Macht Powerpoint schlau? Neue Formen der Wissenskommunikation.

Macht Powerpoint schlau? Neue Formen der Wissenskommunikation.

Die Medien haben sich sehr intensiv mit den Folgen von Powerpoint beschäftigt. Mittlerweile ist es zwar wieder ruhiger um Powerpoint geworden – vermutlich weniger, weil sich die Frage nach den Folgen erübrigt hat, sondern weil Powerpoint zu sehr zur Gewohnheit geworden ist. Als ich mir diese Frage erstmals laut um das Jahr 2002 stellte, wurde ich vor allem von technikbegabten Studierenden mit der Technik konfrontiert. Man mag sich kaum mehr erinnern, dass wir damals in Vorlesungen zuweilen nur gesprochene Worte verwendet haben. Die Begegnung mit Powerpoint warf deswegen die Frage auf, ob und was sich an den Vorträgen verändert. Daraus ist ein Forschungsprojekt entstanden, dessen Ergebnisse an verschiedenen Stellen veröffentlicht worden sind (Schnettler/Knoblauch 2007; Knoblauch 2013). Da die Frage nach Powerpoint sowohl die Rolle des Wissens, der Wissenschaft und der Kommunikation angeht (die ich in diesem Blog mehrfach angesprochen habe), möchte ich hier einige Befunde über die Forschung  zu Powerpoint in der für Blogs gebotenen Kürze anführen. Dafür aber habe wir ein Video, das der „frühe“ Roman Pernack noch als Student gemacht hat, indem er unser damaliges Projekt darstellt. Das Video findet sich hier.

(Das Video beginnt mit 10 sek. Schwarz. Wenn es dennoch nicht funktioniert ist es auch hier zu finden)

„PowerPoint macht dumm“

Die These, dass Powerpoint „dumm“ mache,  wurde vom „Informationstheoretiker“ Edward Tufte (2003) aufgestellt. Sie erreichte rasch die breite Öffentlichkeit und hat sich zu einer Art Gemeinplatz entwickelt, auf dem sich Gegner wie Befürworter tummeln. Tufte hatte die These unter anderem mit der Behauptung begründet, PowerPoint sei schuld am Absturz des amerikanischen Raumschiffes Challenger (und damit am Tod der Besatzung) gewesen. Der Grund dafür bestand aus seiner Sicht darin, dass es Powerpoint nicht erlaube, komplexe Informationen ausreichend zu strukturieren, so dass die entscheidende Warnung vor dem Absturz nicht richtig mitgeteilt werden konnte. Tufte, der im Bereich der graphischen Gestaltung von Information weltweiten Ruf genießt, machte vor allem die Besonderheiten der Marke „PowerPoint“ dafür verantwortlich. (Da diese Software eine sehr weite Verbreitung hat und sofern sie sich nicht wesentlich von anderen Software unterscheidet, möchte ich mit der Schreibung „Powerpoint“ auch andere Präsentationssoftware einschließen.)

Powerpoint hat sich in der Tat zu einem Allgemeinbegriff entwickelt, der in aller Regel mit dem Zusatz „Präsentation“ auftritt. Was aber ist eine Powerpoint-Präsentation? Tufte benutzt dazu eine (unausgeprochene) „operative Definition“, denn er untersuchte knapp 2000 Zahl an Powerpoint-Folien.  Deren Durchsicht belegt für ihn – offenbar im Vergleich zu anderen Formen der Datenpräsentation – den  Befund, dass Powerpoint eine zu geringe Rate der  „Informationsübertragung“ erlaube. Bezeichnenderweise ist der Begriff der „Information“, den Tufte verwendet, nicht genau definiert. Vielmehr scheint er sich auf das zu beziehen, was  objektiviert und technisch so gespeichert werden kann, dass es (als Objektivation) wieder zugänglich gemacht werden kann.  Deswegen können dann auch Powerpoint-Folien als Teil von „Informations-Management-Systemen“ zugänglich gemacht werden.

