Geht der Trend noch zum Zweitbuch?

Diesen Blogeintrag verfasse ich in der Bates Hall der Boston Public Library: in einem Lesesaal mit zwei großen Kuppeln an beiden Enden einer langgestreckten Halle von majestätischer Anmutung. Ihr Namensgeber hatte seine großzügige Geldspende zur Anschaffung von Büchern mit nur einer Bedingung verknüpft: „that the building shall be such as to be an ornament to the city, that there shall be a room for one hundred to one hundred and fifty persons to sit at reading tables, and that it be perfectly free to all with no other restrictions than may be necessary for the preservation of the books.“

Die Bücher sind tatsächlich kostenlos zugänglich. Lediglich für den Ersatz einer verlorenen Bibliothekskarte wird 1 Dollar erhoben. Restringiert wurde ich bislang nur dahingehend, dass ich eine mitgebrachte Flasche Wasser nicht auf der hölzernen Tischplatte im Lesesaal positionieren durfte. „You can have it. But don’t put it on the table, they don’t want it“, so der Security-Man, der ab und an durch den Saal läuft.

Wesentlich lockerer verfährt man in der Mugary Memorial Library, der Zentralbibliothek der Boston University. Während ich meine Petflasche in der Tasche versteckt eingeschmuggelt habe, tragen die Studierenden nicht nur ihren Kaffee in (immerhin geschlossenen) Pappbechern, sondern Salate mit Extra Dressing und Sandwiches an einen der vielen Arbeitsecken dieses 5-stöckigen Gebäudes. Weder am immer doppelt besetzten Eingang noch sonstwo habe ich bislang erlebt, dass auf die Einhaltung der Hausregeln gepocht worden wäre.

Warum schreibe ich heute darüber? Weil ich mir Boston (auch) über seine – angeblich über 100 – sehenswerten Bibliotheken erschließe, und auch in einem anderen Zusammenhang mit der Bedeutung  des Buchs konfrontiert worden bin.

Erwarten Sie aber keine Stellungnahme zum Thema Open Access. Dazu sind andere viel tiefer in die Materie eingedrungen. Auch über Verlagspolitiken könnten viele von uns viel erzählen und auch im DGS-Vorstand sind diese im Zusammenhang mit Plänen für die Zeitschrift German Sociological Review ein Dauerthema. Ich berichte lediglich über einige meiner im akademischen Alltag gewonnenen Beobachtungen zum Umgang mit Büchern.

  1. Die Privatbibliothek

Viele von uns leben nicht nur in ihren Arbeitsräumen in einer mit reichlich Büchern ausgestatteten Umgebung. Und viele kaufen auch immer noch Bücher (möglicherweise vor allem von den Verlagen, bei denen man selbst publiziert hat, und vielleicht auch noch zum 40%- Weihnachtsrabatt). Jedenfalls aber mit dem Gefühl, dass man Bücher haben muss, zumindest gute, die zu lesen und dann eben auch zum Aufbewahren lohnt. Selbst akademische Freunde, die ihre gesamte Plattensammlung in eine Mediathek verlegt haben, wohnen in einer Bücherwelt. Und manch einer derjenigen, die sich bei einem Umzug von (Teilen) ihrer Bibliothek getrennt haben, bedauert seinen Schritt. Nicht, weil man wirklich hineinschauen würde, aber es fehlt einem beim Schreiben, sozusagen als Sicherheit hinter dem Schreibtischstuhl.

  1. Öffentliche Bibliotheken

Ein ähnliches Gefühl stellt sich ein, wenn man eine öffentliche Bibliothek als Ort zum Schreiben wählt. Die Bücher, nein: die Regale an Regalen voll von Büchern vieler Jahrzehnte bis Jahrhunderte über Stockwerke hinweg geben eine stimmige Umgebung ab, sich konzentriert in Textwelten hineinzubegeben. In einem Saal wie diesem hier kommt dies nachgerade einem spirituellen Erleben nahe: die in sich gekehrte Stimmung, Flüstern ab und an, das Kratzen der Stühle über den Steinboden, vorsichtiges Klackern der Absätze und quietschende Gummisohlen: für mich ist kaum ein Unterschied zur Atmosphäre in einer Kathedrale erkennbar, wenn man sie außerhalb der Gottesdienstzeiten zur inneren Einkehr besucht.An den Arbeitstischen in den Universitätsbibliotheken geht es weniger erhaben zu: der überwiegende Teil der Studierenden hat Kopfhörer im Ohr, das ständig vibrierende Handy griffbereit, und nicht selten lässt jemand den Kopf auf die rings um den Laptop verstreuten Papiere sinken.

