Nicht jeder isst das Gleiche, oder: Verbrauchertypen und Esstypen

Wie bereits in der Diskussion über den Zusammenhang von Geschlecht, Milieu und Konsum angedeutet, sind nicht alle Verbraucher gleich – „den Konsumenten“ gibt es also nicht. Dennoch lassen sich oft in bestimmten Kulturkreisen, sozialen Milieus, ethnischen, Alters- oder Geschlechtergruppen typische Muster des Konsums identifizieren.

Mit anderen Worten: In verschiedenen sozialen Gruppen werden Produkte unterschiedlich symbolisch aufgeladen, und Konsummotive wie soziale Distinktion, Kompetenzillustration, Expression, Hedonismus und Kompensation unterscheiden sich systematisch zwischen diesen Gruppen (allgemein und für ein bestimmtes Produkt).

Betrachtet man etwa den Bereich der Ernährung, so stellt man fest, dass zunächst nicht jedem Ernährung gleich wichtig ist, und auch nicht jeder gleich viel über Essen Bescheid weiß. So ließen sich in den 1990ern in Deutschland grob vier Esstypen unterscheiden, die jeweils ungefähr ein Viertel der deutschen Bevölkerung umfassten (Pudel/Westenhöfer 1991). Auch wenn ich keine aktuelleren Zahlen und Typologien habe, vermute ich, dass sich daran auch heute nicht grundsätzlich etwas geändert hat.[1]

Jeder Esstyp ist dabei in bestimmten Gruppen der Sozialstruktur besonders stark vertreten, und ich vermute auch, dass sie bei einem Produkt wie Joghurt ganz bestimmte Markenpräferenzen haben (auch wenn ich das nicht nachweisen kann – aber die Produkteigenschaften bestimmter Joghurtmarken und das Marketing passen doch zu bestimmten Essgewohnheiten).

Preisbewusste Esspraktiker

Zunächst ist die Aussage, die ich vor zwei Monaten gemacht habe, dass der Verbraucher beim Essen nach dem Geschmack bzw. der Qualität und nicht nach dem Preis schaue, nicht ganz richtig: Etwa drei Viertel der Verbraucher schauen auf die Qualität, d.h. sie essen nur, was ihnen schmeckt, und zahlen lieber mehr – ein Viertel schaut dagegen sehr wohl und fast ausschließlich auf den Preis:

Den preisbewussten Esspraktikern ist Essen nicht besonders wichtig – Hauptsache es macht satt. Sie sind i.d.R. weniger gebildet und haben v.a. sehr wenig Ernährungswissen. Stattdessen vertrauen sie in die moderne Lebensmitteltechnologie und staatliche Lebensmittelkontrollen. Da sie davon ausgehen, dass die standardisierte Massenproduktion hygienisch und staatlich überwacht ist, sehen sie kaum Qualitätsunterschiede zwischen den verschiedenen Joghurtsorten und -marken. Damit wird der Preis des Joghurts für sie das entscheidende Kriterium – sie kaufen immer das billigste Produkt, das ihnen schmeckt, greifen also auf sog. „Standardware“ – No-Name-Produkte oder billige Handelsmarken – zurück („gut & billig“, Aldi-Joghurt). Lebensmittel sind für diesen Verbrauchertyp ein „Produkt wie jedes andere“ insofern, dass ihnen mangels eigenen Ernährungswissens gar nicht bewusst ist, wie anfällig die Nahrungsmittelproduktion für Risiken ist. Sie sind sich auch nicht bewusst, dass ihre Preisorientierung eine der Hauptursachen der Risikozunahme im Lebensmittelbereich ist.

Für die anderen drei Esstypen ist dagegen nicht der Preis, sondern die Qualität das Hauptentscheidungskriterium. Nun habe ich aber bereits geschrieben, dass i.d.R. auf Märkten nicht klar ist, was „Qualität“ ist, sondern dass es sehr unterschiedliche Vorstellungen von Qualität gibt. Und genau die Frage, was genau Qualität ausmacht, beantwortet jeder Ernährungstyp anders.

