Für eine ernsthafte Verwissenschaftlichung der Debatte

Es ist mit allem Nachdruck zu begrüßen, dass die DGS auszuloten beginnt, welche Perspektiven die Soziologie zur aktuellen Debatte um den Gaza-Krieg und den darauf bezogenen Protesten, zu dem terroristischen Angriff der Hamas auf Israel und zu den damit zusammenhängenden Deutungsfragen um Antisemitismus, Rassismus usw. beitragen kann. Angesichts antagonistisch strukturierter Debatten ist jede wissenschaftliche Differenzierung und jedes Gegen-den-Strich-Lesen der Debatten durch verschiedene (sub-)disziplinäre Perspektiven ein Gewinn. Der Eröffnungstext von Jürgen Daub ist nicht im engeren Sinne ein Beitrag zur angestrebten Soziologisierung, gleichwohl verdeutlicht er (analytisch wie performativ) einige der Probleme der aktuellen Thematisierungsstrategien im diskursiven Feld Nahostkonflikt/Israel/Palästina/Judentum/Antisemitismus/Rassismus usw.

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Ideologische Verirrungen. Zu den „propalästinensischen Protesten“ an deutschen Universitäten

„Der terroristische Überfall der Hamas auf israelische Zivilisten am 7. Oktober 2023, die andauernde Entführung vieler Israelis und der sich daran anschließende Krieg im Gazastreifen mit unzähligen zivilen Opfern ist auch in der deutschen Wissenschaft ein viel diskutiertes und umkämpftes Thema. Die Kontroverse um die jüngsten Protestcamps und Besetzungen von Universitätsräumen, bei denen leider auch immer wieder antisemitische Schmähungen skandiert werden, hat auch die Deutsche Gesellschaft für Soziologie zu einer Stellungnahme, vor allem zur Berichterstattung über die Proteste, veranlasst. Diese hat unter den Verbandsmitgliedern viel Zustimmung, aber auch Kritik hervorgerufen. Wir wollen diesen Stimmen auf dem SozBlog Raum geben.“

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Krieg, Kriegsgesellschaft, Zeitenwende

Beitrag 5: Wann führen Kriege zu einer gesellschaftlichen Transformation, und wann nicht?

Im Beitrag 4 wurde Herbert Spencers Theorie des „Militant Type of Society“ vorgestellt. Demnach führen Kriege zu einer gesellschaftlichen Transformation. Triebkraft derselben ist der Mobilisierungswettlauf. Denkt man sich zwei gleiche Gesellschaften im Krieg, dann gewinnt die Gesellschaft, die mehr Soldaten und Arbeitskräfte, aber auch Motivation und Loyalität gegenüber dem Staat motiviert. Eine Mobilisierung kann effektiv nur zentral gesteuert werden. Zur Durchsetzung zentraler Steuerung bedarf es eines starken Staates mit einer tendenziell diktatorischen Spitze. Es gewinnt die Partei, die am längsten den Mobilisierungswettlauf durchhält. Das ist der Kern eine Kriegsgesellschaftstheorie nach Herbert Spencer.

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Soziologie und aktuelle Kriege

Die Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland in der „Zeitenwende“

Beitrag 4: Über Kriegsgesellschaftstheorie (I)

Im vorangegangenen Beitrag wurde vorgeschlagen, die „Zeitenwende“ als eine kleine Transformation von einer „reinen“ Zivilgesellschaft, ohne äußere Bedrohung oder nationale Kriegsbeteiligung, zu einer „Zivilgesellschaft im Krieg“ zu verstehen. Letztere unterstützt eine Kriegsgesellschaft z. B.  mit Waffenlieferungen, ohne sich mit eigenen Streitkräften am Krieg zu beteiligen. Zentral ist der Begriff der „Kriegsgesellschaft“, aus dem sich der Begriff der „Zivilgesellschaft im Krieg“ ergibt. Fundamental dafür ist die Theorie von Herbert Spencer.

