Stephan Lessenich’s highly appreciated pretty nice comment on my first Sozblog post interpretiere ich schlicht aus Zeitgründen nicht als Aufforderung, im weiteren auf Englisch von meinen Erfahrungen an der Boston University zu berichten.
„Ein Glück, dass das Semester bald rum ist“, dürfte der Stoßseufzer sein, der an deutschen Universitäten derzeit vermutlich am häufigsten zu hören ist. Demgegenüber endet hier gerade so etwas wie eine allgemeine Orientierungsphase, womit ich nicht etwa Veranstaltungen meine, in denen Studierende über die ihrer Semesterzahl entsprechende Belegung von Lehrveranstaltungen informiert werden.
Ich meine die hier institutionalisierte Praxis, dass sich Studierende in den ersten zwei Wochen ohne weitere Begründung von Kursen wieder abmelden können, die sie belegt und für die sie bezahlt haben, woraufhin die freiwerdenden Plätze von wartenden Studenten eingenommen werden können – was mir in Anbetracht der nicht unerheblichen Studiengebühren in etwa unserem 14-tägigen Umtauschrecht vergleichbar erscheint (Leider habe ich noch nicht herausgefunden, was die Studenten für mein Seminar berappen müssen; der Preis für einen vom zeitlichen Umfang vergleichbaren Englischkurs (5h pro Woche im spring term) liegt aktuell bei $ 1200 US Dollar zzgl. $ 60,- Anmeldegebühr).
Da die Studierenden dieses „add and drop“, wie fast alle bürokratischen Prozeduren an der BU, per Mausklick vornehmen können, kann ich mich in dieser Phase über die ebenfalls elektronisch verfügbare „class list“ über den je aktuellen Teilnehmerstand informieren. In der Konsequenz unterscheidet sich dies nicht wesentlich von der bei uns üblichen studentischen Praxis, den Stundenplan entsprechend der Erfordernisse des Studienplans und den je individuellen thematischen und zeitlichen Vorlieben erst zu füllen und nach Kenntnisnahme der Veranstaltungsinhalte, der jeweiligen Leistungsanforderungen und des idiosynkratischen Lehrstils entsprechend zu justieren. Wir Dozenten gehen unterschiedlich damit um: Wir handhaben die Sitzung in der ersten Semesterwoche entweder als Probelauf für die eigentliche Einführungsveranstaltung (wenn wir die Veranstaltung nicht ohnehin gleich erst in der zweiten Woche beginnen) oder wir ignorieren diese eigentlich einleuchtende Praxis in der Hoffnung bzw. Explikation der Erwartung, dass alle Anwesenden ihre Seminarteilnahme tatsächlich schon zum Veranstaltungsbeginn entschieden haben (und reagieren in Ermangelung von Sanktionsmöglichkeiten auf Absagen entsprechend beleidigt oder resigniert).
Genau darin aber besteht der Unterschied: Diese Reaktionsweise verbietet sich, wenn Zu- und Abgänge offiziell erlaubt, in bestimmten Fällen höchstens durch eine formelle Bestätigung seitens des Dozenten erschwert sind. Es ändert nichts daran, dass zumindest bei Seminaren die ersten beiden Wochen von Ungewissheit gekennzeichnet sind, mit wem bzw. mit wessen Beitrag nun eigentlich zu rechnen ist.
Da es dennoch keinen Sinn macht, die ersten Sitzungen lediglich als inhaltliche Hinführung zu gestalten und die Themenvergabe auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben, weil genau diese Information für die Entscheidung der Studierenden maßgeblich ist, bewältige ich die Ungewissheit in meinem akuten Fall dadurch, dass ich die Vorläufigkeit des Seminarablaufs explizit zum Thema mache.
Das wiederum scheint unüblich zu sein. Auf meine Nachfrage an diejenigen Studentinnen, denen ich für die ersten Sitzungen Texte zur Vorstellung im Seminar („In Class Presentation“) übertragen habe, ob ihre Teilnahme gesichert sei oder ob sie bis zum Ablauf der Deadline eine Abmeldung erwägen, reagieren sie selber mit großem Erstaunen und alle anderen mit ebenso großem Gelächter. Darüber, dass es möglich ist, in bzw. für die Anfangszeit ein Thema zu übernehmen und stillschweigend abzuspringen, spricht man nicht (was nicht heißt, dass es nicht vorkommt, wie ich bereits lernen durfte).