Dass es sich dabei um digitale Datenbanken handelt, ist keineswegs beiläufig, scheint Information doch entscheidend an die technische Infrastrukturen geknüpft, die mit großen ökonomischen Aufwand und Erfolg seit den 1960er Jahren implementiert worden sind. Ohne hier die soziale Konstruktion der Informationsgesellschaft näher erläutern zu können (Knoblauch 2005: 263ff) , spielt diese Entwicklung hier eine Rolle, weil sich offenbar weder die mediale Öffentlichkeit (die ZEIT etwa sah mit Powerpoint den „Untergang des Abendlandes“ nahen) noch die Wissenschaft daran gestört hat, dass Tufte und die Kritik unter PowerPoint-Präsentationen offenbar nur die „Powerpoint-Folien“ meinten. Der Umstand, dass PowerPoint-Präsentationen in praktisch allen Sprachen auch die Präsentationen im Sinne von Vorführungen der Folien bezeichnet, blieb nicht nur unerwähnt, sondern auch weitgehend unerforscht.

Die Performanz von Powerpoint

Während sich die meiste Forschung also auf „PowerPoint-Präsentation als Information“ konzentrierte, richtete sich unser Augenmerk gleich zu Anfang auf die „Präsentation als Performanz“. Das ist durchaus eine Folge des im letzten Blog vorgestellten Konzeptes des „kommunikativen Handelns“, lenkt der doch das  Augenmerk auf den verkörperlichten und raumzeitlichen Vollzug, den wir durch Video in natürlichen Situationen aufzeichneten. Dass man hier besser von kommunikativem Handeln als von Praxis (Knoblauch 2010) spricht, ist selbst Teil des Untersuchungsgegenstandes. Denn solche Präsentationen sind ja in der Regel auf eine Weise vorbereitet wie rhetorische Gattungen: die Präsentierenden überlegen sich vorher  häufig sehr genau und reflexiv (allein oder mit anderen) was sie dann später vorführen wollen.

Erinnert man an die „Dummheit“ der Folien, so ergibt die Untersuchung einen doch erstaunlichen Befund. Denn „Präsentationen“ als Performanz sind weitaus mehr als die Folien. Das Zusammenspiel von Folien und ihren Zeichen, dem gesprochenen Text und der körperlichen Performanz von Präsentierenden, Publikum und Technik kann nicht nur dazu führen, „Lücken“ zu ergänzen und mangelnde Informationen nachzuliefern; die „Orchestrierung“ der Präsentation kann auch etwas vermitteln, das gar nicht auf den Folien repräsentiert ist: nicht nur „Objekte“ und „Worte“, sondern ganze Argumentationsketten und Narrationen.  Dabei spielt übrigens keineswegs das Sprechen die entscheidende Rolle: die räumliche Anordnung und die zeitliche Verteilung von Körpern und Gerätschaften sind ebenso entscheidend für die Powerpoint-Präsentation als „kommunikative Gattung“ (Luckmann 1986). In der Tat kann man die Trias von Präsentatorin, projizierter Bildfläche und Publikum als einen Kern dieser kommunikativen Gattung idenifizieren. Die verschiedenen Unterformen (performative Präsentation, illustrierter Lese-Text oder „Slide-Show“ – ausführlicheru in Knoblauch 2013, Kap. 5) ergeben sich quasi idealtypisch aus dem  „participation framework“  (Goffman 2005): Die jeweilige Betonung eines Aspektes der Trias bestimmt diese Typen (die in den meisten Präsentationen gemischt oder in zeitlichen Abfolgen auftreten).

Dabei sollte man beachten, dass die viel untersuchte „Präsentation als Information“  nicht nur ein „Teil“ dieser Gattung ist; vielmehr dreht sich die Performanz der Präsentation in einer Weise um diese „Information“. Denn erst die Performanz erzeugt den Sinn der „Information“ in der Kommunikationssituation; mit Begriffen von Garfinkel könnte man sagen: sie „heilt“ oder „repariert“ sozusagen die Information. Denn die „Informationen“ der Folien (nicht nur von PowerPoint-) sind in einem Maße entkontextualisiert, dass selten die „Intertextualität“, also der „Querbezug“ zwischen Folien, weiter hilft (wie dies ja bei unseren schriftlichen Texten angenommen wird).  Es ist also die Performanz, der verkörperliche Vollzug des Handelns in der sozialen Situation, die hier einen Sinn erzeugt (der möglicherweise gar nicht in der „Information“ enthalten ist) Das ist keineswegs um eine bloße Vermutung. Vielmehr zeigt die globale Ausweitung der „Präsentation als Information“ einen engen Zusammenhang mit der globalen Ausweitung der „Präsentation als Ereignis“: Obwohl man sich ja von der „Informationstechnik“ eigentlich eine Verlagerung auf das Arbeiten zuhause versprochen hatte, reisen immer mehr Menschen durch die Welt, um diesen Informationen einen kommunikativen Sinn zu verleihen. In der Folge hat sich die „Meeting“-,„Konferenz- und Tagungs-Kultur massiv ausgeweitet (Knoblauch 2013: 172ff).

