Die Corona Pandemie und das damit verbundene allgemeine Kontaktverbot hat große Teile der Sozialforschung, nämlich die, die auf Kontakte zu Untersuchen beruht, hart getroffen.
Einerseits weil Datenerhebungen nicht mehr stattfinden konnten und immer noch nicht können: Alle Formen der teilnehmenden Beobachtung, der kontaktgebundenen Interviewerhebung und der Durchführung von Fokusgruppen sind auf absehbare Zeit nicht möglich. Für die, die besonders vulnerable Gruppen untersucht, wie zum Beispiel wir in unserem Projekt zur Kommunikation mit Menschen, die mit der Diagnose Demenz leben müssen, ist nicht abzusehen, wann und unter welchen Bedingungen die Datenerhebung weitergeführt werden kann.
Andererseits sind Forschungsprojekte (unabhängig davon, ob sie durch Drittmittel gefördert werden oder durch Eigenmittel) durch die Eindämmungsmaßnahmen im Zusammenhang mit dem Corona Virus massiv betroffen, weil die Auswertung der Daten und die Theoriebildung nicht mehr oder nur unter erschwerten Bedingungen stattfinden kann. Dies vor allem, weil viele Mitarbeiterinnen in den Projekten Kinder haben, die nicht mehr von den Kitas versorgt werden, oder Kinder, die noch zur Schule gehen, und die jetzt als Hilfslehrer*innen gefordert sind. Erschwerend kommt hinzu, dass einige Forscher*innen selbst zu den besonders vulnerablen Gruppen gehören und sich selbst ein strenges Kontaktverbot auferlegen. Außerdem ist das aktuell das Treffen der Projektteams kaum möglich, weil die Universitäten und Institute ihrerseits teils sehr weitreichenden Kontaktverbote ausgesprochen haben, die teilweise bis in den Herbst 2020 reichen.
Kurz: Sowohl die Datenerhebung als auch die Auswertung als auch die Koordination von Forschungsteams sind zurzeit nur unter erschwerten Bedingungen möglich, teilweise, und das trifft vor allem für die Datenerhebung zu, sind die Forschungsarbeiten zum Stillstand gekommen. Und oft ist nicht abzusehen, wann wieder Daten erhoben werden können.
Die Medien der Fernkommunikation, die in einer solchen Lage gern empfohlen werden, also das gemeinsam Telefonierenoder das gemeinsam mittels Video konferieren, sind weder für die Datenerhebung, noch für die Auswertungsarbeiten, noch für Teamkoordination geeignet. Digitale Formate sind bis zu einem gewissen Maß ganz nützlich, aber es reicht nur sehr selten über die Funktion einer Krücke hinaus.
All dies hat zu massiven Verzögerungen der Forschungsarbeiten in Projekten geführt - was Konsequenzen hat für die Finanzierung der Projekte, aber auch für die Beendigung von Qualifikationsarbeiten auf jeder Stufe.
Es ist sehr erfreulich, dass die DFG als maßgeblicher Drittmittelgeber schon sehr früh auf diese Situation reagiert hat und eine niedrigschwellige Verlängerung der Projekte, so sie denn durch die Eindämmungsmaßnahmen betroffen sind, um drei Monate in Aussicht stellt. Voraussetzung dafür ist lediglich das Ausfüllen eines einseitigen Formblatts (41.47). Im Langtext heisst das so: „ Unter der Voraussetzung, dass durch die Vorsichts- und Schutzmaßnahmen gegen die Coronavirus-Pandemie zeitliche Verzögerungen in einem DFG-geförderten Projekt eingetreten und zusätzliche Mittel für die sachgerechte Beendigung des Projekts erforderlich sind, wird die DFG zusätzliche Personal- und Sachmittel (einschließlich Mittel für die Eigene Stelle) für einen Zeitraum von bis zu drei Monaten zur Verfügung stellen. Die Mittel hierfür können jederzeit anhand des DFG-Antragsvordrucks Nr. 41.47 beantragt werden, wenn der Förderzeitraum noch laufender Projekte zwischen dem 1. April 2020 und dem 30. Juni 2021 geendet hat oder enden wird. Der Bedarf wird im einseitigen Antragsvordruck mittels einer vorgegebenen Checkbox-Liste (z. B. aufgrund der vorübergehenden Schließung einer Einrichtung, eines fehlenden Zugangs zu erforderlichen Forschungsinfrastrukturen oder eines Reiseverbots mit Blick auf für das Forschungsprojekt erforderliche Auslandsreisen u. Ä.) begründet.
