Fack ju, Sohziologie!? Eine Bemerkung zum Verhältnis von Schule und Soziologie

Die Ökonomisierung des Sozialen ist eine vielfach konstatierte und diskutierte, hier und da auch heftig beklagte Tatsache: Wirtschaftliche Paradigmen, Leitcodes, Werte durchdringen die anderen gesellschaftlichen Teilsysteme oder Bereiche und zwingen sie unter die Knute von Profit und Effizienz. Seit etlichen Jahren gibt es entsprechende Veränderungen der schulischen Lehrpläne, der Schulbuchinhalte und der Lehramtsausbildungen. Weil die Kinder und Jugendlichen keine ausreichenden Wirtschaftskenntnisse hätten, so heißt es, brauche es mehr ökonomische Bildung – die, das zeigt die Empirie (und das monierte auch Reinhold Hedtke jüngst in diesem Blog), ohne soziologische Fundierung, gar ohne jegliche soziologische Beteiligung und Expertise in die Schulbücher, Curricula und Kompetenzrahmen eingezogen ist.

Seit einiger Zeit engagiert sich die DGS verstärkt „für eine breite sozialwissenschaftlich fundierte Schulbildung“ (so der Titel einer Stellungnahme aus dem Januar 2016). Konkret arbeitet die derzeit bloggende Kommission „Soziologie in Schule und Lehre“ seit Beginn des letzten Jahres intensiv daran, für die Soziologie Wege (zurück) in die Schulbildung zu finden beziehungsweise neu zu eröffnen. Höhepunkt der bisherigen Arbeit war eine viel beachtete und außerordentlich ermutigende Podiumsdiskussion beim letzten Soziologiekongress im September 2016 in Bamberg: Vertreter*innen der Bundeszentrale für politische Bildung, des Philologenverbands und der GEW waren sich einig, dass es angesichts hochkomplexer sozialer Wirklichkeit dringend soziologischer – also reflexiver, kritischer, methodischer – Kompetenzen bei Lehrenden wie bei Lernenden in der Schule bedarf. Im Juni diesen Jahres veranstaltet besagte DGS-Kommission mit der Schader-Stiftung in Darmstadt einen Workshop, der Akteure aus der Schul- und Bildungspolitik mit Vertreter*innen der Soziologie ins Gespräch bringen wird: Die Notwendigkeit, Migration nicht bloß als politisches, Inklusion nicht bloß als ethisches  und die Finanzkrise nicht bloß als ökonomisches Problem zu sehen und zu behandeln, ist erkannt. Das Feld ist bestellt. Là vous allez!

Allein: Um voranzuschreiten brauchen wir nicht nur hellsichtige Bildungspolitiker*innen, wissbegierige Lehramtsstudierende und neue Lehrpläne. Wir brauchen nicht nur die Einsicht, dass nach Jahrzehnten penetranten Agierens der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft („Die Kinder haben keine Ahnung von Wirtschaft!“ ) und dem ins Trudeln geratenen Siegeszug des pseudopragmatischen Neoliberalismus („Ich kann Gedichte in drei Sprachen interpretieren, aber keine Steuererklärung machen!“) unsereins Beschwerde führen muss, die Kinder hätten keine Ahnung von Gesellschaft, von Inklusion, Institutionenlogik, Normen und Rollenerwartungen.

Wir brauchen vor allem seitens unserer Disziplin Willen und Lust zum Einmischen und Mitmachen in und bei Schule. Dabei geht es nicht darum, Soziologie als Schulfach zu institutionalisieren. Vielmehr geht es um Soziologie als Teil des Themenzusammenhangs, der gesellschaftliche, politische und historische Bildung genannt wird – und zu dem die Soziologie viel mehr beizutragen hätte, als es momentan der Fall ist. Der Grad an soziologischer Integration schwankt von Bundesland zu Bundesland, ist aber auf verschiedenen Niveaus überall in Deutschland ausbaufähig. Dazu bedarf es des Engagements der akademischen Soziologie: Wir als Fach, wir als Lehrende in der Soziologie sind diejenigen, die die Ausbildung von Lehrer*innen als genuine Aufgabe (wieder-)entdecken müssen: in, um Foucault zu bemühen,  Verteidigung der Gesellschaft.

Die für mich frappierendste Erkenntnis der Diskussion in Bamberg war, dass – wie sowohl auf dem Podium als auch im Publikum klar gemacht wurde – die Ökonomisierung der schulischen Bildung nicht bloß Ergebnis erfolgreicher Lobbyarbeit und neoliberaler Politik ist. Es ist offenbar auch seitens des Fachs ein deutliches mea culpa angebracht. Die Soziologie, so war vielfach zu hören, ist seit den 1980er Jahren nicht unbedingt nur aus der Schule verdrängt worden, sondern sie hat sich auch zurückgezogen, hat der politischen Auseinandersetzung um schulische Bildung aus freien Stücken entsagt und ist so in diesem Bereich randständig geworden. Anders, als es in dem Film, auf den der Titel dieses Beitrags anspielt, der Fall ist,  lehnen sich nicht die Schüler*innen gegen Lehrinhalte auf. Die Lehrinhalte selbst verweigern sich schulischer Aneignung – wenn auch nicht mit Four-Letter-Words. Soziologie einerseits in der Lehramtsausbildung unsexy und akademisch irrelevant zu heißen (Wie viele DGS-Mitglieder finden, dass Soziologie sinnvoll nur als Vollfach, weniger als Haupt- oder gar Nebenfach und ganz gewiss nicht im Rahmen einer Lehramtsausbildung studiert werden kann oder sollte? Hand aufs Herz!) und andererseits die Marginalisierung der Soziologie in der Schule und damit in weiten gesellschaftlichen Teilen zu beklagen ist jedenfalls eine Form der Dialektik, die weder weiterführend noch sinnvoll synthetisierbar ist. Wir müssen, um in der Schule wieder relevant zu werden, uns an Schule, an der Lehramtsausbildung beteiligen. Mit Offenheit, Respekt und Lust. Mit Engagement!

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