt, müsste auf längere Sicht zu einer Einschränkung der Angebotsvielfalt führen. Das ist nicht im Interesse der Studierenden und auch nicht im Interesse der Fachdisziplinen.
Forschung und Lehre als Produktion von Kennziffern
Rankings üben demgemäß nur vordergründig eine Informationsfunktion für die Studierenden aus, sie schränken ihre Wahlmöglichkeiten ohne sachliche Gründe ein und erzeugen bei all denjenigen Studierenden Gefühle der Inferiorität, die nicht an einem hochrangigen Fachbereich studieren, obwohl Hochrangigkeit in keiner Weise garantiert, dass ihnen damit ein ihren Wünschen entsprechendes Curriculum geboten wird. Sie erzeugen eine Stratifikation von Fachbereichen nach hochselektiven Indikatoren, die unvermeidlich die Komplexität von Forschungs- und Lehrleistungen in einem für die Bereithaltung von Diversität und für die Offenheit der Wissensevolution unzuträglichen Umfang reduziert.
Die Indikatoren eines Rankings konstruieren eine Realität sui generis, von der die wissenschaftliche Praxis entkoppelt werden kann (Meyer und Rowan 1977), solange Rankings noch keinen verbindlichen Status haben. Je mehr sie aber diesen Status erlangen, umso mehr kolonisieren sie die wissenschaftliche Praxis und diktieren ihr, welchen Regeln sie zu folgen hat (Power 1997; Miller und Rose 2008; Sauder und Espeland 2009). Statt zu forschen und zu lehren, sind alle nur noch mit der Produktion von Kennzahlen beschäftigt, die in das Ranking eingehen. Wegen der unvermeidlichen Einengung auf wenige Kennzahlen, um aussagekräftig zu bleiben, folgt daraus, dass wichtige Elemente des Forschens und Lehrens auf der Strecke bleiben, weil sie nicht in das Schema der relevanten Indikatoren passen. Es ergibt sich eine regelrechte Verarmung der Praxis, eine Umkehrung von Zweck und Mittel. Die Bedienung der Indikatoren wird zum Selbstzweck. Das ist die Reaktivität von Rankings (Espeland und Sauder 2007). Der Praxis des Forschens und Lehrens werden neue, ihr an sich fremde Spielregeln aufoktroyiert. Alle Rankings, methodisch saubere und unsaubere, deformieren die Praxis des Forschens und Lehrens. Sie errichten eine neuartige Herrschaft der Zahlen (Porter 1995) als wesentliches Element der Gouvernementalität der Gegenwart (Foucault 2006; Bröckling et al. 2000). Zu behaupten, dass Rankings nur abbilden, was in der Realität schon existiert, ist methodologisch schlichtweg naiv. Auch 1000 Jahre Qualitätsverbesserung von Rankings werden an diesem Faktum nichts ändern.
Engführung der Wissensevolution
Je gefestigter die durch Rankings erzeugte Stratifikation der Fachbereiche ist, umso schwerer ist es für periphere Forschungsgebiete, theoretische Perspektiven und methodische Herangehensweisen, zur vollen Blüte und Anerkennung zu gelangen. Die Wissenschaft erfährt dadurch eine erhebliche Einschränkung ihres Erneuerungspotenzials. Dass Harvard, Princeton, Yale & Co. ein Abonnement auf die Nobelpreise haben, ist nur gut für diese Universitäten, ihre Professoren und ihre Absolventen, aber nicht für den Rest der Welt. Eine breitere Streuung der Nobelpreise würde auch eine größere Diversität der Forschungsprogramme zur Folge haben und dementsprechend den Erkenntnisfortschritt befeuern. Ein aktuelles Beispiel dafür ist die Volkswirtschaftslehre. Der jährlich im Gedenken an Alfred Nobel vergebene Preis für Volkswirtschaftslehre ist ganz überwiegend an Ökonomen gegangen, die in Chicago, Berkeley, Princeton, Columbia oder Harvard gelehrt haben bzw. lehren. Jetzt ist das Fach im Gefolge der Weltfinanzkrise selbst in eine tiefe Identitätskrise geraten. Dass das Fach so einseitig dem neoklassischen Modellplatonismus verfallen ist, hat eindeutig mit dessen fixierter Stratifikation durch den Journal-Impact-Faktor und dem dadurch geschaffenen Monopol der amerikanischen Eliteuniversitäten zu tun. Jetzt gibt es sogar Stimmen in der Ökonomie, die das Fach nicht nur auf dem schon etwas länger zaghaft eingeschlagenen Weg der Institutionenökonomik und Verhaltensökonomik auch zur Soziologie hin öffnen wollen. Die Soziologie ist gerade, weil sie sich bisher der paradigmatischen und methodischen Verengung widersetzt hat, dafür geeignet, maßgeblich zur Erneuerung des Wissens über die Dynamik und Krisenanfälligkeit einer nicht im Gleichgewicht befindlichen Wirtschaft beizutragen. Die Hierarchisierung von Standorten der Soziologie ist dafür vollkommen kontraproduktiv, national genauso wie weltweit.