Die Regelungen gelten für Sachbeihilfen, Forschungsgruppen, Schwerpunktprogramme und zahlreiche andere Verfahren der sogenannten Projektförderung und damit für den Großteil der DFG-geförderten Projekte, ausgenommen sind die Förderungen im Rahmen der Exzellenzinitiative und Exzellenzstrategie des Bundes und der Länder, Hilfseinrichtungen der Forschung, Forschungszentren und die Förderung von Forschungsgroßgeräten nach Art. 91b GG. Für Sonderforschungsbereiche, Graduiertenkollegs und Stipendien gelten die nachfolgenden Regelungen.“
Ausführlich: www.dfg.de/download/pdf/presse/download/anschreiben-corona_massnahmen_stipendien_fellows.pdf
Wie man den Formulierungen entnehmen kann, gilt diese Regelung nicht für alle Projekte, also nicht für die, die gerade begonnen haben, sondern nur für die, die von April 20 bis Juni 21 beendet sind oder sein werden. Es gibt in den Formulierungen der DFG noch ein paar Unklarheiten. Wie die DFG im Einzelnen auf die Anträge reagiert, bleibt abzuwarten. Ich selbst habe einen entsprechenden Antrag gestellt, und werde hier im Forum über meine Erfahrungen berichten. Schön wäre es, wenn auch andere von ihren Erfahrungen berichten könnten.
Darüber hinaus räumt die DFG die Möglichkeit ein, später einen weiteren Antrag auf Projektverlängerung zu stellen, der gesondert zu begründen ist. „Diese Zusatzanträge werden im üblichen Verfahren begutachtet und entschieden“. Allerdings fehlen Hinweise darauf, wie ein solcher Antrag im Einzelnen auszusehen hat. Wenn die Anträge im Normalverfahren entschieden werden, bedeutet dies, dass man bis zur Bewilligung 6 bis 12 Monate wird warten müssen.
Die Verlängerung um drei Monate mag im Einzelfall ausreichen und hilfreich sein, aber ich befürchte, für den Großteil der Projekte reichen drei Monate nicht aus, den Ausfall der Forschungsarbeiten zu kompensieren – weshalb viele einen Zusatzantrag mit gesonderter Begründung stellen müssen, wollen sie die Forschungsziele erreichen. M.E. sollten diese Anträge nicht im Normalverfahren begutachtet und entschieden werden, sondern mit einem noch zu etablierenden Kurzverfahren. Es wäre zu überlegen, ob ein solcher Kurzantrag nicht vom Fachkollegium direkt im Umlaufverfahrenbewertet und entschieden werden kann.
Den DFG-Antragsvordruck Nr. 41.47 finden Sie unter:
Ähnliches gilt auch für Projekte bei BMBF. Auch hier wird eine „angemessene Laufzeitverlängerung“ in Aussicht gestellt. Es ist nur zu wünschen, dass die informellen Lösungen ermöglichen, dass die Forschungsarbeiten so weitergeführt werden können, dass die Forschungsziele erreicht und die damit verbunden Qualifikationsarbeiten abgeschlossen werden können.
