Der Nutzer als Mitentwickler – „Ja, wo laufen sie denn?“

Wir hatten in unserem vorletzten Beitrag bereits Bezug auf Infrastrukturen genommen und angedeutet, dass mit sozialen, zeitlichen und räumlichen Entgrenzungen durchaus Begrenzungen einhergehen. In unserem heutigen Beitrag wollen wir uns mit einer Debatte befassen, die an der Schnittstelle von Cultural Studies und STS angesiedelt ist (siehe bereits Mackay and Gillespie) und unter verschiedenen Labeln und Teildisziplinen mal aus einer technologisch-ökonomischen Perspektive als „Web 2.0“, mal aus einer noch stärker die Nutzenden in den Blick rückenden Perspektive als „participatory culture“ und letztlich auch aus einer Innovations-Genese Perspektive als „democratizing innovation“ diskutiert wird. Im Anschluss daran stellt sich für uns dann die Frage, welche Voraussetzungen an Beteiligung (sowohl hinsichtlich der technologischen Infrastruktur als auch in der Medienarchitektur) bzw. an gestalterischen Eigenleistungen von Userinnen und Usern damit eigentlich impliziert sind?

Die Durchsetzung digitaler Medien und des Internets als Möglichkeitsraum brachten Forschende immer wieder dezidiert in Verbindung mit verschiedenen Entgrenzungs- und Auflösungserscheinungen: Castells (1996, 2007) etwa prognostizierte, dass „users“ und „doers“ zukünftig in Personalunion auftreten würden und hatte dabei keineswegs nur im Blick, dass Nutzende fernab professioneller Autorenschaften Inhalte schaffen („user generated content“). Er dachte wesentlich an die technikgestaltenden Qualitäten von Userinnen und erinnerte beispielsweise in seiner technikgeschichtlichen Abhandlung zur Entstehung des Internets an die beiden Chicagoer Studierenden, die das erste Modem entwickelten, um über die Telefonleitung Programme austauschen zu können. Castells betont hierbei die wegbereitende Rolle von „Hackern“ (als mit diesem Begriff noch nicht die pejorative Schlagseite, sondern das Basteln bzw. „Tinkerern“ verbunden war) und der von ihm so bezeichneten „counter cultures“, in denen alternative Techniklesarten und Modelle sprossen.

Bekanntlich – und etwas zu Unrecht für das Mode-Etikett „Web 2.0“ diffamiert – rückte fast zehn Jahre später O’Reilly die Perspektive der Unternehmen in den Fokus der Betrachtung und verband damit – entgegen Castells (der sich Jahre später allerdings auch sehr viel stärker der Macht der Konzerne zuwenden sollte) – die Veralltäglichung der „Nutzerbeteiligung“. Kontrollierte Mitgestaltung an medientechnischen Innovationen und insbesondere die Verdatung des Nutzerhandelns kulminierten im neuen Zentralkonzept der „Plattform“, also zeitcharakteristische Medienarchitekturen, die Anbieter und Entwicklerinnen unter Einbezug von Nutzenden permanent inhaltlich und technisch weiterentwickeln. Etwaigen Lebenszyklus-Modellen von Software erteilte man damit eine Absage (empirisch spannend ist dabei übrigens der dies in Organisationen ermöglichende Durchbruch der sog. „agilen Softwareentwicklung“, die Programme bzw. Medienprodukte ‚häppchenweise‘ und fortwährend, also nicht auf einmalige Fertigstellung zu bearbeiteten ermöglichte. Damit erweisen sich fortan auch internetbasierte Geschäftsmodelle als zunehmend ‚unfertig‘ und veränderungsoffen; wenn man so will, dann lässt sich hierbei von einer Komplementarität von technischer und organisationaler Unabgeschlossenheit sprechen).

Die Jahre nach der Jahrtausendwende geraten gar zum Höhepunkt der Debatten um die kollaborativen, auf Nutzereinbindung und Nutzerinnenbeteiligung basierenden Konzepte. Erinnern wir uns an Eric von Hippels „democratizing innovation“ in der Innovationsforschung, oder an die – wiewohl empirisch etwas vage fundierte – Diagnose von Vargo und Lusch, die von einer Ablösung der „goods dominant logic“ durch eine „service-dominant-logic“ (2004) in den Service Science sprachen. Noch viel zu selten wird – so zumindest unser Eindruck – von Sozialwissenschaftlerinnen der Blick auf die der Technikgestaltung praktisch zugewandten Wissenschaften geworfen. Beispielhaft zu nennen sind hier Engineering Sciences und Information Systems Sciences. Dort konstatierte zumindest schon kurz nach den 2000er Thomas P. Moran, dass sich das Softwaredevelopment an den (z.B. architektonischen) Design-Kreationen von Menschen orientieren sollte. Die Losung lautete: „everyday adaptive design“. Für Moran stellt Softwaregestaltung ein Aushandlungsprozess dar, an dem Unternehmer, Developer wie auch Userinnen beteiligt sind. Dieser Ansatz sollte in der Branche richtungsweisend sein und – ähnlich der open source Idee – schließlich Softwaredesigns anstoßen, die direkt für die nachmalige Aneignung der Nutzenden offen bleiben sollte (z.B. das „design for appropriation“).