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Die Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland in der „Zeitenwende“

Beitrag 3: Deutschland in der „Zeitenwende“: Von der reinen Zivilgesellschaft zur Zivilgesellschaft im Krieg

Zu Beginn des Angriffskriegs von Russland gegen die Ukraine hat die Politik rasch dessen epochale Bedeutung erfasst. Die Außenministerin erklärte schon am ersten Kriegstag: „Wir sind heute in einer anderen Welt aufgewacht“. Wenige Tage später prägte der Bundeskanzler den Begriff der „Zeitenwende“. Wenn wir es nun mit einer „anderen Welt“ und einer „Zeitenwende“ zu tun haben – in welcher Gesellschaft leben wir jetzt eigentlich?

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Die Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland in der „Zeitenwende“

Beitrag 2: Die neoimperiale Politik Russlands als sicherheitspolitische Herausforderung für die Bundesrepublik Deutschland

Abstract

Große, langdauernde, tendenziell totale Kriege nach Art der beiden Weltkriege des 20. Jahrhunderts führen zu einer gesellschaftlichen Transformation, insbesondere zu einer Marginalisierung der Basisstrukturen Markt und Parlamentarische Demokratie zugunsten zentraler Steuerung und einer tendenziell diktatorischen Spitze. Das Ergebnis dieser Transformation nenne ich Kriegsgesellschaft. Als Gegenstück dazu kann die reine Zivilgesellschaft gelten, ohne Kriegsbeteiligung, ohne (wahrgenommene) äußere Bedrohung, „von Freunden umzingelt“ (Ex-Verteidigungsminister Volker Rühe). Diesem Typus entsprach die deutsche Gesellschaft seit den 1990er Jahren bis zum 24. 02. 2022. Angesichts der nunmehr wahrgenommenen Bedrohung durch die neoimperialen Politik Russlands entwickelt sich die deutsche Gesellschaft in Richtung eines dritten Typus, der Zivilgesellschaft im Krieg. Als sanktionierende Macht gegenüber dem Aggressor, als unterstützende Macht der angegriffenen Ukraine ist sie von den gesellschaftsverändernden Imperativen großer Kriege betroffen, aber eher in einem miniaturhaften Format. Das Ergebnis ist keine fundamentale gesellschaftliche Transformation, wohl aber ein erheblicher Wandel in Gesellschaft und Politik. „Zeitenwende“ bedeutet gesellschaftstheoretisch: Wandel von einer reinen Zivilgesellschaft zu einer Zivilgesellschaft im Krieg.

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Soziologie und aktuelle Kriege

Beitrag 1: Die Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland in der „Zeitenwende“

Abstract

Große, langdauernde, tendenziell totale Kriege nach Art der beiden Weltkriege des 20. Jahrhunderts führen zu einer gesellschaftlichen Transformation, insbesondere zu einer Marginalisierung der Basisstrukturen Markt und Parlamentarische Demokratie zugunsten zentraler Steuerung und einer tendenziell diktatorischen Spitze. Das Ergebnis dieser Transformation nenne ich Kriegsgesellschaft. Als Gegenstück dazu kann die reine Zivilgesellschaft gelten, ohne Kriegsbeteiligung, ohne (wahrgenommene) äußere Bedrohung, „von Freunden umzingelt“ (Ex-Verteidigungsminister Volker Rühe). Diesem Typus entsprach die deutsche Gesellschaft seit den 1990er Jahren bis zum 24. 02. 2022. Angesichts der nunmehr wahrgenommenen Bedrohung durch die neoimperialen Politik Russlands könnte sich die deutsche Gesellschaft in Richtung eines dritten Typus entwickeln, der Zivilgesellschaft im Krieg. Als sanktionierende Macht gegenüber dem Aggressor, als unterstützende Macht der angegriffenen Ukraine ist sie von den gesellschaftsverändernden Imperativen großer Kriege betroffen, aber eher in einem miniaturhaften Format. Das Ergebnis ist keine fundamentale gesellschaftliche Transformation, wohl aber ein erheblicher Wandel in Gesellschaft und Politik. „Zeitenwende“ bedeutet (kriegs)gesellschaftstheoretisch: Wandel von einer reinen Zivilgesellschaft zu einer Zivilgesellschaft im Krieg.