Literatur
Bröckling, Ulrich, Susanne Krasmann und Thomas Lemke (Hg.). 2000. Gouvernementalität der Gegenwart. Studien zur Ökonomie des Sozialen. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.
Espeland, Wendy N. und Michael Sauder. 2007. „Rankings and reactivity. How public measures recreate social worlds“. In: American Journal of Sociology 113(1), S. 1-40.
Foucault, Michel. 2006. Die Geburt der Biopolitik. Geschichte der Gouvernementalität II. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.
Meyer, John W. und Brian Rowan. 1977. „Institutionalized organizations. Formal structures as myth and ceremony“. In: American Journal of Sociology 83, S. 340-363.
Miller, Peter und Nikolas Rose. 2008. Governing the Present. Cambridge: Polity Press
Porter, Theodor M. 1995. Trust in Numbers: The Pursuit of Objectivity in Science and Public Life. Princeton: Princeton University Press.
Power, Michael. 1997. The Audit Society. History, Institutions, and Social Analysis. Princeton University Press.
Sauder, Michael und Wendy N. Espeland. 2009. „The discipline of rankings: tight coupling and organizational change“. In: American Sociological Review 74 (1), S. 63-82.
Eine an einem Exzellenzcluster arbeitende Kollegin berichtete mir, dass sie einigen Doktoranden des dortigen Graduiertenprogramms die Illusion nehmen musste, dass sie als Angehörige des Exzellenzclusters nicht schon eine Professur so gut wie sicher haben, was diese anscheinend wegen des Labels „Exzellenzcluster“ ganz selbstverständlich annahmen. Auch ein Beispiel, wie Etikettierungen ein falsches Bewusstsein befördern und das unterminieren, was für Wissenschaft ja essentiell ist: kritisches Denken. Gerade wenn sich wissenschaftliche Institutionen bei Rankings oder solchen Etikettierungen auch noch beteiligen, ist es nicht verwunderlich, dass Studenten so unkritisch werden und sich Illusionen machen. Schließlich verhält sich die Wissenschaft darin ja selbst unkritisch. Der Schritt der DGS ist nur zu begrüßen.
Danke für Ihren Erfahrungsbericht! RM
S. g. Prof. Münch
als Master und baldiger Doktorstudent schließe ich mich ihren Forderungen an und finde, dass Sie den Nagel auf den Kopf treffen un die präkere Lage, nicht nur der Studierenden vorzüglich erfassen. Bitte machen Sie weiter mit Ihren Forderungen denn sie bewirken und können Veränderungen zum Besseren bewegen!
schöne Grüße aus Wien
Sehr geehrter Herr Novosel,
vielen Dank für Ihr Interesse an meinem Essay und Ihre Unterstützung, ein willkommener Motivationsschub für die weitere Arbeit!
Viele Grüße aus Bamberg
Sehr geehrter Herr Professor Münch,
ich bin Chefredakteur des ZEIT Studienführers, in dem wir nach reiflicher Überlegung das CHE-Ranking veröffentlichen, und es wird Sie nicht wundern, dass ich Ihnen widerspreche.
