Mit mir befüllt ab dem heutigen Martin Luther King Day eine Autorin den SozBlog, die sich auf ihr doppelt unbekanntem Terrain bewegt – weder kann ich Erfahrungen als Bloggerin noch als Visiting Professor im amerikanischen Hochschulsystem vorweisen, womit sich doppelte Kontingenz mit doppelter Inkompetenz verkoppelt: Während ich in meinem neuen Arbeitsalltag darum bemüht sein werde, meine organisatorische Unkenntnis und kulturelle Unwissenheit dort, wo sie sich nicht kaschieren lässt, mit um Nachsicht heischender Hilflosigkeit in gebrochenem Englisch zu korrigieren, werde ich sie hier Lesern, von denen ich nicht weiß, ob sie mich und ich sie kenne, in für einen Blog unangemessen langen deutschen Sätzen offen legen.
Damit gewähre ich Ihnen Einblicke in meinen Gastaufenthalt an der Boston University, die mir selber noch unbekannt sind und die ich nach mir ebenfalls noch nicht bekannten, höchst subjektiven Auswahlkriterien für diesen Blog zusammenstellen werde. Die Perspektive, aus der ich sie schildern werde, wird zwischen denen der beiden Rollen angesiedelt sein, die die meisten von uns im Ausland einzunehmen gewohnt ist: entweder bewegen wir uns allen Bemühungen um Authentizität zum Trotz auf in der Regel ziemlich ausgetretenen Touristenpfaden oder aber wir finden uns als wissenschaftliche Geschäftsreisende unter einer akademischen Milieuglocke wieder, unter der uns der Tagungsort lediglich beim abendlichen Conference Dinner in einem Restaurant mit Lokalkolorit zum Thema wird.
Dementsprechend wird Ihnen in meinen Kultur-Impressionen das eine Mal mehr die staunende Naivität der Touristin, das andere Mal mehr die krittelnde Ignoranz der von Peter L. Berger so genannten internationalen intellektuellen Elite begegnen: Denn diese viermonatige, von mindestens einer Rückreise durchbrochene Stippvisite bietet mit den hier eingegangenen Lehr- und allzeit drängenden Schreibverpflichtungen nicht genug Zeit, die Daten, die ich beobachtend teilnehmend sammeln werde, mit der lebensweltanalytischen Tiefe auszuwerten, die ethnographisch erforderlich wäre – auch wenn ich durch meine Brookliner Wohngemeinschaft zumindest zeitweise unter der akademischen Milieuglocke hervortauche.
Obwohl die hiesigen klimatischen Verhältnisse vor meinem Abflug eine Landung an der Ostküste kurzzeitig zweifelhaft erschienen ließen, steht mir hoffentlich kein Ereignis bevor, das aufgrund seiner Außeralltäglichkeit einen so eindrucksvollen Bericht über die amerikanische Gesellschaft hervorbringen würde, wie es Manfred Prisching zu Beginn seiner Gastprofessur in New Orleans mit dem Hurrican Katrina widerfahren ist. Zum Thema wird mir folglich lediglich die für den Kulturfremdling anormale Normalität des Alltäglichen werden, wobei mich mehr als das Fremde die Beobachtung ins Staunen versetzt, wie schnell ich als Fremde in der Fremde Routinen des Alltags entwickle: trotz Jetlag, der erwartungsgemäß pro Stunde Zeitverschiebung einen Tag beansprucht hat, habe ich nach nur einer Woche einen geregelten Morgenablauf, der nun allerdings keineswegs, was mich dann wiederum nicht verwundern würde, schlicht mit dem daheim bewährten identisch ist. Während sich das Neue zum Teil als Anpassungsleistung an die soziale Umwelt erklären lässt, ist mir manches selber unerklärlich.
Neben diesen Mysterien der Habitualisierung fasziniert mich, wie sich die als riesig bis unüberwindlich antizipierten Probleme von Elefanten in (nur mäßg lästige) Mücken verwandeln und dahinter andere hervortreten, deren Bewältigung sich weniger als Luxusproblem erweist als angenommen:
Erwartet hatte ich z.B. bürokratische Hürden, auf die mich schon die Online-Prozedur vorbereitet hatte, der ich mich für mein J-1 Visum unterziehen musste, bevor ich nach mehrwöchiger Wartezeit in den frühen Morgenstunden eines Werktages zu einem „Interview“ bei der amerikanischen Botschaft antreten durfte, an deren Toren die Sicherheitskontrollen denen am Flughafen in nichts nachstehen. Nach einem Besuch dieser nach Usability-Gesichtspunkten unzumutbaren Webseiten fällt es schwer, sich des Verdachts zu erwehren, es ginge eben nicht doch vor allem darum, die Eintrittshürden ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten möglichst hoch zu legen. Und zur Rechtfertigung der zweistündigen Wartezeit, die nach einem arbeitstaglangen Flug in der Schlange vor der „primary inspection“ mit möglichst gelassener Miene zu absolvieren ist, bevor dann endlich amerikanischer Boden betreten werden darf, liefert mir die sonntagnachmittägliche Ankunft dann auch nur noch ein schwaches Argument.
