Mehr Einseitigkeit, bitte!

Ich freue mich, in den Monaten November und Dezember 2012 für dieses Blog schreiben zu dürfen.

Womit beginne ich? Damit: Der DGS-Kongress in Bochum ist nun einige Wochen her. Wie immer war der Kongress eine große Leistungsschau unseres Faches, wie immer war er ebenso pluralistisch, wie wir als Fach sind. Je nach Gusto wird man das als Vorteil einer requisite variety preisen, die genügend Komplexitätschancen bietet, dem einen genialen Gedanken ein evolutionäres Umfeld zu bieten. Oder aber es wird als Beliebigkeit gebrandmarkt, vor allem wohl von denjenigen, die an der Soziologie jenes normalwissenschaftliche Bild vermissen, das wir in geradezu subalterner Weise sogenannten reifen Fächern unterstellen: sich wenigstens asymptotisch an einen wissenschaftlichen Standard heranzuarbeiten, der kontrollierte (und wohl auch: kontrollierbare) Ergebnisse erzielt. Beide Reaktionsweisen sind typisch für komplexe Systeme, die irgendwie mit ihrer Komplexität umgehen müssen, d.h. operativ unwahrscheinliche Formen von Ordnung zu generieren. Die deutschsprachige Soziologie jedenfalls scheint sich dafür entschieden zu haben, die Suche nach einem einheitlichen Verständnis von soziologischer Wissenschaftlichkeit auch nur für eine mögliche evolutionäre Möglichkeit zu halten und ansonsten auf Variation mit geringen Selektions- und Stabilisierungschancen zu setzen. Von diesem Arrangement hat die Soziologie lange profitiert. Insofern lässt sich eine Kontinuität diagnostizieren – und Kontinuität ist ein Mechanismus, der die funktionale Bedeutung von Reflexion einschränkt, der schlicht Reflexionsnotwendigkeiten und –wahrscheinlichkeiten minimiert.

Eine Diskontinuität zu früheren Jahren freilich lässt sich schon beobachten, wobei dies ein eher schleichender Prozess ist als ein überraschendes Umschalten: Es guckt kein Schwein – zumindest nicht von außerhalb der Soziologie. So weit ich sehe, hat es außerhalb der Regionalpresse im Ruhrgebiet (was aufgrund von regionalen Selektionserfordernissen nachgerade unvermeidlich ist) außer einem eher marginalen Artikel in der Süddeutschen Zeitung keine Berichterstattung über den Soziologie-Kongress gegeben. Das erstaunt aus verschiedenen Gründen: zum einen konnte man sich vor Berichterstattung über den Historiker- und über den Juristentag kaum retten – tagelang waren die Feuilletons voll davon. Es scheint also schon ein öffentliches Interesse an wissenschaftlichen Selbstbeschreibungen der modernen Gesellschaft zu geben – an soziologischen Selbstbeschreibungen aber offensichtlich nicht.

Zum anderen hatte der Kongress ein Motto, das nach meinem Dafürhalten vielleicht soziologisch wenig ergiebig war, aber letztlich das Zentrum außersoziologischer Selbstbeschreibungen in der Öffentlichkeit trifft: Vielfalt durch Zusammenhalt erträglicher machen zu können (sorry für die Verkürzung). Man hätte womöglich erwarten können, dass dieses Kongressmotto leicht an öffentliche Debatten anschlussfähig hätte sein können. Letztlich ist das auch gelungen, wenn man an die Berichterstattung der Süddeutschen Zeitung denkt, die insbesondere über die Exkursionen in die Region berichtet hat – ein ebenso interessanter Bericht wie offensichtlich interessante Exkursionen. Nur war das eben gerade keine Kongressberichterstattung.

Aber vielleicht darf man sich nicht wundern, dass die Soziologie so wenig Informationswert produziert, wenn sie letztlich nur das wiederholt, was ohnehin exakt genau so diskutiert wird. Einen Unterschied (also: Information) machen die Dinge nur, wenn sie auch einen Unterschied machen. Und das scheint uns nicht einmal im Ansatz gelungen zu sein. Es sei nun dahingestellt, ob Juristen- und Historikertag hier wirklich kreativer waren – aber empirisch kann man zumindest konstatieren, dass sie einen Unterschied gemacht haben.