Ich möchte mich an dieser Stelle auf die vorhandene, oder in Ihren Augen nicht vorhandene, Orientierungsfunktion für die künftigen Studenten beschränken. Denn unser Ziel ist es, ihnen so viel Hilfe wie möglich bei der Wahl des Studienfachs und des Studienorts zu geben. Das Studienangebot ist heute ja wesentlich umfangreicher als früher, und es nehmen mehr junge Leute ein Studium auf, die nicht schon darüber Orientierung finden, dass Mami in Heidelberg Medizin und Papi in Münster Jura studiert hat. Und da sehen wir das CHE-Ranking (das in unserem Studienführer ja eingerahmt und eingeordnet wird) als einen hilfreichen Mosaikstein.
Zunächst schreiben Sie eine Idealsituation herbei:
„Die Aufgabe des Staates ist es, dort, wo ein Studienfach angeboten wird, für eine gute Ausstattung mit Personal und Sachmitteln zu sorgen, sodass das Fach in genügender Breite und mit verschiedenen Möglichkeiten der Spezialisierung angeboten werden kann. Die Universitäten, Fakultäten und einzelnen Institute haben insbesondere bei der Berufung von Professorinnen und Professoren und der Einstellung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auf größtmögliche Originalität und Qualität in Forschung und Lehre zu achten. Wenn das alles gewährleistet ist, können sich Studierwillige auch ohne Entscheidungshilfen durch Rankings für ein Studienfach und einen Studienort entscheiden.“
Richtig. Wenn an allen Studienorten optimale Studienbedingungen herrschten, dann wäre tatsächlich keine Orientierung nötig. Im Paradies wäre ein Studienführer mit Ranking überflüssig – doch wir leben auf Erden.
Dann stellen Sie eine Reihe von Behauptungen auf, die Sie nicht empirisch belegen:
Das Ranking mache aus Studierenden rationale Optimierer, die ständig frustriert seien, weil sie das Optimum nicht finden. An schlecht gerankten Orten fühlten sie sich nicht wohl, an gut gerankten könnten sie (wahlweise, die Falle schnappt nach Ihrer Weltanschauung immer zu) unberechtigte Überlegenheitsgefühle entwickeln oder enttäuscht sein, dass die Studiensituation gar nicht so gut sei, wie dem Ranking zufolge zu erwarten war. Zudem erschwere es den Wechsel an Unis, die laut Ranking schlechter seien.
Wie gesagt, alles Mutmaßungen ohne Beleg, Konstruktionen. Wenn es dazu echte Empirie gäbe, wäre ich sofort daran interessiert. Aber nicht aufgrund irgendeines Simpel-Rankings, sondern aufgrund des CHE-Rankings.
Ich finde gerade an dem Ranking erhellend, dass der Ruf einer Uni, der stark mit Forschungsleistungen in der Vergangenheit korreliert durch das CHE-Ranking mit anderen Indikatoren abgeglichen wird, so dass ein Abiturient, dem die Studiensituation wichtiger ist als der Ruf unter Wissenschaftlern sich besser orientieren kann.
Auch für Ihre Behauptung, das CHE-Ranking belohne Größe gilt für die Bewertung der Lehre zumindest nicht. Kleinere Hochschulen schneiden gerade bei die Lehre betreffenden Indikatoren überraschend gut ab.
Sicher muss die Debatte um Rankings immer und immer wieder geführt werden. Und man muss auch einzelne Indikatoren (etwa die Zahl der Promotionen) im Auge haben und immer wieder nachbessern.
Ich möchte aber das sehr differenzierte CHE-Ranking wie gesagt als einen hilfreichen Mosaikstein bei der Studienorientierung für Abiturienten verteidigen. Zumal ich von Ranking-Kritikern noch kein überzeugendes Gegenkonzept gesehen habe.
Zum Schluss noch ein Text von mir aus dem Studienführer zur Einordnung des Rankings:
http://www.zeit.de/2010/19/C-Ranglisten
Beste Grüße, Thomas Kerstan
Sehr geehrter Herr Kerstan,
vielen Dank für Ihren ausführlichen Kommentar und den Verweis auf Ihren Text! Ich werde mich weiter mit der Materie beschäftigen und mich im nächsten Blog mit Ihren Argumenten für das CHE-Ranking auseinandersetzen.