Daraus ist bereits ersichtlich geworden, dass mein Seminarprogramm schon in diesen ersten beiden durch vielerlei Unsicherheiten geprägten Wochen so genannte In Class Presentations vorsieht – weniger aus Überambitioniertheit als deshalb, weil ich mich in Unkenntnis der Bedingungen vor Ort bei dessen Gestaltung zwar nicht inhaltlich, aber formal an der Vorlage einer der Dozenten orientiert hatte, der Semester vor mir diesen Kurs angeboten hatte.
Folgende Unterschiede erscheinen mir bemerkenswert:
Trotz meiner inzwischen langjährigen Erfahrung in der Durchführung von Lehrveranstaltungen fehlt es mir nach wie vor an einer best practice für einen gerechten Verteilungsmodus der Themen am Anfang des Semesters angeht. Ich kann sehr gut nachvollziehen, dass Studierende ihre Referats- und Prüfungstermine so gut wie möglich aufeinander abstimmen wollen, wobei sie es genau zu diesem Zeitpunkt mit einer Gleichung mit vielen Unbekannten zu tun haben. Daraus resultieren zögerliche Zusagen oder Absprachen, die nicht eingehalten, bzw. Verabredungen, die mit Verlegungswünschen einhergehen, was sich bis weit ins Semester hineinziehen kann.
Weil die Zeit zu knapp war, habe ich den Seminarteilnehmern hier die Termine und Themen schlicht zugeordnet – unter Ausschluss der Öffentlichkeit, einfach nach dem Alphabet, ohne Rücksicht auf Studiengang, Semesterzahl und Sonstiges, allerdings nicht ohne mir vorher vorsichtig ihre Zustimmung zu diesem ‚undemokratischen’ Verfahren einzuholen.
Meine Erwartung, den Aushandlungsprozess damit schlicht verlagert bzw. einen regen Tauschbetrieb eingeleitet zu haben, ist völlig ins Leere gelaufen: Ausnahmslos alle Beteiligten haben die Zuteilung prinzipiell und die ihnen zugeteilten Themen und Termine widerspruchslos hingenommen.
Nicht nur dieses: Nach der Eröffnungssitzung am Donnerstag habe ich die Studierenden per email über die Referatabfolge informiert. Und ohne dass ich ernsthaft damit gerechnet hatte, ist das am darauffolgenden Dienstag angesetzte Referat anstandslos gehalten worden und war trotz der nur 4-tägigen Bearbeitungszeit absolut im Rahmen des Üblichen.
Was das inhaltliche Niveau angeht, kann ich bislang keinen wesentlichen Unterschied zu den bei uns üblichen Referaten feststellen (wobei ich trotz rapider Gewöhnung nicht ausschließen kann, dass mir noch einzelne Nuancen der Darstellung entgehen): hier wie dort besteht die Herausforderung für Studierende darin, den Argumentationsgang eines wissenschaftlichen Textes von der Frage bzw. dem Erkenntnisinteresse zur Antwort bzw. zu den Ergebnissen adäquat nachzuzeichnen, ohne sich in Detailaspekten zu verlieren, die nach mir häufig nicht nachvollziehbaren Kriterien ausgewählt und zu bullet points zusammengestellt werden (wobei mir die Unterstützung mit Powerpoint, wie gesagt, diesmal ganz lieb ist).
Gänzlich überrascht schließlich hat mich der Eingang des ersten Reading Response Papers ebenfalls zu diesem frühen Zeitpunkt, was kein Ausreißer war, wie sich an der nächsten Sitzung gezeigt hat (just im Moment ist das fünfte Paper eingetroffen).