Also: Es ist noch kein Qualitätsmerkmal, dass das, was auf einem Kongress geschieht, als Information registriert wird – und auch kein Merkmal für mangelnde Qualität, wenn es im Hintergrundrauschen medial beschleunigter Kommunikation verschwindet. Aber es ist zumindest eine Diskontinuität, die demjenigen auffallen muss, der sich für das Bild der Soziologie in der Gesellschaft interessiert und nicht zuletzt für den Beitrag soziologischer Selbstbeschreibungen der Gesellschaft in der Gesellschaft. Und diese Diskontinuität hat durchaus einen Informationswert – finde ich.

Ich habe mit dem Gedanken begonnen, dass die Soziologie ihre Komplexität, also den Verzicht auf Punkt-für-Punkt-Korrelation ihrer unterschiedlichen Perspektiven, vor allem durch Tolerierung von Variation bearbeitet. Auch intolerante Stimmen gegenüber dieser Vielfalt fügen dieser Vielfalt nur einen weiteren Aspekt hinzu. So weit, so bekannt. Aber auf einen Ordnungsmechanismus, der für die Soziologie einmal konstitutiv war, scheint das Fach inzwischen gänzlich zu verzichten: auf den Konflikt nämlich. Konflikte – in Form von Debatten, im Sinne der Konstruktion von Antipoden, in Gestalt von wechselseitigen Zumutungen – sind eine spezielle Form der Bearbeitung von Komplexität, weil sie in der Lage sind, Verschiedenheit vergleichbar zumachen und sie damit als Verschiedenheit sichtbar zu machen. Konflikte integrieren dadurch, dass sie die konfligierenden Teile aufeinander beziehen und damit Anlass für Beschreibungen bieten, die über das Summarische hinausgehen. Sie bieten dem Beobachter eine Selektivität an, die die Teile aufeinander bezieht und sie nicht schlicht nebeneinander stellt. Dann wäre das Selektionsprinzip schlicht Vollständigkeit – aber das ist kaum ein Beobachtungsanlass. Der Konflikt dagegen ist erzählbar, inszenierbar und strukturiert Komplexität schon dadurch, dass die Anreize steigen, sich selbst im Lichte der anderen Seite zu positionieren oder sich überhaupt auf eine Seite zu schlagen. Konflikte haben den Nachteil, dass sie Pluralität unsichtbar machen, weil sie alles, was gesehen werden will, in den Sog ihres eigenen Schemas ziehen.

Mein Eindruck vom Kongress jedenfalls ist der, dass es in unserem Fach derzeit keine Konflikte gibt, die das, was auf dem Kongress geschieht, erzählbar machen. Nicht dass es keine Uneinigkeit gäbe – im Gegenteil: In einem Konflikt muss man sich wenigstens darauf einigen, worüber man sich streitet. Das freilich war auf dem Kongress nicht zu beobachten. Unser Differenzierungsschema folgt eher der Segmentierung von Disparatem als der Integration von Verschiedenem durch Konflikt.

Ich will das an einem Beispiel deutlich machen – eher grobschlächtig, aber um zu verdeutlichen, worum es mir geht. Das Beispiel ist idionsynkratisch ausgewählt – das Selektionsprinzip folgt schlicht meinem Interesse. Ich habe auf dem Kongress eine Plenumsveranstaltung besucht, die von den Sektionen „Soziologische Theorie“, „Kultursoziologie“ und „Wissenssoziologie“ bestritten wurde. Es sollte drum gehen, wie sich von der modernen Gesellschaft unter den Gesichtspunkten von Differenzierung, sozialer Ungleichheit und Kultur sprechen lasse – es ging also um unterschiedliche Dimensionen von Vielfalt und um die Frage, was das Vielfältige zusammenhält. Nicht in Zweifel wurde dabei gezogen, dass ohne Zweifel alle drei Dimensionen empirisch vorkommen – eine Differenzierung von Funktionen, Wertsphären, Feldern oder wie man sie immer bezeichnen mag; ein Muster sozialer Ungleichheit und ohne Zweifel kulturelle Unterschiede auf unterschiedlichsten Ebenen. Aber wie sich diese Ebenen zueinander verhalten und vor allem: was für theoretische Konsequenzen daraus zu ziehen sind, das sollte neu bearbeitet werden.

