Seit Anfang April führe ich Interviews mit Menschen, die sich im Rahmen der Corona-Krise freiwillig engagieren. Besonders am Anfang der Pandemie und der damit einhergehenden Kontaktbeschränkungen wurde medial vielfach über eine ‚neuartige‘ Welle der Hilfsbereitschaft, Solidarität und Unterstützung berichtet. Explorativ sollen durch leitfadengestützte qualitative Interviews mit Menschen, die sich unterschiedlich engagieren (Einkaufshilfe in der Nachbarschaft, Masken nähen, Hilfe vermitteln, usw.) u.a. folgende Aspekte erforscht werden: Wie engagieren sich Menschen zurzeit? Vor welchen Herausforderungen steht das Engagement aufgrund der Vorgaben der Kontakteinschränkungen und Hygienevorschriften? Was motiviert die Menschen, sich zu engagieren?
Es wurden sowohl Videointerviews als auch Telefoninterviews durchgeführt. In dem kommenden Blogbeitrag möchte ich die Vor- und Nachteile der jeweiligen Erhebungsform miteinander abwägen.
Videointerviews
Für die Videointerviews wurde aus datenschutzrechtlichen Gründen das Konferenztool der DFN genutzt.[1] Die Videokonferenzen können im DFN aufgenommen und im Nachgang heruntergeladen werden. Andere “Anbieter” (z.B. Skype oder Zoom) wurden aufgrund datenschutzrechtlicher Bedenken als Alternative von Anfang an ausgeschlossen – auch wenn hier eine Aufnahme des Interviews einfach umsetzbar ist.
Bei den Interviews zeigten sich vor allem in den ersten Wochen massive Performance-Probleme. Das Bild stockte häufig und fror ein und der Ton kam nur verzögert an. Die Qualität des Videoanrufs war teilweise so schlecht, dass Interviewtermine abgebrochen und verschoben werden mussten.
Das Ziel qualitativer Interviewführung ist es, den Erzählpersonen einen Raum zu geben, in denen Erzählungen evoziert werden, welche die Relevanzstrukturen der Interviewpersonen wiedergeben. Ein Abbruch einer Interviewsituation steht diesem Ziel diametral entgegen und kann als Scheitern eines Interviews angesehen werden. Trotz dieses Scheiterns einzelner Interviews, war ich überrascht, wie positiv die Interviewpartner*innen mit den technischen Problemen umgegangen sind. Die Probleme wurden mir nicht als Unfähigkeit vorgeworfen, sondern es wurde produktiv mit den technischen Herausforderungen als gemeinsames Ausprobieren mit (teils neuen) digitalen Kommunikationstools in einer Krisensituation umgegangen. Seitens der Interviewees gab es somit eine große Bereitschaft sich flexibel auf das Format „Videointerview“ einzulassen.
Bei fast allen Interviews habe ich aufgrund der Performance-Probleme meist nach einer ersten „Joining“-Phase[2] das Videobild ausgeschaltet. Die Interviewpartner*innen haben dies zum Teil ebenfalls gemacht. Somit konnten wir uns zu Beginn oder „vor“ dem Interview gegenseitig zumindest sehen. Eine etwas technikunerfahrene Interviewpartnerin hatte zwar ihr Bild an, jedoch war der Bildausschnitt so gewählt, dass ich lediglich die Stirn von ihr gesehen habe.[3]
Wenn nur ich das Video ausgeschaltet habe, entstand teilweise die asymmetrische Situation, dass ich manchmal die Interviewenden sehen konnten, sie mich aber nicht. Inwiefern sich dies auf die Interviewführung und die Qualität der Daten ausgewirkt hat, gilt es anhand der Transkripte bei der Datenauswertung kritisch zu reflektieren.
Wenn beide das Bild ausgeschaltet hatten war die Tonqualität bedeutend besser – allerdings gab es dann auch keinen Unterschied mehr zu einem Telefoninterview.
Telefoninterview
Eine Teilnehmerin wünschte sich explizit, dass wir das Interview telefonisch durchführen sollten. Sie hatte Probleme mit ihrer IT-Infrastruktur. Leider konnte ich keine geeignete App (iOS) finden, welche – datenschutzrechtlich sicher – Telefongespräche aufnimmt. Deshalb entschied ich mich dazu, das Telefongespräch auf laut zu stellen und mit einem Aufnahmegerät, welches man auch bei „klassischen“ face-to-face Interviews verwendet, aufzunehmen. Über Hinweise einer eleganteren Aufnahmemethode, die datenschutzrechtlich vereinbar ist, freue ich mich. Im Vergleich zur teils mangelnden Tonqualität bei den Videointerviews über DFN, sind diese Aufnahmen nicht schlechter. Außerdem zeigte sich hier, dass die Teilnehmer*innen mit einem Telefongespräch deutlich vertrauter waren und es somit zu keinen technischen Komplikationen gekommen ist. Die Telefoninterviews konnten somit deutlich störungsfreier durchgeführt werden. Es wurden noch in weiteren Fällen Telefoninterviews gewählt.
