Studentische Hilfskräfte und Mitarbeiter*innen. Feldsozialisation und studentische Arbeitskraftunternehmer*innen

Ein Gastbeitrag von Alexander Lenger, Karlsruhe, und Christian Schneickert, Magdeburg

 

Fragt man nach den strukturierenden Faktoren einer akademischen Karriere kommt man nicht umher, die zentrale Bedeutung einer Anstellung als studentische Hilfskraft anzuerkennen (wir sprechen im Folgenden auch von studentischen Mitarbeiter*innen, abgekürzt StuMi, um der Heterogenität der Anstellungsverhältnisse und Tätigkeitsbereiche gerecht zu werden und den unglücklichen, aber gängigen Begriff des ‚Hiwi‘ zu umgehen). Empirisch ist hinreichend belegt, dass die Tätigkeit als StuMi besondere Chancen für eine akademische Karriere eröffnet (BMBF 2006; Lenger 2008; Jaksztat2014). Entsprechend wird in der Ratgeberliteratur für Studierende und Nachwuchswissenschaftler*innen auch explizit hervorgehoben, dass ein Einstieg in die Hochschulkarriere idealtypisch über eine Anstellung als studentische Mitarbeiter*innen gelingt (Rompa 2010; Kaiser 2015). Vor diesem Hintergrund werden die entformalisierten Beschäftigungsverhältnisse von StuMis – ähnlich denen des akademischen Mittelbaus – mit deren wissenschaftlichen Weiterbildungseffekt gerechtfertigt (Regelmann 2004, 4).

Die Rolle von studentischen Hilfskräften im deutschen Hochschulwesen ist aber noch wesentlich komplexer. So stellt die Anstellung als StuMi aus bildungssoziologischer Perspektive eine erfolgsversprechende Strategie innerhalb der individuellen Bildungslaufbahn dar, andererseits muss eine solche Tätigkeit aus arbeitssoziologischer Perspektive als eine prototypische Form eines voll flexibilisierten Arbeitsverhältnisses und damit als Gewöhnung an prekäre Beschäftigungsverhältnisse interpretiert werden (Schneickert/Lenger 2010; Schneickert 2013: 55-60).

Die Anstellung als StuMi verspricht eine Reihe von Privilegien und informellen Vorteilen, die allesamt den Einstieg in das wissenschaftliche Feld erleichtern, d.h. die ‚Feldsozialisation‘ beschleunigen (Schneickert 2013: 154f.). Da der Zugang zu den StuMi-Stellen jedoch sozialstrukturell ungleich verteilt ist, stellt diese Form der Feldsozialisation auch einen Mechanismus der Reproduktion sozialer Ungleichheit im Bildungssystem dar. Die Attraktivität der StuMi-Stellen ist somit auch arbeitssoziologisch relevant. Unter dem Stichwort der ‚Employability‘ gilt, dass Studierende dazu angehalten sind, ihre Wettbewerbsfähigkeit für den Arbeitsmarkt eigenverantwortlich, risikobewusst und selbstständig zu optimieren und dies möglichst früh im Leben. Soft Skills wie Sprachkenntnisse, Praktika, Auslandsaufenthalte oder eben die Tätigkeit als StuMi gewinnen neben den klassischen Qualifikationsnachweisen aufgrund der erhöhten Konkurrenzsituation auf dem Arbeitsmarkt stark an Bedeutung (Boltanski/Chiapello 2006 [1999]; Pongratz/Voß 2004; Bröckling 2007).

Auf der anderen Seite stehen Universitäten und andere Forschungseinrichtungen als moderne Großorganisationen, die sich durch einen hohen Bedarf an flexiblen und günstigen Arbeitskräften auszeichnen. Diese Nachfrage wird in Zeiten knapper Ressourcen zunehmend mittels studentischer Mitarbeiter*innen abgedeckt. Dies gilt insbesondere für Sekretariats- und EDV-Tätigkeiten. Entsprechend wird eine Etablierung prekärer Arbeitsverhältnisse im Sinne der „Generation Praktikum“ wahrscheinlich, da die Anstellung als StuMi subjektiv als lohnenswerte Investition in den individuellen Ausbildungs- und Karriereweg wahrgenommen wird. Hierdurch erfolgt eine Anpassung der eigenen Ansprüche an die Anforderungen einer projektbasierten Arbeitswelt durch die Gewöhnung junger und hochqualifizierter Personen an flexibilisierte, kurz befristete, projektförmig organisierte und entformalisierte Beschäftigungsverhältnisse schon während der Ausbildungsphase.