Den für mich interessantesten Vortrag dieser Veranstaltung hat Uwe Schimank gehalten. Schimank hat sehr treffend ausgeführt, dass zu den drei Dimensionen von Vielfalt jeweils eine theoretische Perspektive gehört, die durchaus mit einigem Recht auftritt. Zugleich hat Schimank konzediert, dass keine der je einzelnen Theorieperspektiven – weder die Differenzierungstheorie noch die Ungleichheits- und auch nicht die Kulturtheorie – so auftritt, dass sie die anderen Dimensionen leugnet. Was aber kam dabei heraus? Es ist mir nicht in Gänze klar geworden, aber letztlich war die ästhetische Erfahrung des Vortrags die, den Erkenntnisgewinn v.a. in einer Art Harmonisierung der Theorien zu sehen oder wenigstens darin, auf eine allzu starke Einseitigkeit zu verzichten. Das Ziel war so etwas wie eine theoretische Integration, theoretische Toleranz, Zusammenhalt in Vielfalt. Ich erzähle das hier deshalb (auch auf die Gefahr hin, Uwe Schimank durch Verkürzung nicht ganz gerecht zu werden; er hat in einer – Originalton! – Werbeeinblendung auf ein neues Buch zum Thema hingewiesen, das im nächsten Jahr bei Transcript erscheinen soll, dort dann die Originalversion) – ich erzähle das also deshalb, weil mir in diesem Vortrag ein wenig das gegenwärtige Selbstverständnis der deutschsprachigen Soziologie repräsentiert erscheint. Auf interne Komplexität wird vor allem durch additive Formen der Komplexitätsbewältigung reagiert, und das nicht nur bezüglich sehr entfernter theoretischer und methodischer Paradigmen, sondern auch innerhalb konkreter Felder wie etwa der soziologischen Theorie der Gesellschaft wie in diesem Fall.

Über die Kulturindustrie sagte Adorno einmal, Kultur schlage alles mit Ähnlichkeit und mache alles kommensurabel. Das war als ein kulturkritisches Menetekel gemeint – und mir ist es gar nicht darum zu tun, die alte Kulturindustriethese mit ihrer Medienkritik aufzuwärmen. Bemerkenswert ist aber schon, dass das, was einmal als Menetekel gedacht war, durchaus abbildet, wie es heute kaum mehr gelingt, der Ähnlichkeit zu entsagen, will heißen: Differenzen zu setzen, die auch Folgen haben. Wie wir auf dem Felde der Ethik etwa heute vor allem authentische Sprecher goutieren, weil selbst gute Gründe nicht mehr gut genug diskriminieren (vgl. dazu Saake/Nassehi 2004), nehmen Debatten gerne die Form an, eher die unterschiedlichen Positionen auf Augenhöhe zu bringen anstatt für Unähnlichkeit zu sorgen. Sicher hat das mit Medienerfahrungen der Universalisierung von Sagbarkeiten zu tun, womöglich aber auch damit, dass wir uns daran gewöhnt haben, unser eigenes Fach zu kulturalisieren und so mit einer Art kultureller Toleranz auszustatten – nicht einmal Toleranz, denn tolerieren, also dulden kann ich ja nur, was ich eigentlich ablehne und verachte. Es ist eher so etwas wie kulturelle Augenhöhe, man sagt wohl: Diversity, was die Auseinandersetzung eher unwahrscheinlich macht. Unter den Gesichtespunkten der Komplexitätsbewältigung wäre das dann als eine Art Koexistenz durch Entkoppelung einerseits, darin aber summarischer, nicht konflikthafter Integration andererseits zu verstehen – vulgo: Desinteresse.

Was dabei vor allem verloren geht, ist die Plausibilität des Anderen, die Differenz des Unähnlichen. Vielleicht macht die Soziologie nach außen deshalb keinen Unterschied (und ist darin keine Meldung wert), weil sie eben an den Unterschieden nicht interessiert ist. Erzählbarer wären die Dinge in dem genannten Fall der Bochumer Plenarveranstaltung, wenn man an die Folgen denken würde, die eine einseitige, also entschiedene, also einen Unterschied machende Perspektive auf die drei möglichen Orientierungen zeitigen würden. Noch einmal: Nicht in Abrede soll gestellt werden, dass die drei Dimensionen empirisch vorkommen. Einen Unterschied aber machen die Positionen nur, wenn man zugleich fragen kann, wie sie sich zueinander verhalten – und hier muss man dann theoretische Entscheidungen treffen, muss man gerade Ähnlichkeit vermeiden und das Risiko auf sich nehmen, dass das eigene Argument mit liefert, dass es kontingent ist.

