Ausgehend von den aktuellen Lebensmittelskandalen, Konzentrationsprozessen auf dem Medienmarkt sowie der Finanzkrise, hatte ich mir vor zwei Monaten das Ziel gesteckt zu versuchen, moderne Konsumgütermärkte und die Risikoproduktion auf diesen Märkten besser verstehen. Hierzu bin ich in den vergangenen Wochen Stück für Stück die einzelnen Glieder der Produktionskette durchgegangen und habe ihre eigene Dynamik sowie Bedeutung für das Ganze diskutiert, wobei ich an dieser Stelle auf eine Darstellung der inneren Systematik der Beiträge verzichten möchte, weil ich dies bereits in meinem Zwischenfazit getan habe.
Ich möchte nicht behaupten, dass ich Märkte – auch die, mit denen ich mich selbst befasst habe – auch nur ansatzweise verstehe. Was ich aber hoffe, verdeutlicht zu haben, ist, wie komplex und dynamisch das Ganze ist – und dass dies auch einer Gründe ist, warum einmal in Gang gesetzte Prozesse so schwer anzuhalten oder gar zu ändern sind.
Ich hoffe auch, dass es mir gelungen ist zu zeigen, dass Wirtschaft ein wichtiges und spannendes soziologisches Thema ist. Nicht umsonst haben sich alle soziologischen Klassiker ausführlich mit diesem Thema befasst. Zu nennen sind etwa Karl Marx über Emile Durkheim, Georg Simmel und Max Weber, und man vergisst leicht, dass viele der frühen Soziologen gleichzeitig auch Ökonomen waren.
Diese Obsession mit dem Thema „Wirtschaft“ hatte ihren Grund – ohne ein Grundverständnis von Wirtschaft haben, kann man meines Erachtens moderne Gesellschaften nicht verstehen. So ist etwa Webers (1988) Religionssoziologie in ihrer ursprünglichen Intention keine religionssoziologische Arbeit, sondern eine groß angelegte vergleichende Fallstudie, um die Entstehung des modernen Kapitalismus zu erklären (Collins 1980), und Simmels (1901) „Philosophie des Geldes“ ist eine (erschreckend aktuelle) Studie zu den Eigenheiten, Ursachen und Folgen der Entwicklung der modernen Finanzmärkte.
Erst mit der disziplinären Arbeitsteilung nach dem Zweiten Weltkrieg hat die Soziologie ihre wirtschaftssoziologische Ausrichtung über Bord geworfen. Wie die Beitragsgrafik illustriert, galt fortan: Geschichtswissenschaft = Vergangenheit; Anthropologie = nichteuropäische Gesellschaften; Politikwissenschaft = europäischer Staat; Wirtschaftswissenschaften = europäische Märkte; Soziologie = europäische Gesellschaft (Wallerstein 1999).
Dies verhindert ein systematisches Zusammendenken dieser Bereiche – was aber, wie ich hoffe gezeigt zu haben, erforderlich ist, um moderne Gesellschaften (und Märkte) zu verstehen. Es ist insofern kein Wunder, dass die neue Wirtschaftssoziologie insofern interdisziplinär ist, als dass viele wichtige Vertreter – ähnlich den Klassikern der Soziologie – interdisziplinär arbeiten.
Da diese disziplinäre Arbeitsteilung aber weniger sachliche, sondern vorwiegend wissenschaftspolitische Gründe hatte (man muss(te) sich – v.a. in Deutschland – von den anderen Disziplinen abgrenzen, um eigene Stellen zu begründen), sehe ich keinen Grund, warum sie zwanghaft aufrechterhalten werden sollte.
Dies soll – und damit möchte ich meine Diskussion des Thema „Marktes“ auf diesem Blog schließen – v.a. ein Plädoyer an die Soziologie sein, sich Wirtschaft als Thema (noch stärker als in den vergangenen zwei Jahrzehnten) wiederanzueignen. Das Schöne ist, dass wir der Ökonomie damit noch nicht einmal ins Gehege kommen, weil diese viele aus soziologischer Sicht spannende Fragen „ceteris paribus“ setzt und damit bewusst aus ihrer Analyse ausklammert.
Literatur
Collins, Randall (1980): Weber´s Last Theory of Capitalism: A Systematization. In: ASR 45. 925-942
Simmel, Georg (1901/1996): Philosophie des Geldes. Frankfurt a. M.: Suhrkamp
Wallerstein, Immanuel (1999): The Heritage of Sociology, the Promise of Social Science. Presidential Address, XIVth World Congress of Sociology, Montreal, 26 July 1998. In: Current Sociology. Band 47. Heft 1. S. 1-38
Weber, Max (1988): Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie. 3 Bände. UTB: Stuttgart