Trotz dieser Probleme hat eine von uns durchgeführte Befragung von studentischen Mitarbeiter*innen gezeigt, dass diese mit ihren Arbeitsverhältnissen in der Regel hochzufrieden sind (Lenger/Schneickert/Priebe 2012). Dies erklärt sich unserer Ansicht nach daraus, dass die genannten bildungssoziologischen Vorteile mit einer Subjektivierung der Arbeitskraft von studentischen Mitarbeiter*innen gewissermaßen ‚erkauft‘ werden. Auf der Basis dieses Zusammenhangs ergibt sich für die Universitäten als Arbeitgeberinnen die Möglichkeit, dieses Arbeitskräftepotential günstig zu nutzen und „auszubeuten“. Diese Konfiguration wird unseres Erachtens unmittelbar im akademischen Mittelbau in Form projektbasierter und prekarisierter Arbeitsverhältnisse fortgeführt. Universitäre Beschäftigungsverhältnisse stellen somit Sozialisationsformen des „Neuen Geist des Kapitalismus“ dar, der sich im Kern durch eine zunehmende Ökonomisierung, eine signifikante Zunahme von Netzwerk- und Projektstrukturen sowie die Subjektivierung und Flexibilisierung von Arbeitsverhältnisse auszeichnet; eine Entwicklung, die häufig bereits während des Studiums mit der Anstellung als StuMi beginnt, im Mittelbau ihren Fortgang nimmt und von den Universitäten aus in die Gesamtgesellschaft getragen wird.

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Alexander Lenger, Dr., vertritt derzeit die Professur für Soziologie des Wissens am Karlsruher Institut für Soziologie.

Christian Schneickert, Dr., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Gesellschaftswissenschaften, Lehrstuhl für Allgemeine Soziologie/Makrosoziologie der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg.

 

Literatur

BMBF (2006): Wissenschaftlicher Nachwuchs unter den Studierenden. Empirische Expertise auf der Grundlage des Studierendensurveys. Herausgegeben von Bundesministerium für Bildung und Forschung, Bonn, Berlin.

Boltanski, Luc; Chiapello, Ève (2006 [1999]): Der neue Geist des Kapitalismus, Konstanz: UVK Universitätsverlag.

Bröckling, Ulrich (2007): Das unternehmerische Selbst. Soziologie einer Subjektivierungsform, Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Jaksztat, Steffen (2014): Bildungsherkunft und Promotionen: Wie beeinflusst das elterliche Bildungsniveau den Übergang in die Promotionsphase, Zeitschrift für Soziologie 43 (4), S. 286–301.

Kaiser, Astrid (2015): Reiseführer für die Unikarriere. Zwischen Schlangengrube und Wissenschaftsoase, Leverkusen: Barbara Budrich.

Lenger, Alexander (2008): Die Promotion. Ein Reproduktionsmechanismus sozialer Ungleichheit, Konstanz: UVK Verlagsgesellschaft.

Lenger, Alexander; Schneickert, Christian; Priebe, Stefan (2012): Studentische MitarbeiterInnen. Zur Situation und Lage von studentischen Hilfskräften und studentischen Beschäftigten an deutschen Hochschulen und Forschungseinrichtungen, Frankfurt am Main: Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft.

Pongratz, Hans J.; Voß, Gert Günter (2004): Arbeitskraftunternehmer. Erwerbsorientierungen in entgrenzten Arbeitsformen. 2., unveränd. Aufl., Berlin: Edition Sigma.

Schneickert, Christian (2013): Studentische Hilfskräfte und MitarbeiterInnen, Konstanz: UVK Verlagsgesellschaft.

Schneickert, Christian; Lenger, Alexander (2010): Studentische Hilfskräfte im deutschen Bildungswesen“, Berliner Journal für Soziologie 20 (2), S. 203–224.

Autor: Initiative "Für Gute Arbeit in der Wissenschaft"

Im Sommer 2014 haben sich Soziologinnen und Soziologen zusammengefunden, um sich für “Gute Arbeit in der Wissenschaft” zu engagieren. Es entstand ein Offener Brief an die DGS, in dem die Fachgesellschaft aufgefordert wurde, sich mit den Beschäftigungsbedingungen im eigenen Fach auseinander- und für gewisse Mindeststandards guter Arbeit einzusetzen sowie diese in ihren Ethikkodex aufzunehmen. Ein weiteres zentrales Anliegen der Initiative ist es, die Mitbestimmung des Mittelbaus in den Gremien der DGS zu stärken. Die Anliegen der Initiative werden derzeit in der DGS verhandelt, im Rahmen des nächsten DGS-Kongresses organisiert die Initiative die erste Mittelbauversammlung der DGS. Website der Initiative

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