Feministische Ambivalenzen der Gegenwart

Das Leben als DGS-Bloggerin ist nicht einfach. Insbesondere ist es derzeit von einer fast schon komisch zu nennenden Asynchronität bestimmt. Bloggen ist ein schnelle, flüchtige Kommunikationsform, sie lebt nicht zuletzt davon, unmittelbar auf tagespolitische Ereignisse zu reagieren. Dafür aber muss die Technik mitspielen. Und genau das tat der Server des DGS-Blogs in den vergangenen Wochen eher selten. Auch der heutige Eintrag kreiste technisch bedingt erneut lange in der Warteschleife. Mir bleibt daher nur zu wünschen, dass mögliche Leser_innen des Blogs diesem gewogen bleiben, auch wenn er derzeit fast nie erreichbar ist.

In der vergangenen Woche formulierte ich ein sehr deutliches Plädoyer für eine gesetzlich garantierte Quote für die Führungsetagen deutscher Unternehmen. Zu Recht könnte eingewandt werden, ob Feminismus nichts besseres zu tun hat, als sich um die geschlechtergerechte Zusammensetzung ökonomisch-politischer Eliten zu sorgen. Zumal hier ohnehin schon viel erreicht ist. Beschäftigen wir uns heute also mit der Frage, wofür Feminismus heute noch streiten könnte, streiten müsste.

Auf den ersten Blick war Feminismus erfolgreich, sehr sogar. Frauen sind heute sichtbarer denn je und vordergründig sind sie auch so erfolgreich wie nie. In wachsender Zahl verlassen sie das ihnen über mehr als zwei Jahrhunderte angediente „Innere des Haushalts mit den ihm zugehörigen Tätigkeiten, Sorgen und Organisationsformen“ (Hannah Arendt) und besetzen, wenn auch (noch) nicht die Vorstands­etagen, so doch in wachsender Zahl die erste Reihe der Politik und die Katheder in den Hörsälen. Sie sind dabei in den IT-Laboren, Finanzbörsen, den Verfassungsgerichten und den internationalen Gerichtshöfen. Sie moderieren politische Talkshows, führen bisweilen die Bestseller-Listen an und agieren auf den Bühnen dieser Welt. Frauen sind sichtbar, „auf dem Sprung“ und sie wollen „an die Spitze“, wie das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) eines seiner Förderprogramme nennt. Statt des alten Dreiklangs „Kinder, Küche, Kirche“ skandiert ein Ton das Leben und die Wünsche von (jungen) Frauen: Karriere. Folgerichtig entschieden sich in der Studie der Zeitschrift Brigitte, Frauen auf dem Sprung (2008), duchgeführt von Jutta Allmendinger am WZB, auch nur 25 % der befragten Frauen bei der Frage, welcher Frauentyp die Zukunft unseres Landes am meisten prägen werde, für das Bild der Mutter, während 75 % das der Karrierefrau wählten.

Simone de Beauvoirs protofeministische Vision – ein freies Individuum sein, eigene Pläne, Ent­würfe und Ziele verfolgen und diese immer wieder neu formulieren, sich ›in Richtung auf die Welt‹ bewegen und diese selbstbewusst gestalten wollen und auch gestalten können –, das ist der Bundesfrauenministerin Kristina Schröder ebenso selbstverständ­lich wie den jungen Frauen, aus der BRIGITTE-Studie oder jenen, die sich – mit einem Hauch von Selbstironie? – »Alphamädchen« nennen. Und in der Tat gab es in der Geschichte Deutschlands wohl noch nie vorher eine Frauen­generation, für die Autonomie, Selbstbestimmung und (rechtliche) Gleichheit so weitreichend verwirklicht war wie für die Schröder-Generation.