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Soziologische Umfrageforschung als Mittel der Legitimierung des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine

Der Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine am 24. Februar 2022 hat das Leben der Menschen in Europa grundlegend verändert. Für viele hat sich Krieg als ein Teil ihrer Realität unmittelbar realisiert, den sie vorher nur aus dem Fernsehen kannten, auf jeden Fall aber immer weit weg erschien. Diesen Eindruck haben auch die Kriege im ehemaligen Jugoslawien und auf dem Balkan nicht wirklich erschüttern können. Doch plötzlich klopfte ein brutaler Angriffskrieg an Europas Tür. Weniger als 1000 km von der deutschen und weniger als 100km von der polnischen Grenze entfernt, in der Stadt Lwiw im westlichen Teil der Ukraine sind seit März 2022 immer wieder russische Raketen mit tödlichen Folgen eingeschlagen.

Immer wieder ist gefragt worden, warum wir es ‘hier bei uns in Europa‘ nicht vorhergesehen haben, warum man so wenig darauf vorbereitet war. Tatsächlich haben die meisten Experten in den ostwärts gewandten Regionalwissenschaften, in den Politikwissenschaften und in den Internationalen Beziehungen bis zuletzt nicht an das Übertreten der ‘roten Linie‘ durch Vladimir Putin geglaubt, selbst als nach wochenlangen, großangelegten Manövern im Grenzgebiet zur Ukraine die russische Armee in das seit 2014 von Separatisten besetzte, ukrainische Gebiet des Donbass eindrang.

Es wird auch intensiv diskutiert, inwiefern dieser Krieg über die Grenzen eines zwischenstaatlichen Konflikts zweier Länder hinausgeht und eigentlich ein Stellvertreterkrieg ist, der globale, kulturelle und sogar zivilisatorischen Konfliktlinien repräsentiert. Dabei wird immer wieder die Frage gestellt, wie die russische Bevölkerung dazu steht, warum sie diese Katastrophe zulässt und den Machthabern im Kreml nicht Einhalt gebietet? Stimmen tatsächlich 70-80% der Russen dem Angriffskrieg zu und legitimieren Vladimir Putin als Präsident und obersten Befehlshaber?

Meinungsumfragen als politisches Machtinstrument

Um sich diesem Thema nähern zu können, ist man auf sozialwissenschaftliche Meinungsforschung angewiesen. Deren Arbeitsweise und Datenproduktion ist allerdings in Gesellschaften mit autoritären politischen Regimen höchst problematisch. Dabei geht es zwar auch um Aspekte wissenschaftlicher Freiheit, aber vielmehr darum, wie Sozialforschung vom politischen Regime zur Machtsicherung und Manipulation öffentlicher Meinung eingesetzt wird. Damit verbunden ist auch die Frage, wie sich denn Respondenten unter diesen Bedingungen in Befragungssituationen verhalten. Inwieweit können also Ergebnisse von Meinungsumfragen in Russland die tatsächliche Unterstützung des Regimes und des Krieges in der Bevölkerung abbilden?