Hierzu eine Erläuterung der Seminarstruktur:
Orientiert an der Vorlage aus dem Soziologiedepartment beinhaltet der Leistungsaufwand für mein insgesamt vierstündige, auf zwei Sitzungstermine pro Woche verteiltes Seminar mit einer Laufzeit von insgesamt 16 Wochen, die nach der Hälfte durch den einwöchigen Spring Break unterbrochen wird,
1 In Class Presentation (Thema und Termin vorgegeben)
5 Reading Response Paper (1-2 seitiges Review eines Artikels aus dem Syllabus, wobei der Termin frei wählbar ist, aber nur 1 review pro Woche geschrieben werden darf)
1 Final Paper (das Thema muss kurz nach dem Spring Break mit mir abgestimmt und die Arbeit muss spätestens 1 Woche nach Semesterende in meiner Mailbox eingegangen sein)
Präsenz und aktive Beteiligung.
Diese gehen mit folgender Gewichtung in die Seminarnote ein:
Assignment |
% of Final Grade |
|
1 | Final Paper |
40% |
2 | Participation/Attendance |
30% |
3 | Article presentation |
20% |
4 | Reading responses |
10% |
Auch wenn sich dies sicherlich anders gewichten hätte lassen, hat mich in der – möglicherweise weder für die Soziologieveranstaltungen am Department noch für die an der Boston University und schon gar nicht für Amerika insgesamt repräsentativen – Programmvorlage die 50:50-Gewichtung der mündlichen und schriftlichen Leistung fasziniert.
Dabei ist mir bereits bei der im vergangenen Semester in Karlsruhe auf ähnliche Weise durchgeführten Veranstaltung aufgefallen, dass wir mit den (in unseren Fächern in den Anfangszeiten von Bologna massenhaft eingeführten und dann vielerorts zum Glück wieder abgeschaffen Anwesenheitslisten) zwar unschwer die Präsenz erfassen können, dass die so genannte „aktive Mitarbeit“ demgegenüber zwar eine in Bildungskontexten gebräuchliche Formel ist, für deren Bewertung uns – oder mir jedenfalls – die Anleitung, Übung und in dem Maße, in dem es mich in die Rolle einer Schullehrerin versetzt, auch die Bereitschaft fehlt. Ich weiß nicht, wie das heute gehandhabt wird: Zumindest zu meiner Zeit waren noch die roten Notenbüchlein gang und gäbe, die Lehrkräfte bedeutungsschwanger während der Unterrichtsstunde gezückt haben, um einen positiv oder negativ aufgefallenen Unterrichtsbeitrag zu vermerken. Ohne derlei Einzelinstrumente fallen in der Gesamtbetrachtung immer einige Seminarteilnehmer durch häufige Wortbeiträge auf, was in der Regel positiv gewichtet wird. woraus erkennbar wird, dass Beteiligung in quantitativer leichter als in qualitativer Hinsicht zu bewerten ist.
In dieses insgesamt eher schulisch anmutendee Setting passen die mir als ernsthaft besorgt erscheinende Rückversicherungen von Studierenden nach der Sitzung, ob ihnen daraus, dass ihre Leistung formal nicht ganz meinen Vorgaben entsprochen hatte, Nachteile („penalties“) erwachsen würden. Um die Größe der ‚Vergehen’ durchsichtig zu machen: In einem Fall bestand das Problem darin, dass mir die Referentin (wohlgemerkt: der ersten Stunde) ihre ppt-Präsentation nicht am Tag vor der Sitzung zugeschickt hatte, im anderen Fall hatte ich das Reading Response Paper, das mir aufs „Pult“ gelegt worden war, mit einer spontanen und scherzhaft gemeinten Randbemerkung zu seiner Knappheit an mich genommen (was mich an den Rat eines befreundeten, in der Lehre an einer amerikanischen Universität erfahrenen Kollegen erinnert, Scherze unbedingt zu unterlassen).
Alles in allem überwiegt mein Eindruck, es eher mit Schülern als mit Studenten zu tun zu haben. Dieser wird enorm dadurch verstärkt, meine ‚Klasse’ („class“) gleich zwei Mal in der Woche zu ‚unterrichten’ („teaching“). Kaum auszumalen, wie sich dies nochmals verstärken würde, wenn ich nicht auf einen Tuesday-Thursday-Kurs bestanden hätte, sondern den vorherigen Rhythmus beibehalten hätte, bei dem ich Monday-Wednesday-Friday für die Dauer tatsächlich einer Schulstunde als ‚Lehrkraft’ („instructor“) tätig werden würde.