Vergleich: Video- und Telefoninterviews
Hinsichtlich Telefoninterviews wird im Vergleich zu face-to-face Interviews bemängelt, dass visuelle Daten in der Interviewsituation verloren gehen.[4] Videointerviews können deshalb Telefoninterviews vorgezogen werden, da durch die Visualität des Mediums (Darstellung von Mimik und Gestik) „bessere“ Interviews generiert werden können. In meiner Praxis zeigt sich allerdings aufgrund der großen technischen Performance-Probleme von DFN, dass der genannte Vorteil der Videotelefonie kaum zu Tragen kommt: Mimik ist verpixelt oder eingefroren. Die Probleme bei der Technik stört eine Erzählgenerierung. Eine Möglichkeit wäre, auf andere Konferenztools auszuweichen. Solang hier jedoch keine datenschutzrechtlich unbedenklichen Tools vorhanden sind, ist dies auch keine befriedigende Möglichkeit.
Deshalb habe ich die Telefoninterviews als deutlich störungsfreier erlebt. Generierte Erzählungen wurden hier zumindest nicht durch technische Probleme verhindert. Für bestimmte Gruppen von Interviewpartner*innen (mangelnde digitale Infrastruktur oder IT-Kenntnisse) sind Telefoninterviews außerdem deutlich einfacher umsetzbar und knüpfen eher als ein Videointerview an gewohntem „Erzählen“ an, beispielsweise gibt es Ähnlichkeiten zu einem längeren Telefonat mit Angehörigen oder Freund*innen.
Im Vergleich konnte ich auch keine Unterschiede hinsichtlich eines gelungenen Beziehungsaufbaus und der Schaffung von Vertrauen erkennen.
Vergleicht man Telefonie- und Videointerviews mit face-to-face-Interviews zeigen sich jedoch deutliche Schwächen: Wie Jo Reichertz auf diesem Blog bereits im Hinblick auf gemeinsames Auswerten von Daten mit Hilfe von Videokonferenzen dargestellt hat, entstehen auch bei Telefon- und Videointerviews Probleme beim Turn-Taking. Wenn längere Pausen auftreten besteht die Unsicherheit, ob diese auf ein Nachdenken der Interviewees oder auf technische Verbindungsprobleme zurückzuführen ist. Inwiefern sich dies auf die Qualität der Daten auswirkt, insbesondere dadurch, dass Pausen schwieriger ausgehalten werden können, ist deshalb ebenfalls zu reflektieren.
Außerdem gibt es anders als bei face-to-face-Interviews keine Phase des gemeinsamen Ankommens in einem Raum. Auch fehlt das häufig übliche „Nachgespräch“, wenn die Tonbandaufnahme nicht mehr läuft und man die Personen beispielsweise zur Tür begleitet. Diese Gespräche geben oft noch fruchtbare Einsichten über das Feld.
Abschließend zeigen meine Erfahrungen somit unterschiedliche praktische Probleme mit Telefon- und Videointerviews auf, die in der Debatte zu qualitativen Interviews insbesondere auch hinsichtlich der Qualität der generierten Daten aufgegriffen und kritisch diskutiert werden sollten.
[1] Siehe dazu auch Isabel Steinhardts Blogbeitrag zu Datenschutz und qualitativen Videointerviews: https://sozmethode.hypotheses.org/819
[2] Siehe zur Joining Phase: Przyborski, Aglaja/Wohlrab-Sahr, Monika (2014): Qualitative Sozialforschung. Ein Arbeitsbuch. München: Oldenbourg Verlag, S. 67-68
[3] Ich entschied mich jedoch, dieses Problem nicht anzusprechen, um das Interview nicht direkt mit einer „Kritik“ an der Interviewpartnerin zu beginnen.
[4] vgl. Mey, Günter/Mruck, Katja (2010): Interviews. In: ebd. (Hrsg.), Handbuch Qualitative Forschung in der Psychologie. Wiesbaden: VS Verlag, S. 430; Lamnek, Siegfried (2010): Qualitative Sozialforschung. Lehrbuch. Weinheim: Beltz, S. 315.
Hallo zusammen,
erst einmal vielen Dank für den ausführlichen Bericht. Ich stehe gerade vor ähnlichen Herausforderungen und der Eintrag gab mir einen guten Überblick, worauf ich mich Einstellen muss und was ggf. Hindernisse bei einem Video- oder Telefoninterview sein könnten.
Beim Thema Turn-Taking und dem Problem, dass man nicht weiß ob Pausen auf eine technische Verbindungsstörung zurückzuführen sind, musste ich direkt an einen Beitrag aus dem Podcast "Methodisch Inkorrekt" denken. Dort gab Dr. Reinhard Remfort mal den Tipp etwas bewegliches im Hintergrund stehen zu haben (in seinem Beispiel war es eine Winke-Katze). Dies gibt einem die Möglichkeit beim Gegenüber zu kontrollieren, ob die Verbindung tatsächlich stockt.