Sicher hatte es die Soziologie und hatte es vor allem die Theorie der Gesellschaft noch leichter, als andere öffentlich wirksame, vor allem politikförmige Selbstbeschreibungen der Moderne an ordnungsbildenden Unterscheidungen orientiert waren, etwa an der Differenz kritischer vs. affirmativer oder politisch positionierbarer Kategorien orientiert war. Sobald diese jene Orientierung nicht mehr bieten, kann man sie nicht einmal dekonstruieren.

Wofür ich plädieren möchte, sind Einseitigkeiten! In diesem Fall: theoretisch nachvollziehbare Entscheidungen zu treffen, wohlgemerkt: Entscheidungen, also Ausschlüsse anderer Möglichkeiten, um einen Unterschied zu machen. Ich bin mir sicher, dass die Soziologie nur dann Beschreibungen liefern kann, die sich von erwartbaren Selbstverständlichkeiten unterscheiden, wenn sie diese Distinktionskraft pflegt – und das zunächst intern. Ich selbst nehme in diesem Falle eine klar differenzierungstheoretische Position ein, und ich bin mir sicher, dass vor allem das, was man dann über soziale Ungleichheit und Schichtung sowie über kulturelle Differenzen sagen kann, anders ausfällt, als wenn man das mit anderen Theoriemitteln macht. Es sieht dann nicht mehr so aus, als wüssten wir schon, was die jeweiligen Unterschiede bedeuten, um dann anschließend nach theoretischen Integrationsmöglichkeiten zu suchen. Abgesehen von den wissenschaftstheoretischen Problemen, die damit verbunden sind, unterschätzt eine solche Perspektive womöglich die Bedeutung von Begriffsumstellungen und theoretischen Entscheidungen für die empirische und diagnostische Potenz der Soziologie. Letztlich geht es um nicht weniger als um das, was etwa in der sogenannten erklärenden Soziologie außerhalb des Erklärungsgeschehens (bei dem es ja letztlich nur um Handlungswahrscheinlichkeiten in einem bestimmten Rahmen geht) als „richtige Beschreibung“ (Esser 1999, S. 403) von Randbedingungen nur so nebenbei erwähnt wird. Diese Beschreibungen sind aber nicht trivial, und sie sind nicht zu haben als eine Art commen-sense über das, worauf wir uns als plausible Beschreibung geeinigt haben – etwa, dass es vielfältige Vielfältigkeiten in der Gesellschaft gibt. Hier setzen dann theoretische Entscheidungen an, die wie alle Entscheidungen auch anders hätten ausfallen könne, sonst wären es keine Entscheidungen.

Ist das Fach müde, sich über solche Fragen auseinanderzusetzen? Machen Unterschiede keine Unterschiede? Ist ein Begriffskonflikt erst gelungen, wenn man ihn integriert – und bekanntlich haben Integrationsprozesse in komplexen Systemen zur Folge, dass sich die zu integrierenden Teile nicht wirklich entfalten können?

Die mangelnde Aufmerksamkeit von außen ist vielleicht nur ein derivatives Symptom. Es verweist auf die mangelnde Aufmerksamkeit innerhalb des Faches, das sich unter dem Mantel der Freundlichkeit und der Vermeidung von Konflikt so eingerichtet hat, dass es eben keinen Unterschied macht, was man macht.

Ich belasse es nun bei diesen Andeutungen. Sie sollen dazu dienen, einen vielleicht überzeichneten, in jedem Falle idiosynkratisch vorgetragenen Kontext für meine Blog-Beiträge in den nächsten zwei Monaten herzustellen. Ich selbst komme, das ist kein Geheimnis, von einer systemtheoetischen, praxistheoretisch erweiterten, an empirischer Forschung interessierten, an die öffentliche Bedeutung der Soziologie glaubenden Position her. Gerade was die systemtheoretische Soziologie angeht, so habe ich den Verdacht, dass das, was damit gemeint ist, in der Soziologie letztlich noch gar nicht angekommen ist (vgl. Nassehi 2012), obwohl sie viel Aufmerksamkeit produziert und gerne zitiert wird. Vielleicht liegt auch das exakt daran, was ich oben angedeutet habe. Was mir also vorschwebt, ist, in diesem Blog eine Art von „Einseitigkeit“ zu demonstrieren, die sich für theoretische Begriffsentscheidungen und ihre Folgen interessiert. Dass manchmal Differenzen auftauchen, hat eine kleine Andeutung einer öffentlichen Debatte über das, was soziologische Theorie leisten können muss, zwischen Hartmut Rosa und mir (hier und hier) gezeigt. Rosa und ich wollen, so haben wir uns bis dato noch eher unverbindlich versichert, diese Debatte weiter führen. In diesem Blog will ich die Frage, was die Begriffsentscheidungen, die mir plausibel erscheinen, für mich für einen Unterschied machen. Denn nur das wird die Soziologie sichtbar machen – intern und extern.