Nicht in Deckung damit bringe ist allerdings eine letzte, die Performanz im Seminar betreffende Erfahrung. Dabei geht es mir nicht um den sich hier bereits abzeichnenden bei uns so gefeierten amerikanischen Vortragsstil, dem entsprechend tatsächlich freistehend ziemlich frei gesprochen wird:
Nachdem ich anfänglich schon befürchtet hatte, ein Semester lang als Alleinunterhalterin auftreten zu müssen, nehmen die Referenten meine Aufforderung recht ernst, ihre Kommilitonen am Ende des Referats zur Diskussion zu stimulieren, woran sich diese der Auflage zur aktiven Mitarbeit entsprechend rege beteiligen. Diese Gespräche verlaufen signifikant ‚über mehrere Bande’, verebben also langsamer als ich es von Seminaren ‚daheim’ gewöhnt bin. Noch deutlicher aber meine ich wahrzunehmen, dass das kommunikative Handeln beim Referieren wie beim Diskutieren nicht vorwiegend an mich als sozusagen ‚letzte Instanz’ adressiert ist. Weder richten die Studierenden ihre Körperhaltung und Blickrichtung auf mich aus, noch vergewissern sie sich per Blickkontakt meiner Zustimmung zum Gesagten. Im Gegenteil positionieren sie sich beim Referieren nicht etwa so, dass unbedingt ich den besten Blick auf die Folie habe, sondern wenden sich tatsächlich dem Auditorium zu. Und ist ein Gespräch einmal in Gang gekommen, schenken sie meinen Nachfragen keineswegs mehr Aufmerksamkeit als allen anderen kommunikativen Äußerungen.
Dazu, warum ich (nicht nur) hier ein besonderes Maß an sozialer Kompetenz zu erkennen vermeine, vielleicht ein anders Mal mehr.
Vielen Dank für die lebendigen Einblicke in die Lehrpraxis an einer us-amerikanischen Hochschule! Der Eindruck eines Schülerhabitus lässt aufhorchen speziell aus meiner Sicht der FH-Professorin. Mit unserem hauseigenen Motto „we focus on students“ formulieren wir einen eben solchen Anspruch an unterstützende Begleitung von Lernprozessen wie es der beschriebenen Bostoner Praxis zu entsprechen scheint.
Entscheidender Unterschied: Es gibt keine Anwesenheitspflicht. Das macht einen Unterschied ums Ganze. Denn nur frei vom Zwang anwesend zu sein, sind die Studierenden auf sich selbst zurückgeworfen. Nur auf diesem Weg können wir sie mit Ihren Entscheidungen ernst nehmen, von Seminarsitzungen fernzubleiben, dann aber mit den Folgen umgehen zu müssen. Nur so kann ich mich als Lehrende schützen vor dem Impuls, es allen irgendwie zu ermöglichen, möglichst weitreichende Lernerfahrungen zu machen. Wer sich nicht einlassen will, indem er oder sie in die Veranstaltungen kommt, kann sich nachher auch nicht beklagen, von Fristen oder Anforderungen nicht gewusst oder eine Hürde nicht geschafft zu haben.
In der Praxis ist das immer wieder eine Gratwanderung im ernsthaften Ringen um Nähe im Kontakt der Lehrinteraktion und professionelle Distanz. Angesichts der FH-Lehrdeputate von 18 Semesterwochenstunden kann einem beim Lesen der Prüfungsanforderungen eines Bostoner Seminars allerdings schwindelig werden. Aber das würde nun ein neues Thema öffnen.