Hier wie da aber sind die Bücher eine Kulisse. Hin und wieder sitzt tatsächlich noch jemand mit einem Buch da – und liest! Gearbeitet aber, d.h. gelernt und geschrieben, wird mit Texten. Mit Skripten, Kopien, Ausdrucken von Scans und allem, was elektronisch verfügbar ist. Das gilt für mich ganz genauso. An einem journal article arbeitend, begebe ich mich zwar immer noch mit zwei bis drei Büchern bewaffnet an meinen hier öffentlichen Arbeitsplatz. Der Griff zum Buch ist aber so selten, dass er fast schon ungewohnt ist – und Handhaben lässt es sich ohnehin nicht so einfach, weil es sich zum Zitieren nicht unter dem Laptop festklemmen lässt und ständig zuklappt, während Copy und Paste (natürlich mit Anführungsstrichen und ordnungsgemäßen bibliographischen Angaben) fast wie im Schlaf von der Hand geht.

  1. Das Buch als Werk

Wenn also keiner mehr damit arbeitet (was natürlich falsch ist, aber zumindest von der Tendenz her vermutlich stimmt) und zum Lesen ohnehin niemand mehr Zeit hat: Ist es dann nicht völlig richtig, dass wir alle nur noch Artikel verfassen? Wenn Sammelbände ja ohnehin gar nicht mehr gehen, Beerdigungen dritter Klasse! Und – für Verlage allemal – ohnehin gerade noch Handbücher akzeptabel sind.

Also verfassen wir doch am besten nur noch kurze, sachlich-prägnante Darstellungen unserer Findings and Results mit abschließender Discussion nach einleitendem Literature review – auf Englisch, versteht sich.

Wer aber – sagen wir nach der Dissertation, die als Qualifikationsarbeit zumeist eine Pflichtübung ist, – ein Buch geschrieben hat, kennt den Unterschied zwischen dieser und allen anderen Schreibarbeiten:

Es ist tatsächlich die Arbeit an einem Werk, dessen Gestalt am Anfang nur skizziert ist (und laufend umskizziert wird), die wie aus einem Steinquader (aus hoffentlich gutem Material) herausgemeißelt werden muss. Am Anfang stehen ein paar (vielleicht schon veröffentlichte) Textseiten, an denen die Buchidee ihren Ausgang nimmt. Dann viele Textblöcke, die in sich vielleicht stimmig sein können, aber nichts miteinander zu tun zu haben scheinen. Dann bleibt es liegen, weil die vorlesungsfreie Zeit schon wieder zu Ende ist, ohne dass sie richtig begonnen hat. Und irgendwann, durch sanften Kollegendruck, harte Vertragsbedingungen oder intrinsische Motivation, rückt es ins Zentrum allen Denkens und Arbeitens: morgens werden die Stellen überarbeitet, die gestern verfasst wurden, danach wird an einer der vielen Bruchstellen weitergeschrieben, Überleitungen skizziert, Kapiteleinleitungen und Ausblicke ausgeführt mit Gedanken, die durch die intensive Arbeit an einem Werk entstehen, weil die Materie auch außerhalb und insgesamt viel länger, als wir an einem Artikel schreiben, in uns arbeitet, gärt, uns aufstößt, bis sie verdaut ist und sich dann endlich in eine nun veränderte, (einigermaßen) stimmige Gedankenwelt einfügt. Irgendwann, hoffentlich nicht allzu spät, nimmt das Ganze an Fahrt auf, eine eigene Dynamik setzt ein, die – im Verein mit einer hoffentlich gnädigen Deadline – dazu verhilft, tatsächlich zu einem (häufig wirklich guten) Ende zu kommen.