Gemeinsam ist all diesen Attesten, dass sie an verschiedenen Stellen die Umstellung der Produktentwicklung (und –pflege) von einer „push“- hin zu einer „pull“-Logik, also weg von den unternehmerischen Setzungen, hin zur Orientierung an den Deutungen und Aktivitäten der (Alltags-)Nutzenden beobachten und einfordern. Die Frage, die sich für uns mit dieser Verschiebung der Akzente allerdings stellt, ist eine, die gegenwärtig unter dem Schlagwort „digital inequality“ verhandelt wird. Keineswegs wird in dieser Diskussion mehr die Frage danach gestellt wer, unter welchen Umständen Zugang oder eben keinen Zugang zu technologischen Infrastrukturen (insbesondere dem Internet) besitzt. Betont wird eher die differenzierte Nutzung bei bestehendem Zugang zum Möglichkeitsraum Internet.

Beispielsweise ist keineswegs jede kreativ-innovative App eines Developers erfolgreich (oder eben nicht), weil das von Apple so bezeichnete meritokratische Prinzip des App Stores greift. Dieses besagt, dass die am meisten gedownloadeten und am besten bewerteten Apps in der Rangfolge ganz oben stehen. Der Erfolg hängt jedoch ebenso stark damit zusammen, ob Developer auf unterschiedlich viele und einflussreiche Kontakte und auf unterschiedliche Ressourcen zurückgreifen können, oder eben nicht. Und es ist beispielsweise keineswegs gängige unternehmerische Praxis, dass die Nutzungspraktiken aller Userinnen eines Angebotes Einfluss auf die Fortentwicklung bzw. die Anpassung von Plattformen besitzen. Dies betrifft natürlich auch die von uns bisher in jedem Beitrag eingebauten Internet-Memes sowohl hinsichtlich ihrer Herstellung als auch hinsichtlich ihrer Verbreitung: Memes lesen zu können und zu antizipieren, welches Publikum sich damit aus welchen Gründen angesprochen fühlen könnte, entscheidet darüber, ob der eigene Content auf einschlägigen Plattformen überhaupt sichtbar gemacht wird (bei Imgur etwa unter der Klassifikation „most viral“ und „popularity“) und sich somit überhaupt verbreiten kann (vgl. das Konzept der „taxonomischen Kollektive“ bei Wehner 2008).

Einfacher und etwas plakativer formuliert: Nicht jede/r User/in zählt.

 

4 Gedanken zu „Der Nutzer als Mitentwickler – „Ja, wo laufen sie denn?““

  1. Ich schrieb’s ja bereits: Niemand interessiert sich für Blabla-Soziologie. Was ist überhaupt die Aussage dieses Eintrags? Nicht alle Nutzer zählen? Ist das nicht trivial?

    Die DGS sollte endlich jemanden substantiell Interessantes anfragen.

    1. Na, warum denn so hart, „Soziologie“?

      Ich finde, das Durchhaltevermögen ist faszinierend. Und sie haben es bald geschafft!
      Nur noch 15 mal schlafen!

      Diese Schnittstelle zu einer teilweise professionellen Teilöffentlichkeit für 2 Monate zu verwalten, ist natürlich auch ein riskantes Unternehmen, soziologisch gesehen.

      Die emotional-ideologische Komfortzone „Universität“ und ihre Macht- und KarriereSTRUKTUREN beschränken zwar einerseits kreatives, spekulatives Denken wie jede emotional-ideologische, etablierte Komfortzone, aber sie bietet auch Schutz vor fremden, unangenehmen Eindringlingen, die sich nicht an die Regeln halten.

      Alles hat eben seinen Preis!

      Oder sie sind vielleicht noch beim Auspacken? Wäre doch eine gute Gelegenheit, ein neues Karriere förderndes Paradigma kreativ auszuarbeiten: „Die Soziologie des Auspackens“ oder theoretisch anspruchsvoller, etwas weiter gefasst, „Die Soziologie des Ein- und Auspackens“.

      Richtig operativ konstruktivistisch aufgearbeitet sicherlich eine spannende Bereicherung der Soziologie, auch interdisziplinär pluralistisch verwendbar , z.B. in Verbindung mit Studiengängen aus der Möbelbranche usw..

      Viel Erfolg weiterhin!

      1. Lieber Gerhard A. Schwartz,
        Tatsächlich beschäftigt mich (Heiko Kirschner) gerade immer noch das Ein- und Auspacken, wenn auch in anderen Kontexten. Besonders augenfällig wird dies z.Zt. im Zuge von Crowdfundingprozessen. Für die jeweiligen Phänomene haben sie hier Links:
        https://www.youtube.com/watch?v=wUJcXAxfFmQ
        https://www.kickstarter.com/projects/stoic/the-banner-saga/posts/251386
        Außerdem bin ich dankeswerter Weise noch über eine spannende Diskussion gestolpert:
        http://www.newyorker.com/culture/cultural-comment/all-possible-humanities-dissertations-considered-as-single-tweets

        1. Na dann kann ja nichts mehr schief gehen! Weiterhin gute Unterhaltung!

          Und ehe ich’s vergesse, Respekt dafür, dass Sie nicht wie ein „hilfloser Professor“ einfach die Chance genutzt haben, unangenehme Kommentare nicht frei zu schalten!

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