Literatur:

Esser, Hartmut 1999: Soziologie. Spezielle Grundlagen, Band 1: Situationslogik und Handeln, Frankfurt/M./New York: Campus.

Nassehi, Armin 2012: Soziologie, in: Oliver Jahraus/Armin Nassehi/Mario Grizelj/Irmhild Saake/Christian Kirchmeier/Julian Müller (Hg.): Luhmann-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung, Stuttgart/Weimar: Metzler.

Saake, Irmhild/Armin Nassehi 2004: Die Kulturalisierung der Ethik. Eine zeitdiagnostische Anwendung des Luhmannschen Kulturbegriffs. in: Günter Burkart und Gunter Runkel (Hg.): Niklas Luhmann und die Kulturtheorie, Frankfurt/M.: Suhrkamp, S. 102-135.

9 Gedanken zu „Mehr Einseitigkeit, bitte!“

  1. In der Tat, ein übliches Medienecho blieb aus. Verschwörungstheoretiker könnten auf die Idee kommen, dass es an dem Boykott des CHE -Rankings liegen könnte, eine Art Sanktion seitens der großen Zeitungen? Aber: der Kongress hat ja wirklich stattgefunden, auch wenn es kaum Berichterstattung in Massenmedien gegeben hat ;-). Und schließlich ist das ja nicht das Ziel eines Kongresses! In Zeiten des Informationszeitalters könnte man es sich höchstens wünschen, dass die Kongresswoche stärker oder überhaupt multimedial begleitet wird, also auch in der virtuellen Welt auftaucht, denn darauf richten viele ihr Bewusstsein. Ansonsten freue mich auf „einseitig“ theoretische Nassehi-Blogs im November und Dezember.

    1. …stattgefunden oder nicht, was nicht kommuniziert wird ist gesellschaftlich nicht vorhanden. Es gibt nichts langweiligeres als eine Diskussion bei der sich alle Beteiligten einig sind. Das Motto der Veranstaltung impliziert also im Prinzip schon das Absterben der Kommunikation.
      Ein wenig Konflikthaftigkeit könnte der Soziologie nicht schaden.

      1. Es wurde doch viel kommuniziert, sehr viel sogar, ein richtiger Fachkongress, nur nicht seitens von Redaktionen ausgewählter Massenmedien. Was hier eingeklagt wird, scheint „öffentliche“ Aufmerksamkeit zu sein, was immer das auch sein mag. Dieses Kongressthema konnte doch auch als Botschaft verstanden werden, wenn man es wollte. Und zwar gegen Bedrohungsszenarien wie „Deutschland schafft sich ab“, das nach der Logik von Massenmedien selbstredend weitaus mehr Aufmerksamkeit bündelt, als ein gutgemeinter Appell mit Vielfalt konstruktiv umzugehen und sich einigermaßen unaufgeregt mit Ergebnissen empirischer Forschungsprojekte auseinanderzusetzen.

  2. Lieber Herr Nassehi,

    ich befürchte ihr Blogeintrag ist der beste Beweis, warum die deutsche Presse sich wenig für die deutsche Soziologie und ihren Kongress interessiert. Der Eintrag ist zu lang, zu theoretisch augeladen und vor allem sie bringen nicht ein Argument, warum das Fach Soziologie eigentlich gesellschaftsrelevant ist! Form und Inhalt sind dem Format Blog (vielleicht ja einem Ausatz) schlicht nicht angemessen. Ich stelle mir schon lange die Frage, warum bei relevanten Themen im TV (Armut, Wohnen, Rente, Gesundheit etc.) keine SoziologInnen zu Wort kommen – vielleicht wäre das eine Idee für den nächsten Eintrag?
    Außerdem teile ich ihre These nicht, es gibt innerhalb der Zunft genug Konflikte (Marxisten, Systemtheoretiker, Quali, Quanti etc.). – aber ob wir die jederzeit reproduzieren müssen, halte ich für zweifelhaft.