Wer aber gehört zu dieser Gene­ration, wer kann, soll, darf »Alpha-Mädchen« sein und welche Freiheit ist gemeint? Wer wird zu welcher Art Teilhabe eingeladen, wer spricht diese Einladung aus­ und inwiefern trägt das Versprechen, an die Spitze zu kommen, zu neuen, an Kriterien ökonomischer Nützlichkeit orientierter, in der Tendenz ethni­sierter und rassifizierter Spaltungen auch zwischen Frauen bei?

Gleichwohl auch die erste Frage genauerer Bearbeitung bedarf, ist sie ver­gleichsweise einfach zu beant­worten. Es sind die jungen Frauen aus den bildungsaffinen, im globalen Maßstab wirtschaftlich (immer noch) prosperie­renden, mit allen staatsbürgerlichen Rechten ausgestatteten, mehrheitlich (noch) weißen Mittel- und Oberschichten in den Wohlstandsgesellschaften des globalen Nordens – einschließlich junger Frauen aus den Eliten in einigen Ländern des globalen Südens –, denen das Angebot gemacht wird, öffent­lich sichtbar zu werden, die Möglichkeiten des Arbeitsmarktes zu nutzen, sich weiterzubilden, reproduktive Selbstbestimmung zu praktizieren und genug Geld zu verdienen, um an der Konsumkultur teilzuhaben, die sich ihrerseits gerade zu einem der bestimmenden Züge zeitgenössischer Modelle weiblicher Staatsbürgerschaft entwickelt.

Komplizierter ist die Antwort auf die zweite Frage: welche Freiheit? Unzweifelhaft ist sicher, dass Auto­nomie und Selbstbestimmung heute in einer Weise wirklich geworden sind, die sich deutlich unterscheiden von jenen Vorstellungen, die für den 2nd-wave-Feminismus prägend waren. Der feministische Gedanke freiheitlicher Selbstbestimmung, in der individuelle und gesellschaftliche Emanzipation als notwendig zusammengehörig gedacht wurden, und dessen Kern die »Erneuerung der Gleichheit durch die Freiheit« bildet (Barbara Holland-Cunz), tritt heute vor allem in der Gestalt des Imperativs managerialer (weiblicher) Selbststeuerung auf. Auch Frauen sind gegenwärtig mehr denn je angehalten, sich selbst durch Kapitalisierung der eigenen Existenz ökonomisch und das heißt vor allem effizient zu führen. Express yourself ist der mit und durch die Angebote der Konsumkultur transportierte Imperativ, der Mädchen und junge Frauen beständig ereilt. Ein Imperativ, in dem indes gerade jener Zusammenhang zwischen gesellschaftlicher und individueller Emanzipation radikal reartikuliert, ja womöglich längst aufgekündigt ist, insofern Freiheit mehr denn je im Horizont der Konsumentscheidungen, die ich treffe, verstanden wird, realisierbar durch das It-Bag, das ich trage und das Smartphone, mit dem ich kommuniziere.

Insofern wir aber die Zukunft von Feminismus (noch) nicht als besiegelt betrachten wollen, bleibt die Aufgabe, darum zu streiten, welchen An­forderungen Feminismus heute Rechnung tragen muss, aktuell. Denn vorausgesetzt, Feminismus strebt Geschlechtergerechtigkeit in einem umfassenden Sinne an – und das hieße eben auch, immer wieder danach zu fragen, wen und welche Anliegen er adressiert –, kann er sich nicht darauf beschränken, die Lebens­bedingungen der ›Generation Schröder‹ zu verbessern. Feminismus muss sich vielmehr der Herausforderung stellen, Antworten zu finden für die bislang noch immer nur in Umrissen erkenntlichen, komplex ineinander verwobenen Herausforde­rungen einer globalisierten Welt. Eine Welt, die in extrem gewaltförmigen und -tätigen Weisen zugleich versämtlicht und spaltet; eine Welt jedenfalls, deren vordringlichstes Problem nicht die geglückte Work-Life-Balance westlicher ›Unternehmerinnen ihrer selbst‹ ist.