Weniger angenommen hatte ich hingegen, das hinter der vordergründigen Dienstleistungsorientierung der universitären Serviceeinrichtung für internationale Angelegenheiten, deren Einführungsveranstaltung mir spätestens drei Tage vor Dienstantritt auferlegt war, die Kontrollabsichten so deutlich zum Vorschein treten würde: Während ich erwartet hatte, dass mir Verdienste jenseits meines eher der deutschen Lehrbeautragtenvergütung denn den amerikanischen Universitätsgehältern entsprechenden Dozentenhonorar nicht ohne weiteres gestattet sein würden, hat es mich doch überrascht zu erfahren, dass ich jegliche Aktivität, inklusive die des Reisens im In- und Ausland, hier anzuzeigen verpflichtet bin.
Gar nicht damit gerechnet aber hatte ich, dass mein größtes bürokratisches Problem darin bestehen könnte, statt keiner gleich zwei Identitäten zu haben: Dabei blockiert mein nachrangiger Gaststatus derzeit die für mich als faculty member erforderlichen Zugänge (z.B. zur Lehr-Lernplattform). Und die administrativen Kräfte des Departments, des IT-Service und der Personalabteilung scheinen sich – dies wiederum erwartungsgemäß – nicht so zu vereinen, dass daraus eine Verknüpfung meiner Emailadresse mit der faculty ID erwachsen würde.
Erwartet hatte ich selbstverständlich Sprachschwierigkeiten, genauer: Sprechprobleme. Ganz besonders in der Lehre, d.h. bei der textfreien Vermittlung komplexerer Sachverhalte als es die des Small Talks für gewöhnlich sind. Aber Reden ist offenbar eine déformation professionelle, die sich auch ohne (hinreichenden) Wortschatz durchsetzt. Nicht antizipiert hatte ich demgegenüber, dass das Verstehen die eigentliche Herausforderung darstellen würde. Und dabei rede ich nicht vom kulturellen Verstehen zwischen den Zeilen, von den Nuancen des Subtexts, von den Feinheiten der Ironie, sondern vom blanken Inhalt dialektal gefärbter, schnell gesprochener amerikanisch-englischer (Halb-)Sätze: Denn im Unterschied zum Kollegium sehen die Studierenden keine Notwendigkeit, mich kommunikativ mit Samthandschuhen anzufassen (was ich ihnen irgendwann möglicherweise danken werde). Unvermutet freue ich mich hier deshalb auf die so genannten „In Class Präsentations“ mit Powerpointunterstützung – sozusagen Referate mit Untertitel.
Das Problem, das diesbezüglich nun auf mich zukommen wird, ist unschwer zu erraten: wie brüskiert dürften sich amerikanische Studenten fühlen, sollte ich sie mit der in der deutschen geisteswissenschaftlichen Tradition besonders ausgeprägten Kritikkultur konfrontieren, in der bekanntlich nur das zum Thema gemacht wird, was zu beanstanden ist, genau darin, dass überhaupt Kritik geübt wird, aber ein Ausdruck von Respekt besteht?
Was aber wird mich wirklich erwarten, wenn sich dieses ja bereits antizipierte Problem der angemessenen Reaktion ebenfalls in eine Mücke verwandeln sollte?
Nur für den Fall, dass sich diese Regel nicht fortsetzen sollte, danke ich allen in der amerikanischen Hochschullehre erfahrenen Kolleginnen und Kollegen für Formulierungsvorschläge, wie ich das Lob zu verpacken habe, das die Studierenden nach ihrem Referat den Kulturgewohnheiten entsprechend überschwänglich von mir erwarten werden.
Hi Michaela, it’s really fascinating to read your blog, thank you so much for this, it is an amazing opportunity to get such an intriguing insight into American academic life, I am really looking forward impatiently to your next entry. Cheers Stephan
Solange nicht noch Inkontinenz hinzukommt, ist doch alles urmel.