    1. Diese Überlegung über Ihren Eintrag, Herr Nassehi, hat sich mir ebensfalls aufgedrängt: Ich finde zwar gefallen an (Ihren) metaphorischen und ausgefallenen Ausdrucksweisen, hatte aber großteils Schwierigkeiten Ihren Gedankengängen zu folgen und die Aussagen nachzuvollziehen. Ich dachte dieser Blog wäre eigentlich auch für fachfremde Leser gedacht, aber als Soziologiestudent fiel mir das Verständnis schwer. Ähnlich erging es mir übrigens auch bei ihrem Beitrag für die SZ. Gerade für potenzielle Student könnte dieser Blog oder Zeitungsbeiträge als Entscheidungshilfe dienen. Bekanntlich tendiert die deutsche Soziologie zu einer nur schwer zu durchdringenden Ausdrucksweise. Gerade bei Ihnen bin ich darüber überrascht, da ich selbst ironischerweise ihre „10 einführenden Vorlesungen“ als (sprachlich) alltagsnahen Einstieg ins soziologische Denken und als Orientierung benutzt und geschätzt habe.

      Eine allgemein stärkere und zugängliche Präsenz soziologischen Denkens in der deutschen Medienlandschaft würde sicherlich ebenso einen großen Beitrag dazu leisten ein dauerhaftes Interesse aufrechtzuerhalten. Da die Präsenz aber in letzter Zeit eher gering ist es doch wenig verwunderlich, dass wenig über den Kongress berichtet wird. Mit der Rolle einer „Public Sociology“ haben Sie sich ja stark auseinandergesetzt und auch praktisch versucht umzusetzen. In der Praxis glaube ich aber, dass die inhaltliche Zugänglichkeit stärker berücksichtigt werden muss. Ihr Fokus auf eine konflikthafte Debatte blendet diesen Aspekt aus.

      Als deutliches Beispiel fällt die vergleichsweise ausführliche Berichterstattung auf über die lebensweltliche Forschung einer amerikanischen Studentin über die Interaktionen in Reisebussen in den USA (u.a. http://www.zeit.de/2012/38/Greyhoundbus-Reisende-Soziologie und http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/soziologin-erforscht-sozialverhalten-bei-busreisen-in-den-usa-a-847737.html). Erstaunlich fand ich das hervorgehobene Interesse an „einer klassischen Feldstudie“. Diese steht ja stark im Kontrast zur üblichen Berichterstattung über quantitative Ergebnisse und hebt die Soziologie von anderen Disziplinen in der Sozialforschung ab. Ein deutliches Profil soziologischer Zugänge würde der öffentlich auftretenden Soziologie helfen nicht im Zahlensalat zu verschwinden der vielen Berichten mit ökonomischen Zügen betrifft.

    2. Lieber Toni Mafalda,

      Sie haben Recht – ich habe mich ästhetisch eher an der Form des Aufsatzes orientiert. Vielleicht folgt er nicht der Formvorschrift des Blogs. Aber er folgt der Formvorschrift dessen, was ich inhaltlich einfordere. Dass sich außersoziologische Öffentlichkeiten nicht für diese Textsorte interessieren, ist in der Tat richtig – aber wir müssen die Konflikte intern austragen, um als Soziologie wahrgenommen zu werden. Da bin ich ganz anderer Meinung als sie. Die Konflikte müssen erstmal als Konflikte diskutiert werden. Dann wirds auch wieder spannender. Die integrative Funktion von Konflikten ist ein alter soziologischer Topos.

      Und dass Soziologen und Soziologinnen nicht in der Öffentlichkeit gehört oder gefragt werden, stimmt nicht. Ganz im Gegenteil – zumindest ist das meine Erfahrung. Aber die Soziologie nicht. Und das finde ich schade.

      All the best
      AN

  3. Vielen Dank für diese aufschlussreiche Innenansicht. Ich selbst, studierter Soziologe inzwischen aber außerhalb des Wissenschaftsbetriebs tätig, hatte schon einen ähnlichen Verdacht über die gesellschaftliche Irrelevanz der deutschen Soziologie. Bisher hielt ich das aber mehr für ein unterschwellig gepflegtes Vorurteil meinerseits.