Hier der Langtext:
„Aufgrund der aktuellen Herausforderungen kann es zu Beeinträchtigungen auch bei der Durchführung von durch das Bundesforschungsministerium geförderten Projekten kommen. Deshalb hat das BMBF die Rahmenbedingungen für die Projektförderung kurzfristig erweitert und wird diese fortlaufend evaluieren. Bis auf Weiteres werden wir alle Möglichkeiten der Flexibilisierung in der Projektförderung nutzen. So werden wir der Situation angemessene Verfahren sicherstellen.
Die Erleichterungen ermöglichen insbesondere:
- die Gewährung angemessener Laufzeitverlängerungen für Projekte, ebenso die angemessene Verlängerung von Fristen für einzureichende Berichte und Nachweise.
- Sollten Verwendungsfristen aufgrund unmittelbarer Auswirkungen des Coronavirus nicht eingehalten werden können, werden wir von der Erhebung von Zinsen absehen.
- Für Unternehmen, insbesondere KMU, kann in begründeten Fällen eine Abrechnung ihrer Kosten in kürzeren Abständen als üblich ermöglicht werden. Alternativ kommt vorübergehend auch eine vorschüssige Anforderung des Mittelbedarfs für jeweils in den kommenden sechs Wochen fällige Zahlungen in Betracht.
- Für Teilnehmer am Abrufverfahren besteht in begründeten Fällen derzeit die Möglichkeit, die voraussichtlich benötigten Mittel für einen Zeitraum von bis zu sechs Wochen im Voraus abzurufen.
- Soweit geplante Reisen oder Veranstaltungen aufgrund des Coronavirus abgesagt wurden und werden, sind notwendige Stornokosten grundsätzlich zuwendungsfähig.“
https://www.bmbf.de/de/informationen-fuer-zuwendungsempfaenger-11389.html
Auch die VW Stiftung hat sich zur Finanzierung der Forschungsprojekte geäußert, allerdings nur sehr allgemein. So hat sie versichert, dass die finanzielle Deckung für alle laufenden Forschungsprojekte gegeben ist. Aussagen über mögliche Verlängerungen habe ich bislang noch nicht gefunden. Hier der Langtext:
„Alle bewilligten Förderprojekte sind durchfinanziert. Das bedeutet, dass die jeweiligen Bewilligungssummen in voller Höhe erwirtschaftet wurden und nun über die Projektlaufzeiten hinweg quasi "zur Abholung an der Kasse bereitliegen". Unsere Geförderten müssen sich also keine Sorgen machen, dass Vorhaben aufgrund der derzeitigen Ereignisse nicht zu Ende geführt oder Förderzusagen nicht eingehalten würden. Die Bereitstellung der zu den Zahlungsstichtagen abgerufenen Mittel wird weiterhin problemlos möglich sein. Die VolkswagenStiftung bleibt eine verlässliche Partnerin für unsere Geförderten und Partnerinstitutionen!
Da durch die Coranapandemie auch die Zeitplanung für wissenschaftliche Qualifikationen (Promotion, Habilitation) teils erheblich beeinträchtigt wird, hat der Bundestag eine Anpassung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) beschlossen, um Nachteile für befristet beschäftigte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler durch die Schutzmaßnahmen im Kontext der Corona-Pandemie zu verhindern. Diese Anpassung ermöglicht es Instituten wie Hochschulen, befristete Arbeitsverträge bei pandemiebedingten Einschränkungen des Forschungs- wie Lehrbetriebs zu verlängern, auch über die bisher geltende Höchstgrenze im Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) hinaus – nämlich um 6 Monate. Doch sind dies nur „Kann“-Regelungen. Und ob 6 Monate ausreichend sind, kann man mit Gründen bezweifeln (siehe oben)
Kommentare zu diesen Beschlüssen:
https://www.jmwiarda.de/2020/05/19/wir-erfahrene-forscher-müssen-jetzt-für-unsere-teams-einstehen/
https://www.duz.de/beitrag/!/id/812/schnell-schnell
Siehe auch den früheren Blogbeitrag von Anja Schürmann