Natur-Fans

Der Natur-Fan verfügt i.d.R. über ein hohes Bildungsniveau und profundes Ernährungswissen – meist handelt es sich um Frauen, oft Hausfrauen und Mütter, denen nicht nur ihre eigene, sondern v.a. auch die Ernährung ihrer Kinder wichtig ist. Deshalb verwenden diese Verbraucher auch oft bewusst keine Convenience-Produkte, sondern kochen noch von Grund auf mit frischen Zutaten, damit sie genau unter Kontrolle haben, was sie und ihre Familie isst – sie vertrauen also lieber in ihre eigene Fähigkeit, gutes von schlechtem Essen zu unterscheiden, als in staatliche Kontrollen oder Werbeversprechen. Je naturbelassener ein Lebensmittel ist, desto besser ist es für sie. Oft kaufen sie daher Bio und regional hergestellte Produkte, aber auch gegen massenindustriell hergestellte Produkte haben sie nichts, sofern diese ihren Qualitätskriterien entsprechen, z.B. möglichst wenig Zusatzstoffe enthalten. Die Natur-Fans sind auch die Verbraucher, die die gesetzlich vorgeschriebene Warenkennzeichnung[2] nicht nur verstehen (das tun nämlich die wenigsten Verbraucher), sondern tatsächlich auch regelmäßig lesen und auf dieser Basis ihre Kaufentscheidung treffen (insofern vertrauen auch Natur-Fans zumindest darauf, dass sich die Hersteller zumindest an die Gesetze halten).

Zu den Konsumgewohnheiten der Natur-Fans passen Fruchtjoghurtsorten wie „Landliebe“ und „Bauer“, weil diese kaum Zusatzstoffe enthalten. Alternativ verfeinert man den Naturjoghurt mit Früchten, stellt den Joghurt selbst her oder kauft ihn beim Bauern, hat also eine Präferenz für handwerklich-traditionelle Herstellung.

Konsumiert werden also explizit und bewusst Produkte, die besonders risikoarm sind (weshalb der Pferdefleischskandal vermutlich gerade für dieser Verbrauchergruppe besonders schockierend war – weil er vorgeführt hat, dass man in modernen Industriegesellschaften nicht alle Risiken vermeiden kann, sondern durchaus den Märkten ein Stück aus ausgeliefert ist und ihnen vertrauen muss, ob man will oder nicht).

Der Natur-Fan produziert aber durchaus Risiken mit, und zwar weil er zwar beim Essen selbst auf Qualität achtet, aber durchaus den Preiswettbewerb beim Handel anheizen kann, der dann wieder an die Hersteller weitergereicht wird: Wenn er keine Qualitätsunterschiede wahrnimmt, kauft auch er nach dem Preis – wenn dieser Verbrauchertyp also (weil er sich mit Ernährung auskennt) weiß, dass ein bestimmtes No-Name-Produkt bei Aldi eigentlich ein Markenprodukt eines Herstellers ist, der vom Natur-Fan als qualitativ hochwertig einschätzt, das aber unter anderem Etikett verkauft wird,[3] sieht der Natur-Fan nicht ein, warum er nicht auch bei Aldi kaufen soll – schließlich ist es dasselbe Produkt.

Moderne Gourmets

Während den Natur-Fans Naturbelassenheit und Risikoarmut besonders wichtig ist und sie deshalb industrieller Produktion sehr wenig vertrauen, ist es bei den letzten beiden Verbrauchertypen genau umgekehrt – wie die preisbewussten Esspraktiker setzen sie voll auf industriell hergestellte Lebensmittel, aber aus völlig anderen Gründen, also nicht, um Geld zu sparen, sondern weil sie glauben, dass diese einfach bessere Qualität erzeugt:

Die modernen Gourmets sind Hedonisten – ihnen ist vor allem wichtig, dass das Essen gut schmeckt. Das kann bedeuten: Luxuskonsum und regionale, handwerklich hergestellte Lebensmittel. Aber es kann auch gerade bedeuten: auf höchstem Technologieniveau hergestellte Lebensmittel – ich hatte ja bereits geschrieben, dass diese oft viel besser schmecken als das Original. Dies gilt z.B. für Sahnejoghurts und cremige Fruchtjoghurts von Marken wie „Zott“, „Ehrmann“ und „Landliebe“.