Mit den besten Grüßen
Richard Münch
Sehr geehrter Herr Kerstan,
methodische und empirisch belegte Kritik an Rankings im Allgemeinen und am CHE im Besonderen gibt es nun wirklich wie Sand am Meer. Es waren ja nicht zuletzt die gravierenden methodischen Probleme, welche die DGS zu ihrem Aufruf eines Rückzugs der Soziologie aus dem Ranking bewogen haben. So kommen zum Beispiel Uta Liebeskind und Wolfgang Ludwig-Mayerhofer (2006) nach dem Vergleich dreier Rankings (inklusive dem CHE-Ranking) zu folgendem vernichtenden Schluss:
„Die in den Medien veröffentlichen Rankings sind kein adäquates Mittel zur Orientierung, da ihre Resultate nicht übereinstimmen und sie damit Universitäten nicht zuverlässig bewerten. Sie messen zwar und geben sich Mühe, dabei sehr exakt zu wirken. Was genau da aber eigentlich gemessen wird, ist nur selten klar. Zu sehr verschwimmen in Folge von Stichprobenfehlern, Aggregierung und Gruppenbildung die eigentlichen Merkmale. Sicher wäre – nimmt man den Orientierungsanspruch ernst – künftigen Studierenden mehr geholfen, wenn sie nicht-wertende Studienführer zur Hand hätten, die Universitäten und Fachbereiche qualitativ beschreiben, anstatt sie auf Basis pseudo-objektiver Zahlen zu bewerten.“ (S.146)
Im letzten Satz finden Sie dann auch die von Ihnen gewünschte konstruktive Kritik. Allerdings wird hier, wie in zahlreichen anderen Fällen auch, für die Abschaffung der Rankings zugunsten eines deskriptiven Überblicks votiert.
Bei genauerer Betrachtung sind nicht die gemessenen Eigenschaften das Problem (obwohl die Messungen selbst sicherlich fragwürdig sind), sondern der Versuch diese in eine Rangfolge zu bringen. Alfred Kieser (2010) hat hierfür das schöne Bild eines Vergleichs zweier Sportler anhand ihrer Siege geprägt: „Die Feststellung, dass der eine Nummer eins und damit besser als die Nummer zwei ist, ist ungefähr so sinnvoll wie die, dass der Golfer Tiger Woods im Vergleich mit dem Tennisspieler Roger Federer der bessere Sportler ist. Rangordnungen von Wissenschaftlern verschiedener Disziplinen und selbst von Wissenschaftlern einer Disziplin aufzustellen, die unterschiedliche Fragestellungen mit unterschiedlichen Ansätzen und Methoden verfolgen, ist unsinnig.“ (S. 351) Daraus folgt aber auch, dass nicht nur das Ranking von Wissenschaftlern generell fragwürdig ist, sondern eben auch die Konstruktion einer artifiziellen Rangfolge von Universitäten.
Da Ihnen ja die Orientierungsfunktion für Studierende der entscheidende Faktor zu sein scheint stellt sich mir die Frage wie sehr diesen mit solch unzuverlässigen Rankings gedient sein kann. Wäre es nicht gerade im Sinne dieser Orientierungsfunktion sinnvoll einen deskriptiven Überblick über den einzelnen Fachbereich der jeweiligen Universität zu geben? Damit sich zukünftige Studenten eben selbst ein Bild machen können anstatt von zugeschriebener Exzellenz in die Irre geführt zu werden.
Beste Grüße
Jan Riebling
Literatur:
Kieser, Alfred. 2010. Unternehmen Wissenschaft? Leviathan 38: 347–367.
Liebeskind, Uta, und Wolfgang Ludwig-Mayerhofer. 2006. Leuchttürme oder Scheinriesen – Wie zuverlässig sind die Hochschulrankings der Massenmedien? die hochschule. journal für wissenschaft und bildung 1: 134–148.
Sehr geehrter Herr Riebling,
dass andere (ich behaupte einmal: methodisch schlechtere) Rankings zu anderen Ergebnissen kommen als das CHE-Ranking, kann man diesem nicht vorwerfen, finde ich.