Seid Vladimir Putins Aufstieg in die Kreml-Führung im Jahre 2000, der von einer anfänglichen hohen Zustimmungsrate (84% im Januar 2000) nach einer Periode der politischen Müdigkeit im Russland unter Boris Yeltsin getragen wurde, war der neue Präsident und die sich unter ihm entwickelnde politische Maschinerie auf Zustimmungswerte fixiert, während Soziolog:innen am ‘politischen Planungsprozess‘ teilnahmen. Ergebnisse von Meinungsumfragen in der Bevölkerung haben seitdem deutlichen Einfluss auf politische Entscheidungen. Für den politischen Philosophen Greg Yudin sind Meinungsumfragen im Putin-Russland also nicht reines window-dressing für ausländische Beobachter:innen, sondern sind integraler Bestandteil des politischen Regimes und seines Verhältnisses mit der Bevölkerung. Yudin argumentiert, dass sich Russland in einem ständigen Plebiszit befindet, der öffentliche Unterstützung für Vladimir Putin reproduziert. Ohne beständige politische Meinungen versteht demnach der Großteil der russischen Bevölkerung Meinungsumfragen als eine Art Zustimmungsspiel oder Loyalitätstest.

Die Produktion von ‘richtigen‘ Antworten

Aber welche Instrumente stellen die ‚richtigen‘ Resultate her, die den politischen Willen unterstützen und eine öffentliche, das politische Handeln legitimierende Meinung repräsentieren? Die zwei großen, staatsnahen Meinungsforschungsinstitute WTCIOM und FOM haben die Aufgabe übernommen, Zustimmung zur produzieren – wohlgemerkt, ohne offensichtliche Fälschungen. Vielmehr wird bestimmtes Antwortverhalten stimuliert, in dem man die ‘richtigen‘ Fragen stellt. So werden Studienteilnehmer:innen in der Fragestellung auf die richtige Antwort hingewiesen, zum Beispiel, durch die Klarstellung, welche Antwortoption denn mit dem Gesetz vereinbar oder moralisch-normativ legitimiert ist. Auch wird die Varianz der Antwortoptionen stark reduziert, so dass nur noch politisch wünschenswerte Möglichkeiten bleiben, z.B. werden verschiedene staatliche Medien bei der Mediennutzungsbefragung gelistet, aber keine unabhängigen Kanäle. Dazu passt, dass seit einigen Jahren offene Fragen aus den Interviewleitfäden verschwunden sind. Weiterhin spielt die Befragungssituation eine wichtige Rolle, denn stabile Zustimmungswerte für Putin und dem Fortgang des Krieges sind in Okkupationsgebieten zu beobachten, die abhängig von russischer humanitärer Hilfe sind. Ein eingesetztes Mittel ist auch immer wieder das Unterverschlusshalten von Umfrageergebnissen. Während der Kreml die staatsnahen Umfrageinstitute in dieser Hinsicht gut kontrolliert und ein bis zwei Drittel ihrer Ergebnisse gar nicht erst publiziert werden, gelingt das beim einzigen noch unabhängigen großen Umfrageinstitut Levada Center weniger. Allerdings ist es allen staatlichen Medien, also der absoluten Mehrheit, verboten, Levada-Daten in ihrer Berichterstattung zu benutzen.

Fluide und unterrepräsentierte Meinungen

Erfahrene Analysten mahnen noch aus anderen Gründen zur Vorsicht bei der Interpretation von Meinungsumfragen bezüglich der Unterstützung des Krieges. Kiril Rogov hat erst kürzlich auf Basis von Daten aus drei unterschiedlichen Studien russischer Umfrageinstitute argumentiert, dass Menschen, die dem Regime loyal gegenüberstehen und den Krieg unterstützen, unter den Respondenten überrepräsentiert sind. Dagegen geben Kritiker überproportional an, dass sie sich „ängstlich oder unwohl fühlen”, wenn sie über ihre Meinung reden. Hinzukommt, dass aufgrund von Gesetzen, die direkt nach dem Beginn des Krieges in Russland verabschiedet wurden und welche die Verunglimpfung der russischen Armee und Kritik an der „militärischen Operation“ (wozu auch die Benutzung des Wortes ‘Krieg‘ zählt) unter Strafe stellen, eine negative Antwort auf die Frage, ob man den russischen Militäreinsatz unterstützt, quasi einer Straftat gleichkommt. Direkte Opposition ist also kostspielig und in jeder Umfrage gibt es nur eine kleine Gruppe Teilnehmer:innen mit diesem Antwortverhalten (ca. 10%). Allerdings stellt die Gruppe der bedingungslosen Befürworter:innen auch nicht die Mehrheit. Je nachdem, welche Studie man liest, sind es 30-40%. Der Großteil der Befragten ist in der Regel unentschieden, hat Reservierungen oder möchte nicht antworten. In diesem Zusammenhang haben weitere russische Kolleg:innen auf Basis intensiver Interviewforschung im Land argumentiert, dass die Mehrheit der Russen eine sehr “fließende“ und unsichere Wahrnehmung vom Krieg gegen die Ukraine haben, in der sich viele Muster des Für und Wieder vermischen.