Diätbewusste

Heute ist gutes Aussehen ein Zeichen soziale Distinktion. Insbesondere bei Frauen gehört es wesentlich zur Geschlechtsidentität. Und durch die Werbung wird uns seit den 1970ern vermittelt, dass eine Frau nur schön sein kann, wenn sie schlank ist. Wenn man sich nun nicht gerade regelmäßig Fett absaugen lassen möchte, heißt das: regelmäßig Sport treiben und nicht zu viel essen. Den Diätbewussten ist deshalb besonders wichtig, dass Essen kalorienarm ist. Sie essen etwa fettarme Joghurts, Light- und Diätprodukte sowie Functional Food (Nestlé LC1, Actimel). Massenindustriell hergestellte Produkte haben den Vorteil, dass einige von ihnen wesentlich weniger Kalorien haben als herkömmliche Lebensmittel (die ja eigentlich gerade sattmachen sollen) und trotzdem noch gut schmecken.

Fazit

Am Beispiel der Differenzierung der Verbraucher nach Esstypen lässt sich Mehreres illustrieren.

Zunächst zeigt sich, dass die Welt nicht so einfach ist, wie wir es gerne hätten – es gibt eben nicht „den“ Verbraucher, sondern Menschen mit sehr unterschiedlichen Bedürfnissen. Auch die hier skizzierte Typologie ist nur sehr grob und wie alle Typologien unscharf– die meisten von uns werden Mischtypen sein, und es gibt ja auch noch andere Konsummotive, über die ich hier nicht geschrieben habe. Auf jeden Fall ist die Verschiedenheit der Verbraucher einer der Gründe, warum moderne Märkte so komplex sind.

Die Hersteller versuchen, sich darauf einzustellen, und produzieren oft für bestimmte Marktsegmente, aber man sieht auch am oben genannten am Beispiel „Landliebe“, dass sich ein und dasselbe Produkt an unterschiedliche Verbrauchertypen richten kann, was natürlich für den Hersteller ideal ist.

Auf eine der Leitfragen bezogen, die ich immer wieder in diesem Blog gestellt habe – wie entstehen Risiken? – lässt sich antworten, dass der Beitrag unterschiedlicher Verbrauchertypen zur Risikoproduktion hierzu sehr unterschiedlich ist. Nur für einen kleinen Teil der Verbraucher ist der Preis das entscheidende Kriterium, die anderen entscheiden nach Qualität, haben aber sehr unterschiedliche Qualitätsvorstellungen und damit auch sehr unterschiedliche Haltungen zur industriellen Massenproduktion.

 

 

Literatur

Pudel, Volker/Westenhöfer, Joachim (1991): Ernährungspsychologie. Eine Einführung. Göttingen/Toronto/Zürich: Hogrefe. Verlag für Psychologie.

 

Anmerkungen

[1] Unabhängig davon, dass auch der persönliche Geschmack variiert, werden Geschmack und Essgewohnheiten auch stark vom sozialen Milieu geprägt, dem man angehört. Im Prinzip ist das Essverhalten ein gutes Beispiel für klassische Konditionierung: Während der Sozialisation wird in regelmäßigen Abständen (mehrmals täglich) dasselbe Verhalten eingeübt, bis es so stark habitualisiert wird, dass es im Erwachsenenalter nur sehr, sehr schwer zu ändern ist.

[2] Die Gesetze zur Warenkennzeichnung schreiben vor, dass die folgenden sieben Angaben des Herstellers auf Packungen von Milchprodukten stehen müssen: (1) Verkehrsbezeichung (Joghurt, Trinkjoghurt, Fruchtjoghurt usw.), (2) Mengenangabe in Gramm, (3) Fettgehalt in Prozent Fett im Milchanteil, (4) Art der Wärmebehandlung, (5) Mindesthaltbarkeitsdatum, (6) Zutatenliste in absteigender Reihenfolge der Gewichtsanteile und (7) Name und Anschrift der Molkerei.

[3] Dazu muss man wissen, das – aufgrund der Überproduktion von Lebensmitteln – viele Molkereien ihre Produktionsanlagen besser auslasten, indem sie ein und dasselbe Produkt als Markenprodukt verkaufen und gleichzeitig ihre Überproduktion als billiges No-Name-Produkt an Discounter verkaufen.

Autor: Nina Baur

Prof. Dr. Nina Baur (März & April 2013) Professorin für Methoden der empirischen Sozialforschung am Institut für Soziologie der Technischen Universität Berlin Arbeitsschwerpunkte: Methoden der qualitativen und quantitativen Sozialforschung, Marktsoziologie, Prozesssoziologie, Raumsoziologie