Wenn Ihnen das zu idealistisch erscheint, mag dies dem Launch Reception Event für das neue Buch eines hiesigen Kollegen geschuldet sein, zu dem ich vergangene Woche ins universitätseigene „Castle“ eingeladen worden war. Dieses von drei Autoren verfasste Buch, das später bei gutem Wein und auch sonst herausragender Verköstigung in Augenschein genommen und erworben werden konnte, wurde einleitend vom Dean in einer rhetorisch ebenso gelungenen wie inhaltlich profunden Ansprache gewürdigt. Entsprechend moderiert war es dann an den Autoren, auf unterhaltsame Weise ihre Zusammenarbeit, den Schreibprozess und wichtige Ergebnisse zu schildern, nicht ohne einige trefflich ausgewählte Passagen zu verlesen.

Welche Motive auch immer sonst damit verbunden sind: Es ist nicht einfach ein Buch erschienen, das weitere zwei Zeilen in einer Publikationsliste füllt. Präsentiert wurde vielmehr ein Werk, das sich – so der ganze Rahmen der Veranstaltung – vergleichbar einem Kunstwerk anzuschauen lohnt.

  1. Die Buchlektüre

Dafür braucht es einen Leser. Nicht irgendeinen, sondern einen, der Bücher zu lesen gelernt hat.

In der ungewohnten Rolle der Blogautorin macht man sich ja alle möglichen Gedanken über den Leser – viel zu viele, denn so viel wird er ja doch nicht gelesen (nun schreibe ich gegen meine anfängliche Ankündigung – schon fast am Ende meiner Bloggerzeit – doch darüber). Naja, gelesen vielleicht doch. Jedenfalls habe ich weit mehr Rückmeldungen als nach irgendeiner anderen Veröffentlichung bekommen. Aber kaum öffentliche, d.h. Kommentare.

Woran das liegt, haben Kolleginnen und Kollegen hier vor mir gemeinsam mit Kommentatoren erörtert. Der Grund, auf den es mir hier ankommt, ist der, dass wir hier keine ‚richtigen’ Blogs schreiben. Inhaltlich fällt meine Ich-Form zwar aus dem hier Üblichen heraus.

Von zwei Seiten aber bin ich auf die unpassende Form hingewiesen worden – zunächst von einer Kommentatorin meines zweiten Blogeintrags, der ich schlicht deshalb nicht geantwortet hatte, weil ich (noch) nicht wusste, wie ich mich zu ihrer freundlichen Kritik mangelnder Zwischenüberschriften stellen soll.

Liebe Melanie,

ich hoffe Sie haben gemerkt, dass mein dritter und nun auch dieser Blogeintrag mit Zwischenüberschriften unterteilt ist.

Beim ersten und vierten hat mir die Muße – und irgendwie auch die Neigung gefehlt. Das Bloggen steht ja immer in Konkurrenz zu drigende(re)n Schreibarbeiten, die aufwändig und manchmal unzumutbar oft formal überarbeitet werden müssen. Wenn er dann nun endlich fertig (und viel zu lang) ist, will man sich – ich mich – nicht auch noch mit der Gestaltung aufhalten.

Herzlich,

Ihre Michaela Pfadenhauer

Und das wiederum ist einer der Gründe, dass sie nicht gelesen werden: Die Länge und die mangelnden Zwischenüberschriften, so habe ich gerade von professioneller Seite vernommen, sind deutliche Hinweise darauf, dass die Einträge dringend einer editorischen Hand bedürfen.

Dass dies so ist, hat auch mit dem Publikationsort Internet zu tun. Wir lesen anders (und anderes), wenn wir am Bildschirm lesen. Anders als beim Buch, bei dem wir, selbst wenn wir querlesen, Zeile für Zeile lesen, folgen wir beim Lesen am Bildschirm dem „F-Pattern“: erste Zeile ganz, zweite Zeile halb und dann nur noch nach unten (gescrollt). Das habe ich von der Linguistin Naomi S. Baron gelernt, die derzeit über die Unterschiede des „Reading onscreen versus in hard copy“ forscht (eine halbe Buchwerbung sollte in einem Blog über die Bedeutung des Buchs gestattet sein).

Ich bringe meine Studenten kaum mehr dazu, ihre Arbeiten auszudrucken und in hard copy Korrektur zu lesen. Fehler der Grammatik und Interpunktion spielen für uns alle (mit Ausnahme vielleicht von Linguisten) ohnehin kaum eine Rolle mehr (auch dazu Baron); und die Bereitstellung von Kurztexten auf e-Learnplattformen ebenso wie die elektronische Annahme von Hausarbeiten erzeugt das Gefühl von Flüchtigkeit, das den Werkcharakter des Geschriebenen entwertet.