Auch der Tiger-Woods-Roger-Federer-Vergleich trifft nicht. Ganz bewusst werden ja nicht ganze Hochschulen miteinander verglichen, sondern Fachbereiche/Fächer. Und dann nicht über einen Kamm geschoren, sondern sehr differenziert verglichen. Von einer artifiziellen Rangfolge von Universitäten, die Sie beklagen, kann keine Rede sein.
Im Gegensatz zu Ihnen bin ich sehr wohl der Überzeugung, dass die Hochschulen in Forschung und Lehre unterschiedlich gut sind und man das auch messen kann. Es wäre natürlich der Traum jedes mittelmäßigen Hochschullehrers, wenn das unmöglich wäre.
Bei dem deskriptiven Vergleich der Fachbereiche/Universitäten, den Sie vorschlagen, stoßen Sie übrigens auf das gleiche Problem wie jedes Ranking: Sie müssen Komplexität reduzieren. Das Problem kennen auch Journalisten: Wenn man eine Schneise der Erkenntnis durch ein komplexes Problem schlägt, dann ist man immer gegenüber dem einen oder anderen ungerecht, vereinfacht die Wirklichkeit, macht sich angreifbar. Aber damit muss man leben. Ohne diese Komplexitätsreduktion ist Kommunikation letztlich gar nicht möglich.
Beste Grüße, Thomas Kerstan
Sehr geehrter Herr Kerstan,
ich hätte erwartet, dass ein Chefredakteur der Zeit etwas gründlicher bei der Auseinandersetzung mit den Argumenten anderer ist. Lassen Sie mich es daher nocheinmal wiederholen:
1. Das CHE-Ranking ist methodisch schlecht. Wenn Ihnen der Vergleich mit anderen Medien-Rankings (die zugegebenermaßen ebenfalls schlecht abschnitten) nicht gefällt, dann kann ich Ihnen die Lektüre von Ursprung (2003) ans Herz legen. Dieser beschäftigt sich ausschließlich damit zu zeigen, dass das CHE-Ranking methodisch nicht zu gebrauchen ist.
2. Der Federer-Woods Vergleich bezog sich nicht auf die Unvergleichbarkeit von Hochschulen, sondern auf die von einzelnen Wissenschaftlern, die in unterschiedlichen Bereichen derselben Disziplin forschen. Daraus folgt dann erst die Unmöglichkeit des Vergleichs ganzer Fachbereiche, ohne deren prinzipielle Eigenheiten zu berücksichtigen.
Was Ihre ad hominem Rhetorik des „mittelmäßigen Hochschullehrers“ angeht: Man könnte auch behaupten, dass die Annahme die gebetsmühlenartig wiederholte Feststellung der Qualität des CHE-Rankings (ohne das Vorbringen auch nur des kleinsten empirischen Beweises für diese Behauptung) würde eben diese Qualität bezeugen, der Traum eines jeden mittelmäßigen Chefredakteurs wäre, der leider keine anständigen Argumente zur Hand hat. Aber so etwas zu tun liegt mir natürlich fern.
Beste Grüße
Jan Riebling
Literatur:
Ursprung, Heinrich W. 2003. Schneewittchen im Land der Klapperschlangen: Evaluation eines Evaluators. Perspektiven der Wirtschaftspolitik 4: 177–189.
Sehr geehrter Herr Riebling,
lassen wir mal Ihren gleichermaßen beleidigten wie beleidigenden Gestus beiseite …
ad 1. Darüber muss sicher weiter gestritten werden. Es gibt ja auch viele Studien, die das CHE-Ranking ausdrücklich loben. Hier werden wir sicher nicht so schnell einig. Wir müssen beide damit leben, dass es hier keine absolute Wahrheit gibt.
ad 2. Selbstverständlich hinkt jeder Vergleich. Man muss immer überprüfen, welche Reduktion der Komplexität in jedem Fall angemessen ist. Auch in Ihrer Disziplin sind Sie doch ständig gezwungen, komplexe Gebilde, wie es Gesellschaften ja nun einmal sind, zu vereinfachen, um sie besser zu verstehen.