„Wissens“-Kommunikation

Auch wenn aber Powerpoint-Präsentation zuerst kommunikative Formen sind (und zwar nicht nur in der Präsentation, sondern auch, wenn wir sie etwa solitär am Bildschirm lesen), nimmt sie durch die Präsentation einen besonderen Charakter an. Das, was sie präsentiert, ist das, was die Präsentierenden (oder die von ihnen repräsentierten Autorinnen) als ihr „Wissen“ mitteilen. Sie werden also zu „Wissen“, d.h. Wissen, das als „Wissen“ ausgezeichnet und angesehen wird (von Personen, Professionen, Organisationen usw.

Um den Charakter dieses Wissens zu verstehen, sollte man die besondere  Verdoppelung der Präsentation bei Powerpoint beachten: Das, worüber gesprochen wird, wird auch gezeigt, und zwar zumeist in einer multimodalen Verdoppelung: Schriftlich wird abgebildet, wovon mündlich gesprochen wird. Diese Verdoppelung wird noch verstärkt, denn mit Fingern, Händen und Laserpointern wird auf das gezeigt, was man sieht und worüber man spricht. Worüber das Präsentieren geht, wird damit gleichsam fixiert.  Allerdings muss man sich diese Fixierung nicht wie einen „propositionalen Gehalt“ (im Sinne von Habermas) oder eine „Aussage“ (im Sinne der Sprechakt- oder Diskurstheorie) vorstellen: Wie alles Wissen kann es unklar, unbestimmt, unzusammenhängend und sogar unglaubwürdig sein (Schütz/Luckmann 1979).

Was hier als „Wissen“ auftritt, ist auch nicht eine „Erkenntnis“; es ist vielmehr die Form selbst, die das, was gemacht wird, zu „Wissen“ macht. Ähnlich wie die „Belehrung“ oder die Vorlesung ist auch die Powerpoint-Präsentation eine Gattung der „Wissenskommunikation“ (etwas mehr dazu in: http://www.bpb.de/apuz/158653/wissenssoziologie-wissensgesellschaft-und-wissenskommunikation?p=all). Hier wird nicht einfach Wissen kommuniziert – was bei jeder kommunikativen Handlung der Fall ist. Hier wird Wissen als „Wissen“ kommuniziert, einerlei, ob dieses Wissen gerade erst aus dem Netz heruntergeladen oder ob es in langen Jahren hart erarbeitet wurde. Powerpoint eine der kommunikativen Formen, die wir verwenden, wenn wir etwas als Wissen präsentieren wollen. Auch wenn das, was hier präsentiert wird, inhaltlich beliebig werden kann, könnte man dennoch folgern:  Powerpoint macht nicht dumm, auch nicht „schlau“, sondern „wissend“.

 

Literatur

Goffman Erving (2005):  Rede-Weisen. Die Situation der Kommunikation. Formen der Kommunikation in sozialen Situationen. Konstanz: Universitätsverlag Konstanz.

Knoblauch, Hubert (1996): Arbeit als Interaktion. Informationsgesellschaft, Post-Fordismus und Kommunikationsarbeit, in: Soziale Welt Jg. 47, 3 (1996), 344-362.

Knoblauch, Hubert (2005): Wissenssoziologie. Konstanz.

Knoblauch, Hubert (2013): Powerpoint, Communication, and the Knowledge Society. Cambridge.

Luckmann, Thomas (1986): Grundformen der gesellschaftlichen Vermittlung des Wissens: Kommunikative Gattungen, in: Neidhardt/M. Lepsius/J. WeiB (Hrsg.), Kultur und Gesellschaft, Sonderheft 27 der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Opladen (Westdeutscher Verlag) 1986, S. 191‑211

Schnettler, Bernt und Hubert Knoblauch (2007): Powerpoint-Präsentationen. Neue Formen der gesellschaftlichen Kommunikation von Wissen. Konstanz: UVK

Tufte, Edward R: The Cognitive Stile of PowerPoint, Cheshire, Connecticut 2003.