Nun überlege ich, ob ich mir die Final Paper meiner hiesigen Studenten in gebundener Ausgabe nach Deutschland nachschicken lasse. Damit ihre Arbeit ein Gewicht bekommt. Und wie ich im nächsten Seminar wieder Bücher lesen (lassen) kann, damit das, was wir schreiben (wollen), auch gelesen werden kann.

5 Gedanken zu „Geht der Trend noch zum Zweitbuch?“

  1. Liebe Michaela,
    ich kenne die Bates Hall (leider) selber nicht – aber so muss Bibliothek wohl sein. Es ist schade, dass die sozialwissenschaftliche Buchkultur offenbar ein generationales Phänomen ist und die gegenwärtigen Veränderungen faktisch zu deren Verlust führen dürften; und zugleich ist es extrem schwierig, darüber zu sinnieren, ohne sogleich in kulturpessimistische Sentenzen oder aber, schlimmer noch, in abgeschmacktes die-Jugend-von-heute-Bashing zu verfallen. Deswegen höre ich hier lieber gleich wieder auf und verabschiede mich ins Wochenende und wünsche Dir ein belesenes ebensolches. So ist es halt: Es geht nichts über ein gutes Buch.
    Herzlich
    Stephan

    1. Lieber Stephan,

      mir geht es ähnlich, dass ich einerseits was sagen will, mich andererseits nicht in Kulturpessimismen verlieren will. Und es beginnt ja tatsächlich nicht bei der „Jugend von heute“, sondern weit früher, wie Fritz Inversen ausführt. Interessanter ist unsere eigene Praxis – sozusagen im Übergang. Deshalb ist die viel spannende Frage: wie viel liest Du nun tatsächlich an diesem Wochenende – in einem Buch? (Und in welchem? -Aber das ist vielleicht schon zu persönlich!)