Über Sinn und Unsinn der Anwesenheitspflicht in Lehrveranstaltungen lässt sich trefflich streiten – auch immer wieder mit den Studierenden. In der Tat ist dies eine Gratwanderung zwischen dem Autonomieversprechen akademischer Bildung und einem gewissen, jedenfalls von mir so wahrgenommenen, Heteronomiebedarf gelingender Lehre: Wenn sich das Auditorium bei jedem Mal neu zusammensetzt, zuletzt Abwesende einen Diskussionsstrang nicht kennen und den Faden wieder ganz von vorne aufrollen, Studierende womöglich auch ihre Fähigkeit zum selbstbestimmten Optieren für oder gegen den Seminarbesuch überschätzen, dann schadet dies tendenziell der Qualität der Lehrveranstaltung. Ich habe selbst noch keinen Ausweg aus diesem Dilemmea gefunden, aber allein auf die (Vorsicht, Politfloskel) „Eigenverantwortung“ der Studierenden zu setzen scheint mir jedenfalls nicht ausreichend zu sein. Es bedürfte wohl, um individuelle Autonomie kollektiv verträglich zu gestalten, im Schnitt wohl genau jenes erhöhten Maßes an sozialer Kompetentz, die Michaela Pfadenhauer den US-amerikanischen Studierenden attestiert – und die ich hier „bei uns“ zumindest nicht durchgängig feststellen kann. Ich bin gespannt, ob sich dieser erste Eindruck aus/in Boston weiter erhärtet. Schönen Gruß!
Liebe Ute, lieber Stephan,
ich nehme an, dass viele Studierende der Anwesenheitsplicht genauso ambivalent gegenüber stehen wie wir. Meine Anstrengung, und das ist es in der unmitelbaren Vorbereitung auf eine Sitzung tatsächlich, einen roten Faden über die Themen und das Semester zu spannen, laufen bei einer unsteten Seminarbeteiligung ins Leere. Und hier habe ich den Studenten (als Typus, deshalb keine weibliche Form) tatsächlich als wissenschaftlichen Nachwuchs im Blick, mit dem und nicht für den ich etwas tun will. Deshalb auch mein Vorbehalt gegenüber einer Überdidaktisierung: wissenschaftlicher Austausch braucht die Form des Gesprächs, direkte Fragen und Nachfragen. Wenn ich alles, was ich vorbereite, in Form und Häppchen bringen muss, dann schneide ich das Diffuse und Komplexe des Sachverhalts sozusagen an den Rändern ab und verberge meinen Denkprozess, den transparent zu machen mein Anliegen ist.
Wie auch immer: in meinem Seminar hier in Boston scheint die Frage der Anwesenheit keine zu sein, die sich stellt. Wer teilnimmt, ist da. Und das heißt dann eben auch hier keineswegs, dass der-/diejenige präsent ist. Nicht immer, aber häufig ist der Unterschied schlicht am Aufbau zu erkennen: wer sich hinter seinem Laptop verschanzt (und der scheint mir noch verbreiteter als bei uns zu sein), ist anwesend, entzieht sich aber dem Sozialen der Situation.
und genau das ist es, was ich mit Sozialkompetenz meine und mir im Alltag hier so stark auffällt: die Anwesenheit des anderen, d.h. die Co-Präsenz ist immer präsent. Das bedeutet nicht, dass das reflektiert wird, die sozialen Umgangsformen sind vielmehr in hohem Maße inkorporiert: aber genau das ist ja wissenssoziologisch unter Kompetenz zu verstehen: „praktisches Wissen“.
Herzlich, Michaela
Liebe Ute,
das Seminar macht viel Arbeit und vielleicht mache ich mir auch zu viel Arbeit damit (das dürfte sich dann im Lauf der Zeit ’normalisieren‘. Was hier ’normal‘ ist, weiß ich nicht.).
Und ich weiß auch nicht, inwieweit das mit meinem Status als Visiting Scholar zu tun hat, aber in meinem Fall zählt das 3stündige Seminar – halt die fest, Du wirst es nicht fassen können – als 8 Semesterwochenstunden:
„we would expect that one course would entail 8 hours per week – 3 hours in the classroom, 2 hours of office/student consultation, and 3 hours of preparation“
Einige der Kollegen geben hier zwei Kurse, manche aber nur zwei, deshalb weiß ich nicht, wie es um das Lehrdeputat im Durchschnitt bestellt ist. Als Universitätsprofessorin in Deutschland hätte ich meines jedenfalls voll.