Beste Grüße, Thomas Kerstan
Sehr geehrter Herr Kerstan,
es scheint, als sei Ihnen ein entscheidendes Faktum entgangen, das des Zufalls, in dem die „richtigen“ Menschen aufeinandertreffen. Viele große Personen in der Geschichte konnten ihr Potential nur und gerade deshalb entfalten, weil sie entsprechende Förderer hatten, die in Ihrem Ranking ganz gewiss nicht gut abgeschnitten hätten. Wer hätte schon bei Martin Knutzen in Königsberg studiert? Nichtsdestotrotz war er der Wegbereiter für den Aufstieg eines Denkers mit Weltruhm, der auch an amerikanischen Eliteinstituten von großer Bedeutung ist. Eine weiterer Denker und Universalgelehrter von Weltruhm, wurde von einer renomierten Universität abgelehnt und musste sein Studium an einer kleinen, unbekannten Hochschule absolvieren. Nichtsdestotrotz ziert das Konterfei dieser Geistesgröße den zentralsten Punkt dieser ablehnenden Universität. Einem der weltweit bekanntesten Physiker und Nobelpreisträger wiederum war ein Erfolg an einer Hochschule während seines Studiums nicht beschieden, er galt als Studienversager.
Weitere Beispiele, oder gar Namen zu nennen, würde uns an dieser Stelle wohl nur beschämen, da wir nur in die Geschichte zu blicken brauchten und uns die herausragenden Persönlichkeiten genauer anzusehen. Allerdings zeigt sich immer wieder, dass es gerade Studierende sind, die einer Hochschule zu weltweitem Ruhm und Ansehen verhelfen können und ein Genius richtet sich gewiss nicht nach ihrem Hochschulranking. Stellen Sie sich vor, viele gute aber durchschnittliche Studierende richten sich nach Ihrem Ranking und gehen an eine bestimmte Hochschule und ein Genius von überragender Bedeutung an eine andere, welches sich verfehlendes Potential!
Ihre soviel geliebte Empirie mag Ihnen Recht geben, doch die Wirklichkeit mit ihren Unwägbarkeiten hat Sie schon allein durch die Geschichte widerlegt, wird es gegenwärtig vollziehen und künftig wiederholen. Ich würde Ihnen so gerne hunderte von Beispielen aufzählen, von Personen, denen aus „empirischer“ oder „fachlicher“ Sicht kein Erfolg beschieden war und die heute zu den Geistesgrößen der Geschichte zählen, doch je länger ich überlege, welche Namen ich nennen sollte, umso mehr Namen fallen mir ein. Wieso sollte also etwas so offensichtliches noch extra genannt werden?
Jedoch möchte ich Ihre Glaubensfreiheit nicht beschneiden, denn wir leben in einer freien Gesellschaft. Doch scheint mir ihr Glaube ein sehr starker zu sein, fast zu stark, um zu echter, wissenschaftlicher Erkenntnis zu gelangen.
Besten Dank, Patrick Katz
Sehr geehrter Herr Katz,
der Vorwurf, ich stellte den Glauben höher als die Wissenschaft, ist billig; ich könnte ihn einfach zurückspielen. Was hätten wir dadurch gewonnen?
Ich kenne die Bedeutung des Zufalls aus eigener Anschauung, etwa das Glück zur rechten Zeit am richtigen Ort zu sein. Aber was sagt das? Ich bin doch nicht der Meinung, dass die Bestenauslese so vonstatten gehen muss, dass die „besten“ Studenten die „besten“ Hochschulen entern und dann alles wie von selbst läuft.
Mir geht es darum, den künftigen Studenten möglichst viel Informationen zur Studienwahl zu geben (in möglichst einfacher, aber nicht zu einfacher Weise). Dabei sehe ich das Ranking (beim CHE hat das ja sehr viele Dimensionen) als einen Mosaikstein. Es wäre für uns der einfache Weg, auf das Ranking zu verzichten, denn man macht sich automatisch angreifbar, weil jeder Indikator für sich natürlich angreifbar ist.
Nebenbei kenne ich die Studienwahl nicht nur abstrakt, sondern auch als Vater. Und da erlebt man, wie schwierig die Studienwahl ist und auch, wie viele verschiedene Faktoren dabei eine Rolle spielen.