      Enjoy,
      Michaela

  2. Am gleichen Tag wie dieser Blogpost war auf derr Seite des Deutschlandradios ein gespräch mit Burkhard Spinnen zu lesen (und zu hören) – unter dem Titel: „Wir sind dabei, das Buch abzuschaffen“. Dort einge Mutmaßungen, was da gerade geschieht und wieso das so ist, aber beste Stelle ist kurz und knapp diese: „Hanselmann: Warum ist das so? Spinnen: Weil die Zeiten sich wandeln.“ Das klingt vielleicht wie ein lächerlicher Gemeinplatz, sollte aber gerade das Interesse von Soziologen wecken können.
    Sie beschreiben es annäherungsweise ganz schön, was denn überhaupt ein „Buch“ ausmacht. Es ist nicht der Deckel und auch nicht unbedingt der Umfang. Vielmehr ist die heilige Ehrfurcht vor dem Buch, die sich ja unterbödig erhalten hat und von der alle möglichen buchähnlichen Objekte zehren, die eigentlich nichts mit Buch zu tun haben … vielmehr ist die heilige Ehrfrucht vor dem „Werk“ im Ursprung mit ganz bestimmten Autorentugenden verbunden: Sorgfalt, Gründlichkeit, Weisheit, Forscherdrang, Konzentration auf das, was wichtig ist, auf lange Sicht festgehalten zu werden etc. Wenn nun das Buch verschwindet – als handfestes Objekt, dann muss man sich fragen, was denn aus den Autorentugenden geworden ist. Und das ist der Punkt, wo es soziologisch interessant wird.
    Sie beschreiben ja die Bedrohung der Sorgfalt ganz aktuell: „Fehler der Grammatik und Interpunktion spielen für uns alle … ohnehin kaum eine Rolle mehr.“ Und wer unter den Jüngeren, der das nicht als Befreiung feiern würde? Nun schauen Sie zurück, sagen wir 30 Jahre, 50 Jahre, 100 Jahre. Vor 100 Jahren bekamen Kinder mehr oder minder wortwörtlich eingebläut: Sauberst zu schreiben, ordentlich zu formulieren, ausschließlich in ganzen Sätzen zu antworten und zu sprechen, jedes Wort deu-t-lich auszusprechen – und drei Rechtsschreibfehler auf einer Seite gab eine Ohrfeige vom lieben Papa. „Wie schreibt man ‚Liebe‘?“ „Mit ie.“ (Ohrfeige.) „Sprich in ganzen Sätzen!“ „Liebe schreibt man mit ie!“ … Heißt: Die gute alte Sorgfalt gehörte zur Kultur des autoritären Staates – hatte aber neben ihren Psychopathien (z.B. der kalte Gebrauch der Sprache in Nazideutschland) auch ihre Meriten.
    Die deutsche Literatur hat meines Erachtens seit Mitte des 19. Jahrhunderts bis zur Kulturrevolution in den 60er Jahren sehr unter der Sorgfaltspflicht gelitten (Thomas Mann hat das Sorgfältige zur Kunst erhoben, viele Literaten haben grauenvolles Zeug produziert) und natürlich auch einiges an Auflehnung dagegen (z.B. Kafka, Expressionismus, auch Brecht hat eher nach einer neuen Lässigkeit gesucht, sowieso natürlich Tucholsky).
    Noch bis in die 60er Jahre sprachen deutsche Intellektuelle grundsätzlich druckreif. Aus heutiger Sicht sind alte TV-Interviews geradezu rührend – jeder kennt das Luhmann-Interview in seinem Büro, wo der Meister sicherheitshalber vom Blatt abliest.
    „Weil die Zeiten sich wandeln“ … die Sorgfalt im Formulieren ist kaum noch eine Tugend, weil der autoritäre Staat perdu ist. Das Ergebnis bedroht das Buch als Ergebnis einer akribischen Arbeit, aber genauso auch Artikel und Blogbeiträge. So dass sich die Frage meldet: Wenn Sorgfalt, langsames Denken, Recherche bis zum Letzten, Durcharbeiten und nochmaliges Durcharbeiten weder mit Pflicht noch mit Lust belegt sind, wie kommen wir dann zu brauchbaren, lesenswerten Ergebnissen? Das geschwätzige Parlando geht uns allen doch auch schon auf den Wecker, weswegen wir das Heil immer mehr im Kondensat suchen. Ich könnte mir vorstellen, dass eine neue Quelle von haltbarer Qualität in der Kollaboration entsteht. Nicht n ur , weil 4 oder 5 Leute mehr wissen als 1, sondern weil auf der Ebene noch ein Ansporn stattfinden kann, nicht in der Nachlässigkeit und natürlichen Faulheit zu versinken („merkt kein Schwein“ etc …).
    Das Thema geht ja momentan kräftig herum. Neulich auch auf dem Suhrkamp-Blog, Roland Reuß neulich mit „Fors: Der Preis des Buches und sein Wert“ etc. Das soziologisch Interessante ist, dass die neuen Technologien nur den Trend beschleunigen und besiegeln, der gesellschaftlich viel früher eingesetzt hat und zutiefst mit dem „Wandel der Zeiten“ zu tun hat.

    1. Lieber Herr Iversen,

      vielen Dank für Ihre Ausführungen und Hinweise – ich wusste nicht, dass das Thema gerade in der Blogosphäre herumgeht. Um die eigene Zeitgeistigkeit kommt man offensichtlich nicht herum.

      Hochinteressant finde ich Ihre Überlegungen zur Zukunft der Sorgfalt und Sorgfaltspflicht als wissenschaftliche Tugend, besonders weil sie gleich eine Richtung aufzeigen, wenn Sie schreiben, „dass eine neue Quelle von haltbarer Qualität in der Kollaboration entsteht. Nicht n ur , weil 4 oder 5 Leute mehr wissen als 1, sondern weil auf der Ebene noch ein Ansporn stattfinden kann, nicht in der Nachlässigkeit und natürlichen Faulheit zu versinken (“merkt kein Schwein” etc …).

      Das könnte tatsächlich ein Weg aus dieser eben keineswegs nur für den Nachwuchs geltende „Whatever“-Haltung (Baron) sein. Meines Wissens ist das gemeinsame wissenschaftliche Schreiben auch noch nicht hinlänglich untersucht, auch wenn wir aus der Sociology of Science und den Science and Technology Studies einiges über wissenschaftliches Räsonieren, Aushandeln, wissenschaftliche Kontroversen etc. wissen.

