„The Filter Bubble is your own damn fault, says Facebook”

Wer sich mit Phänomenen im und um das Internet beschäftigt wird sich die Frage wohl schon häufig gestellt haben: „Wie kam ich jetzt hierher?“. Spätestens nach einer Nacht, in der man selbst in die Spirale der Click-Through-Rate von Wikipedia-Links geät, gerne auch als App und Wettkampf unter Freunden, sieht das gerne mal so aus. Wir alle wissen und nutzen die Anziehungskraft dieser sog. ‚hypermedialen Umgebungen‘, die aufgrund einfacher Zugänge und einer scheinbar unendlichen Fülle an Daten versprechen, ein ‚Paradies‘ für Sozialwissenschaftlerinnen zu sein: ob für die Erstellung von Umfragen, für Experimente, oder für den Feldeinstieg: datengenerierende Plattformen spielen zunehmend eine Rolle. Wir möchten diesen Blogbeitrag nutzen, um auch hierbei an die Diskussion anzuschließen, die Prof. Dr. Eva Barlösius bereits in ihren Posts zu „Soziologie begegnet Informatik“ und „Das Web und die Soziologie“ andeutete.

Seitdem Facebook auch mehr oder weniger offiziell in den wissenschaftlichen Journalmarkt eingestiegen ist und angestellte Forscher (vielleicht sogar unternehmensangestellte?) Aufsätze publizieren, deren first-author-Affiliation mit: „Facebook, Menlo Park, CA 94025, USA.“ ausgewiesen werden, zeigt sich, dass datengenerierende Firmen zu Gatekeepern für die Sozialwissenschaften werden. In einer Studie, die Facebook-Affiliates kürzlich in der Science veröffentlichten, untersuchten die Autorinnen beispielsweise, ob und inwieweit sich über das soziale Netzwerk eine ideologische „Filter-Bubble“ abbilden lässt und Facebook als Plattform dergestalt über „social algorithms“ politische Motivationen unterstützt. David Lazer nahm diese Studie zum Anlass, um die Frage zu stellen, inwieweit das quasi-automatisierte Kuratieren von Inhalten auf sozialen Netzwerken und anderen Plattformen einen „ideological bias“ nach sich zieht. Seine schlanke und prägnante Zusammenfassung lautete:

 

„Therein lies the most important lesson of Bakshy et al.’s report: the need to create a new field around the social algorithm, which examines the interplay of social and computational code“.

 

Damit einher geht zumindest auch die Einsicht, dass eine solche im Entstehen befindliche Disziplin, die sich dem Zusammenspiel von Code(Schreibenden), Plattform(Betreibenden) und Nutzerinnen-Verhalten widmet, gesicherte Zugänge zu den sich ständig verändernden Datensätzen eben solcher Plattformen haben sollte. Zumindest zeigt ein jüngerer Fall, dass die oftmals nicht gewährleistete Transparenz solcher Studien bereits in der Vergangenheit zu Problemen geführt hat: beispielsweise als 689,003 Nutzerinnen nicht darüber in Kenntnis gesetzt wurden, dass sie Teil eines – mittlerweile ebenso veröffentlichten – psychologischen Experiments wurden. Wenn also – wie Chris Anderson konstatiert – eine riesige Menge an Daten in Unternehmen der Digital Economy generiert werden und diese, wie er weiter ausführt, sogar wissenschaftliche Modell und Modellbildung ablösen, dann stellt sich die Frage: befördert der Zugang zu datengenerierenden Plattformen die Privilegierung eines Typus von Forscherinnen und damit einen wissenschaftlichen Wettbewerbsvorteil?

 

Ein Phänomen, welches sich an diese Überlegungen anschließt, mitunter jedoch positiver gewendet werden kann, geht einher mit einem zunehmend Reflexiv-werden bestimmter Felder. Darunter verstehen wir, dass die ständig mitlaufende Selbst- und Fremdbeobachtungspraxis in bestimmten Feldern das Hauptengagement ergänzt, ja zum Teil sogar zum Hauptengagement avanciert. Diese Entwicklung lässt sich hauptsächlich auf die Verbreitung datengenerierender Plattformen zurückführen und sollte von Sozialwissenschaftlerinnen stärker in den Blick genommen werden. Unsere bisherigen Einblicke in diesen Prozess des Reflexiv-werdens, die insbesondere durch die gegenwärtige Mediatisierungsforschung geprägt sind, zeigen bereits, dass ein Zugriff auf Datensätze in mindestens dreierlei Hinsicht für beteiligte Personen den bereits erwähnten Wettbewerbsvorteil nach sich ziehen kann:

 

  • Sofern dieser Zugang nicht für alle Nutzenden gewährleistet ist („Ich hab‘ einen Bot, Du nicht.“)
  • Sofern die Zugänge sich in der Menge an Daten unterscheiden („Ich hab‘ die Pro-Version, Du nicht.“)
  • Sofern die Zugänge über bestimmte Interfaces auf die ein oder andere Art und Weise dargestellt werden („Ich verwende Bot-X, Du nur Bot-Y“)

 

Mit einem solchen Wettbewerbsvorteil verbindet sich, dass die Privatisierung von Datensätzen, soziologische Forschung vor die Herausforderung stellt, dass Akteure und Organisationen zunehmend selbst Methoden einsetzen, um über Plattformen und deren Interfaces bereits kontextualisierte und mitunter auch dezidiert Filter-Bubble generierende Daten herzustellen. Denken wir beispielsweise an themenfokussierte Online-Communities oder Online-Poker (und dabei etwa in Form von Match Making Rankings, MMRs). Entsprechend wichtig wird für Sozialwissenschaftlerinnen die Auseinandersetzung mit der Herstellung dieser Plattformen bzw. mit einer – wie wir das nennen würden – Medienarchitekturgenese, um entsprechend soziale Wirklichkeit auf und um diese Plattformen herum zu beschreiben.

 

Quellen:

http://www.fastcoexist.com/3046032/the-filter-bubble-is-your-own-damn-fault-says-facebook

http://www.sciencemag.org/content/348/6239/1130.short

http://www.sciencemag.org/content/early/2015/05/06/science.aab1422.full?explicitversion=true

http://archive.wired.com/science/discoveries/magazine/16-07/pb_theory

2 Gedanken zu „„The Filter Bubble is your own damn fault, says Facebook”“

  1. Guten Abend,
    mich beschäftigen einige vielleicht etwas naive Nachfragen:
    Warum sollte der Zugang zu Facebook-Daten denn soziologisch wichtig sein? Warum sollte, allgemeiner, Facebook überhaupt soziologisch wichtig sein? „Wichtig“ hier verstanden im Sinne von „unverzichtbar“, nicht von „auch interessant“.

    Dass ein Großteil der existierenden „Daten“ in Privatbesitz ist (und damit für die akademische Soziologie unzugänglich), ist ja nicht neu; und dass die Soziologie zu einer Großzahl der „auch interessanten“ Regionen der Gesellschaft in der Regel keinen Zugang hat auch nicht, oder?

    Und ist nicht die selbst-projizierte Wichtigkeit von Facebook etwas, das es gerade soziologisch zu hinterfragen gilt?
    Ist nicht der „gefilterte“ Content der Hauptgrund, warum diese Plattform überhaupt genutzt wird? Die ganze Debatte also vielleicht einfach ein selbst erzeugter Sturm im Wasserglas?

    Dies also ein paar Fragen an mich selbst und Euch, in der Hoffnung auf Irritation.
    Gruß,
    BdKdM

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