Diese Überlegungen demonstrieren eindrücklich, wie wichtig es ist, sozialwissenschaftliche Daten in der öffentlichen Diskussion zu kontextualisieren und in ihrer gesellschaftlichen Konstruiertheit zu klären. Dies gilt insbesondere, wenn diese Daten sowohl die politisch einflussreiche öffentliche Meinung in anderen Ländern, als auch interkulturelle Beziehungen und Einstellungen beeinflussen.

Freude, Frust und Leiden(schaft): Fußball und die Soziologie der Emotionen

David gegen Goliath

Nach dem Einzug der marokkanischen Fußballer ins Halbfinale der WM gingen Bilder von feiernden Fans um die Welt – Fans in Marokko, anderen arabischen Ländern, aber auch in vielen europäischen Großstädten. Dass erstmals ein afrikanisches Team unter die besten vier Mannschaften kommt und sich gegen spielstarke Gegner durchsetzen konnte, ist unerwartet und zählt sicher zu der größten sportlichen Überraschung des Turniers. Wenn David gegen Goliath gewinnt, löst das besonders starke Emotionen aus. Überraschende Erfolge werden intensiver erlebt als Siege, mit denen man fest gerechnet hat. Autokorsos und spontane öffentliche Feiern, nicht nur in Rabat und Casablanca, sondern auch in Paris, Brüssel, New York und anderen Städten, dokumentieren einen Ausbruch von Freude und Stolz unter den marokkanischen Fans, während die Anhänger der französischen „Equipe Tricolore“ wohl erst bei der Titelverteidigung ähnlich enthusiastisch reagieren würden. Was los wäre, sollten die „Löwen vom Atlas“ auch Frankreich schlagen, kann man sich kaum vorstellen.

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“Sport and politics don’t mix”, oder etwa doch?

Die Fußball-WM der politischen Symbolik

Eine bei der Hymne schweigende iranische Mannschaft; englische Fußballer, die sich zum Anpfiff gegen Rassismus niederknien; Dänen, die in schwarzen Shirts trainieren, der Farbe der Trauer; die DFB-Elf, die sich den Mund zuhält; zahlreiche arabische Zuschauer*innen mit „Free Palestine“-Zeichen – so viele politische Gesten wie bei dieser WM gab es selten irgendwo im Spitzensport. Und obwohl bereits die letzte WM in Russland in stärkerem Maße politisiert war, erleben wir aktuell nochmals eine Zuspitzung. Selten zuvor wurde medial so ausgiebig über politische Symbolik berichtet. Der Mythos vom „unpolitischen Sport“ bzw. der Satz „Sport and politics don’t mix“ – aktuell scheint beides nicht mehr zu gelten. Für uns ist das ein Anlass auch hier im Blog die Frage aufzugreifen: Dürfen oder sollen Fußballer die globale Bühne des World Cup für politische Äußerungen benutzen?

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„Sportswashing“: Mit der Fußball-WM zur Imageverbesserung – ein kluger Scha[i]chzug?