      Und es ist tatsächlich manchmal ein Kampf, bei dem es zum geringsten Teil um die großen Gedanken geht: Schludrigkeiten – des Ausdrucks, der Begriffsverwendung, der Grammatik bis hin tatsächlich zur Interpunktion – sind das Ärgernis, und all das erkennt man tatsächlich in den fremden viel deutlicher als in den eigenen Textteilen. Ihre Devise hieße dann: nicht ärgern, sondern die Fehlerkontrolle als Teil der Kollaboration sehen, richtig?

      Ein Buch zusammen zu schreiben, ist allerdings noch mal etwas anderes (nehme ich an). Hier müssen Herangehensweisen und Schreibstile angeglichen werden, ohne dass ein Verlust entsteht. Bei der Buchvorstellung, von der ich in meinem Blogeintrag berichtet habe, hat einer der Autoren die Herausforderung so formuliert „to speak with one voice through three persons“.

      Beste Grüße
      Michaela Pfadenhauer

  3. Die Zusammenarbeit ist in den Naturwissenschaften der Normalfall und Basis der Produktivität. Dort arbeitet man viel kollaborativer, viel vernetzter, auch viel offener für Diskussionen. Die Geisteswissenschaftler gehen gerne alleine ihren Gedanken nach, in der „Klausur“. Bücher und Bibliotheken haben daher für sie auch andere Bedeutung. In der philosophischen Fakultät besteht das wissenschaftliche Ergebnis oft im Erarbeiten von Formulierungen … oder wird damit verwechselt.
    Als Nachklapp zum psychosozialen Syndrom: Wenn das Ansehen der Sorgfältigkeit gesellschaftlich abnimmt, dann korrespondiert das psychisch mit der „Ungeduld“ (ursprünglich kam die Sorgfalt aus dem Handwerkerbereich – Qualität war nur via Sorgfalt zu haben, heute natürlich anders: industriell hergestellte Tische und Stühle können ohne Weiteres die Haltbarkeit von Tischlerarbeiten erreichen, es ist eher eine Frage von Material, Konzept, Preis). „Sorgfalt“, „Geduld“ oder dieses grauenvolle Wort „Achtsamkeit“, das neuerdings einen gewissen Hype erfuhr, wirken bereits rückwärtsgewandt, „konservativ“, nostalgisch. Dabei hat Geduld in der Wissenschaft einen erstaunlich Wert: Sie kann schlauer machen, als man eigentlich ist: „Geringere kognitive Fähigkeiten können durch größere Geduld kompensiert werden.“ http://bit.ly/1cuUrxy Wer noch Bücher geduldig zu lesen vermag, ist also á la longue im Vorteil ;) Das korrespondiert mit Studien, nach denen „Introverts“ im Durchschnitt die Universität mit besseren Noten abschließen als die Extrovertierten. Der „typische Jurist“ (die Juristen gehören ja auch zu den Formulierungswissenschaftlern) bebildert diesen Sachverhalt ganz schön. Freudianisch ist das die gute alte „Sublimationsleistung“, also die Triebunterdrückung, ohne welche nach Freud gar keine Kultur zustande kommen könnte.
    Wenn man sich Geduld in der Kindheit angewöhnen kann, dann Ungeduld noch mehr. Die Förderung der Ungeduld dürfte heute auch eher der Regelfall sein, und zwar sowohl unterstützt durch den Normwandel („Mein Kind soll sich frei entfalten können“ etc.), als eben auch durch die zahllosen „Ungeduld-Technologien“, die oft als Convenience-Produkte daherkommen: TV-Fernbedienung, Mikrowelle, Spielekonsolen (das Kind muss nichts zum Spielen aufbauen oder suchen), Smartphone und Tabletts etc ad infinitum. Geduld wird zunehmend als Zumutung empfunden, weswegen im Restaurant oder bei gemeimsamen Essen kaum noch einer wartet, bis alle ihr Essen vor sich stehen haben. Das findet sich nur noch bei einer schmalen Schicht von „Guterzogenen“ und wirkt dann steif, zuweilen auch skuril. Das altfränkische „streng sein gegen sich selbst“ verschwindet auch als Verhaltensnorm, damit dann auch das langwierige, sorgfältige Lesen und Schreiben … „weil die Zeiten sich wandeln.“ (Was keineswegs nur schlecht ist, weil die „Strenge“ bekanntlich in der Vergangenheit zu viel Blödsinn geführt hat, auch mit dem „blinden Gehorsam“ korrespondiert etc.)
    Na ja, soziologisch liegt da viel drin.

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