Beste Grüße, Thomas Kerstan
Wenn eine ungenaue, gleichmachende Metrik verwendet wird um die Finanzierung von Standorten zu begründen, finde ich das bedenklich. Für meine Studienauswahl habe ich die CHE-Seite aber durchaus hilfreich gefunden. Gleich vorweg – meine Auswahl habe ich dennoch hauptsächlich anhand persönlicher Präferenz, Standortnähe und Anzahl der bekannten KomilitonInnen getroffen. Und ich habe nun auch keine Minderwertigkeitskomplexe weil ich nicht in der Uni bin, die in meinem Fach ganz oben steht. Ansonsten dürfte ja gar keine Uni Erfolgserlebnisse veröffentlichen, weil dass Studierende anderer Standorte verstören könnte.
Danke für Ihren Bericht über Ihre eigene Entscheidung für Ihren Studienort. Offensichtlich sind Sie dort unabhängig vom CHE-Rang zufrieden mit der Studiensituation.
Münch: „Statt zu forschen und zu lehren, sind alle nur noch mit der Produktion von Kennzahlen beschäftigt, die in das Ranking eingehen.“
Die Sorge der Kolonialisierung von Wissenschaft und Forschung teile ich uneingeschränkt. Ich frage mich nur angesichts der ausgetauschten Argumente in diesem Blog, ob das CHE und DIE ZEIT tatsächlich die wichtigsten „Gegner“ sind, um eine Kolonisierung durch Messdaten zu verhindern. Welche Politik mit Ergebnissen des CHE an einzelnen universitären Standorten gemacht wird, entscheiden doch die Hochschulleitungen und das sind doch in der Regel Professorinnen und Professoren. Der Druck an Hochschulen ist also selbstgemacht. Wäre es daher nicht geboten an jeder einzelnen Hochschule eine andere Politik zu machen? Oder fängt das System Hochschule an, Umwelt anders zu beobachten? Mir ist nicht ganz klar, wer hier eigentlich wen jagt, um „mittelmäßige Hochschullehrer“ (Kerstan) auf Trab zu bringen… Und warum muss das eigentlich sein? Fragen über Fragen…
Sehr geehrte Frau Späte,
hierzu sei gesagt, dass prima facie die Politik an den jeweiligen Hochschulen gemacht wird, dass aber an unserer Hochschule die Landesregierung die Finger so gewaltig drin hat (und dieser richtet sich sehr wohl nach solchen Rankings), dass wir beispielsweise zu Entscheidungen gezwungen werden, die jeder gesetzlichen Grundlage entbehren, weil (zusätzliche) Mittel die wir zu Deckung des Grundbedarfs brauchen an diese Entscheidung geknüpft werden. Die Freiheit von Forschung und Lehre sind an unserer Hochschule jedenfalls nur de jure wirklich der Fall, de fakto wird ein großer Teil durch die Landesregierung diktiert.
Besten Dank
Patrick Katz
Man sollte vor diesem Hintergrund auch nicht die Diskussion um JOURQUAL (das wissenschaftsinterne Rankingsystem von BWL-Zeitschriften) vergessen. Denn die Betriebswirte sind in ihrer Standardisierung von Forschungsleistungen freilich bereits weiter als die Soziologen (es jemals sein werden?). A. Kieser schreibt: „Rankings, auch JOURQUAL, vermessen nicht die Qualität von Zeitschriften, sie definieren, was unter Qualität zu verstehen ist, und beeinflussen (beeinträchtigen) so die Qualität der Forschung“
Kieser, Alfred Heft 01/2012
JOURQUAL – der Gebrauch, nicht der Missbrauch, ist das Problem
http://www.dbwnet.de/?mod=docDetail&docID=2810_12
Diese Forderung ist schon lange überfällig! Hoffentlich gelingt es.
„Gebildet ist, wer weiß, wo er findet, was er nicht weiß.“ Georg Simmel (1858-1918)
Der Artikel und die Webseite gefallen mir.
Schöne Grüsse aus der Freidenker Galerie
Rainer Ostendorf
http://www.freidenker-galerie.de