    Mein Eindruck ist allerdings, dass die alten Konfliktlinien zwischen deskriptiver und kritischer Soziologie nach wie vor gepflegt werden – nur nicht mehr so öffentlichkeitswirksam. Seit den 1970ern haben sich lediglich die Begriffe geändert. Die Botschaften sind dieselben geblieben. Diese werden bloß immer komplizierter formuliert. Wenn man aber einem nicht-wissenschaftlich geprägten Publikum nicht mehr zu sagen hat als dass die Gesellschaft irgendwie vielfältiger, verschiedener, differenzierter geworden ist, dann braucht man vielleicht wirklich keine Soziologen mehr. Das kann sich inzwischen jeder selbst zusammen reimen. Ebenso wenig zielführend ist es das alte Lied von der Unterwerfung aller Lebensbereich unter eine kapitalistische Verwertungslogik weiter zu singen. Speziell wenn man keine praktikablen Alternativen anzubieten hat. Dann bestätigt, legitimiert und perpetuiert man nur, was man eigentlich ändern will, und ist damit Teil des Problems. Inzwischen scheinen auch einige Systemtheoretiker in dieses Lied mit einzustimmen. Auch wenn man damit noch leicht Zustimmung außerhalb der Soziologie findet, kann es nicht darum gehen ein diffuses Ungerechtigkeitsempfinden zu bestätigen.

    Luhmanns Beschreibung einer funktional differenzierten Gesellschaft war als Gegenentwurf dazu gedacht. Eine der Hauptbotschaften war, dass nicht alle Lebensbereiche einer kapitalistischen Verwertungslogik unterworfen sind und auch nicht unterworfen werden können. Die gegenwärtige Aufgabe der Soziologie würde ich darin sehen viel deutlicher darauf hinzuweisen. Obwohl der Mensch seit Luhmann nicht mehr zur Gesellschaft gehört, liegt die Herausforderung heute paradoxerweise darin die menschlichen Seiten der Gesellschaft zu entdecken und zu zeigen dass es auch anders geht als es die Kapitalismuskritik behauptet. Die Richtung wird durch Arbeiten von Randall Collins (Interaction Ritual Chains) und Eva Illouz (Saving The Modern Soul) aufgezeigt. Mit diesen Ansätzen lassen sich vielleicht auch Antworten auf die Frage nach dem gesellschaftlichen Zusammenhalt finden. Die spannende Frage wird sein, wie die deutsche Soziologie und die Systemtheoretiker im Besonderen damit umgehen werden? Und können die gewonnenen Erkenntnisse auch einem nicht-wissenschaftlich geprägten Publikum näher gebracht werden? Mehr Mut zu klaren Positionen wäre ein Anfang. Das muss nicht unbedingt in Einseitigkeit enden. Ein Unterschied der einen Unterschied macht, wäre völlig ausreichend. In diesem Sinne freue ich mich auf die kommenden Beiträge.

  4. Also, das die Soziologien nach außen ein Kommunikationsproblem hat, dürfte hinlänglich bekannt sein (interessanter Artikel dazu: http://gedankenstrich.org/wp-content/uploads/2012/03/Schrape_2011_Markenidentität.pdf oder hier: http://soziologie.de/blog/?p=356).

    Aber das SozBlog ist ein Blog von Soziologen für Soziologen und insofern vor allen Dingen auf den internen Diskurs abgestellt (oder?).

    „In der Praxis glaube ich aber, dass die inhaltliche Zugänglichkeit stärker berücksichtigt werden muss.“ >> Das denke ich auch, allerdings nicht an dieser Stelle.

  5. Ich kann hier Toni Mafalda und Prem nur zustimmen. Dieser, wenn auch inhaltlich sicher berechtigte Blog-Beitrag, ist mir viel zu kryptisch und unverständlich. Das beste Beispiel, weshalb sich in hochsoziologischen Zeiten niemand außerhalb der Soziologie für dieses Fach interessiert. Die Meinung, die Soziologie wäre ja in der Öffentlichkeit präsent, kann ich so absolut nicht nachvollziehen. Man blicke nur einmal in die Talkrunden von ARD&ZDF. Der letzte „Soziologe“, der da aufgetaucht ist, war Werner Hansch… Die Soziologie ist größtenteils mit sich selbst beschäftigt

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