Der Spitzensport als „Waschmittel“ für ein sauberes Image

Im Zusammenhang mit der Fußball-WM in Katar fällt immer häufiger der Begriff „Sportswashing“. Ursprünglich nutzten vor allem NGOs wie Amnesty International den Begriff. Inzwischen hat er sich aber auch in den Medien etabliert. In der Sportwissenschaft ist der Begriff ebenfalls angekommen, wird aber im Hinblick auf seine analytische Tragfähigkeit und seine Trennschärfe gegenüber ähnlichen Begriffen kritisch diskutiert.

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Korrupt, aber stabil: Die FIFA als „politische Maschine“

Eine WM in Katar: Wie konnte es dazu kommen?

Als der Weltfußballverband FIFA die Vergabe der Fußballweltmeisterschaft 2022 nach Katar bekanntgab, machte sich bei vielen Beobachter*innen Ungläubigkeit breit. Das kleine Ausrichterland war kaum als Fußballhochburg bekannt, die klimatischen Bedingungen machten ein Großsportereignis während der Sommermonate unmöglich, die FIFA-internen Berichte bewerteten Katar als Gastgeberland ebenfalls vergleichsweise schlecht. Mittlerweile ist gut belegt, dass Katar die WM durch Bestechung und weitere fragwürdige Praktiken erlangt hat. Während die Medien diese Vorgänge ebenso wie die eklatante Verletzung von Menschenrechten berechtigterweise skandalisieren, liefert die FIFA für Sozialwissenschaftler*innen hervorragendes Anschauungsmaterial für die Gültigkeit grundlegender organisationssoziologischer Einsichten. Bereits Philip Selznick hat in seinem Klassiker von 1949 „TVA and the grassroots“ demonstriert, dass interessierte Akteure Organisationen „übernehmen” und sie für ihre Ziele entgegen dem ursprünglichen Organisationszweck instrumentalisieren können. Trotz dysfunktionaler Zielverschiebungen überleben solche Organisationen, solange sie sich auf eine ausreichend große Unterstützerkoalition verlassen können. So stellt die FIFA auch ein Lehrstück für die Dynamik transnationaler Organisationen dar.

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Schauen oder nicht schauen, das ist hier die Frage: Die kontroverseste Fußball-WM aller Zeiten steht uns bevor

Ein globales „Mega-Event“?

Der FIFA World Cup gehört unbestritten zu den wenigen wirklich globalen Ereignissen. Rund 3,2 Milliarden Menschen auf diesem Planeten, so schätzt die FIFA, werden einschalten, wenn ab 20. November in Katar gegen den Ball getreten wird. Diese mediale Reichweite ist beeindruckend. Auch andere Dimensionen der WM sind gewaltig: Einschließlich der Stadionbauten hat Katar knapp 150 Milliarden Euro für die Ausrichtung des Turniers verplant – das ist mehr als die letzten fünf Endrundenturniere gemeinsam gekostet haben. Hinzu kommen dreistellige Milliardenbeträge für Infrastrukturprojekte, wie z.B. ein Autobahnring um Doha oder neue U-Bahnlinien. Bisherige Weltmeisterschaften haben bis zu 3 Millionen ausländische Tourist*innen angezogen. Schätzungen zufolge werden diesmal nur halb so viele Menschen in das kleine Golfemirat reisen. Trotzdem: Nimmt man einen Klassifikationsvorschlag für Großereignisse, den Michael Müller in seinem Beitrag „What makes an event a mega-event?“ macht, als Bezugspunkt, dann ist der FIFA World Cup in Katar gar kein Mega-Event, sondern noch mehr: ein „Giga-Event“. Größer geht es nicht.

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Contrasts and Contradictions

Die #ASA2022 Conference ist vorbei. Es waren aufregende und erkenntnisreiche Tage. Die vielen neuen Bekanntschaften und Eindrücke müssen noch sortiert werden und die letzten Tage voller Kontraste und Gegensätze hallen weiter nach. Ich werde die Tagung und die großartigen Menschen, von denen ich lernen konnte und mit denen ich diskutieren durfte, noch lange in guter Erinnerung behalten bzw. haben sich auch einige spannende Verbindungen für die Zukunft entwickelt.