Das erscheint uns nun wirklich übertrieben: für mich sind 2-3 Veranstaltungen in der Form, wie ich sie gewohnt bin, gut machbar. Meine Erfahrung sagt mir aber auch, dass 4 oder sogar 5 Veranstaltungen im Semester (bei 9 SWS Lehrverpflichtung) nicht auf wissenschaftlichem Niveau durchzuführen sind – darin stimme (um ein weiteres Land in die Diskussion zu bringen) mit Kollegen in Österreich überein, wo das Lehrdeputat (jedenfalls in Wien) bei 8 SWS liegt.
Aber das, was Ihr an der FH zu leisten habt, halte ich für unzumutbar Ich bin durchaus für eine Diversifizierung des Hochschulsystems. Gegen Unterschiede, z.B. was die Praxisanteile oder anders angeht, spricht m.E. nichts. Bei uns hat sich allerdings ein Zweiklassensystem ausgebildet, das Ihr schultern müsst. 18 SWS Lehre sind nur dann leistbar, wenn man die Lehre nach Schema F durchführt, was keine der mir bekannten Kolleginnen und kein Kollege an der FH, den ich kenne, tut (Im Gegenteil: manchmal fließt vielleicht sogar ein bisschen zu viel Herzblut in die Betreuung der Studierenden). Im Verein mit Forschung, und das gehört für uns alle zusammen, macht es krank – und das ist individuell unzumutbar und gesellschaftlich unhaltbar.
Herzlich, Michaela
Interessante Rechnung, lässt sich gut übertragen:
“we would expect that one course would entail 8 hours per week – 3 hours in the classroom, 2 hours of office/student consultation, and 3 hours of preparation”
2 Stunden Seminarsitzung
+ 2 Stunden Vor- und Nachbereitung
+ 1 Stunde Beratung durchschnittlich (u.a. blended learning)
——–
= 5 Stunden pro Veranstaltung
* 8 Lehrveranstaltungen (eine entfällt bei den meisten durch spezielle Funktionen, wobei nicht einfaches Mitglied in Gremien reicht, sondern dessen Leitung bzw. Ermäßigung aufgrund von X-Anzahl betreuter Abschlussarbeiten oder größeres Drittmittel-Projekt)
——–
40 Stunden pro Woche
Die Gremienarbeit fällt dann sozusagen in den Bereich des zusätzlichen Engagements.
Was sagtest Du noch über das Forschen?
Ich helfe mir mit Lehrforschung, d.h. mindestens 1-2 Lehrveranstaltungen pro Semester involviere ich in laufendes Nachdenken über anstehende Forschungsfragen. Das ist besser als nichts, bringt meist respektable Ergebnisse sowie methodische Kompetenzen für die Teilnehmer. Zugrundeliegende Didaktik – wenn man es so nennen will – ist der gemeinsame Sprung ins kalte Wasser, das Einlassen auf das Wagnis, die Antworten noch nicht zu kennen. Das macht Freude.
Schema F funktioniert zum Glück nicht, weil es unlebendig ist. Selbst wenn die Inhalte einer Einführung in die Politik oder Soziologie sich nicht jedes Semester revolutionieren, so sind doch die je aktuellen Anlässe anders, die Gruppe arbeitet und fragt anders, die Dozentin ist gedanklich an anderer Stelle als im Semester zuvor usw. So bleibt die FH-Professur tatsächlich ein Traumberuf.
Ein kleiner Tipp: Ich hätte mir wirklich gerne den kompletten Text durchgelesen, aber er wist wirklich sehr laaang. Das nächste Mal vielleicht mit „fett geschriebenen“ Zwischenüberschriften?! Dann kann man besser scannen und dort ansetzen, was einem wirklich interessiert.
Und mit zwei „kursiv gesetzten“ und „eingekastelten“ Merksätzen für die Klausur bitte, Michaela! —
Ich dachte scannen wäre das, was diese neuen Maschinen da machen und wir Menschen würden lesen, im Zweifel auch mal laaange Texte.