Hier noch einige wenige Gedanken, die an die vielen vielen Eindrücke anschließend weiterklingen. So zeigte nicht nur Los Angeles selbst an jeder Straßenecke wie nah Wohlstand und Armut beieinander liegen. Auch die Konferenz hat dies immer wieder vor Augen geführt. Die vielen spannenden Veranstaltungen zu sozialen Ungleichheiten, Vulnerabilitäten und intersektionellen Verschränkungen unterschiedlicher Differenzkategorien waren oftmals verbunden mit dem Anspruch nach Verbesserungsmöglichkeiten für Lebensbedingungen. Oder diese zumindest zu suchen.Diese Erkenntnisse – die nicht nur aufgrund der aktuellen Situation – auch immer wieder mit Klimaveränderungen verbunden wurden, wurden beim Verlassen des Convention Centers sofort kontrastiert. Das durch die Klimaanlage heruntergekühlte, komplett verglaste Gebäude entließ die Gehenden in die trockenen 32°C der Stadt. Eine Stadt die hauptsächlich darauf ausgelegt ist, sich dort mit einem Auto zu bewegen. In der es unglaublich viel Platz für sich bewegendende und parkende Autos gibt. Deren öffentlicher Nahverkehr nur wenig einladend ist und, zumindest meiner kurzen Erfahrung nach, größtenteils von der ärmeren Bevölkerung genutzt wird. In etwa vier Autostunden Entfernung brannte zeitgleich der berühmte Yosemite Park wie auch in Europa die Trockenheit Waldbrände und Niedrigwasserstand für Flüsse bedeutete. Und sicher ist, dass es vor allem ärmere Menschen sind und sein werden, die als erste mit den Folgen umgehen müssen.In Gesprächen vor Ort ließen Menschen durchblicken, dass sie so wenig Regen schon sehr lange nicht mehr erlebt haben. In ähnlicher Weise habe ich es auch in Deutschland wahrgenommen. Deutlich ist allen, dass die aktuellen Geschehnisse dringender Handlungen bedürfen. Es bedarf global ausgerichteter Perspektiven, die nicht bloß bedeuten dürfen, dass sich Menschen in Ländern des globalen Nordens  auf elektrisch betriebenen Autos oder Fahrrädern ausruhen. Erneuerbare Energien zugänglich zu machen und auszubauen kann eben nicht nur auf die wohlhabenden Regionen der Erde beschränkt bleiben, sondern muss gemeinsam mit allen weiterentwickelt werden. Die vielen Ideen, die hierzu bereits bestehen, und zwar eben auch in Ländern des globalen Südens, müssten dazu allerdings weiterverfolgt werden.

Decentralize!

Ein kleines Highlight neben den vielen Gesprächen, Diskussionen und Vorträgen war die Diskussionsveranstaltung zu „Decentering Sociology from the Global North: Going Beyond Theory and Epistemology“. Die Diskutant*innen (Nazli Kibria, Victor Agadjanian, Marco Garrido, Paul Almeida) führten aus unterschiedlichen Perspektiven in Ihre Arbeit und Sichtweisen ein. Peggy Levitt stellte dem einen einführenden und stärker praxisbezogenen Teil voran und Cecilia Menjivar ergänzte beziehungsweise führte Nachfragen aus. Interessant war auch, dass die gesamte Veranstaltung sowohl vor Ort als auch virtuell verfolgt werden konnte. Was sicherlich auch die geringe Teilnahme vor Ort selbst erklärte.

Abends schlossen an das Tagungsprogramm weitere Receptions der einzelnen Sektionen in der ASA an, wo die Gespräche in netter Atmosphäre (z.B. im Rahmen einer italienischen Bar oder eines mexikanischen Hotels) weitergeführt wurden.